Textdaten
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Autor: Carl Falkenhorst
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Titel: „Sub rosa“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 110-112
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[110]
„Sub rosa.“
Von C. Falkenhorst.


Ich kenne zwei gute Freunde, die hatten sich einmal entzweit. Ein Vertrauensbruch bildete die Ursache des Zwistes – ein vermeintlicher Vertrauensbruch; denn bei näherer Untersuchung löste sich derselbe in ein Mißverständniß auf. Doch ich will die Geschichte kurz erzählen.

Freund A. hatte dem Freunde B. eine Mittheilung über eine dritte Person gemacht und, als er sich von ihm trennte, hinzugefügt: „Das habe ich Dir aber sub rosa gesagt.“ Freund B. übersetzte das lateinische Sprichwort mit „verblümt“, dachte sich das erzählte Ereigniß noch schlimmer, als es in Wirklichkeit war, und da ihm kein Stillschweigen auferlegt war, sprach er weiter davon. Es wurde eine Klatschgeschichte daraus, und A. warf dem Freunde vor, er habe das in ihn gesetzte Vertrauen mißbraucht.

„Du hast mir ja gar nicht zu verstehen gegeben, daß die Sache geheim gehalten werden soll!“ wehrte der andre ab.

„O, bitte, ich habe es Dir ausdrücklich ‚sub rosa‘ gesagt!“

„Nun ja! Das heißt doch ‚verblümt‘.“

„Verblümt?“ meinte Freund A. entrüstet. „Ich habe nicht geglaubt, daß Du so unwissend bist.“ Er ging an den Bücherschrank, holte einen Band von Brockhaus’ Konversationslexikon, schlug den Artikel „Sub rosa“ auf und hielt das Buch dem Freunde vor.

Dieser las zu seinem Erstannen. „Sub rosa (lat., eigentlich ‚unter der Rose‘) heißt bildlich und sprichwortlich soviel als ‚im Vertrauen‘ oder ‚insgeheim‘, z. B. jemand etwas mittheilen. Die alten Deutschen pflegten nämlich eine Rose als Symbol der Verschwiegenheit bei ihren Gastmählern von der Decke auf die Tafel herabhängen zu lassen, um damit anzudeuten, das man die bei demselben durch frohe und heitere Stimmung hervorgerufenen Aeußerungen wieder vergessen und wenigstens anderen nicht mittheilen solle.“

[111]

Freund B. ging betrübt von dannen. Zu Hause schlug er den betreffenden Artikel in Meyers Konversationslexikon nach; aber auch dort fand er die gleiche Erklärung und noch den Zusatz, daß dieselbe Sitte bereits den alten Römern bekannt war. Doch er ließ sich nicht werfen. Er holte Goethes Gedichte, schlug das zweite der „Lieder“ auf und schrieb folgenden Brief:

„Lieber Freund! Gestatte auch dem Dichterfürsten zu der fatalen Rosengeschichte ein Wort:

‚Dichter lieben nicht zu schweigen,
Wollen sich der Menge zeigen,
Lob und Tadel muß ja sein!
Niemand beichtet gern in Prosa,
Doch vertrau’n wir oft sub Rosa
In der Musen stillem Hain.

Was ich irrte, was ich strebte,
Was ich litt und was ich lebte,
Sind hier Blumen nur im Strauß;
Und das Alter wie die Jugend,
Und der Fehler wie die Tugend
Nimmt sich gut in Liedern aus.‘

So singt Goethe. Du wirst mir wohl zugeben, daß der Dichter, der sich der Menge gern zeigen will, wenn er seine Fehler sub rosa mittheilt, durchaus nicht bezweckt, sie in den Schleier des Geheimnisses zu hüllen, sondern sie vielmehr durch die Blume, in bildlicher Sprache seinen Lesern zu erkennen giebt. Alle Achtung vor den fleißigen und gelehrten Mitarbeitern der Konversationslexika – allein unser Goethe ist doch ein Sprachgewaltiger, und es dürfte erlaubt sein, in der Auslegung von Sprichwörtern ihn als Führer zu nehmen.“

Bald darauf saßen beide Freunde wieder versöhnt nebeneinander und meinten. „Das sind aber recht gefährliche Redensarten, denen im Leben eine so verschiedene Auslegung zutheil wird. Wer hat recht? Wie ist das Sprichwort entstanden?“

Ich war in ihrem Bunde der dritte, und was wir über die Entstehung des geflügelten Wortes sub rosa ermitteln konnten, sei im nachstehenden kurz mitgetheilt. –

Die Rose, die Königin der Blumen, hat im Laufe der Geschichte ihre Bedeutung in der symbolischen Blumensprache wiederholt gewechselt. Als die Schwelgerei und der Luxus im alten Rom ihren Höhepunkt erreichten, da war auch der Rosenkultus am meisten verbreitet. Bei den üppigen Gelagen durfte niemals die Blume der Liebesgöttin fehlen – Venus nämlich hatte die Rose mit ihrem Blute roth gefärbt; die Römer erzählten sich, die Rose sei ursprünglich weiß gewesen, da habe einst Venus sie pflücken wollen und, als sie sich dabei an den Dornen verletzte, mit ihrem Blute die Blume geröthet, die seitdem diese Farbe behalten habe.

Um einen Begriff von der Rosenliebhaberei der Römer in der Zeit des Sittenverfalls zu geben, möchten wir nur an den berühmten Speisesaal Neros erinnern, dessen Decke und Seitenwände sich drehten und abwechselnd die Jahreszeiten vorstellten; anstatt des Regens fielen dabei ungeheure Rosenmassen auf die kaiserlichen Gäste herab. Nach den Berichten von Suetonius soll Nero für eine einzige Abendmahlzeit Rosen um 90000 Mark gekauft haben.

Als Aegyptens berüchtigte Königin Cleopatra einmal den Antonius empfing, ließ sie den Fußboden des Speisesaals eine Elle hoch mit Rosen bedecken und darüber Netze spannen, damit man auf diesem Blumenteppich bequem gehen konnte.

So wurde in dem Rom der Kaiser die Rose zu der Blume des Genusses, und erst das Christenthum versuchte, ihr eine andere sinnbildliche Bedeutung zu geben. Die Rose wurde als Blume der Unschuld der heiligen Jungfrau Maria geweiht. In Frankreich wird noch heute am 8. Juni das Rosenfest gefeiert, welches auf jene alten Bestrebungen zurückzuführen ist. Der heilige Medardus soll, wie die Sage erzählt, im Dorfe Salency bei Noyon einen jährlichen Preis von 25 Livres gestiftet haben, welcher dem tugendhaftesten Mädchen des Dorfes zuerkannt werden sollte. Das Mädchen erhielt dabei einen Rosenkranz und wurde als „Rosenmädchen“ (Rosière) gefeiert. So wurde die Rose zum Sinnbild der Keuschheit. Das Volk verehrte sie aber nach wie vor auch als die Blume der Liebe, wie dies mittelalterliche Dichtungen, der „Roman de la rose“ und das beliebte höfische Epos „Flore und Blanscheflur“, d. h. „Blume und Weißblume“ oder „Rose und Lilie“, beweisen.

Damit aber sind die symbolischen Bedeutungen der Königin der Blumen noch nicht erschöpft.

In Okens „Allgemeiner Naturgeschichte“ lesen wir in Bezug auf die Rose: „… sehr wohlriechend und für die Königin der Blumen gehalten, das Sinnbild der Unschuld, der Freundschaft und der Verschwiegenheit –“ und Novalis singt: „Verschwiegener Eintracht volle Rosen trägt er (der Wein) bedeutend in der Hand.“

In unserer Zeit scheint, wie die tägliche Erfahrung lehrt, die Bedeutung der Rose als der Blume der Verschwiegenheit weiteren Volkskreisen unbekannt geworden zu sein. Früher war das anders.

Im „Rosetum Historiarum“, im „Historischen Rosengarten“ von Hammer, der im Jahre 1654 zu Zwickau erschien, findet sich folgende Stelle: „Etliche haben eine Rose über den Tisch hängen lassen und, wenn die Gäste haben heimgehen wollen, zu ihnen gesagt, daß sie unter den Rosen beisammen gesessen.“

Ausführlicher wird über diese Sitte berichtet in dem Riesenwerke „Großes Vollständiges Universallexikon aller Künste und Wissenschaften“, welches von dem Hallenser Verleger Joh. Heinrich Zedtler in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausgegeben wurde. „Vor Alters her,“ lesen wir hier, „pflegte man eine Rose über die Tische zu hängen und zwar darum, damit ein jeder, sobald er sie erblickte, eingedenk wurde, daß er dasselbe, was er in geheim hörete, verschweigen sollte; daher auch das Sprichwort geblieben, wenn man einem guten Freunde etwas sonderliches und geheimes, das verschwiegen bleiben soll, offenbaret, dabei zu sagen pflegt: sub rosa dictum – das sei unter der Rose gesagt.“

Diese Bedeutung des Sprichworts sub rosa war auch dem Straßburger Dichter Sebastian Brant bekannt; denn in seinem 1494 zu Basel erschienenen „Narrenschiff oder das Schiff von Narragonia“ findet sich (Kap. 7, Vers 13) die Redewendung [112] „under der rôsen sagen“ in dem Sinne „im Vertrauen sagen“.

Der Ursprung der Sitte, die Rose beim Gastmahl als Sinnbild der Verschwiegenheit zu benutzen, wird auf die Römer zuruckgeführt. Der schon erwähnte Joh. Heinrich Zedtler beruft sich auf die Verse eines „römischen Poeten“, welche besagen „Die Rose ist die Blume der Venus. Damit nun deren Liebeshändel geheim gehalten würden, widmete Amor der Mutter Gabe dem Harpokrates. Darum pflegt der Gastgeber über die für seine Freunde bereitgehaltenen Tische eine Rose zu hängen, damit die Festgenossen wissen, man solle schweigen über das unter der Rose Gesagte.“

Unter den Alterthümern Roms befindet sich auch eine Bildsäule des Harpokrates. Sie stellt ein sitzendes Kind dar, welches einen Finger vor den Mund hält. Dieses Kind ist der ägyptische Gott Horus der Jüngere, welcher ursprüglich die Sonne zur Zeit der Wintersonnenwende verkörpern soll. Die Haltung seines Fingers führte die Griechen auf den Einfall, aus ihm den Gott des Schweigens zu machen. Unter dem Namen Harpokrates wird er in der griechischen Litteratur zum ersten Male von Eratosthenes, dem berühmten Bibliothekar von Alexandrien, erwähnt – von demselben Eratosthenes, der als der erste die Größe der Erde auf Grund einer Gradmessung berechnete und prophetisch das Vorhandensein einer „Neuen Welt“ zwischen den Küsten des Atlantischen Oceans und dem Ostrande Asiens vermuthete. Eratosthenes lebte von 275 bis 195 v. Chr. Ein Mysterienkultus knüpfte sich in der griechisch-römischen Welt an die geheimnißvolle Gestalt des Gottes, besonders fanden seine Priester frühzeitig den Weg nach Rom. Die Rose aber hatte Harpokrates von Aegypten, der Heimath seines Kultus, nicht mitgebracht. Dort setzte man vielmehr Horus den Jüngeren in Beziehung zu einer anderen Blume: die ägyptische Mythe ließ ihn aus einer geöffneten Lotusblnme hervorgehen. Doch wie in Rom die Rose bei Festen zum Schmuck diente, so fehlte in Aegypten die Lotusblume bei keinem Festgelage; die Gäste steckten sich Lotusknospen ins Haar und hielten sie einander zum Riechen hin, wie die Gäste bei anderen Völkern sich Weinbecher reichen. In der griechisch-römischen Welt gab man dem neuen Gotte an Stelle der ägyptischen eine heimische Blume, die Rose. Wenn wir dabei an die homerische Sage von den Lotophagen denken, welche aus der Lotuspflanze einen Wein bereiteten, der das Gedächtniß an die Vergangenheit in den Menschen auslöschte, so wird es uns begreiflich erscheinen, wie die Rose in Verbindung mit Harpokrates zum Sinnbilde der Verschwiegenheit werden konnte.

Es ist nicht möglich, ganz genau festzustelten, wann die dichterische Phantasie des Volkes Harpokrates mit der Rose schmückte, so viel aber darf man wohl annehmen, daß die schöne Sitte, unter der Rose beisammen zu sitzen, nicht in der wüsten zügellosen Kaiserzeit entstanden ist, sondern ihren Ursprung in einer Zeit hat, wo die Sitten einfacher waren und die römische Tugend sich noch bewährte.

Doch gleichviel, von wem die Sitte stammt; es läßt sich nicht leugnen, daß sie lange Zeit geübt wurde und daß sie Veranlassung zur Bildung des geflügelten Wortes „sub rosa“ gegeben hat. Die Sitte schwand, das Wort blieb. Die Menschen, die mit der Geschichte desselben nicht vertraut waren, wußten es nicht zu deuten und fanden eine naheliegende Erklärung: „sub rosa“ wurde wie das französische „Sous la fleur“ aufgefaßt, im Sinne von „durch die Blume“, „verblümt“.

Und doch ist es schade, daß wir bei fröhlichen Festen nicht mehr „unter der Rose“ sitzen. Wir Männer wissen, daß der Wein die Zungen löst, und sehen im frohen Kreise die Menschen nicht gern, welche die leicht entstehenden, unbedachten Worte fleißig sammeln und weiter tragen. Unsere Leserinnen wissen, daß auch der Kaffee dieselbe lösende Wirkung besitzt. Man sollte sich zwar auch in solchen Fällen zu bemeistern wissen, aber da wir Menschen einmal bei festlichen Gelegenheiten reden müssen und schwach sind, so sollten diese vertraulichen Reden wenigstens nicht weiter getragen werden. Denn das Weitertragen und Vergrößern und „Verblümeln" des Gehörten führt erst recht zu Klatsch und Verleumdung.