Zum Gedenken
Das war damals, als sie bei Reinhardt noch „Was ihr wollt“ spielten. Aus diesem Stück ist mir ein Augenblick in der Erinnerung geblieben und wird wohl nie mehr daraus verschwinden.
Die Sache lag so, daß der ganze Keller sternhagelvoll war. Die Wangel spielte, Diegelmann schnarchte irgendwo unter einer Tischplatte, auch Waßmann stand nicht mehr fest auf seinen dünnen und jämmerlichen Junkerbeinen, und der Narr Moissi klimperte in dieser versoffenen Morgenstimmung auf der Guitarre. Es war in jeder Beziehung vier Uhr: das Fest vorm Erlöschen, der Alkohol vorm Verdunsten. Draußen hingen grau und weinerlich trübe Morgenwolken – und ob sich das nun in meinem Gedächtnis verwischt hat, ob wirklich diese Worte jetzt oder ein bißchen später gesprochen wurden –: jedenfalls rissen sich alle erwachend zusammen, torkelten unfroh durcheinander und brachen auf. Vorher, irgendwann am Abend, hatten sie auch von der Liebe gesprochen, und Teddy Waßmann hielt noch bei dieser Station. „Seine Gedanken begreiflicherweise Dämmern so weiter im alten Geleise.“ Und wie der dicke Diegelmann ihn fortziehen will: „Kommt, Junker! Kommt! Wir wollen gehen!“ – da ist es aus, die Rührung fällt ihn an, die blauen Augen füllen sich mit Wasser, sein Blick hängt verloren an der Rampe, und er sagt ganz leise, ganz gerührt, ganz in die Erinnerung versunken: „Mich … mich hat auch einmal Eine geliebt …!“ – Der Chor der Lärmer fiel darüber her, das Spiel ging weiter, aber er stand noch immer da, noch immer mit dem Kopfe wackelnd: kaum glaublich, und doch wie wahr! doch wie schön! Ihn – ihn hat auch einmal Eine …
Nachher kam noch sehr viel Hübsches, das man gern sah und doch wieder vergaß. Dies aber ist geblieben. Das freundliche Angedenken an einen armen, vom Leben ausgestoßenen Mann, der immer mit den Andern, den Glücklichen, kontrastierte, der sich nicht zu halten wußte, und dem das Wasser in die Augen schoß, weil ihn auch einmal Eine geliebt hatte.