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Autor: Hans Brass
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Titel: 17. Juni 1953
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Entstehungsdatum: 1953
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Bild „17. Juni 1953“
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Einführung

Der Artikel 17. Juni 1953 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Hans Brass Bilder“ zusammengestellten Tagebuchauszüge zum Bild „17. Juni 1953“. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

 
HansBrass, 17. Juni 1953, Federskizze

Tagebuchauszüge

[1]
Dienstag, 16. Juni 53.     

[2]      Eben hörte ich auf der Straße Geschrei u. Rufe. Ich sah aus dem Fenster. Es liefen viele Halbwüchsige, Jungen u. Mädchen vorbei in Richtung Oranienburger Tor. Hinterher kam eine ungeordnete Menschenmenge. Beim Näherkommen sah man, daß es vorwiegend Bauarbeiter waren, untermischt mit Kleinbürgern jeden Alters. Alle Arbeiter waren in Arbeitskluft, viele trugen Hämmer u. a. Gegenstände. Vorauf wurde ein großes Transparent getragen, dessen Wortlaut ich nicht genau lesen konnte, das aber besagte, daß die Demonstranten die Herabsetzung der Arbeitsnormen verlangten. Einzelne Gruppen riefen im Chor: „Wir brauchen keine Volksarmee!“ – „Wir lassen uns nicht mehr ausbeuten!“ – „Wir wollen Generalstreik!“ Der Zug bewegte sich vom Bhf. Friedrichstr. her zum Oranienburger Tor, wohin er dann weiter ging, konnte ich nicht sehen, weil der Erker meines früheren Ateliers die Sicht versperrte. Der Zug nahm die ganze Straßenbreite ein, sodaß kein Fahrzeug fahren konnte. Ich sah keinen einzigen Volkspolizisten, obgleich die Polizei doch sonst mit ihren Ueberfallwagen sofort zur Stelle ist. [2] Es ist das erste Mal, daß die allgemeine Gegnerschaft gegen die Regierung sich Luft gemacht hat, es ist das erste Mal, daß man wirklich sieht, wie diese Gegnerschaft breiteste Schichten ergriffen hat, vor allem die jungen Menschen, denn die Demonstranten waren zum größten Teil junge Arbeiter. Ich hatte immer gefürchtet, daß die jungen Menschen schon zu verhetzt sein würden, aber nun sehe ich, daß das nicht der Fall ist. – Mich hat diese Sache ungeheuer [3] erregt, ich winkte den Demonstranten aus dem Fenster zu.

[Längere Beobachtung der Demonstrationen in der Friedrichstraße]

[3]
Mittwoch, 17. Juni 53.     

[4]      Zur Zeit säubern russische Panzerwagen die Straßen von Demonstranten. Am Hause der Ministerien in der Leipzigerstraße soll die Volkspolizei auch von der Schußwaffe Gebrauch gemacht haben. – In der Friedrichstraße herrscht Ruhe.

[5]
Sonntag, 21. Juni 53.     

[5]      Die politische Lage hat sich nicht geändert, nach wie vor gehen Patrouillen der Russen durch die Straßen, bezw. stehen Posten herum an Stellen, die ganz sinnlos zu sein scheinen. Man geht vorbei u. beachtet sie nicht. Sie geben auch keinen Anlaß zur Beachtung. Die Soldaten sehen dreckig aus, obwohl sie warscheinlich ganz sauber sind, aber ihre Uniform hat eine ausgesprochene Dreckfarbe. Da sie alle im Verhältnis zum europäischen Menschen sehr kurze Beine haben, gehen sie auch einen watschelnden Gang wie Enten, was bei den Offizieren besonders auffällt, da diese sehr weite Breaches tragen, wodurch die kurzen Beine noch kürzer erscheinen.

[In diesen Tagen dominieren Einträge zu den aktuellen Ereignissen um den 17. Juni das Tagebuch. Aber auch das Malen, oder vielmehr Probleme damit beschäftigen Brass.]

[6]
Montag, 22. Juni 53.     

[6] Ich selbst liege leider sehr brach. Die Fangschleuse=Studien, von denen ich noch einige habe, reizen mich nicht mehr sehr zur Arbeit, auch habe ich gar keine Leinewand mehr. Es fehlt mir in der Tat, wie Elisab. oft sehr richtig sagt, an Anregung, aber ich wüßte nicht, woher ich solche nehmen soll. Ich könnte vielleicht allein ins Erzgebirge oder in den Harz fahren, um dort Studien zu machen, aber das kostet eine Masse Geld u. ich erwarte von diesen Gegenden nicht viel. Die Ostseeküste ist ja so gut wie verschlossen, u. auch sie würde mich nicht besonders reizen. Reizen würde mich wohl Griechenland in erster Linie, dann auch Italien, Südfrankreich und Nordafrika, aber selbst wenn ich dorthin fahren könnte, wäre mindestens ein halbes Jahr erforderlich u. das ist schon pekuniär unmöglich. Aber wenn sich das machen ließe, würde ich wahrscheinlich [7] für den Rest meines Lebens bedient sein.

[Nach der Trennung von Martha wollte Brass unter keinen Umständen mehr nach Ahrenshoop.]

[8]
Mittwoch, 24. Juni 53.     

[9] Ich habe eine Bleistiftskizze eines russischen Postens gemacht, so wie ich ihn gegenüber stehen sehe. Neben ihm ein russischer Offizier u. an der Mauer der Befehl des Ausnahmezustandes, im Hintergrunde zwei Pakgeschütze. Ich denke, daß ich ein kleines Bild davon machen kann, etwa 50 x 50 cm. groß, wofür ich noch alte Bilderrückseiten habe, sodaß ich keine neue Leinewand benötige. – [Die Bleistiftskizze ist nicht abgebildet.]

[10]
Sonnabend, 27. Juni 53.     

[11]      Ich fuhr vormittags nach der Kastanienallee, um den kleinen Keilrahmen zu kaufen für ein neues Bild, das dem 17. Juni gewidmet sein soll.

[12]
Mittwoch, 1. Juli 53.     

[13]      Ich malte heute das kleine Bild zum 17. Juni fertig. –

[Bei fast allen Bildern folgt dem Tagebucheintrag „fertig geworden“ die Feststellung, es sei „gut“ oder „sehr gut“, worauf es meist wenige Tage später kritisiert sowie mehrfach und erheblich geändert wird. Bei sehr vielen Bildern scheint das Wichtigste überhaupt erst nach dieser „Fertigstelllung“ erfolgt zu sein. Am „17. Juni 1953“ dagegen hat Brass nichts mehr geändert, keine nachträgliche Auseinandersetzung mit seiner Qualität geführt. Es wird außer am 1. Juli und 3. Juli 1953 (s.u.) später nie wieder erwähnt.]

[13]
Freitag, 3. July 53.     

[14] Mittags brachte mir der Geldbriefträger, ein grauhaariger Beamter, die erwartete Postanweisung über 500,– M. von Fritz. Der Beamte sah das 17-Juni-Bild auf der Staffelei stehen u. betrachtete es interessiert. So kamen wir ins Gespräch. [über Zugeständnisse der Regierung nach dem 17. Juni und die Stimmung der Bevölkerung.]