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Artikel „Bülow, Margarete von“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 361–362, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%BClow,_Margarethe_von&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 15:40 Uhr UTC)
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Bülow: Margarete von B., Erzählerin, wurde am 23. Februar 1860 zu Berlin geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit in Smyrna, wo ihr Vater preußischer Generalconsul war. Schon 1865 nahm die Familie in Thüringen Aufenthalt, und als der Vater 1867 nachfolgte und Landdrost in Hildesheim wurde, daselbst; 1868 aber wieder nach Smyrna zurückgekehrt, ließ er, da er erkrankte, Margarete zu sich kommen, die dort die Schule der deutschen Diakonissinnen besuchte, auch Neugriechisch lernte, was sie später genauer trieb. Er starb jedoch bald jung, und nun lebte Margarete mit Mutter und Geschwistern auf dem Gute Ingersleben bei Neudietendorf in Thüringen. Das junge Mädchen hatte vollkommene Möglichkeit, ihre angeborene Selbständigkeit und Thatkraft frei zu entwickeln und mannichfach zu gebrauchen. Anderthalb Jahre, 1876–78, brachte man in England zu, wo Margarete ihre Ausbildung fortsetzte; seit 1881 wohnte die Familie zu Berlin. Hier ertrank Margarete am 2. Januar 1884 beim Versuche, einen im Eis eingebrochenen Knaben zu retten, im Rummelsburger See, in der Blüthe ihres Alters und mitten in den schönsten Hoffnungen für ihre geistige Entwicklung und litterarischen Fähigkeiten.

Sämmtliche erzählenden Früchte ihrer Feder, die gedruckt sind, traten erst nach dem Tode der B. aus Licht. Es sind: „Novellen“ (1885; Der Oberlieutenant Percy, Der Herr im Hause, Gabriel, Tagesgespenster), „Jonas Briccius. Roman“ (1886), „Herr im Hause“ (1886), „Aus der Chronik derer von Riffelshausen“ (1887), „Neue Novellen“ (1890). Vielseitig gebildet und dabei tiefer Gefühle wohl kundig, hat sie damit Zeugnisse einer äußerst verheißungsreichen dichterischen Anlage hinterlassen, die einen ausgeprägten, fast männlich festen Charakter voll Geist und Gemüth verrathen. Sie findet ihre Probleme im modern-nervösen Berlin wie im Herbst und Winter der Thüringer Landschaft. Die scharfe Charakteristik und kräftige Lebensanschauung darin lassen den frühen Hintritt bedauern.

Den erstgenannten Band versah Julian Schmidt mit einem Vorwort, den letzten Fritz Mauthner mit einer Biographie. Außer diesen beiden vollberufenen Kritikern, die, trotz ihres persönlichen Antheils an der Angelegenheit, M. v. Bülow’s Nachlaß und Namen der Nachwelt zu erhalten, nicht ein Quentchen Lob zu viel singen, wohl aber, Schmidt durch einleuchtende Begründung [362] des Rechtes zur Veröffentlichung, Mauthner durch fesselnde lebensgeschichtliche Angaben innerlicher und äußerlicher Art, höchst verdienstvoll und glücklich den guten Anspruch der vorzeitig entrissenen Dichterin vertheidigen, hat neuerdings als einziger Litterarhistoriker wol nur R. M. Meyer, „Die deutsche Litteratur des 19. Jahrhunderts“ (² S. 764) warm und beweglich ihres Geschickes rasche Erfüllung im Hinblick auf die vielversprechenden Anfänge beklagt. Sie mag in der Herkunft ihrer ernsten, aufgeklärten, bürgerlichen Lebensanschauung, in der Einfachheit von Aufbau und Ausdruck mit ihrer Standesgenossin Luise v. François verglichen werden, vor der sie, die viel herumgekommene, das nie gestillte Sehnen nach Kenntniß, nach Erkenntniß der Menschen und ihrer Daseinsfragen voraus hat, wogegen selbstverständlich der Bülow „schöne achtzehnjährige Kraft“, die, Mauthner gemäß, „Aus der Chronik derer von Riffelshausen“ einen Episodenkranz flocht, die lebensreife Charakteristik nicht besitzen kann, durch die der François „Letzte Reckenburgerin“ fast classisches Gepräge bekam. Die tiefe Liebe zum Menschen in des Erdenwallens innern wie äußern Anfechtungen, von einem vollen Tropfen socialen Oels getränkt und von praktischem Herrnhuterthum religiös geweiht (beide Bewegungen waren ihr unmittelbar vertraut), hat in dem großen psychologischen Roman „Jonas Briccius“, sagt Meyer, dem Helden, der sich vom härtesten Fatalismus zum freien Menschenthum durcharbeitet, viel vom Eigenen gegeben. Und neben die überzeugenden rühmenden Urtheile dreier bei aller Verschiedenheit der Gesichtspunkte doch verläßlicher Richter wie J. Schmidt, Mauthner, R. M. Meyer stelle man die begeisterten Worte Hans v. Basedow’s im Anschlusse an die „Neuen Novellen“, ‚dies prächtige Buch‘: „M. v. B. war ein Genie, ihre Novellen gehören zu dem Besten, was die deutsche Novellenlitteratur hervorgebracht – ihr Tod war ein schwerer Verlust. Sie war ein realistisches Genie, ein Genie der Stimmung – sie hätte viel Hervorragendes geleistet. Die „N. N.“ gehören zu dem Besten, was unsere moderne Litteratur heimgebracht – es liegt nur im Interesse des Publicums sie zu lesen“. So soll Meyer’s Schlußfrage „Wer denkt noch an dies muthige Talent?“ keine rhetorische bleiben!

Vgl. außer obengenannten Würdigungen die Artikel in Meyer’s Konversationslexikon 5III, 680 a und in der 14. Aufl. des Brockhaus’schen, welch letzterer vom Unterzeichneten nach authentischem Material geliefert (und hier benutzt) wurde. Solches lag auch sichtlich Brümmer, Lex. d. dtsch. Dchtr. u. Pros. d. 19. Jahrh.4 I, 198 b zu Grunde. Basedow’s Referat i. Mag. f. d. Lit. des In- u. Auslds., 59. Jhrg., Nr. 39, S. 615; s. auch Basedow’s und Anderer Anzeigen der Bülow’schen Bücher i. d. Blätt. f. liter. Unterh. 1885–90. – In H. Mielke’s Buch: Der deutsche Roman des 19. Jahrh.“, 3. Aufl. (1898) fehlen bei M. v. Bülow’s Besprechung ihre ersten Afrika-Novellen: vgl. Th. Matthias im Pädagog. Jahresbericht LII (1900), S. 183.