ADB:Anton Ulrich (Herzog zu Sachsen-Meiningen)

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Artikel „Anton Ulrich, Herzog zu Sachsen-Meiningen“ von Georg Brückner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 493–496, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Anton_Ulrich_(Herzog_zu_Sachsen-Meiningen)&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 13:38 Uhr UTC)
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Anton Ulrich, Herzog zu Sachsen-Meiningen, geb. 22. Oct. 1687 und † 27. Januar 1763, war ein Enkel Herzog Ernst’s des Frommen zu S.-Gotha und der jüngste Sohn des Herzogs Bernhard I., der nach den Verträgen [494] vom 9. Febr. 1680 und vom 8. Juni 1681 aus der mit seinen 6 Brüdern getheilten gothaischen Erbmasse das Herzogthum S.-Meiningen, damals 12½, heute 44,97 M. groß, zu seinem Antheil erhielt und die noch blühende Linie des Hauses S.-Meiningen gründete. So verständig und wohlthätig die Regierung des ersten Regenten dieses Fürstenhauses war, so traurig wurde für das Ländchen die seiner drei Söhne Ernst Ludwig, Friedrich Wilhelm und Anton Ulrich, von denen die beiden ersten aus seiner ersten, der dritte aus seiner zweiten Ehe stammten. Die erste und nicht geringste Schuld an dieser unglücklichsten Periode in der Geschichte des Meininger Landes trug der älteste der drei Brüder. Nach dem Testament, welches ihr vorsichtiger Vater kurz vor seinem Tode (1706) errichtet hatte, sollte das für eine Theilung zu kleine Land von seinen Söhnen in friedlicher Gemeinschaft regiert werden, jedoch diese väterliche Bestimmung entsprach nicht den Wünschen und Zielen des ältesten Sohnes. Die unbeschränkte Alleinregierung für sich und seine Nachkommen im Auge, schloß derselbe sofort nach dem Tode seines Vaters mit seinen Brüdern einen für ihn günstigen Receß, worin sie ihm die Regierung in ihrem Namen überließen. Dies der erste Schritt zu dem, was er anstrebte. Der zweite hatte zum Ziel die Einführung der Primogenitur für sich und seine leiblichen Nachkommen und die Ausschließung seines Stiefbruders von jeglichen Regierungsansprüchen. Zur Erreichung seiner Ziele reizten und unterstützten ihn außerdem seine zweite, an hochfürstliche Pracht und Macht gewöhnte Gemahlin, die Willenlosigkeit seines zweiten, die sog. Mißheirath seines dritten Bruders und eine gewinnsüchtige Clique von Räthen und Hofleuten. Gegen diese Bestrebungen tritt nun Herzog Anton Ulrich auf den Kampfplatz, seine Gerechtsamen mit Geist und Nachdruck vertheidigend. Am Schlusse der langen Kämpfe ist sein der Sieg, indem eine höhere Fügung seine Brüder und Neffen und all ihr Geplantes vom Schauplatz verdrängt und ihn zum glücklichen Fortpflanzer des Hauses S.-Meiningen macht.

„Mein Ulrich wird die Säule meines Hauses werden“, hatte Herzog Bernhard I. auf seinem Todtenbette ausgerufen. In dieser Prophezeiung des frommen Vaters lag Zeugniß und Freude über die gediegene Entwickelung seines jüngsten Sohnes, der damals 18 Jahre zählte, eine glückliche Jugend verlebt und unter der Leitung charakterfester Männer gründliche Bildung und kernhafte Gesinnung gewonnen hatte. Kurz vor dem Tode seines Vaters hatte A. U. Holland und England besucht, bald darauf unternahm er eine Reise nach der Schweiz und nach Italien, trat Ende 1707 in Kriegsdienste, gab indeß bereits 1711 als Generalmajor die kriegerische Laufbahn auf, um sich in Holland mit Philippine Elisabeth Cäsar, der jüngsten Tochter des katholischen Hauptmannes David Cäsar, zu verbinden. Das einige Jahre bewahrte Geheimniß dieser Ehe brach er nothgedrungen, sobald ihm mehrere Kinder geboren waren. Er forderte nun von Holland aus seinen vollen gesetzlichen, seither beschnittenen Antheil an den Einkünften des Landes und unbehinderte Rückkehr mit seiner Familie nach Meiningen. Indeß nach keiner Seite fand er Erhörung, mußte vielmehr vernehmen, daß man seine Rechte antastete und die Kinder seiner Ehe von Hof, Land und Rang ausschloß. Dies zwang ihn, persönlich in Meiningen für seine Gerechtsamen und für die Ehre seiner Familie einzutreten. Hier aber wurde er von seinen Brüdern und deren Räthen nicht allein in seinem fürstlichen Rang und Recht beschränkt und geschädigt, sondern auch den empörendsten Kränkungen ausgesetzt. Zugleich mußte er erfahren, daß man die ihm ergebenen Beamten zurücksetzte und deren Frauen am Hof degradirte und daß selbst seine Mutter Elisabeth Eleonore, aus dem Hause Braunschweig-Wolfenbüttel, als Dichterin geistlicher Lieder bekannt, sich aus Haß gegen seine Heirath auf die Seite seiner Gegner stellte. Als er sich hierdurch gleichsam am eigenen Leben angegriffen sah, wuchs seine Entschlossenheit der Selbstvertheidigung zur unbeugsamen Stärke. In diesem Kampfe [495] stand treu und fest zu ihm mit Rath, Geld und Fürsprache seine älteste Schwester Elisabeth Ernest. Antoinette, Aebtissin von Gandersheim, die in ihrer Jugend als die herrlichste aller Fürstentöchter Deutschlands galt und für Kaiser- und Königskronen ausersehen war. Ihrem Einflusse und seinen beharrlichen energischen Bemühungen gelang es, daß die von seinem ältesten Bruder († 1724) eingeführte Primogenitur auf dessen Söhne beschränkt, daß seine bürgerliche Gemahlin sammt ihren Kindern im J. 1727 in den Fürstenstand erhoben, daß ihm die von S.-Gotha angemaßte Mitvormundschaft über seine Neffen zuerkannt und daß seine Mitregierung des Landes sanctionirt wurde; dagegen gelang ihm weder die feindselige Stimmung seiner Mitregenten und deren ungerechte Verwaltung zu beseitigen noch ein friedliches Asyl in seinem Fürstenthum zu gewinnen. Tief schmerzte ihn seine Verdrängung aus seinem Erblande und tief dessen jammervoller Zustand, am tiefsten jedoch kränkte ihn bei dem Tode seiner Gemahlin die ihrem Leichname verweigerte Beisetzung im fürstlichen Erbbegräbniß zu Meiningen, selbst tiefer noch als die unmittelbar darauf erfolgte, durch seine Agnaten bewirkte kaiserliche Entscheidung, welche die Standeserhöhung der Verstorbenen und ihrer Kinder für nichtig erklärte. In diesem bittern Gefühl behandelte er nach dem Tode seines Bruders Friedrich Wilhelm dessen Leichnam in gleicher Weise, wie dem seiner schuldlosen Gemahlin geschehen war.

Im J. 1744 wurde A. U. Wittwer und 1746 Alleinregent. Durch den Tod seiner Brüder, Neffen und Gattin waren die Familiengegensätze beseitigt. Darum hoffte das Land jetzt, wo sein Liebling das alleinige Haupt des Fürstenhauses geworden, auf bessere Tage. Indeß Schuttmassen der seitherigen Unordnung, ererbte Processe und neue Streitigkeiten, darunter auch der sog. Wasunger Krieg, in welchem das Recht auf seiner Seite war, lähmten vielfach seine edlen Absichten. Trotzdem schuf er Ordnung in seinem Lande, begründete in ihm bleibende Anstalten und behütete es nach Kräften im 7jährigen Kriege. Seine folgenreichste That war aber, daß er 1750, zwar 63jährig, doch noch vollkräftig, wider Erwarten seiner Agnaten, welche bereits die Theilung seines Erbeigens geplant hatten, sich mit Charlotte Amalie von Hessen-Philippsthal vermählte und mit ihr 8 Kinder erzeugte, deren Geburten er auf Pergament seinen Agnaten vermeldete. Mit den Kindern seiner bürgerlichen Gattin war er gleich seinem Großvater Vater von 18 Kindern, von denen 9 ihn überlebten, 4 aus der ersten Ehe, die unvermählt starben, und 5 aus der zweiten, darunter 2 Prinzen. Im Januar 1763, kurz vor dem Schlusse des 7jährigen Krieges, starb er zu Frankfurt a. M., wo er seit 21 Jahren seine einfache Haushaltung geführt hatte. In Meiningen, wohin die fürstliche Wittwe als Obervormünderin ihrer noch unmündigen Kinder ihren Sitz verlegte, fand er seine endliche Ruhe neben dem Sarge seiner ersten innig geliebten Gattin.

A. U., dessen Charakterbild vielfach von Unkenntniß oder Parteilichkeit verdunkelt und verzerrt worden ist, war Mensch und Fürst aus einem Gusse. Durch glückliche Anlagen, gründliche Bildung, sittliche Erziehung, mehrfache Reisen und durch Noth und Kampf hatte er sich zu einem selbständigen Charakter herausgearbeitet und die vielseitigsten Kenntnisse, selbst in mehreren Gebieten, namentlich außer dem Latein und der Alterthumskunde in der Geschichte und im Staatsrecht ein tiefes Wissen erworben, so daß er schon in seinem 16. Jahre ein historisches Handbuch ausarbeitete und in seinen späteren Rechtsstreitigkeiten meist selbst die Feder ebenso sachgründlich als formgewandt führte. Wie in geistiger Cultur, sittlichem Feingehalt und festem Rechtssinn, so überragte er auch seine Brüder bei weitem in physischer Kraft, die er bis in das hohe Alter gleich elastisch bewahrte. Auf diesen Grundlagen ruhte auch sein Lebensmuth und die Energie seines Ringens um sein Fürstenrecht, zugleich aber auch seine Existenzwürdigkeit. [496] Für sich war er höchst sparsam und bürgerlich einfach, dagegen für Kunst und Wissenschaft und für die Ehre seiner Familie fürstlich freigebig; im Umgang Achtung gebietend und über Standesvorurtheile erhaben, als Christ zwar freisinnig, doch dem evangelischen Glauben treu und als deutscher Fürst echt patriotisch. All diese trefflichen Eigenschaften wurden indeß dadurch getrübt, daß sein fester Wille öfters in eiserne Unabhängigkeit überging, wodurch er sich mehrfache Verlegenheiten und seinem Lande manche Unruhen und Unkosten verursachte. Trotzdem hing das Volk an ihm mit warmer Liebe.

Was A. U. zum Besten seines Landes anstrebte, aber unausgeführt lassen mußte, vollbrachten seine Nachkommen. Von seinen beiden hinterlassenen Söhnen starb der edle Herzog Karl nach kurzer Regierung, dagegen verewigte sich Herzog Georg I. († 1803) durch sein kräftiges Wirken für die materielle Wohlfahrt des Volkes. Und gleich dauernde Denkmale bauten sich Herzog Bernhard II., der Sohn, und der jetzt regierende Herzog Georg II., der Enkel Georgs I., jener in 45jähriger reichgesegneter Regierung durch Gesetzgebung und durch Hebung der geistigen Cultur, dieser durch edles Walten, hohe Kunstsinnigkeit, kriegerischen Geist und deutschen Patriotismus.

S. die Biographie Anton Ulrichs in dem Archiv für die H. S. Lande, II. 1834. – v. Witzleben, Der Wasunger Krieg, 1855.