„Gott will es!“
[738] „Gott will es!“ (Zu dem Bilde S. 712 und 713.) Peter von Amiens, genannt der Einsiedler, hatte sich von der Welt zurückgezogen und eine Wallfahrt
[739] gut behandelt wird wie der Reichste. Das hat nicht gerade die Liebe gethan, vielmehr die Not, denn die Geisteskranken sind eben in der Gesellschaft unerträglich, sie müssen versorgt werden. Ist man aber in Bezug auf sein Nervensystem nicht mehr gesund, jedoch nicht so krank, daß man zu den Geisteskranken gehört, so ist man recht übel dran, wenn man nicht viel Geld hat. Man kann und soll nicht in die Irrenheilanstalt, denn man wird nicht aufgenommen, den Nervenkranken im gewöhnlichen Sinne des Wortes würde ja in der Umgebung von Irren nicht besser, sondern schlimmer werden. In die allgemeinen Krankenhäuser passen die Nervenkranken auch ganz und gar nicht, hier finden sie nicht das, was sie brauchen, ja nicht wenige von ihnen werden durch den Anblick der Schwerkranken und die ganze geistige Atmosphäre des Hauses geschädigt. Die Schlechtgestellten, d. h. die, die kein Vermögen haben und nichts mehr bekommen, wenn sie aufhören zu arbeiten, können sich auch nicht durch einen einfachen Aufenthalt auf dem Lande erholen. Ja dieser ist meist auch den Minderbemittelten versagt, weil in der Regel Nervenkrankheiten eine lange Kurzeit erfordern, ein Sparpfennig aber rasch aufgebraucht, die Urlaubsmöglichkeit oft zu knapp bemessen ist. So kommt es, daß viele, die durchaus heilbar sind, nicht geheilt werden, daß viele sich lange Jahre quälen, denen wenigstens Erleichterung zu schaffen wäre, daß nicht wenige jämmerlich zu Grunde gehen durch Selbstmord, Trunk, Verlumpung. Daß der vorhandene Notstand im allgemeinen wenig beachtet wird, das liegt hauptsächlich daran, daß die meisten Nervenkranken nicht krank aussehen. Sie gehen herum, essen und trinken, haben oft ein gesundes Aussehen, und man glaubt danach nicht, wieviel Elend da ist. Doch leiden diese Kranken mehr als andere, weil in erster Linie ihr Gemüt krank ist, weil infolgedessen sie weder die Außenwelt, noch sich selbst in normaler Weise wahrnehmen, ihnen das Gewöhnliche und oft auch das andern Angenehme schmerzhaft wird und das wirklich Unangenehme übertrieben stark von ihnen empfunden Wird. Die Leute reden oft von „eingebildeten“ Schmerzen, aber ein gesunder Mensch bildet sich nichts Derartiges ein und die eingebildeten, d. h. ohne greifbare Gründe entstehenden Schmerzen thun grade so weh wie andere. Die Hauptsache aber ist die Unfähigkeit der Nervenkranken zur Arbeit. Teils liefern sie wenig oder schlechte Arbeit, teils sind sie ganz arbeitsunfähig. Wollte man oder könnte man zusammenrechnen, wieviel Arbeitstage durch nervöse Störungen ausfallen, so würde man über die Zahl erschrecken.
Nun liegt freilich die Sache nicht so, daß alle Nervenkranken der Behandlung in einer Anstalt oder doch außer dem Hause bedürftig wären. Viele können ruhig zu Hause bleiben und werden allmählich, mit oder ohne Behandlung, wieder gesund. Sehr oft aber ist gerade die Entfernung aus den gewöhnlichen Verhältnissen erwünscht oder nötig, da die Quellen der Krankheit sehr oft eben aus der Familie oder dem Berufe fließen. Es bleibt also auch nach Ausscheidung der zur häuslichen Behandlung geeigneten Patienten eine große Zahl übrig, die der Anstaltsbehandlung bedarf, sie aber unter den jetzigen Verhältnissen nicht findet.
Abhilfe ist nur dadurch zu erlangen, daß Anstalten für unbemittelte und minderbemittelte Nervenkranke, Nervenheilstätten errichtet werden. Diese Forderung ist schon wiederholt ausgesprochen, aber erst neuerdings ist einiges Leben in die Sache gekommen. Auch hier hängt, wie überall, alles am Gelde. Natürlich wäre es am schönsten, wenn Staat und Gemeinde für die Sache einträten. Aber, wie die Dinge jetzt liegen, ist das so bald nicht zu erwarten. Ich hoffe zwar bestimmt, daß später die gesellschaftlichen Gewalten die Sache in die Hand nehmen werden, aber sie werden voraussichtlich der privaten Thätigkeit erst nachfolgen, und vielleicht ist es ganz gut, daß die Möglichkeiten erst einmal in Freiheit ausprobiert werden können. Man dürfte vielleicht denken, die Nervenheilstätte könnte ein Aktienunternehmen sein. Aber das wird nicht gehen, da von einer Anstalt für Minderbemittelte selbst mäßige Zinsen nicht zu erwarten sind. Es scheint, daß in einer Heilanstalt die Kosten für Kopf und Tag etwa vier Mark betragen und daß es nicht gelingen will, diese Summe wesentlich herabzusetzen. Es giebt zwar zur Zeit einige Unternehmungen, die weniger verlangen, aber entweder handelt es sich dann um ausnahmsweise günstige Verhältnisse, oder es werden den Anstalten Zuschüsse gewährt. Sollten die Minderbemittelten vier Mark bezahlen, so würde die Anstalt keinen oder doch nur einen ganz geringen Gewinn abwerfen, und doch wäre der Preis für die meisten Patienten viel zu hoch. Wer kann denn, wenn es sich um eine mehrmonatige Kur handelt, täglich vier Mark bezahlen? Doch nur Leute, die sich nicht schlecht stehen. Es bleibt also nichts anderes übrig, als daß die Privatwohlthätigkeit eingreift. Eben jetzt wird ein Aufruf veröffentlicht, in dem eine Anzahl Teilnehmender zu Beiträgen für eine Nervenheilstätte bei Berlin auffordert.[1] Es hat sich in Berlin so glücklich gefügt, daß einige große Stiftungen für diesen Zweck zusammengelegt werden konnten. Daher hat das Berliner Unternehmen recht günstige Aussichten für das Zustandekommen. Schwieriger wird die Sache an anderen Orten sein und doch muß es gewagt werden. Ist einmal die allgemeine Teilnahme gewonnen, so wird das Geld schon kommen, denn es giebt manche verborgene Schätze, die nur auf das richtige Zaubersprüchlein warten.
- ↑ Anmeldungen zum Beitritt für den Verein, der die Heilstatte ins Leben rufen will, nehmen an E. J. Meyer, Berlin W, Voßstraße 16, und Ludwig Berl, Berlin W, Jägerstraße 9. Mitglied wird, wer einen einmaligen Beitrag von mindestens 200 Mark oder einen jährlichen Beitrag von 6 Mark leistet. D. Red.