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Artikel „Binder, Georg Paul“ von Georg Daniel Teutsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 644–646, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Binder,_Georg_Paul&oldid=- (Version vom 17. Dezember 2024, 09:48 Uhr UTC)
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Binder: Georg Paul B., Superintendent der evangelischen Landeskirche Siebenbürgens, geb. 22. Juli 1784, † 12. Juni 1867, ein Sohn Mart. Binder’s, damals Lehrers am evangelischen Gymnasium in Schäßburg (im Sachsenland in Siebenbürgen). Nach guter Vorbereitung am Gymnasium daselbst und am unitarischen Collegium in Klausenburg – in wehmüthiger Erinnerung an den Freundeskreis ungarischer Jünglinge, die sich dort den vorragenden deutschen Studiengenossen anschlossen, klagte er später, „wie die Morgenröthe des Jahrhunderts für Humanität und Christenthum einen schönern Tag weissagte, als die Mittagshöhe desselben ihn wirklich gebracht hat“ – bezog er im Sommersemester 1804 die Universität Tübingen, wo er bis Juni 1807 theologischen, philologischen und geschichtlichen Studien oblag. Am 25. Juli 1808 als Lehrer am Gymnasium seiner Vaterstadt angestellt, wurde er 1822 dessen Rector und schuf die Schule mit kleinen fast unscheinbaren materiellen Mitteln, durch die Macht seiner wissenschaftlichen Bildung, seiner pädagogischen Einsicht und seiner selbstverläugnenden Pflichttreue zu einer Anstalt um, die mit den besten der sächsischen Nation wetteifernd um die Palme ringen konnte. Die begeisterte Pflege der siebenbürgischen und insbesondere der sächsischen Geschichte, deren Ergebnisse im Sturm und Drang der Folgezeit das Rechts- und Selbstbewußtsein der sächsischen Nation so läuternd nährten und kräftigten, ist mit eine Frucht seiner stillen Arbeit. Vom Rectorat des Schäßburger Gymnasiums wurde B. 1831 durch Wahl der Gemeinde zur Pfarre in Schaas, von hier 1840 nach Keisd berufen. Nach dem Tode Joh. Bergleiter’s (s. d.) wählte ihn 1843 die Marktgemeinde Birthälm zum Pfarrer und am 28. Dec. dess. Jahres die geistliche Synode zum Superintendenten. Als solcher hat er den Revolutionssturm des Jahres 1848 und 1849, der sein Volk und seine Kirche so schwer heimsuchte, treulich mitbestanden. Im Mai des erstgenannten Jahres ward er von der sächsischen Nationsuniversität (der gewählten Vertretung der Sachsen) zur Wahrung der durch die Union Siebenbürgens mit Ungarn bedrohten Lebensinteressen der Nation an der Spitze einer Deputation an das kaiserliche Hoflager entsendet, und war später zu denselben Zwecken bei dem ungarischen Ministerium in Pest thätig. Mit dem wiederkehrenden Frieden begann die neue mühevolle Arbeit, auf dem Trümmerfelde, welches das Jahr 1848 im siebenbürgischen Rechts- und Verfassungsleben zurückließ und die rasch einbrechende Periode des Absolutismus vergrößerte, auch für die Kirche [645] wieder ein Haus der Ordnung und der Sicherheit herzustellen. Bis dahin hatte die evangelische Pfarrgeistlichkeit gesetzlich den Naturalzehnt bezogen; 1848 war er thatsächlich aufgehoben worden, ein Ersatz fehlte. Behufs Ordnung dieser Angelegenheit hielt sich B. wiederholt Monate lang in Wien auf; seinen lichtvollen Denkschriften (die wichtigsten sind abgedruckt in Teutsch, Zehntrecht der evangelischen Landeskirche A. C. in Siebenbürgen, Schäßburg 1858) und mündlichen Auseinandersetzungen an hoher und höchster Stelle dankt es die evangelische Landeskirche wesentlich mit, daß endlich dort die gesetzlich und rechtsgeschichtlich unwiderlegliche Ansicht, jener Zehent sei eine Grundlast, nicht eine Kirchensteuer, demnach aus Landesmitteln zu entschädigen, auch für sie im kaiserl. Patent vom 15. Sept. 1858 zum Siege kam. – Bis zum Jahre 1848 stand die Verfassung und Verwaltung der evangelischen Landeskirche im innigsten Zusammenhange mit der politischen Verfassung der sächsischen Nation. So nahmen z. B. die (gewählten) Beamten der Gemeinde, der Kreisbehörde, die Nationsuniversität Theil am Kirchenregimente; die evangelischen Mitglieder des (vom Landtag gewählten) Guberniums hatten Sitz und Stimme im Oberconsistorium. Nun hob der Absolutismus die Verfassung des Landes und der sächsischen Nation thatsächlich auf; an die Stelle der heimischen Municipalverwaltung trat eine landesfürstliche mit oft fremden nichtevangelischen Beamten; der Kirche fehlte in ihren Behörden und Vertretungen plötzlich das verfassungsmäßige weltliche Element. So wurde es nothwendig, auf dem festen Grund der alten siebenbürgischen Religionargesetze, die jeder Kirche das volle Selbstbestimmungsrecht gewährleisten, einen neuen kirchlichen Verfassungsbau aufzuführen, der diesen den Wechseln und Sprüngen einer unberechenbaren Gestaltung der politischen Verhältnisse entrückte und die Kirche sich selbst zurückgebe. – In diesem Zusammenhange macht schon 1850 und wiederholt 1851 das Oberconsistorium den Entwurf zu einer neuen Verfassung der evangelischen Landeskirche. Ein Princip derselben war die Verlegung des Superintendentialsitzes von Birthälm nach Hermannstadt, dem Sitz der Oberkirchenbehörde, an deren Spitze fortan der Superintendent stehen und zugleich die currenten Geschäfte leiten solle. Zu dem Behufe aber war, sowie zur dringend nothwendigen Förderung anderer kirchlicher und Schulzwecke, für die evangelische Kirche eine Dotation aus öffentlichen Mitteln erforderlich, welche die römisch-katholische Kirche bezüglich des Karlsburger Bisthums gesetzlich schon im Jahre 1751 erhalten hatte. Die Verhandlungen hierüber führte im Auftrage der Oberkirchenbehörde in wesentlichen Momenten Superintendent B. Durch wiederholte Audienzen bei dem Kaiser, in fast ununterbrochenem persönlichen und schriftlichen Verkehr mit dem Ministerium förderte er die Sache, in deren gerechter Erledigung er eine Lebensbedingung der Kirche erkannte, mit der vollen Macht jenes sittlichen Ernstes, der ihm in so hohem Maße eigen war. Aus diesen Verhandlungen zwischen Kirche und Staat ist die gegenwärtige Verfassung der evangelischen Landeskirche A. C. in Siebenbürgen hervorgegangen; mit allerh. Entschließung vom 19. Febr. 1861 bewilligte der Kaiser hierzu aus dem Staatsschatz eine jährliche Dotation von 16,000 Gulden. Nach den Bestimmungen jener Verfassung gehen sämmtliche Vertretungen und Behörden der Kirche aus der freien Wahl derselben hervor; an ihrer Spitze steht das Landesconsistorium mit sieben geistlichen und sieben weltlichen Mitgliedern; sein Amtssitz ist Hermannstadt, den Vorsitz führt der Superintendent, dessen Amt von der Pfarrstelle in Birthälm losgelöst ist. Ein großer Theil des Verdienstes für diese bedeutungsvolle Neugestaltung gehört B., seiner Kenntniß des Kirchenrechts, seinem Verständniß der Zeit und dessen was der Kirche insbesondere Noth thue, seiner selbstlosen Hingabe an die Sache. Mit denselben Mitteln erwirkte er, wenn auch zunächst nur für die evangelisch-sächsischen Gymnasien, im Jahre 1852 die Flüssigmachung [646] der sächsischen Nationaldotation. Die Nationaluniversität hatte nämlich mit Beschluß vom 22. August 1850 zur Erhaltung des sächsischen Schulwesens aus den Mitteln des Nationalvermögens einen jährlichen Betrag von 50,000 Gulden ö. W. gewidmet; die Widmungsurkunde hatte bereits im August 1851 in einer für die Nation höchst ehrenvollen Weise die kaiserliche Bestätigung erhalten, aber bureaukratischer Uebergriff der neuen fremden Landesverwaltung hinderte die Verwirklichung der Widmung, so daß den neuorganisirten Gymnasien aus Mangel an Mitteln die Auflösung drohte. Auf die ernste Vorstellung Binder’s verhalf der Unterrichtsminister Thun wohlwollend dem Recht der deutschen Schulen zur Geltung. Es war nicht eine leere nichtige Form, als die evangelische Schule und Kirche im Jahre 1858 das fünfzigjährige Dienst-Jubiläum ihres Superintendenten voll Erhebung feierten. Dankbar empfing es die gesammte Kirche, als ihm die Universität Jena zu jener Feier das theologische Doctordiplom honoris causa sandte, ein Zeichen, daß die deutsche Wissenschaft an der Entwickelung, an Freud’ und Leid der fernen Volksgenossen Theil nehme! In der Landeskirchenversammlung des Jahres 1862 (der 11.) wirkte B. als Vorsitzender mit, daß die Verfassung durch die Bestimmungen über die Prüfung und Anstellung der Candidaten der Theologie und des Lehramtes, sowie über die Wahl der Pfarrer ergänzt würde. Darauf nahm er im Jahre 1863 und 1864 als Regalist (von der Krone berufen) Theil an den Arbeiten des siebenbürgischen Landtags und wurde, als dieser die Beschickung des Reichsraths beschlossen hatte, vom Kaiser zum lebenslänglichen Mitgliede des Herrenhauses ernannt. Doch hat er an den Sitzungen desselben nie Theil genommen, wiewol er in einem einheitlichen verfassungsmäßigen Oesterreich allein die zeitgemäße Rechts- und Culturentwickelung der Monarchie für möglich und namentlich die Völkerminoritäten der einzelnen Länder, insbesondere auch die Sachsen in Siebenbürgen nur in jenem Verbande gegen entnationalisirende Doctrinen für gesichert hielt. Sein vorgerücktes Alter ließ ihm die Reisen nach Wien nicht mehr zu. Das war zugleich die Ursache, daß er den Amtssitz nicht in Hermannstadt einnahm. Er blieb seinem Birthälm treu und starb dort. Mit seinem Nachfolger wurde jene Uebersiedlung vollzogen. – In seinen theologischen Ansichten war B. ein Denkgläubiger im edelsten Sinne des Wortes. Das Christenthum, das er von Kirchenthum tief zu unterscheiden wußte, hatte in ihm die Blüthe und Frucht des reinsten und schönsten Menschenthums gezeitigt. Unerschütterlich im Boden des Protestantismus wurzelnd, blieb er bis zu seinem Ende ein begeisterter Jünger der Wissenschaft und folgte allen ihren großen Fortschritten mit Theilnahme und Freude, jenen unheilvollen Gegensatz tief beklagend, der wahrhaft religiöses Leben, der rechtes Christenthum und Cultur für unvereinbar hält, wie denn derselbe in der That in seiner Kirche keinen Boden fand. In der geistlichen Rede, wie überhaupt in Schrift und Wort, war er durch Tiefe der Gedanken, durch die Großartigkeit seiner Weltanschauung, durch die edle Einfachheit der Darstellung in seinem Volke unübertroffen. Die Herausgabe einiger seiner Reden, die wir erwarten, sowie die Veröffentlichung seiner Eingaben und Denkschriften in der kirchlichen Verfassungsfrage, die das Landesconsistorium dem Vernehmen nach vorbereitet, wird auch in weiteren Kreisen Zeugniß davon ablegen.

Georg Paul B. (von ihm selbst) im Volkskalender von 1858 (Hermannstadt). Jos. Trausch, Schriftstellerlexikon der Siebenbürger Deutschen. I. 136. Die Feier des fünfzigjährigen Dienst-Jubiläums des Herrn Georg Paul B. Schäßburg 1858. Zur actenmäßigen Geschichte der §§ 114, 150 und 151 der Kirchenverfassung – in den Verhandlungen der IV. Landeskirchenversammlung (der evangelischen Kirche A. C. in Siebenbürgen), Hermannstadt 1868. M. Schuller, Rede zur Eröffnung d. geistlichen Synode d. evangelischen Kirche A. C. in Siebenbürgen – in den Synodalverhandlungen v. 1867 (Hermannstadt).