Textdaten
<<< >>>
Autor: Clara Hance
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: „Decoration-day“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 380
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[380] „Decoration-day“.[1] „Der Yankee hat kein Gefühl für etwas Höheres; ihm gilt sein ‚time is money‘ mehr als Alles auf der Welt“ – wie oft hört man diesen Ausspruch, und mit wie stolzer Miene schlägt der Pharisäer an seine Brust und ruft in eitler Selbstüberhebung: „Herr, ich danke Dir, daß ich nicht bin, wie jene nach Reichthümern jagenden Amerikaner!“

Ob aber der Yankee mit seiner kühlen Außenseite nicht ein tieferes Gefühl in sich birgt, als Jener, der sein Herz offen zur Schau trägt – darüber ist schwer zu rechten. Wahr aber bleibt es, daß in Amerika Wohlthun und Nächstenliebe sich in köstlichster Weise entfaltet haben und oftmals durch einen sinnigen, poetischen Hauch verklärt werden; und ebenso steht es um die nationale Pietät. „Decoration-day“, 30. Mai, liefert dafür den treffendsten Beweis.

Als der Sturm des Krieges 1865 verweht war, als die Brüder der Union sich über rauchenden Trümmern, blutenden Leichen versöhnt die Hände reichten, als dem Norden Amerikas das große Werk gelungen war, die Neger aus ihren Sclavenfesseln zu lösen, da wurden von hoch und Niedrig, von Arm und Reich Geld und Lebensmittel herbeigetragen, um die Noth der Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen zu lindern; als aber für des Leibes Unterhalt genügend gesorgt war, da gedachte man der Todten. –

Denkmäler setzt jede Nation; der einzelnen Schlachttage gedenkt mit stiller Wehmuth jedes Regiment und legt seine Kränze am Monument der gefallenen Cameraden nieder – aber etwas hat die Union vor allen Ländern voraus: die gemeinschaftliche Todtenfeier, die Ausschmückung der Gräber aller Gefallenen, ob Freund – ob Feind, an einem und demselben Tage.

Am 30. Mai kommen die Regimenter zusammen; da ziehen sie aus, hinter sich Wagen, die mit Blumen überladen sind. Bei dumpfem Trommelklang ziehen sie hin zu den Kirchhöfen; dort, unter dem Gebet der Geistlichen, schmücken die Soldaten die Gräber derjenigen, die im Kampf geblieben sind, legen die Blumenspenden nieder und pflanzen kleine Fahnen auf die Hügel.

Es gewährt einen wunderbar rührenden Anblick, wenn man z. B. in Albany, der Hauptstadt des Staates New-York, am „Decoration-day“, auf dem Kirchhof steht. Dort auf einem Plateau liegen wohl weit über hundert Gräber beisammen, in welchen Soldaten gebettet sind. Auf hohem Postament, in Lebensgröße, auf sein Gewehr gestützt, steht ein aus grauem Stein gemeißelter Soldat. Er hält Wache über all den stummen Schläfern dort unten. Das Käppi sitzt fest auf seinem Haupte; der Mantel scheint im Winde sich zu bewegen, und der schwermüthige Ausdruck, mit dem er hinüber nach einem klaren Teiche schaut, der die Grenze zwischen den Soldatengräbern und den Ruhestätten der Bürger bildet, ist ein so naturwahrer, daß man im Augenblicke denkt, der Mann lebe und empfinde für alle die Todten das Rührende der militärischen Trauerfeier, welche da unter seinem Postamente stattfindet.

Aber Winterfeld's Wort:

„Da geht's zurück mit Sang und Klang;
Soldatenkummer währt nicht lang –“

bewahrheitet sich zuletzt auch hier. Wenn die Ceremonie vorüber ist und während die Hunderte von Besuchern herbeiströmen, um nun auch ihre Blumenspenden niederzulegen, ordnen sich die Regimenter; der Tambourmajor mit seiner hohen Bärenmütze wirft seinen Stab in die Luft und fängt ihn mit sicherer Hand wieder auf. Die Trommeln wirbeln; mit lustiger Musik geht es zurück in die Garnison. Hinter jedem Bataillon schreiten zwei Neger mit einem Eimer voll Eiswasser, und ein dritter mit seinem Wichsapparat, während an der Spitze sich die höheren Officiere stolz in ihren Sätteln wiegen und die goldenen Litzen mit dem rothen Futter der kurzen zurückgeknöpften Mäntel im Glanz der Sonne funkeln. Ein kurzer Vorbeimarsch bei dem Gouverneur des Staates oder dessen Stellvertreter, und Alles geht zufrieden heim, mit dem Bewußtsein, den Todten den ihnen schuldigen Tribut gebracht zu haben.

Die Blumen auf den Gräbern duften; die Fähnchen auf den Hügeln bewegen sich leise im Winde. „Decoration-day“, ist vorüber. Schlaft in Frieden, Ihr tapferen Krieger unter dem grünen Rasen!

Clara Hance.


  1. Der 30. Mai wird in Amerika „Decoration-day“, genannt, weil an diesem Tage die Soldatengräber geschmückt werden.