Textdaten
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Autor: H. P.
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Titel: Zerstörte Hoffnungen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 117, 131–132
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[117]

Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.

Zerstörte Hoffnungen.
Nach dem Gemälde von Otto Kirberg.

[131] Zerstörte Hoffnungen. (Zu dem Bilde S. 117.) Es ist ein Stück herzergreifender Tragik, welches das Bild Otto Kirbergs uns vorführt. Wir schauen in die Häuslichkeit eines bejahrten holländischen Seemanns, der es durch eigene Kraft und Tüchtigkeit zu einem behäbigen Wohlstand gebracht und der sich nach vielen stürmischen Fahrten zur Ruhe gesetzt hat, um seinen Lebensabend im Kreise seiner Familie zu genießen. Die „Fortuna“, das schöne Schiff, welches unter seiner Führung mit so mancher gewinnbringenden Fracht in den heimischen Hafen einlief, hat er dem einzigen Sohne übergeben, der unter der väterlichen Zucht auf den Wellen des Weltmeeres zu einem der strammsten Kapitäne herangewachsen war. Während Willem, der Sohn, mit der „Fortuna“ fremde Länder aufsucht, führt der rüstige Alte das Regiment im Hause, und seine „Frauensleut’“ machen ihm dasselbe wirklich nicht schwer. Noch gestern abend saß Peter Adrian mit den Seinen gemüthlich an dem runden Tisch und las nach vollbrachter Tagesarbeit ein Kapitel aus der Familienbibel vor. Mutter Zwantje, sein treues Weib, hörte andächtig mit gefalteten Händen zu, während ihre Seele draußen auf den grollenden Nordseewogen den Sohn suchte, der sich mit der „Fortuna“ auf der Heimreise befand und der bald, vielleicht morgen schon, mit fröhlichem Gesicht bei ihnen eintreten konnte. Auch Karlien die Tochter, blickte zufrieden und sinnend drein; sie hatte den Jüngsten der Familie, den kleinen Pietter, zu Bett gebracht und überdachte nun noch einmal all die Lieblingsgerichte, die sie dem heimkehrenden Bruder kochen wollte, um ihm das Vaterhaus, das eigene Heim angenehm zu machen. Nur Antje, die junge Schwiegertochter, [132] Willems Frau, rückte unruhig auf dem Stuhle hin und her, richtete angstvolle Blicke nach dem Fenster, wo der Nachtwind heulend gegen die Scheiben fauchte, und horchte bang auf das Brausen des Meeres.

„Vater, ich bitt’ Euch, haltet ein! Ich ertrag’ das Stillsitzen nicht,“ flehte endlich die junge Frau, „hört Ihr nicht, wie der Wind kreischt und die See brüllt?“

Der alte Peter Adrian lächelte. „Willst ’ne richtige Schiffersfrau sein, Antje, und ein bißchen Blasen bringt Dich aus ’m ruhigen Kurs? Denk’ doch daran, daß ich selber fast zwanzig Jahre lang die ‚Fortuna‘ geführt und manches schlimmere Wetter mit dem guten Schiffe bestanden habe!“

„Aber Nachbar Geerd, der mit seinem Sohne die Küstenwache hat, sagte doch im Vorübergehen, wenn der Wind nicht abflaute, würden wir eine Sturmfluth besehen, wie noch nie eine an unsere Küsten schlug?“ fragte Antje zwischen Hoffen und ängstlichem Zweifel.

„Was der nicht schwatzt, der Geerd,“ spottete der Großvater, dem aber selber bei dem sich steigernden Unwetter nicht mehr ganz behaglich war. Ein neuer Sturmstoß ließ das Haus erbeben, und in das Windestoben mischte sich das dumpfe Donnern des Meeres, das seine aufgewühlten Fluthwellen mit furchtbarer Gewalt gegen die Deiche warf. Nichtsdestoweniger bestand der Alte darauf, daß zu rechter Zeit zu Bett gegangen wurde. Aber kein Schlaf kam in ihre Augen; die Vier lauschten allesammt auf das wilde Sturmkonzert in den Lüften und beteten stumm und reglos unter den schweren Federkissen für das Wohl des Einzigen, für den Sohn, den Bruder, den heißgeliebten Gatten. Nur das jüngste Menschenkind der Familie, das kleine Pietterchen, schlummerte sorglos in dieser Nacht wie in jeder anderen.

Als der regengraue Morgen anbrach, da hatte der Wind nachgelassen und die Hochfluth begann langsam zu sinken. Mutter Zwantje war schon früh an ihre wirthschaftlichen Arbeiten gegangen und hatte auch Karlien und Antje mit sanfter Gewalt zur gewohnten Thätigkeit angetrieben. Der Alte hielt am Giebelfenster Ausguck; Geerd mit seinem Sohne mußte hier vorbeikommen, und die beiden sollten ihm sagen, ob „draußen etwas passiert sei.“

Er brauchte nicht lange zu warten. Geerd und sein Hinnerk nahmen ihren Weg gerade auf das Haus zu, und mit ihnen kam ein Knabe, einer von den jugendlichen Strandbummlern, die an allen Hafenplätzen zu finden sind. Der Junge trug – ein Stück von einer Schiffsplanke.

Peter Adrian fühlt plötzlich seine Kniee zittern, er muß sich setzen, hat aber doch noch so viel Besinnung, daß er seiner Hausfrau zuruft: „Mutter, willst Du nicht für eine kleine Herzstärkung sorgen?“ Mutter Zwantje eilt in die Küche, und derweil hört der Alte, wie die Unglücksboten draußen ihre schweren nassen Seestiefel säubern, wie der Junge sogar seine Holzpantinen auszieht, um die frisch gewaschenen Fliesen des Hausflurs nicht zu beschmutzen. Das alte tapfere Seemannsherz schlägt ihm zum Zerspringen.

Die nun folgende Scene hat unser Künstler mit ergreifender Innigkeit und Wahrheit dargestellt. Es ist kein Zweifel mehr, die Hoffnung der Familie ist zerstört, ihr Glück vernichtet: die Buchstaben auf der angeschwemmten Planke zeigen ja den Namen „Fortuna“. Willem ist also tot, und mit ihm seine ganze Mannschaft; denn bei solch furchtbar tobendem Wetter konnte kein einziger aus dem Schiffbruch gerettet werden. Stramm und ungebeugt hört der alte Seemann den Bericht von der grausigen Strandung und dem Untergang seiner Brigg; Antje, Willems junge Frau, ist in besinnungslosem Schmerz zusammengebrochen, während Karlien, die Schwester, helfen und trösten möchte, wo ihr doch selber fast das Herz bricht. Nur das Pietterchen begreift nichts von dem unersetzlichen Verlust, den es erlitten hat, es schmiegt sich an Großvaters Knie und hört verwundert den beiden Männern zu, die so ernsthaft und eindringlich erzählen. In dem Kinde muß der schwergeprüften Familie ein Trost erblühen, denn, was die Gegenwart an Hoffnungen barg, das ist unerbittlich und grausam zerstört. H. P.