Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Nietzsche
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Zwischen Raubvögeln
Untertitel:
aus: Nietzsche’s Werke. Erste Abtheilung. Band VIII. Dionysos-Dithyramben. S. 421-424
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: C. G. Naumann
Drucker:
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Internet Archive und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[421]
Zwischen Raubvögeln.

Wer hier hinabwill,
wie schnell
schluckt den die Tiefe!
— Aber du, Zarathustra,

5
liebst den Abgrund noch,

thust der Tanne es gleich? —

Die schlägt Wurzeln, wo
der Fels selbst schaudernd
zur Tiefe blickt —,

10
die zögert an Abgründen,

wo Alles rings
hinunter will:
zwischen der Ungeduld
wilden Gerölls, stürzenden Bachs

15
geduldig duldend, hart, schweigsam,

einsam…

Einsam!
Wer wagte es auch,
hier Gast zu sein,

20
dir Gast zu sein?…


Ein Raubvogel vielleicht:
der hängt sich wohl
dem standhaften Dulder

[422]

schadenfroh in’s Haar,

25
mit irrem Gelächter,

einem Raubvogel-Gelächter…

Wozu so standhaft?
— höhnt er grausam:
man muss Flügel haben, wenn man den Abgrund liebt…

30
man muss nicht hängen bleiben,

wie du, Gehängter! —

Oh Zarathustra,
grausamster Nimrod!
Jüngst Jäger noch Gottes,

35
das Fangnetz aller Tugend,

der Pfeil des Bösen!
Jetzt —
von dir selber erjagt,
deine eigene Beute,

40
in dich selber eingebohrt…


Jetzt —
einsam mit dir,
zwiesam im eignen Wissen,
zwischen hundert Spiegeln

45
vor dir selber falsch,

zwischen hundert Erinnerungen
ungewiss,
an jeder Wunde müd,
an jedem Froste kalt,

50
in eignen Stricken gewürgt,

Selbstkenner!
Selbsthenker!

[423]

Was bandest du dich
mit dem Strick deiner Weisheit?

55
Was locktest du dich

in’s Paradies der alten Schlange?
Was schlichst du dich ein
in dich — in dich?…

Ein Kranker nun,

60
der an Schlangengift krank ist;

ein Gefangner nun,
der das härteste Loos zog:
im eignen Schachte
gebückt arbeitend,

65
in dich selber eingehöhlt,

dich selber angrabend,
unbehülflich,
steif,
ein Leichnam —,

70
von hundert Lasten überthürmt,

von dir überlastet,
ein Wissender!
ein Selbsterkenner!
der weise Zarathustra!…

75
Du suchtest die schwerste Last:

da fandest du dich —,
du wirfst dich nicht ab von dir…

Lauernd,
kauernd,

80
Einer, der schon nicht mehr aufrecht steht!

Du verwächst mir noch mit deinem Grabe,
verwachsener Geist!

[424]

Und jüngst noch so stolz,
auf allen Stelzen deines Stolzes!

85
Jüngst noch der Einsiedler ohne Gott,

der Zweisiedler mit dem Teufel,
der scharlachne Prinz jedes Übermuths!…

Jetzt —
zwischen zwei Nichtse

90
eingekrümmt,

ein Fragezeichen,
ein müdes Räthsel —
ein Räthsel für Raubvögel

— sie werden dich schon „lösen“,

95
sie hungern schon nach deiner „Lösung“,

sie flattern schon um dich, ihr Räthsel,
um dich, Gehenkter!…
Oh Zarathustra!…
Selbstkenner!…

100
Selbsthenker!…