Über die Wege der Hummelmännchen
Am 8. September 1854 sah einer meiner Söhne einige Hummeln in eine Auszackung am Fusse des grossen Eschenbaumes (siehe den Plan) eintreten. Da ich ein Hummelnest darin zu finden hoffte, blickte ich hinein, konnte aber keine Höhlung sehen. Während dessen nahm eine andere Hummel ihren Eintritt in die Auszackung, kam fast unmittelbar wieder heraus, stieg am Stamm ungefähr eine Elle empor und flog durch eine Gabelung zwischen zwei grossen Zweigen hindurch. Ich entfernte darauf alle die Gräser und Pflanzen, welche in der Auszackung wuchsen, aber es
[85] war daselbst keine Höhle vorhanden. Nach einer oder zwei Minuten kam eine andere Hummel und brummte über dem nun von Pflanzen entblössten Boden, flog aufwärts und passierte gleich der vorigen Hummel durch die Gablung. In der Folge sah ich viele, welche jedesmal nach wenigen Minuten eintrafen, sämtlich in derselben Richtung kamen und sich alle in genau der nämlichen Weise benahmen, mit der Ausnahme, dass einige rings um den Stamm der grossen Esche, statt durch die Gablung flogen. Ich vergewisserte mich später, dass das alles Männchen der Gartenhummel (Bombus hortorum) waren. An vielen darauffolgenden Tagen beobachtete ich ähnliche Thatsachen. Ich verfolgte die Hummeln von der grossen Esche bis zu ehern kahlen Heck an der Seite eines Grabens, woselbst sie stets brummten, dann weiter zu einem Epheublatt in einigen Ellen Entfernung, woselbst sie wiederum brummten. Ich will daher diese Stellen, woselbst sie für wenige Sekunden anhielten, "Brummplätze" nennen. Von dem Epheublatt stiegen sie in den trockenen Graben, in welchem eine dichte Hecke wuchs, hinab und flogen langsam längs des Grundes zwischen den dicht verwachsenen Dornstrauchen hindurch. Ich konnte sie längs dieses Grabens nur dadurch verfolgen, dass ich mehrere meiner Kinder veranlasste, hineinzukriechen und darin auf ihren Bäuchen zu liegen, aber in dieser Weise verfolgte ich ihre Spur ungefähr 25 Ellen weit. Sie kamen aus der Hecke stets durch dieselbe Öffnung in das offene Feld heraus und hier führten drei (in dem Plane durch punktierte Linien angedeutete) Wege auseinander, die so weit eingetragen sind, wie ich den Hummeln folgte. Sie brummten an vielen und stets an den nämlichen Stellen in der Entfernung weniger Ellen von einander anfallen ihren Wegen. Einer der Brummplätze war ein sehr seltsamer, da die Hummeln auf den Boden einer sehr dichten Hecke bis zur Tiefe einiger Fusse eindrangen, über einem abgestorbenen Blatte brummten und geradenwegs wieder zurückkehrten.
Ich verfolgte sodann die Flugbahn auf eine Entfernung von ungefähr 160 Ellen, bis sie zu dem grossen Eschenbaum kamen; längs dieser Linie brummten die Hummeln an vielen feststehenden Plätzen. An dem weiteren Ende, dicht bei der "gestutzten Eiche" teilte sich der Weg in zwei, wie im Plane angedeutet. An manchen Tagen flogen sämtliche Hummeln in der hier beschriebenen Richtung [86] , an ändern Tagen kamen einige in der entgegengesetzten Richtung daher. Nach der grossen, an günstigen Tagen beobachteten Zahl, die sämtlich in derselben Richtung zogen, müssen sie, denke ich, in einem grossen Zirkel fliegen. Sie halten mitunter an und saugen auf ihrer Reise an Blumen. Ich vergewisserte mich, dass sie, im währenden Fluge mit der Schnelligkeit von ungefähr zehn englischen Meilen in der Stunde fliegen, aber sie verlieren viel Zeit an ihren Brummplätzen. Die Wege bleiben für eine beträchtliche Zeit die nämlichen und die Brummplätze sind bis auf einen Zoll genau die gleichen. Um dies zu erweisen, will ich erwähnen, dass ich wiederholt fünf oder sechs meiner Kinder, jedes dicht bei einem Brummplatz aufstellte, und dem am meisten entfernten sagte, dass es, sobald eine Hummel dort brumme, schreien solle: "hier ist eine Biene", und so auch die andren Kinder nacheinander, und die Worte: "hier ist eine Biene", wurden von Kind zu Kind, ohne dass jemals eine Unterbrechung eintrat, überliefert bis die Hummel an dem Brummplätze, woselbst ich stand, ankam.
Nach mehreren Tagen waren die Wege teilweise verändert; die Hummeln begannen nämlich am Fusse eines hohen, dünnen Dornbaums in einer der grossen Esche gegenüberliegenden Hecke zu brummen; sie flogen dann langsam und dicht an dem Stamme des Dornbaumes bis zu einer beträchtlichen Höhe empor, kreuzten über einen grossen Äst der Esche, woselbst sie brummten, und wurden aus dem Gesicht verloren, indem sie höher über den Eschenbaum emporflogen. Ich habe Dutzende*)[2] von Hummeln an diesem besonderen Dornbaum emporsteigen sehen, sah aber niemals auch nur eine einzige herabkommen. Diese Gewohnheiten sind in verschiedenen Jahren von der Mitte des Juli bis zum Ende des Septembers beobachtet worden. Die Mitte eines warmen Tages ist für die Beobachtung am geeignetsten.
Ich habe nunmehr den seltsamsten Teil der ganzen Affaire hinzuzufügen. In mehreren aufeinanderfolgenden Jahren haben die Männchen nahezu dieselben Wege verfolgt, und haben an einigen, genau die gleichen gebliebenen, Plätzen gebrummt, z. B. in der [87] Auszackung am Fusse der grossen Esche, und sind darauf durch dieselbe Gablung hinweggeflogen. Sie sind auch denselben trockenen Graben entlang gewandert und durch genau dieselbe kleine Öffnung am Ende der Hecke herausgekommen oder eingetreten, obwohl daselbst zahlreiche ähnliche Öffnungen vorhanden waren, welche ebensogut dazu hätten dienen können.
In dem einen Jahre sah ich Dutzende von Hummeln durch diese besondere Öffnung eintreten und den Boden des Grabens entlang bis zu dem grossen Eschenbaum fliegen. In einem zweiten Jahre besuchten die Hummeln hingegen den nämlichen, vorhin erwähnten Dornbaum und flogen daran empor, aber in einem anderen Jahre besuchten sie einen dicht dabei wachsenden Dornbaum. Zuerst war ich durch diese Thatsachen verwirrt und konnte nicht begreifen, wie diese während aufeinanderfolgender Jahre geborenen Hummeln möglicherweise dieselben Gewohnheiten erlernen könnten. Aber sie scheinen es vorzuziehen, längs der Hecken und Wege zu wandern und sie lieben es, am Fusse der Bäume zu brummen, so dass ich annehme, die nämlichen Wege und die gleichen Brummplätze seien in irgend einer Weise anziehend für die Species: worin aber dies Anziehende besteht, davon kam ich mir keinen Begriff machen. An vielen Brummplätzen ist durchaus nichts Bemerkenswertes vorhanden. Nachdem einer derselben häufig besucht worden ist, kann sein Aussehen, ohne dass die Besuche darum unterbrochen worden, gänzlich verändert werden. So bestreute ich den einen Fleck mit weissem Mehl und riss alles Gras und alle Pflanzen am Fusse der Esche aus, ohne irgend welchen Wechsel in den Besuchen herbeizuführen. Thatsächlich liegt keine grössere Schwierigkeit vor, zu verstehen, wie die Hummeln in aufeinanderfolgenden Jahren den nämlichen Wegen folgen und dieselben Brummplätze auswählen, als darin, zu begreifen, wie die Männchen desselben Nestes oder verschiedener Nester in demselben Bezirk, den nämlichen Wegen folgen und an den nämlichen Plätzen brummen, denn ich glaube, dass stets ein Männchen nach dem ändern ausschlüpft und ich habe niemals auf ihren Wanderungen zwei in Gesellschaft gesehen. Auch bin ich niemals im stände gewesen, den Zweck dieser Gewohnheit, längs derselben Linie zu wandern und an denselben Plätzen zu brummen, womit sie viel Zeit verschwenden, zu ergründen. Ich [88] habe nach Weibchen ausgeschaut, aber niemals eins auf den Wegen gesehen*)[3].
Die Männchen von Bombus pratorum haben Brummplätze und benehmen sich in mancher Hinsicht den Männchen von Bombus hortorum ähnlich; aber ihre Art und Weise zu wandern erscheint etwas verschieden. Während ich mich in Devonshire aufhielt, vergewisserte ich mich, dass die Männchen von Bombus lucorum in gleicherweise Brummplätze besuchen.
Herr J. Smith am Britischen Museum wusste nichts von dieser Gewohnheit, aber er verwies mich auf eine kurze Notiz über den Gegenstand von Col. Newman in den „Transact. Entomol. Soc. of London (New Series Vol. I. part 6, 1851, p. 67).
Ich habe stets bedauert, dass ich nicht mit Gummi ein Flöckchen Baumwolle oder Daunenfeder auf den Hummeln befestigt habe, weil es dann viel leichter gewesen wäre, ihnen nachzuspüren.
- ↑ Der vorliegende Aufsatz Darwins fand sich im Nachlass des am 25. August 1888 verstorbenen Erforschers der Wechselbeziehungen zwischen Blumen und Insekten, Prof. Hermann Müller in Lippstadt vor und wurde diesem im Mai 1872, wie ich in meiner Biographie desselben erwähnt habe, behufs weiterer Beobachtungen in dieser Richtung und mit der ausdrücklichen Genehmigung ihn ev. zu veröffentlichen, übersandt. Soviel mir bekannt, ist eine solche Veröffentlichung bisher nirgends erfolgt; die darin mitgeteilten Beobachtungen sind aber zu wertvoll, um sie der Vergessenheit zu überliefern. Ich verdanke die Mitteilung dem Sohne meines verstorbenen Freundes, Herrn Realschullehrer Dr. Hermann Müller in Liegnitz.
- ↑ Wo ich Dutzende übersetzt habe, steht im Manuskript scores, eine im Deutschen nicht vorhandene Bezeichnung für ungefähr zwanzig Stück. K.
- ↑ Sollten diese für die Männchen anziehenden Stellen vielleicht Orte sein, and denen sich früher Hummelnester befanden, von denen ein Geruch zurückgeblieben wäre? K.