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Artikel „Bechstein, Reinhold“ von Wolfgang Golther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 752–753, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bechstein,_Reinhold&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 12:54 Uhr UTC)
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Bechstein *): Reinhold B., Germanist, wurde geboren am 12. October 1833 in Meiningen als Sohn Ludwig Bechstein’s (s. A. D. B. II, 206 ff.). Er bezog 1854 die Universität Leipzig, hörte 1855/56 in München bei Konrad Hofmann, 1856/57 in Jena bei Schleicher, 1857 in Berlin bei Haupt Philologie und Sprachwissenschaft. Er arbeitete dann einige Zeit zu Hause und promovirte im November 1858 in Jena. Seit Juni 1858 war er in Nürnberg am Archiv des Germanischen Museums als Hülfsarbeiter. 1859 kehrte er nach Hause zurück und unterstützte seinen erkrankten Vater an der Meininger Bibliothek. Nach seines Vaters Tod (1860) ordnete er dessen Nachlaß und setzte das „Deutsche Museum“ fort. In Frhrn. v. Liliencron’s Auftrag unternahm er eine Studienreise nach Göttingen, Hamburg und Wolfenbüttel, siedelte Mitte 1861 nach Leipzig über, um sich auf die akademische Laufbahn vorzubereiten, und gewann dort persönliche Beziehungen zu Zarncke. Im Februar 1866 habilitirte er sich in Jena für deutsche Philologie und wurde dort 1869 zum ao. Professor ernannt. 1871 wurde er als Bartsch’s Nachfolger nach Rostock berufen, wo er 47 Semester bis zu seinem am 5. October 1894 erfolgten Tod seines Lehramts waltete.

B. vertrat in Vorlesungen und Seminarübungen, im persönlichen Umgang mit der studirenden Jugend und in seinen Schriften die deutsche Philologie mit großem Eifer und warmer, herzlicher Begeisterung. Er suchte lehrend und schaffend die ihm theure Wissenschaft zu verbreiten. B. verband weltmännische Gewandtheit mit offener Natürlichkeit und wirkte namentlich in zwangloser Unterhaltung auf seine Zuhörer, die ihm treu ergeben waren. Er war eine heitere, gesellige Natur und liebte neben seiner Fachwissenschaft die schönen Künste, besonders die Musik, deren Pflege er in Rostock nach Kräften zu fördern suchte. Einige seiner Schriften haben weniger für die strenge Wissenschaft, als für deren Verbreitung in gefälliger Form Bedeutung. Er war namentlich als sachkundiger und geschmackvoller Herausgeber und Erklärer mittelhochdeutscher Dichtungen thätig. Er gab heraus Heinrich und Kunigunde von Ebernand von Erfurt (1860); „Altdeutsche Märchen, Sagen und Legenden“ (¹1863; ²1877); das in mitteldeutscher Prosa 1343 verfaßte Evangelienbuch des Matthias von Beheimb (1867); Gotfrids Tristan (¹1869, ²1873, ³1890/91); Heinrichs von Freiberg Tristan (1877); Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst (1888); für Schulzwecke eine Auswahl aus Walther (¹1879, ²1893) und aus dem höfischen Epos (1881). Am bekanntesten wurde seine Tristanausgabe, die immer noch die beste und brauchbarste inbezug auf Text und Erklärung ist, in der Einleitung aber veraltete. Seine Ausgabe des Frauendienstes ist philologisch nicht einwandfrei. Von Bechstein’s Schriften erwähne ich hier die einst sehr verdienstliche Abhandlung über die Aussprache des Mittelhochdeutschen 1858; zum Spiel von den 10 Jungfrauen [753] 1866 (nachträglich als Jenaer Dissertation gedruckt) und 1872; „Aus dem Kalendertagebuch des Wittenberger Magisters und Marburger Professors Victorin Schönfeld“ 1875; „Tristan und Isolt in deutschen Dichtungen der Neuzeit“ 1876; „Die Alterthümlichkeiten in unsrer heutigen Schriftsprache“ 1878. Ueber die Geschichte seiner Wissenschaft schrieb er, zur Ergänzung des Raumer’schen Werkes den Zeitraum von 1870–83 umfassend, für Schmid’s Encyclopädie des Unterrichts und in seinen Reden auf J. Grimm (1885) und Uhland (1887). Im Seminarzimmer ließ er die Büsten dieser Meister aufstellen, in denen er vor allen Andern die Leitsterne unsrer Wissenschaft verehrte. In Rostock hielt B. mehrere populärwissenschaftliche Vorträge, die z. Th. im Druck erschienen, z. B. der über das Redentiner Osterspiel in der Rostocker Zeitung 1891, Nr. 247 ff. Bechstein’s letzte Arbeit war eine Uebersicht über die Hans Sachsschriften des letzten Jahrzehnts (Zeitschr. f. verglchd. Litteraturgeschichte 1894). Ueberall tritt Bechstein’s weniger tiefe als liebenswürdige Art und seine lautere Gesinnung wohlthuend hervor. So erscheint er im Andenken derer, die ihn persönlich kannten und schätzten.

Vgl. Rostocker Zeitung 1894, Nr. 466 und Rostocker Anzeiger 1894, Nr. 233. – Lorenz, Lpz. Illustr. Ztg. 1894, S. 468. – Glöde in der Zeitschr. f. dtsch. Unterricht 8, 763 ff. – Koppmann, Korrespondenzblatt d. Ver. f. niederd. Sprachforsch., Heft 17, Nr. 6, S. 73. – Zeitschr. f. dtsch. Philol. 27, 568 f.

[752] *) Zu Bd. XVLI S. 294.