Zedler:Wütende Heer, Wütendes Herr, Wütend Heer, oder Wütis Heer
Wütende Heer, Wütendes Herr, Wütend Heer, oder, wie es die Alten nenneten, Wütis Heer, Lat. Exercitus furiosus, wird beschrieben, daß ein Haufen Gespenster sey, so sich absonderlich in Thüringen und im Mansfeldischen nicht allein auf dem Felde; sondern auch in den Städten und Dörfern, um Weyhnachten und an dem Fastnachts-Donnerstage, sehen lassen.
Seinen Nahmen soll dieses Heer-Gespenste von dem Heydnischen Abgott Wodan haben, welcher Götze so wohl von den Nordischen alten Völkern, als den Deutschen verehret und angebetet worden.
Dessen Erscheinung ist vormahls folgender Gestalt bemercket worden: Vor dem Heer ist ein alter Mann mit einem weissen Stabe gegangen, der hat sich den treuen Eckard genennet, von dem der Artickel: Eckard, (der Getreue) im VIII Bande, p. 143 nachzulesen, und die Leute aus dem Wege gehen heissen, damit sie nicht Schaden nehmen möchten. Nach ihm sind etliche auf seltsam gestalten Pferden geritten und gegangen, und haben die Gestalten entweder neulich verstorbener oder noch lebender Leute gehabt. Das ist eine alte Sage von denjenigen Zeiten, da sich die Leute noch gar leichtlich äffen liessen, heutiges Tages aber weiß man in selbiger Gegend von solchen abentheurlichen Gespenster-Aufzügen nichts mehr. Hanß Friedrich von Flemming meldet im II Haupt-Theile seines deutschen Jägers, p. 35 u. f. folgendes vom wütenden Heere: Es ist bekannt, schreibet er, daß unterschiedene Leute, die des Nachts Reisen anstellen, sich gegen andere verlauten lassen, als ob sie an diesem oder jenem Orte in dem Walde ein Waldgeschrey gehöret, als ob eine Jagd gehalten würde, sie hätten das Blasen der Hüffthörner, das Lärmen der Jagenden und den Laut der Hunde gar eigentlich vernommen; ja manche sagen wohl gar, sie hätten die Jäger mit feurigen Augen, in gräßlicher Gestalt, und auf monströsen Pferden reutend gesehen. Dieser Aufzug wird von dem gemeinen Manne insgemein das wütende Heer genennet. Es soll sich dieses wütende Heer vor andern zwischen Gotha und Eisenach an den Grentzen des Hörselberges um die heilige Weyhnachten oder um die Fastenzeit hören lassen. Vor diesen Jagdleuten soll ein langer Mann mit einem grossen Stabe reuten, der die Reisenden warnet, und der treue Eckard genennet wird. In dem ertzgebürgischen Kreise, in dem Hartzwalde, ingleichen um Groitzsch herum, so bey Pegau lieget, und an andern Orten mehr, wird von dem wütenden Heere unterschiedenes erzehlet, und insgemein [1420]vorgegeben, es sey selbiges dieser oder jener verstorbene Graf oder Edelmann, der in seinem Leben ein grosser Liebhaber von der Jägerey gewesen, und dabey die Unterthanen sehr geplaget und gepeiniget hätte; dessen Geist müßte nun nach seinem Tode in diesem Walde beständig herumziehen. Wenn man nun über dieses wütende Heer urtheilen soll, fähret Flemming fort; so muß man erstlich wohl prüfen, ob dergleichen Erzehlungen mit der Wahrheit ihre Richtigkeit haben; und zum andern, was doch wohl der Grund von solchen Erscheinungen seyn könne. Was die Wahrheit von dergleichen Historien anlanget; so ist glaublich, daß das meiste, was man für Erscheinungen und für Spücken ausgiebet, Einbildung ist, oder doch sonst seine natürlichen Ursachen hat. Wenn mancher nicht auf seinen Berufswegen des Nachts herumstreichet, oder sonst von einem melancholischen Temperamente ist; so kan ihn jedes rauschendes Blatt erschrecken, seinen und seines Pferdes Schatten kan er bey Mondenschein für eine Erscheinung, und einen schwartzen Hund, der neben ihm herläufft, für den Satan halten. Der obgedachte Klang hat auch öffters seine natürlichen Ursachen: Denn wenn der Wind an die Spitzen der Bäume antrifft, so klinget es offt so helle, als ob in ein Hüffthorn gestossen würde. Das Bellen der Hunde in den Dörffern, welches man des Nachts gantz helle hören kan, und viel näher und deutlicher klinget, als am Tage, kan sich damit vereinigen; So können auch zu gleicher Zeit ein paar Leute von weitem in dem Walde reuten, die entweder ihrer Berufsgeschäffte wegen sich so lange verspätigen müssen, oder aber als Buschklepper ihrem Nächsten bey Gelegenheit auf den Dienst lauren; Und so ist denn im Gehirne desjenigen, der furchtsam ist, und nicht alle und jede Umstände in genaue Betrachtung ziehet, das wütende Heer beysammen. Wenn andere Leute zu anderer Zeit an eben diese Oerter kommen; so heißt es denn, sie würden nichts sehen, und hören: Denn es liesse sich nur zu mancher Zeit hören und sehen, zu einer andern aber nicht. Die Sonntags-Kinder wären nur vor andern so glücklich, oder vielmehr unglücklich, daß sie von dergleichen Dingen etwas vernähmen. Die wahre Ursache aber ist, daß andere Leute nicht so einfältig, nicht so furchtsam, und nicht so leichtgläubig seyn. Bey manchem Menschen werden auch durch allerhand optische Betrügereyen, wenn sie eines blöden Gesichtes, oder mit dem Klingen und Sausen der Ohren beschweret sind, solche Einbildungen wider die Wahrheit der Sachen eingepräget. Ob es nun zwar gewiß gnung ist, daß das meiste von dergleichen Sachen in der Phantasie der Leute entsponnen wird; so muß man doch auch bekennen, daß der Satan ebenfalls hierunter sein Spiel mit hat. Es ist diesem Fürsten der Finsterniß, der als ein Tausendkünstler sich auf mancherley Art zu verstellen weiß, nicht unmöglich, den Menschen dergleichen Blendwerck vorzumachen. Der grosse GOtt hat seine heiligen Ursachen, warum er dergleichen zulässet, vielleicht deswegen, daß man vor dem Satan, der auch in dieser Welt solch Unheil, und schreckensvolle Spectackel aufzuweisen vermag, einen desto grössern [1421]Abscheu haben soll. Es bekommt mancher einen Eckel und Grauen vor aller Gottlosigkeit, wenn er sich bey dergleichen Spücken vorstellet, daß dieses die Seele eines Gottlosen sey, der nach seinem Tode auf der Erde herum ziehen muß. Vielleicht können sich auch die Seelen der Gottlosen bey solcher Gesellschafft bisweilen einfinden. Man sage nicht, daß sie in der Hölle seyn, und daselbst eingeschlossen würden, mithin auf die Erde nicht kommen könnten. Es ist dieses einander nicht zuwider. Der Satan ist mit seinem gantzen Heer auch in der Hölle, und doch saget die Heilige Schrifft von den bösen Geistern, daß sie in der Lufft herrschen, und wie brüllende Löwen auf der Welt herum ziehen, um zu sehen, welchen sie verschlingen mögen. Diese böse Geister sind allezeit, sie seyn auch, wo sie wollen, an dem Orte ihrer Verdammniß und erwarten noch dazu mit Furcht und Zittern die Vergrösserung und Vermehrung ihrer Verdammniß und Quaal. Der Satan kan mancherley Ursachen haben, warum er sich auch in den Wäldern und einsamen Orten auf dergleichen Art sehen und hören lässet: Einmahl thut er es aus Hochmuth, weil es diesem verdammten Geiste, der in manchen Stücken sich gerne seinem Schöpffer ähnlich machen wolte, wohlgefället, daß man Furcht vor ihm hat; vornemlich aber thut er es, um die Menschen zu erschrecken, zu schabernacken, und zu plagen, daß sie in manchen Stücken von ihren ordentlichen Beruffs-Geschäfften sollen abgehalten werden, oder doch dieselben mit Kleinmüthigkeit, Angst und Schrecken verrichten. Theils geschiehet es auch wohl, daß die Wercke der Finsterniß von seinen Creaturen in den Wäldern desto besser können ausgeübet werden, und er die Seinen hierdurch auf ihren Wegen, vor andern, die sie etwann hierinne sonst hindern könnten, beschützen möchte. Also ist Flemming gewiß versichert, daß an denenjenigen Orten, wo man von dem wütenden Heere allerhand Erzehlungen machet, mancher furchtsamer Jäger und Förster, dessen Pflicht und Anweisung es sonst gemäß wäre, in den Wäldern herum zu wandern, des Nachts zu Hause bleibet, und inzwischen von andern gottlosen Leuten, die sich an das wütende Heer nicht kehren, auch wohl nichts davon zu sehen, noch zu hören bekommen, gnung Holtz dieblich entwendet wird. Damit sich nun kein Jäger durch die Historien des wütenden Heeres von seiner Schuldigkeit, die Nacht fleißig herum zu reuten, und auf die Wälder Achtung zu geben, abhalten laße; und auch überhaupt bey dergleichen Sachen nicht zu leichtgläubig, aber auch nicht zu ungläubig sey, als welches beydes nicht tauget; so will ihm Flemming folgende Anweisung ertheilen. Er thut wohl, wenn er glaubet, daß die bösen Geister durch göttliche Zulassung sich bisweilen auf mancherley Weise in dieser Welt sehen und hören lassen, indem man an der Wahrheit so viel glaubwürdiger Erzehlungen unmöglich zweiffeln kan; er muß aber auch dabey glauben, daß ihm der Satan, wenn er sich seinem Gott befohlen, und in seinen Berufswegen befindet, nicht ein Haar zu krümmen vermöge, und daß ihn der Schutz der Heiligen Engel vor aller Furcht und Schaden der bösen Geister sattsam [1422] bedecken und beschützen könne. Höret er in der Nacht ein gewiß Geschrey, oder siehet was ungewöhn1iches, so thut er wohl, wenn er gantz nahe dazu hintritt, und alle Umstände in genaue Erwägung ziehet, ob es natürlichen Ursachen zuzuschreiben, oder von einer satanischen Würckung herrühret. Hat er natürliche Ursachen gefunden so wird er sich in Zukunfft vor dem wütenden Heere nicht mehr fürchten; Erkennet er aber, daß der Satan mit darhinter sticket; so muß er sich deswegen doch nicht von seinem Berufe abhalten lassen, sich doch aber vorher durch ernstliches und andächtiges Gebet Gott befehlen, und sich auf den Schutz der Heiligen Engel verlassen. Er thut auch wohl, wenn er ein andermahl einige Gefehrten mit zu sich nimmt, und es dem Priester oder seinen Vorgesetzten anzeiget, was er hier und da von der gleichen Sachen wahrgenommen, damit die Obrigkeit das Nöthige, dem Geistlichen und Leiblichen nach, hierbey besorgen möge. In den vorigen Zeiten waren dergleichen Erzehlung von dem wütenden Heere, von den Wassernixen, von den Kobolden von dem Spücken der Irrwische und andern, ingleichen von den Hexen und ihren Zusammenkünfften, die sie auf den Blocksberge hielten, gewöhnlicher als jetzund, und zwar wegen verschiedener Ursachen. Zum ersten waren die Leute in den vorigen Zeiten, viel leichtgläubiger und abergläubischer, als heutiges Tages; sie erkannten die natürlichen Würckungen nicht so, als jetzund, sondern hielten alles, was sie nicht alle Tage zu sehen bekamen, ob es gleich seine natürlichen Ursachen hatte, für Wunder-Dinge und Wunderwerke. Da das Heydenthum regierte, so wurden die Leute von den Pfaffen noch mehr in dergleichen bestärcket, und sie bedieneten sich der Gespenster-Historien als Mittel, ihre Betrügereyen und Eigennutz desto besser zu befördern. Ja, je näher die Zeiten der heydnischen Finsterniß gewesen, desto mehr hat sich die Gewalt und Macht des Geistes der Finsterniß, auch durch äusserliches Erscheinen, Spücken und Poltern erwiesen. Nachdem aber das helle Licht des Evangelii aufgegangen, so hat der Satan auch nicht mehr so viel Macht, als vor dem, sichtbarlich zu erscheinen. Er will auch in furchtsamer Gestalt vielleicht deswegen nicht mehr erscheinen, damit er die grosse Menge derer, in dem er leider! in den jetzigen Zeiten sein Werck hat, nicht erschrecke, und desto mehr Leute, indem er seine äusserliche Gestalt verbirget, dadurch in sein Netz locke, da er ihnen auf eine unsichtbare Weise erscheinet. Einige Naturlehrer der ältern und neuern Zeiten wissen anzuführen, daß in jeder Sache, so wohl aus den Gewächs- als Thierreiche, wenn sie zu Asche gebrannt, solche Saltztheilgen enthalten sind die nach den zärtesten Lineamenten die äusserliche Gestalt derselben Sache vorstellig machten; Sie wollen mit viel Exempeln erweisen, daß sich auf diese Art mancherley Pflantzen, ja auch, so gar einige Blumen mit ihren unterschiedenen Farben, und Vögel darstelleten: weil in dem Wesen der Saltze die besondere Gestalt der Cörper, daraus die Saltze gezogen wären, sich befände, und daß, wenn der Cörper gleich zerstöret, man dennoch dieselbe äusserliche Gestalt verwahren, und unter der Figur eines [1423]Schattens, oder einer dicken Wolcke, so aus Dünsten und Ausrauchungen bestünde, sehen könte. Solte nun dem also seyn, welches doch sehr viel Chymisten behaupten, und allerhand glaubwürdige Experimente davon anführen; so könnte das wütende Heer seine natürlichen Ursachen haben. Vielleicht sind es die Schatten der Jäger, so etwan in dem Walde einmahl von andern erschlagen worden, oder sonst darinne geblieben, und der Wind führet vielleicht die Schatten der andern Pferde und Hunde nach ihren Saltztheilgen in der Gestalt zusammen. Solte aber jemand in den Gedancken stehen, als ob dieses nicht sonderlich glaubwürdig sey; indem der Wind und die Lufft diese subtile Theilgen schwerlich bey einander erhalten würde oder auch, daß diese Schatten der Hunde kein Bellen, und die Schatten der Jäger keinen Laut der Hüffthörner, oder anderes Jagdgeschrey von sich geben könnten; so will Flemming deswegen mit niemanden einen Proceß anfangen. Von dem wütenden Heer kan übrigens weiter nachgelesen werden Prätor von Blocksberge Theil I, c. 1; Valvasors Ehre des Hertzogthums Cärnthen p. 456. Franciscus in seinem Höllischen Proteus, c. 58. p. 529. von Eckart Comment. Rer. Franc. T. I, p. 276 und 434. Flemmings Deutscher Jäger Theil II, p. 35 u. ff. von Falckenstein Nordgauische Alterthümer Theil I, p. 297; Bräuners Physicalische- oder Historisch erörterte Curiositäten, p. 373 u. f. Tharsanders Schauplatz vieler ungereimten Meynungen I Band, p. 444 u. ff. Gregorii Beschreibung der berühmtesten Berge, p. 485 u. ff. Siehe auch den Artickel: Spectrum, im XXXVIII Bande, p. 1372.