Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Barthold Georg Niebuhr

Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Barthold Georg Niebuhr
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aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 279–280
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Barthold Georg Niebuhr.
Geb. d. 27. Aug. 1776, gest. d. 2. Ja. 1831.


Unter der Leitung seines trefflichen Vaters, des berühmten Reisenden Karsten Niebuhr, wurde Niebuhr in Meldorf in Ditmarschen um so sorgfältiger erzogen, je früher sein außerordentliches Fassungsvermögen und sein erstaunenswerthes Gedächtniß schon im Knaben hervortraten. Früh gereift, bezog er, kaum erwachsen, die Universität Kiel und theilte seine Studien zwischen der Erforschung des Alterthums und den praktischen Staatswissenschaften. Nach Vollendung seiner Studien begab er sich nach Kopenhagen, widmete sich dort den Finanzen und wurde Director der Bank. Das praktische Leben aber schwächte seinen Eifer für die Wissenschaft nicht, mit großer Freudigkeit trieb er nicht nur die classische Philologie, sondern auch orientalische und neuere Sprachen, als die Grundlage zu umfassenden historischen Studien. Verschiedene Geldnegociationen hatten Veranlassung gegeben, daß man in Preußen aufmerksam auf ihn geworden war und ihn für den Staatsdienst zu gewinnen wußte. Obgleich er im Jahre 1806, zu einer Zeit da Preußens Existenz als selbständiger Staat aufs Aeußerste gefährdet war, ins Finanzministerium eintrat, wurde er doch in seiner Anhänglichkeit für diesen Staat nicht wankend, sondern kettete sein eigenes Schicksal um so fester an das des Staates. Er gehörte zu den trefflichen Männern, die in jener Zeit der Erniedrigung mit klarem Geist und kräftiger Gesinnung Preußen durch eine liberale verständige Reorganisation von innen heraus eine neue erhöhte Lebenskraft zu verleihen, und durch die planmäßige Ausbildung aller geistigen und materiellen Kräfte es stark und muthig zu machen wußten, um den ungleichen Kampf zu bestehen. Unerschrocken und freimüthig erhob er seine Stimme für Preußens Wohl, als es galt gegen den Unterdrücker Deutschlands aufzurufen, als beim Wiener Congreß fremder Einfluß Preußens Größe und Machtstellung, die es schwer erkämpft hatte, zu beeinträchtigen strebte, als in Preußen selbst feige Denunciation einer kurzsichtigen Reaction die Mittel zu bieten sich beeilte, der Entwickelung eines freien Staatslebens hemmend entgegenzutreten. Je mehr diese Richtung maßgebend wurde, je weniger konnte Niebuhr der Regierung in seiner Weise förderlich sein; der Gesandtschaftsposten [Ξ] am päpstlichen Stuhl, welcher ihm 1816 übertragen wurde, war eine ehrenvolle Entfernung. Hier brächte er durch mehrjährige Verhandlungen das Concordat zwischen dem Papst und der preußischen Regierung über die Verhältnisse der Katholiken in Preußen zu Stande. Hauptsächlich aber widmete er sich hier wieder dem Studium des Alterthums. Auch in den Zeiten des lebhaftesten Geschäftslebens hatte er Muße gefunden, dasselbe zu pflegen, und als Mitglied der Academie durch Schriften und Vorlesungen sich als gelehrten Forscher bewährt. So entstand die römische Geschichte (1811), ein Werk, das bei seinem ersten Erscheinen vielen Widerspruch fand ohne in seinem Wesen begriffen zu sein. Der Aufenthalt in Rom gab ihm Gelegenheit, alle Studien zu einer neuen Bearbeitung und Wetterführung dieses Werks zu machen, an deren Ausführung er sich erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland (1823) machte. Er begab sich nach Bonn und hielt dort im freien Verband mit der Universität eine Reihe historischer Vorlesungen, welche den belebendsten und nachhaltigsten Einfluß auf die studirende Jugend übten. Es war nicht nur die Fülle des Wissens, die Großartigkeit und Lebendigkeit der Anschauung, welche fesselte und begeisterte, sondern die Rückhaltlosigkeit und Wahrheit, mit welcher Niebuhr sich selbst gab und seine ganze Persönlichkeit in der wissenschaftlichen Forschung aufgehen ließ. Wenn er auch die Leidenschaftlichkeit seiner Natur dabei nicht verläugnen und durch stark ausgeprägte Vorliebe und Abneigung einseitig und ungerecht werden konnte, so wurden diese Schwächen mehr als ausgewogen durch die Kraft seiner bedeutenden Individualltät. Getragen durch den persönlichen Einfluß fand nun auch die neue Bearbeitung der römischen Geschichte, in einer Zeit, welche für die Würdigung wissenschaftlichen Verdienstes mehr geeignet war, lebhafte Theilnahme und Bewunderung. Und in der That hat sie eine Bedeutung für die Entwickelung wissenschaftlicher Forschung, welche weit hinausgeht über die Wichtigkeit des erforschten Gegenstandes. Niebuhr untersuchte die Geschichte Roms nicht blos mit den Kenntnissen und der Methode eines Gelehrten, sondern er brachte die Einsicht und das Verständniß des Staatsmannes hinzu und faßte die Entwickelung des Staatslebens in seinen innern Verhältnissen und den Beziehungen nach außen als eine wirkliche und leibhafte, aus den gegebenen Bedingungen nur Nothwendigkeit hervorgehende auf, er machte dasselbe lebendig und in seinem Leben anschaulich. Er machte sich ferner frei von der Autorität der Ueberlieferung, die er nur, soweit sie vor der Prüfung der Kritik bestand, als eine zuverlässige und glaubwürdige zuließ; er zerstörte durch den Nachweis willkürlicher Zusammensetzung und Erfindung den trügerischen Schein geschichtlicher Ueberlieferung, und brächte dafür die dichterische Wahrheit der Volkssage zur Anerkennung; indem er das Wesen und die Grenze der Sage und Geschichte schärfer bestimmte, setzte er beide in ihr Recht ein. Hiermit war ein wesentlicher Fortschritt für alle geschichtliche Erkenntniß und Forschung gethan, der sich erfolgreich erwiesen hat in weiten Kreisen.