Zum neuen Jahre
ZUM NEUEN JAHRE.
Wiederum verging ein Jahr,
Das nicht g’rad’ besonders war.
Diesen war’s ’ne gute Nummer,
Andern bracht’ es Leid und Kummer,
Gute Stunden – böse Stunden,
Herzen haben sich gefunden –
Sich getrennt, die einst verbunden,
Klein ward groß, und Groß gering.
Was mag in der Zukunft ruhn?
Und es fragen Feind und Freund sich:
Achtzehnhundertneunundneunzig,
Wird es ein vergnügtes Jahr?
Wird’s mit nimmer leeren Händen
Allen Glück und Segen spenden?
Oder bleibt es, wie es war?
Allen, wünsch’ ich, sei vom Glück
Was sie hoffen, soll’n sie schauen!
Und den Männern wie den Frauen
Sei das Jahr voll Sonnenschein!
Immer soll die Tugend siegen
Die sich lieben, soll’n sich kriegen,
Die sich kriegen, glücklich sein!
Gerst’ und Hopfen, Korn und Wein,
Obst und alles soll’n gedeihn!
Und nicht nur die dümmsten Bauern
Mächtige Kartoffeln bau’n.
Selbst in Schlesien und Sachsen
Soll ein gutes Weinchen wachsen,
Groß und dick und fett zu schau’n!
Dieses Jahr sei, hoch beglückt,
Mit dem Palmenzweig geschmückt!
In den Hütten, auf den Thronen
Friede unter jedem Dach.
Russen, Deutsche und Franzosen
Sollen miteinander kosen,
Lämmern gleich, die unter Rosen
Mit so vielgestalt’gem Wunsch
Trink’ ich den Sylvesterpunsch!
Und ich könnt’ mein Füllhorn rütteln
Und noch weiter Wünsche schütteln,
Doch was nutzt es: Lust und Plage,
Leid und Wonne, Freud’ und Klage,
Gute Tage, böse Tage
Bleiben doch der Lauf der Welt!
Heinrich Seidel.