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Artikel „Burchard, Johannes“ von Friedrich Lauchert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 377–379, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Burckard,_Johannes&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 09:15 Uhr UTC)
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Burchard: Johannes B., päpstlicher Ceremonienmeister, dann Bischof von Orta, geboren um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu Haslach im Elsaß (so Thuasne; gewöhnlich wird Straßburg als sein Geburtsort bezeichnet), † am 16. Mai 1506. Er studirte Theologie und Jurisprudenz, wurde Doctor Decretorum, kaufte am 4. Juni 1477 das Straßburger Bürgerrecht und wurde am 31. October 1479 Kanonikus des Capitels zu St. Thomas in Straßburg. Ferner war er (nachweisbar wenigstens seit 1485) Propst der Collegiatkirche St. Florentius zu Haslach. Im Herbst 1481 begab er sich nach Rom, um ein Amt bei der Curie zu suchen. Er wurde zunächst päpstlicher Protonotar und übte auch die Thätigkeit eines Advocaten bei der Curie aus. Am 21. December 1483 wurde er als Clericus ceremoniarum der päpstlichen Capelle aufgenommen und trat am 26. Januar 1484 zuerst in Function, an Stelle des seitherigen Ceremonienmeisters Agostino Patrizzi (Patricius), des nachherigen Bischofs von Pienza. 1489 wurde er auch Dechant von St. Thomas in Straßburg. Am 29. November 1503 ernannte ihn Papst Julius II. zum Bischof von Orta und Cività Castellana, unter Beibehaltung des Amtes eines Ceremonienmeisters; er wurde am 9. April 1504 consecrirt. – Unter den von B. verfaßten Schriften ist das „Diarium“ am bekanntesten geworden, sein Tagebuch, in welchem er zu seinem Privatgebrauch insbesondere über die zu seinem Amte gehörenden Verrichtungen genaue Aufzeichnungen machte, über die kirchlichen Festlichkeiten an der päpstlichen Capelle, wie über das Ceremoniell beim Empfange von Gesandten und fürstlichen Persönlichkeiten u. dgl. Mehr gelegentlich, anfangs weniger, späterhin häufiger, sind auch Notizen über anderweitige Vorkommnisse, von denen B. Zeuge war, oder die sonst in seinen Gesichtskreis fielen, eingestreut. Dadurch wird das Werk, während es seinem Hauptinhalte nach besonders liturgisches und archäologisches Interesse hat, auch zu einer wichtigen historischen Quelle für manches Detail aus der Geschichte der Pontificate Innocenz’ VIII, Alexander’s VI., Pius’ III. und Julius’ II. Die Aufzeichnungen gehen von [378] Ende des Jahres 1483 bis zum Tode Burchard’s; die einzelnen Thatsachen sind nüchtern und trocken aneinander gereiht, ohne schriftstellerische Ausschmückung, da B. auch nicht an Veröffentlichung dachte. Die Glaubwürdigkeit in dem, was B. als Augenzeuge berichtet, wird mit Grund nicht zu bezweifeln sein; den gehässigen Bemerkungen, die Burchard’s Amtsnachfolger als Ceremonienmeister, Paris de Grassis, in seinem Diarium dem Andenken seines Vorgängers widmet, wird nicht allzuviel Werth beizumessen, und daraus jedenfalls keine Folgerungen in dieser Hinsicht zu ziehen sein. Mit derselben subjectiven bona fides wird er auch das aufgezeichnet haben, was er nur aus Erzählungen Anderer weiß; in diesem Falle ist damit allerdings noch keine Garantie für die Wahrheit der Dinge gegeben, und mit einer gewissen Kritiklosigkeit und Leichtgläubigkeit Burchard’s in der Aufnahme fremder Berichte wird immer zu rechnen sein. Ein Theil des Originalmanuscripts befindet sich im Vaticanischen Archiv (vgl. darüber Pieper in der Röm. Quartalschrift 1893, S. 392 ff.). Abschriften, die sich in verschiedenen Bibliotheken vorfinden, wurden im 16. und 17. Jahrhundert hauptsächlich mit Rücksicht auf den ceremoniellen Inhalt gemacht; sie gehen auf eine von Paris de Grassis, in dessen Hände nach Burchard’s Tode das Original gekommen war, veranstaltete Abschrift zurück (vgl. Pieper a. a. O., S. 399 ff.). Die erste gedruckte Ausgabe, nach einem in seine Hände gekommenen kurzen Auszug, theils in lateinischer, theils in französischer Sprache, veranstaltete Leibniz unter dem Titel: „Specimen historiae arcanae sive anecdota de vita Alexandri VI. Papae seu Excerpta ex Diario Johannis Burchardi Argentinensis, Capellae Alexandri Sexti Papae Clerici Ceremoniarum Magistri“ (Hanoverae 1696). Seine spätere Absicht, nach einer ihm inzwischen nachgewiesenen Berliner Handschrift einen vollständigeren Text herauszugeben, konnte Leibniz nicht mehr ausführen. Die letztere Handschrift liegt sodann der immer noch sehr mangelhaften Ausgabe von Johann Georg Eccard (in dessen Corpus historicum medii aevi, T. II, Lipsiae 1723, p. 2017–2160) zu Grunde. Im 19. Jahrhundert folgte die Ausgabe von Achille Gennarelli: „Johannis Burchardi Argentinensis Protonotarii apostolici et Episcopi Hortani Cappellae Pontificiae scroroum Rituum Magistri Diarium Innocentii VIII, Alexandri VI, Pii III, et Julii II tempora complectens nunc primum publici juris factum commentariis et monumentis quamplurimis et arcanis adjectis“ (Florentiae 1854); die Ausgabe blieb unvollendet, sie geht nur von Anfang bis 1494; was derselben an Zuverlässigkeit des Textes abgeht, wird durch Gehässigkeit der Tendenz in den Anmerkungen ersetzt. Die Ausgabe kam auf den Index, ebenso wie früher die Publication von Leibniz. Die Beschaffenheit aller dieser ältern Veröffentlichungen ließ das Werk Burchard’s in dem falschen Lichte einer Chronique scandaleuse erscheinen; eine richtigere Würdigung des Charakters der Aufzeichnungen ermöglichte erst die in jüngster Zeit erfolgte Veröffentlichung des ganzen Werkes durch L. Thuasne: „Johannis Bruchardi Argentinensis Capellae pontificiae sacrorum Rituum Magistri Diarium sive Rerum urbanarum Commentarii (1483–1506). Texte latin publié intégralement pour la première fois d’après les manuscripts de Paris, de Rome et de Florence avec Introduction, Notes, Appendices, Tables et Index“ (3 Bde., Paris 1883–1885). Die Ausgabe gibt den Text, wie ihn die Handschrift der Bibliothek des Fürsten Chigi in Rom übereinstimmend mit den Handschriften der Pariser Nationalbibliothek bietet. Eine Lücke, die diese Ausgabe mit fast allen Handschriften zwischen dem 25. Mai 1493 und 11. Januar 1494 hat, konnte A. Pieper aus der werthvollen, von Onufrio Panvinio veranstalteten Abschrift, die sich jetzt in der Münchener [379] Staatsbibliothek befindet (Cod. lat. Mon. 135–138) theilweise ausfüllen: „Ein unedirtes Stück aus dem Tagebuche Burchard’s“; Röm. Quartalschrift, VIII. Jahrg; 1894, S. 187–216. – Außerdem war B. auf liturgischem Gebiete schriftstellerisch thätig. Zu dauerndem Ansehen gelangte seine Zusammenstellung der Rubriken zum Meßbuch, d. h. der beim Meßritus von dem celebrirenden Priester zu beobachtenden rituellen Vorschriften. Diese Schrift erschien zuerst zu Rom 1502 unter dem Titek: „Ordo servandus per sacerdotem in celebratione Missae“. Dieselbe wurde späterhin öfter wieder gedruckt, theils für sich theils in Sammelwerken. Eine Ausgabe von Toledo 1527 (in der Münchener Staatsbibliothek) hat den Titel: „Ordinarium misse: ex diversis sanctorum patrum decretis pro quorumcunque divina mysteria celebrare volentium instructione diligenti indagine collectum: de cerimoniis convenientibus in missarum celebratione usitandis copiosissime tractans“. Ueber Ausgaben von Venedig 1523, Löwen 1554, Rom 1559 vgl. K. Schrod, Die Rubricae generales des Römischen Meßbuches; Katholik 1884, Bd. I, S. 314–316. Mir liegt noch ein Druck von Venedig 1572 vor (unter dem Titel: „Ordo Missae pro informatione sacerdotum“), angedruckt an das „Speculum Missae … a Jo. Cochleo primum laboriose collectum, nunc vero a F. Nicolao Aurifico Senensi Carmelita recognitum, auctum et locupletatum“ (Blatt 193–224; in der Münchener Universitätsbibliothek). Seit 1534 wurde der Ordo Burchard’s auch dem Missale selbst beigedruckt. – In Verbindung mit Augustin Patrizzi besorgte B. auch die erste Ausgabe eines Pontificale, die unter dem Titel „Liber Pontificalis“ 1485 zu Rom erschien; eine neue Ausgabe, von B. in Verbindung mit Jacob de Lutiis bearbeitet, erschien zu Rom 1497 und noch wiederholt, 1503; Lyon 1511. B. war auch Patrizzi’s Mitarbeiter an der von diesem vorbereiteten Ausgabe des Ceremoniale, die aber erst nach dem Tode Beider, von dem Erzbischof Christoph Marcellus von Ancyra veröffentlicht, unter dem Titel erschien: „Rituum ecclesiasticorum sive sacrarum caeremoniarum S. Romanae Ecclesiae libri tres“ (Rom 1516 u. ö.; eine neue Ausgabe veranstaltete Jos. Cata1ani, Rom 1750).

L. Thuasne, Notice biographique im 3. Bd. seiner Ausgabe des Diarium Burchardi, p. I–LVIII. – Hurter, Nomenclator literarius, T. IV (1899), p. 906; 1007 s. – Ueber das Diarium vgl. noch: Mémoires de littérature tirés des registres de l’Académie royale des Inscriptions et Belles-Lettres, T. XVII (Paris 1751), p. 597–606: Foncemangne, Notice du Journal de Burchard. – Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothèque du Roi, 1787, I, p. 68–130: Bréquigny, Notice du Journal de B. – Th. Hagen, Zum Diarium Burchard’s aus dem Pontificat Innocenz’ VIII. und Alexander’s VI.; Zeitschrift f. kath. Theologie, 1886, S. 196–204. – A. Pieper, Das Original des Diarium Burchardi; Römische Quartalschrift, VII. Jahrg. 1893, S. 387–403.