Zeitungs-Jungen in Nordamerika

Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Zeitungs-Jungen in Nordamerika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 544
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[544] Zeitungs-Jungen in Nordamerika. Der speculirende Charakter des Nordamerikaners entwickelt sich bei ihm schon in frühester Jugend, und ein vortrefflicher Beweis dafür sind die Zeitungs-Jungen in der ganzen Union, die bei der ungeheuern Verbreitung der Straßen-Literatur eine gar nicht etwa so unbedeutende Rolle spielen und bei Aufständen oder sonstigen Unruhen selbst eine Macht bilden. Bei dem Neger-Crawall in New-Orleans, der vor einigen Jahren stattfand, hielten sie sogar einmal eine ganze Zeit die Levee oder Dampfboot-Landung besetzt, und wehe dem unglücklichen Schwarzen oder sonstigen coloured gentlemen, der sich in Steinwurfsnähe blicken ließ. Wirklich interessant ist die Geschicklichkeit, mit der sie überhaupt manövriren, um die Exemplare der ihnen anvertrauten Zeitungen oder Flugblätter an den Mann zu bringen, und mit besonderer Geschicklichkeit benutzen sie dabei die Pferdeeisenbahnen der Stadt, auf denen allen sie freien und ungehinderten Zutritt haben.

An irgend einer Ecke springt ein Junge, den Arm voll Zeitungen, auf und ruft aus, welches Blatt oder welche Blätter er gerade colportirt. Eins setzt er auch gewöhnlich ab, denn man sieht ebenso wenig einen deutschen Staatsbürger ohne Regenschirm wie einen richtigen Yankee ohne mindestens ein Zeitungsblatt in der Hand, daß er denn auf Omnibus, Fährboot oder Straßeneisenbahn durchstudirt. Ist ihr Geschäft nun in diesem Waggon beendet, so springen sie ab und in den nächsten ihnen begegnenden hinein, ohne daß der Kutscher je die geringste Notiz von ihnen nähme. Bemerken sie aber Jemanden auf der Straße, der stehen bleibt und etwas sucht, denn ohne Zweck bleibt eben Niemand stehen, so sind sie auch im Nu an seiner Seite und verfehlen selten ihren Zweck. Man findet sie überall – beim Ein- und Aussteigen aus den Fährbooten, an Dampfboot- und Eisenbahnstationen, auf den Straßen, an den Kirchthüren, in den Restaurationen, an der Börse, an den Bankhäusern, selbst an den Theatern, kurz man ist nicht im Stande, ihnen zu entgehen. Aber sie sind auch lebendige Zeugen des steten, nie gestörten Interesses, das alle Welt dort nicht allein an dem Geschäftsgange, sondern auch an politischen Fragen nimmt. Der Amerikaner sitzt nicht stundenlang in Bierhäusern und politisirt, wobei er ungesunde Ideen in sich aufnimmt und verbreitet – leider ein allzu gewöhnliches Uebel bei uns – er liest und sieht selber und bildet sich dabei sein eigenes Urtheil, dem er treu bleibt – ausgenommen es lohnte sich vielleicht, anderer Meinung zu sein.

Höchst interessant ist es manchmal, diesen Zeitungs-Jungen zuzusehen, wie sie ihre Waare anbringen, und treffen sie Jemanden in ruhiger Zeit – denn sonst bekümmern sie sich um keinen Einzelnen –, der noch in Zweifel ist, ob er sich eine Zeitung kaufen soll oder nicht, so entscheiden sie das bald zu ihren Gunsten.

Ich saß eines Morgens in St. Louis am Fenster und schrieb, wobei ich die Aussicht auf die Straße hatte. Unten an der gegenüberliegenden Ecke, gerade neben einem neuen im Bau begriffenen Hause, stand ein Zeitungs-Junge, seine Blätter über dem Arme und schaute, die rechte Hand in der Tasche, mit einem ziemlich mißmuthigen Gesicht bald die, bald jene Straße hinunter. Aber es war vor der Hand schlechte Aussicht auf Absatz, noch dazu an einem Sonntagsmorgen, unter der Kirche und bei fast ganz menschenleeren Straßen. Wenn erst die Kirchen aus waren, kam mehr Leben in die Stadt.

Der Junge klopfte ungeduldig mit dem Fuß den Boden, denn die Streetcar. die eben vorbeikam, war gleichfalls leer oder hatte nur einige Damen-Passagiere. Da kam ein alter Neger die Straße herab und schien unschlüssig, ob er sich links oder rechts wenden sollte. Der Junge trat an ihn hinan, aber der Neger schüttelte mit dem Kopf. Er konnte keinenfalls lesen, was sollte er da mit einer Zeitung thun? Das half ihm aber nichts; der Junge hatte darin schon sicher Erfahrung. Ich konnte allerdings nicht hören. was er zu ihm sagte, aber ich sah, wie er ihn am Arme nahm und festhielt und ihm dabei aus der geöffneten Zeitung eine Stelle vorlas, die den Neger jedenfalls interessiren mußte. Er hörte eine kleine Weile zu, und als der junge Bursch plötzlich abbrach und die Zeitung wieder zusammenfaltete, griff er in die Tasche und kaufte sie, – er mußte das, wovon er eben den Anfang gehört, jedenfalls weiter erfahren. Der Junge verkaufte in der nächsten Viertelstunde sieben oder acht Blätter, bis eine volle Streetcar vorbeikam, auf der er noch keinen Concurrenten bemerkte. Mit wenigen Sätzen war er drüben und rollte dann mit ihr die Straße hinunter.

Fr. Gerstäcker.