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Artikel „Brandt, Heinrich von“ von Richard von Meerheimb in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 253–255, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brandt,_Heinrich_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 11:40 Uhr UTC)
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Brandt: Heinrich v. B., geb. 1789 in Laki in Westpreußen, † 1868, preußischer General. Sein Vater war Amtsrath und lebte später auf der Domäne Strzelno in Posen. Heinrich v. B. besuchte das Gymnasium, dann die Universität in Königsberg, wo er Jura studirte. 1807 trat er in die preußische Armee ein, wurde aber beim Frieden zu Tilsit als Fähnrich entlassen. Da sein Heimathsort dem Großherzogthum Warschau einverleibt worden, trat er 1807 in die Légion de la Vistule als Secondlieutenant und ging mit nach Spanien, wo er im dritten Corps unter Suchet an der Schlacht bei Tudela, der Belagerung von Saragossa und vielen Gefechten Theil nahm. 1812 machte er in der Division Claparède den russischen Feldzug mit, wurde nach der Einnahme von Smolensk Capitaine adjutant-major und kam, bei Tarutino schwer verwundet, nach Moskau. Mit den Resten der großen Armee kehrte er nach Deutschland zurück, trat in das Régiment de la Vistule, das zum 8. Corps (Poniatowsky) gehörte, wurde bei Leipzig wieder verwundet und von den Russen gefangen genommen, die ihn mittelst Zwangspaß in seine Heimath schickten. 1815 trat er in einem neugebildeten polnischen Regimente ein, forderte aber seinen Abschied, als sein Heimathsort mit dem Großherzogthum Posen von Polen abgetrennt und Preußen zugetheilt wurde. – Erst 1817 trat er als Hauptmann in die preußische Armee, erhielt eine Compagnie im 35. Regiment und wurde Lehrer an der Divisionsschule in Glatz. 1819 wurde er in den Adelstand erhoben, dem er [254] durch das ihm 1810 verliehene polnische Militär-Verdienstkreuz schon angehörte. Auf Anregung des Generallieutenants v. Valentini begann B. seine schriftstellerische Thätigkeit, in Folge deren er 1819 als Lehrer an das Cadettencorps in Berlin versetzt und bald Mitglied der Ober-Militär-Examinations-Commission und Lehrer an der Kriegsschule wurde. 1830 in den Generalstab versetzt, wurde er im folgenden Jahre in Gneisenau’s Hauptquartier commandirt und von diesem zum Feldmarschall Diebitsch gesendet. Ebenso wurde er von Gneisenau’s Nachfolger, dem General v. Knesebeck, wiederholt zu dem General Pahlen und zum Fürsten Paskiewitsch geschickt. Bei seiner vollendeten Kenntniß der französischen und polnischen Sprache, bei seiner Gewandtheit und umfassenden Bildung, wie durch seine liebenswürdige, gern vermittelnde Persönlichkeit erschien B. zu solchen Missionen besonders geeignet. Er war ein warmer Verehrer des Feldmarschalls Gneisenau und die biographische Skizze desselben in Brandt’s hinterlassenen Memoiren ist das würdigste Denkmal und die geistreichste, eingehendste Charakteristik des großen Mannes. 1831 schloß B. mit Woroniecky die Capitulation von Straßburg ab, die der polnischen Armee den Uebertritt nach Preußen sicherte, begann, nach Berlin zurückgekehrt, seine Vorlesungen an der Kriegsschule wieder, besuchte, im Auftrage des Königs, 1833 die neu errichteten französischen Lager, ertheilte in Berlin dem Prinzen Waldemar militärischen Unterricht, wurde 1837 Abtheilungs-Chef und 1838 Chef des Generalstabes in Stettin und 1842 Oberst. Am 9. März 1848 wurde er Commandeur der 10. Infanterie-Brigade in Posen, bald darauf General. Das Gefecht bei Xions, in dem Oberst Dombrowsky die polnischen Insurgenten commandirte, leitete General v. B.; es war der erste energische, erfolgreiche Schlag gegen die Insurrection. Noch im Frühjahr wurde B. von einem posenschen Wahlkreise zum Abgeordneten des Frankfurter Reichstages gewählt und im Juli desselben Jahres zum Unterstaatssecretär im Kriegsministerium (Pfuel) ernannt. 1849 war er Mitglied der ersten Kammer und 1850 des deutschen Parlaments in Erfurt. Nachdem er seit 9. Sept. 1848 die 9. Brigade in Glogau geführt, wurde er 1850 – 16. Juni – zum Commandanten von Posen und 1853 zum Generallieutenant und Commandeur der dortigen 10. Division ernannt. Wie überall, so erwarb er sich auch in Posen, unter sehr schwierigen Verhältnissen, durch seine unermüdliche Thätigkeit, seine Energie und zugleich seine große Herzensgüte und Urbanität allgemeine Liebe und Verehrung. Bei der Feier seines 50jährigen Jubiläums erbat er 1857 seinen Abschied, der ihm mit dem Charakter eines Generals der Infanterie verliehen wurde. Zugleich ernannte ihn die Universität von Königsberg zum Doctor der Philosophie, eine Auszeichnung, die ihn mehr erfreute, als die große Zahl von Decorationen, die er trug. Noch mehrere Male zum Mitgliede des Abgeordnetenhauses gewählt, betheiligte er sich namentlich an der Debatte über die Reorganisation der Armee, bei der die Reden, wie mehrere Flugschriften eines so viel erfahrenen und gelehrten Berufssoldaten von bedeutender Wirkung waren. 1866 war B. während des Krieges Präsident des Hülfsvereins für die Verwundeten im Felde und Vorsitzender des Comites der Victoria-Invalidenstiftung. Er starb im Januar 1868 nach kurzer Krankheit in Berlin, seinem Wohnorte seit der Verabschiedung. Wie ausgebreitet seine langjährige schriftstellerische Thätigkeit war, zeigt das folgende Verzeichniß seiner Werke: „Ueber die Wiedereinführung der Dragoner als Doppelkämpfer“, 1823. – „Ueber Spanien mit besonderer Hinsicht auf einen etwaigen Krieg“, 1823. – „Ansichten über die Kriegskunst im Geiste der Zeit“. – „Handbuch für den ersten Unterricht in der höheren Kriegskunst“, 1829. – „Der Feldzug zwischen Bug und Narew“, 1831. – „Kriegswesen des Mittelalters“, 1830. – „Kriegswesen der neueren Zeit bis zu Ende des 17. Jahrhunderts“, 1835. – Beide Werke bilden die zweite Abtheilung [255] der Geschichte des Kriegswesens, in der „Handbibliothek für Offiziere“, einem Sammelwerk, das unter Leitung der Redaction der „Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft und Geschichte des Krieges“ herausgegeben wurde. – „Taktik der drei Waffen“, 1833, 3. Aufl. 1859. In diesem Werke zeigt sich die Eigenthümlichkeit des Verfassers am deutlichsten. Seine reiche Kriegserfahrung, seine fast universelle Belesenheit, seine geistige Lebendigkeit machen es ihm möglich, für jede Regel, wie für jede taktische Form Beispiele aus der Kriegsgeschichte und Aussprüche bedeutender Autoritäten zu citiren. Wie in der Strategie (cfr. „Handbuch für den ersten Unterricht der höhern Kriegskunst“), so bekennt er sich in der Taktik zu keiner Theorie; es sind keine exacten Wissenschaften, wie die Geometrie, sondern historische, die man nur an der Hand der Geschichte, an Beispielen lehren kann. Energie des Wollens, Klarheit des Denkens im Feldherrn und den Führern, Disciplin, Muth, Abhärtung, Fertigkeit im Gebrauch der Waffe, gute Verpflegung, – das waren ihm zu aller Zeit die Elemente, welche die Entscheidung der Schlachten gaben. Die „Taktik der drei Waffen“ wurde in mehrere Sprachen, selbst ins Japanesische Übersetzt. – „Der kleine Krieg in seinen verschiedenen Beziehungen“, 1837. Voll interessanter Beispiele aus den Kriegen in Spanien. – „Ueber Uebungen und Manöver im Frieden“, 1841. – „Ueber die großen Cavallerie-Angriffe in den Schlachten Friedrichs und Napoleons und über die Ursachen des Verfalls dieser Waffe“, 1844. – „Rußlands Politik und Heer in den letzten Jahren“, 1852. – „Warum müssen wir neutral bleiben“, 1854. – „Observations relatives à la brochure du général Jomini, intitulée sur la formation des troupes sur le combat“, 1858. – 1862 und 1865 erschienen noch kleinere Aufsätze über die damalige Tagesfrage der Reorganisation der Armee. – Dem Nekrolog des Generals v. B. (Beiheft zum Militär-Wochenblatt) wurden aus den hinterlassenen Papieren desselben die „Aphorismen über bevorstehende Veränderungen in der Taktik“ hinzugefügt. – Aus dem Nachlaß gab der Sohn, Major v. B., die persönlichen Erlebnisse des Verstorbenen in den Feldzügen in Spanien und Rußland heraus, wie dessen Erlebnisse 1830–1848, die im Wesentlichen zum Drucke bereit waren. Diese Memoiren: „Aus dem Leben des Generals der Infanterie z. D. Dr. Heinr. v. Brandt“. Berlin 1868, zeigen eine seltene Schärfe der Beobachtung und haben das bisherige Urtheil über die Napoleonische Armee und die Ursachen der Mißerfolge in Spanien und Rußland geändert. Ebenso geistreich und piquant ist die Charakteristik der leitenden Personen und Zustände am preußischen Hofe und im Heere.