Zur Theorie der tönenden Luftsäulen

Textdaten
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Autor: Karl Friedrich Salomon Liskovius
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Titel: Zur Theorie der tönenden Luftsäulen
Untertitel:
aus: Annalen der Physik und Chemie, Band LX
Herausgeber: Johann Christian Poggendorff
Auflage:
Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: Johann Ambrosius Barth
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans auf Commons, Google
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[484]
III. Zur Theorie der tönenden Luftsäulen;
von Dr. Karl Friedr. Sal. Liskovius in Leipzig.


Vier akustische Untersuchungen hatte ich kürzlich die Ehre in diesen Annalen mitzutheilen, 1) über die Pfeifen mit häutigen Wänden (Bd. LVII, 1842, No. 12, I.), [485] 2) über den Einfluß der verschiedenen Weite der Labialpfeifen auf ihre Tonhöhe (Bd. LVIII. VIII.), 3) über den Einfluß der Flaschenform auf die Tonhöhe der darin tönenden Luft (Bd. LVIII. IX.), und dazu 4) obigen Nachtrag.

Diese vier Untersuchungen zusammengenommen führen zu Resultaten, welche mit gewissen gangbaren Annahmen im Widerspruche stehen. Es ist nämlich angenommen:

1) die Breite der tönenden Luftsäulen mache keinen wesentlichen Unterschied in der Tonhöhe;

2) die Schwingung der tönenden Luftsäulen geschehe nur in der Richtung ihrer Länge.

Nun aber zeigen jene Untersuchungen, besonders die zweite, daß die Breite der tönenden Luftsäulen allerdings einen bedeutenden wesentlichen Unterschied in der Tonhöhe macht, denn, wenn der Querumfang, unter übrigens ganz gleichen Umständen, in einem Falle sich zur Länge verhält, wie eins zu vier, und in einem anderen, wie eins zu zwei, und also im letzten Falle zwei Mal so groß ist, als im ersten, so ist der Ton im letzten Falle um eine große Terz tiefer, als im ersten. Ist der Querumfang eben so groß, als die Länge, so ist der Ton über eine reine Quinte tiefer, als bei dem Verhältnisse von eins zu vier, und, ist der Querumfang zwei Mal so groß, als die Länge, also acht Mal so groß, als bei dem Verhältnisse von eins zu vier, so ist der Ton beinahe um eine Octave tiefer, als bei diesem letzteren Verhältnisse.

Einen anderen dahin einschlagenden Versuch machte ich auf folgende Art: Eine vierseitige Labialpfeife, 6 Zoll Linien Par. M. lang, an der Labialseite und an der gegenüberstehenden Seite 2 Z. 2 L., an den anderen beiden Seiten 3 Z. breit, wurde so eingerichtet, daß man die vordere Hälfte und das vorderste Viertel der Weite durch Einschieben eines Brettchens winddicht absperren, [486] und also nach Willkühr jeden dieser Theile für sich allein oder das Ganze intoniren kann. Das Viertel giebt zweigestrichen g, die Hälfte zweigestrichen d, das Ganze eingestrichen a.

In solchem Maaße tonerniedrigend ist die Erweiterung tönender Röhren. Was ist aber der Grund davon?

Etwa die mit zunehmender Breite der Wände zunehmende Reibung der Luft an denselben? Dann müßte auch vermehrte Rauhigkeit der Wände — ohne vermehrte Breite — den Ton erniedrigen. Das thut sie aber nicht. Eine zinnerne Röhre beklebte ich auf ihrer ganzen inneren Fläche mit grobem Streusand. Der Ton war derselbe, nach wie vor.

Oder schwingt etwa die Luft an und für sich selbst desto langsamer, je breiter ihre Masse? Bekanntlich ist das nicht der Fall. Als Beweis dient die Fortpflanzung des Schalles durch die atmosphärische Luft. Diese Fortpflanzung mag durch enge oder weite Räume gehen, das ändert nichts in der Tonhöhe; also auch nichts in dem Zeitmaaße der Schwingungen. Einen neuen Beweis, und zwar an selbsttönender Luft, giebt jenes Einsenken fester Körper in Labialpfeifen und Flaschen (3. und 4. Untersuchung), indem dadurch ein Theil der Luft verdrängt, also die Luftmasse in der Länge und Breite verringert, und dennoch die Tonhöhe nicht verändert wird.

Oder schwingen die tönenden Luftsäulen nicht bloß in die Länge, sondern auch in die Breite? Es bleibt nichts Anderes übrig. Auch ist es sehr naturgemäß, daß eine elastische Flüssigkeit, sobald sie an irgend einer Stelle in Undulation versetzt wird, von dieser Stelle aus ihre Wellen nach allen Bichtungen hin wirft. Und wirklich erweist sich dieß bekanntermaßen ebenfalls wieder bei der Fortpflanzung des Schalles durch die atmosphärische Luft. Nicht minder natürlich ist es ja wohl, daß die Luft in Röhren und dergleichen Behältnissen, wenn sie vermittelst des Labiums oder auf andere Art zur Tonschwingung [487] angeregt wird, von da aus ihre Wellen eben auch nach allen Richtungen hin treibt, also nicht nur in der Richtung der Länge, sondern auch in der der Breite und in den Diagonalen zwischen der Länge und Breite, nur mit dem Unterschiede, daß hier die Wellen von dem Umfange des Behältnisses zurückgeworfen werden, und auf diese Art eine Wechselwirkung, eine gegenseitige (reciproke) Bewegung der Wellen unterhalten wird, so lange die Anregung dauert.

Dadurch erklärt es sich, warum die verschiedene Breite der tönenden Luftsäulen so vielen Einfluß auf die Tonhöhe ausübt. Das ist auch einer der Gründe, warum die Flaschenform so sehr tonvertiefend wirkt. Und darum endlich nehmen bei Pfeifen mit häutigen Wänden letztere so willig und leicht Antheil an der Tonschwingung.

Hiernach und zufolge obiger Tabelle über die durch allmäligen Wasserzusatz steigende Stimmung der Luft in Flaschen könnte man glauben, das Volum oder vielmehr die (Gewichts-) Menge der Luft sey es, was hier den Ausschlag gebe. Insbesondere spricht dafür obiger Umstand, daß eine Flasche bei gleicher Wassermenge einerlei Ton giebt, die Flasche mag stehen oder liegen, das Wasser also den Boden oder eine Seite einnehmen, und die Luftsäule folglich in der Länge oder Breite dadurch vermindert werden. Gleichwohl zeigt die zweite und die vierte jener Untersuchungen, daß Labialpfeifen und Flaschen, über ein Drittel ihrer Breite mit festen und zwar möglichst wenig elastischen Körpern erfüllt, wodurch doch eben so viel Luft entweichen muß, den noch nicht die mindeste Aenderung des Tones in seiner Höhe, sondern nur Schwächung desselben erleiden.

Man sieht also, daß nicht sowohl die Menge der Luft es ist, worauf es hier ankommt, als vielmehr die von den Wellen zu bestreitende Weglänge. Man sieht auch zugleich, daß dieß Beides, die Menge der Luft und die von ihren Wellen zurückzulegende Weglänge, nicht immer in so gleichem Verhältnisse zu einander stehen, als es wohl scheinen möchte. Durch die Einbringung jener festen Körper wird zwar ein Theil Luft aus dem Behältnisse verdrängt, und also die Luftmenge darin um so viel verringert. Das hindert jedoch die Wellen nicht, ihren Weg zwischen jenen festen Körpern hindurch [488] bis an die Wandung des Behältnisses fortzusetzen, sofern nicht jene festen Körper unter sich und mit der Wandung winddicht zusammenhängen. Es hindert sie auch nicht, diesen Weg in denselben Zeiträumen zurückzulegen. Daher das Gleichbleiben der Tonhöhe. Wohl aber muß die Stärke der Schwingungen durch die Schmälerung der schwingenden Luft und durch das Anstoßen und Reiben an den entgegenstehenden Körpern vermindert werden. Daher die Schwächung des Klanges. Anders verhält es sich, wenn die Länge des Weges für die Wellen der Luft durch einen winddicht absperrenden Körper, wie durch eingefülltes Wasser oder durch eine eingefalzte Zwischenwand abgekürzt wird. Dann freilich muß die Schwingung der Zeit nach kürzer und also der Ton höher werden.

So ergiebt sich denn hieraus hauptsächlich Folgendes:

1) Die Breite der tönenden Luftsäulen hat einen bedeutenden Einfluß auf ihre Tonhöhe. Je breiter eine Luftsäule, unter übrigens gleichen Umständen, desto tiefer der Ton.

2) Die Schwingung der tönenden Luftsäulen geschieht nicht nur in der Richtung der Länge, sondern auch in der Richtung der Breite und der Diagonalen zwischen der Länge und Breite.

3) Die Tonhöhe der tönenden Luftsäulen richtet sich, unter übrigens gleichen Umständen, nach der von den Wellen der Luft zurückzulegenden Weglänge viel mehr, als nach der Luftmenge.

4) Die Luftmenge der tönenden Luftsäulen und die von ihren Wellen zurückzulegende Weglänge nehmen nicht immer im gleichen Verhältnisse ab und zu, sondern unter gewissen Umständen nimmt die erstere ab, während die letztere sich gleich bleibt, wenn nämlich feste Körper einen Theil der Luft verdrängen, aber mit der Wandung des Behältnisses nicht winddicht zusammenhängen, so daß sie zwischen sich und dieser einen, wenn auch noch so schmalen, Weg für die Wellen der Luft übrig lassen.