Zedler:Visitation
Visitation, Lat. Visitatio, heisset insgemein eine von der Obrigkeit angestellte Untersuchung. Also werden die Apothecken jährlich visitiret, und [1839] derselben Zustand erforschet. Gerichts- Raths- und dergleichen Häuser werden visitiret, wenn bey der Verwaltung einige Gebrechen bemercket werden. Seckend. Insonderheit werden in den Kirchen Visitationes angestellet, und ist ein jeder Bischoff schuldig seinen Sprenckel jährlich entweder selbst oder durch seine hierzu verordnete, und besonders vereydete Visitatoren zu visitiren, damit der Zustand der Kirchen, derselben Vermögen und Einkommen, sammt deren Verwaltung, das Verhalten der Kirchen-Diener und der Zuhörer untersucht und denen einschleichenden Mißbräuchen zeitig vorgebeuget werde. Besoldus. Nach denen Chur Sächsischen Rechten sollen die Visitationen der Kirchen, Schulen und Universitäten fleißig gehalten werden, Landes-Ordn. tit. von der Visitation, Resol. Gravam. 1661, Consistorial-Sachen §. 17. 24. Land-Tags-Abschied 1711. Zu Visitation der drey Fürsten-Schulen sollen die Städte Leipzig, Wittenberg und Freyberg gezogen werden, Resol. Gravam. 1661, Consistorial-Sachen §. 26; und bey der Kirchen-Rechnung zugleich Local-Visitation gehalten werden. Mandat 1706. Von denen Visitationen der Kirchen und Schulen in Chur-Sachsen sind insonderheit folgende zweye merckwürdig. Die eine wurde im Jahr 1528 angestellet und hat viele Jahre hindurch gedauret. Es solten dadurch die Mißbräuche und Unordnungen gehoben, und Evangelische Kirchen-Ordnungen eingeführt werden. Im Chur Creyse und Meissen, soviel dem Chur Fürsten gehörte, visitirten Lutherus, Jonas und Pommer, welchen von Politicis der Hauptmann zu Wittenberg Johann Mezsch, D. Pauli, Bernhard von Hirschfeld und Johann von Taubenheim zugefügt waren. Im Oster-Lande und Voigt-Lande waren Spalatinns, Antonius Musa und Wolfgang Fuß von Theologis; von Politicis aber der Baron von Wildenfels u. a. in Thüringen Melanchthon, Myconius, und Justus Menius: von Politicis Johann Planitz, D. Hieronymus Schurff u. a. In Francken Nicolaus Kind, Pfarrer zu Eisfeld, Johann Langer und Balthasar Thüring, Prediger zu Coburg; Politici Johann von Sternberg, Johann Schott u. a. Sonst ward diese Kirchen-Visitation mit grossen Glimpf vorgenommen. Man zwang niemanden, sondern ermahnte nur die halsstarrigen Mönche und Pfaffen, die sich dem Evangelio noch wiedersetzten, und duldete Mönche und Nonnen, wo sie nur ein erbares Leben führten. Die Pfarrer, so Besserung in Lehr und Leben versprachen, blieben bey ihren Aemtern; nur musten sie die Concubinen abschaffen oder heyrathen. Ueberhaupt wollen wir diejenigen 31 Puncte, worauf die bestellten Kirchen-Visitatores ihr Augenmerck richten solten, allhier unsern Lesern mittheilen:
1. Solten sie die Reformation mit jedes Ortes vorgesetzten Obrigkeit Vorwissen anstellen.
2. Derselben anzeigen, warum Ihro Fürstliche Gnaden solch Werck fürgenommen.
3. Nachfragen, wie sich die Lehrer und Prediger bisher mit Predigen und Austheilung der Sacramenten gehalten, da Mangel an tüchtigen Personen zu spüren, an deren Stelle geschicktere zu [1840] verordnen, denen Abgedanckten, auch denen, welche verlebte Leute, so Alters halber ihrem Beruff nicht mehr vorstehen könnten, gewisse Provisiones auf ihr Leben zuwilligen.
4. Oder dieselben ein- für allemahl mit einer ziemlichen Abfertigung zu dimittiren.
5. Mit Fleiß Erkundigung einzuziehen, ob unter geistlichen oder weltlichen Personen, welche vorhanden, die dem Wiedertäufferischen Schwarme anhängig, selbige darvon mit nöthigen Unterricht abzumahnen; wiedrigenfalls, und bey versparender Unbußfertigkeit, denenselben aus dem Lande zugehen gebieten.
6. An allen Orten Pfarrern, Predigern, und Schulmeistern zu untersagen, daß sich keiner unterstehen solte anders zu lehren, oder zu predigen, oder der Sacramenten und Ceremonien halber anders zu handeln, denn nach Gottes Wort, und in aller Einfalt, wie die Lehre von Ihrer Fürstl. Gnaden selbst angenommen, und das Haus zu Sachsen solche vor Kayserliche Majestät und dem gantzen Reiche auf dem Reichs-Tage zu Augspurg bekannt hätte.
7. In ihrer Gegenwart in allen Städten und Orten den Gemeinden durch die Priester verkündigen zu lassen, daß Ihre Fürstliche Gnaden nicht gemeynet, in ihrem Fürstenthum und Landen, wiedrige Lehren zu dulden, wer es anders halten, oder schimpflich, unchristlich und lästerlich von den Sacramenten reden würde, solle ernster Straffe gewärtig seyn.
8. Da befunden würde, daß die Personen so jedes Orts zur Seel-Sorge und Schulen nöthig, zu wenig die Verfügung zuthun, damit an Anzahl der Leute kein Mangel se?
9. Erkundigung einzuziehen, ob die Kirchen- und Schul-Diener mit genungsamen Einkünfften versehen?
10. Da sichs füglich wolte thun lassen, zwey Pfarren zusammen zuschlagen.
11. Da die Collatores dieses Mittel nicht gerne eingehen möchten, sie zu bescheiden, daß einer um den andern das Jus patronatus haben solte.
12. Die Güter und Zehenden, so von der Kirche und Kloster gezogen worden, wiederum denen Kirchen und Priestern zuzueignen, daß sie aus den Klöstern den Pfarrern forthin gefolget würden.
13. Die Lehen, als Altaria und andere, so in Städten und Dörfern gestifftet, wenn die eröffnet würden, in die gemeinen Kirch-Kasten zuwenden, und die Nutzungen derselben zu Unterhaltung der Prediger und Kirchen-Diener zugebrauchen.
14. Die Lehen-Herrn oder Collatores zu bescheiden, daß sie keine Priester annehmen solten, sie wären denn von den Visitatoribus oder Superintendenten dazu für tüchtig erkannt.
15. Die Pensionen, so vor Zeiten die Klöster und andere Geistliche von den Pfarrern in Städten und Dörfern jährlich gehabt, hinführo zu Unterhaltung der Pfarrer, Prediger und Kirchen-Diener gebrauchen lassen. [1841]
16. Die Wohnungen der Kirchen-Diener in Städten und Dörfern von den Pfarrern in baulichen Wesen zuerhalten, oder da Haupt-Gebäude zuführen, dasselbe durch die Eingepfarrten zu verrichten, Anordnung zumachen.
17. In allerseits Klöstern so wohl bey Manns- als Weibs-Personen zu verschaffen, daß sie sich der Ordens-Kleider enthalten und sonsten ehrliche Kleidung tragen solten. Wer auch aus den Klöstern wolte, solche mit Ausstattung nach Vermögen seines Einbringens und Gelegenheit des Klosters versorget werden.
18. Was durch die Visitatores verordnet, darüber sollen die nechsten Beamten die Executiones haben.
19. Kleinodien, Monstrantzen, und Kelche der Kirchen würden sie zu fernerer Verordnung solches GOtt zu ehren künfftig nützlich zugebrauchen, bey den Räthen in Städten in Verwahrung zugeben, überley Kirchen-Geräthe nützlich verkauffen, und das Vermögen der Kirche und deren Dienern zum Besten anwenden zulassen wissen.
20. Wo jemand von Zinsen, Kleinodien oder Kirchen-Geräthe, oder an Gütern etwas an sich gezogen, dasselbe wieder erstatten und zu GOttes Ehre anwenden zu lassen.
21. Da die wiederkäufliche Stämme, so die geistlichen Lehen aussenständig, das 100 höher den mit 5 verzinset würden, die Verordnung zuthun, daß den ausgegangenen Chur- und Fürstlichen Satzungen gemäß von 100 nicht mehr denn 5 genommen würden.
22. Den Kirchen und Schul-Dienern ihren Decem, Zinse, und andere Gerechtigkeit auf einen gewissen Tag zu entrichten, und das Getreyde an tüchtigen Körnern zu erschütten, Verfügung thun.
23. Der Pfarrer und Kirchen-Diener Einkünffte in gewisse richtige Verzeichnisse fassen zulassen damit ihnen künfftig nichts entzogen werden könnte.
24. So auch 2 Pfarren zusammen geschlagen, solten sie Macht haben zu erlauben, daß die ledige Wohnung verkaufft und das Geld zu den Kirchen-Gütern gebrauchet würde.
25. Verordnen, daß da einer, wie billig, St. Pauli Ordnung nach vociret und sonst nicht in Dienste des Wortes GOttes vorher gewesen wäre, derselbe zu den Gelehrten nach Leipzig geschickt, alda examiniret, und so er zu solchen hohen göttlichen Amte tüchtig befunden, und eher nicht, darzu erfordert würde.
26. Jedoch wäre unnöthig einigerley sonderliche Ceremonien oder Ordination dabey fürzunehmen.
27. Den Magistratibus in Städten zwar die Denominationes der Pfarrer verstatten, aber dieselben nicht ohne ihr, der Visitatoren, Vorwissen annehmen lassen.
28. In der Bischöffe unmittelbaren Flecken und Städte das Reformations-Werck noch bis auf der Unterthanen Ansuchen verschieben.
29. In Ehe-Sachen Anstalt machen, daß dieselbe durch jedes Orts geist- und weltliche Obrigkeit nach GOttes Wort entschieden: oder in beschwerlichen sorglichen Fällen bey der Juristen-Facultät in Leipzig rechtlich erkennet wurde. [1842]
30. Die Winckel-Ehe-Gelübden, so ohne Verwilligung der Eltern, Vormünder, oder nechsten Freunden, welche an der Eltern statt zu achten, geschehen, durch ein General-Edict mit Aufsetzung einer Pön aufheben.
31. In Städten oder sonsten Aufsicht bestellen, ob Mönche, sonderlich des Bettel-Ordens, sich des Predigens und Meßhaltens noch unterstünden, und die Leute zu sich ins Kloster zögen, solchen Falls denselben Auflage zuthun, davon abzustehen oder da dieses nichts verfangen wolte, Ihnen andeuten das Land zuräumen Seckendorfs Historie des Luterthums p. 883. u. ff. Chyträus Sax. 338. Lutherus T. IV. Altenb. p. 389. Vogels Leipziger Annales p. 140. u. ff.
Die andere allgemeine Kirchen-Visitation aller Schulen und Kirchen in Sachsen ereignete sich nach dem Tode Churfürstens Christiani I. 1591 auf Befehl des damahligen Administratoris Hertzog Friedrich Wilhelms, um die heimlichen Calvinisten zu erforschen, und selbige aus allen geist- und weltlichen Aemtern und Collegiis zu schaffen. Der Anfang dieses Visitations-Wercks wurde am 8 Sonntage nach Trinitatis 1592 mit einer solennen Predigt zu Torgau gemacht und solches hernach eyfrig fortgesetzet. Die darzu deputirten Personen waren von den Politicis Herr Joachim von Beust, Joh. Löser, Erb-Marschall, Johann Friedrich von Schönberg und Johann von Ponickau; von den Theologen aber Johann Mirus, Georgius Mylius, Aegidius Hunnius, Burchardus Herbertus, Josua Lonnerus und Wolffgang Mamphrasius. Das gantze Werck zielte vornehmlich auf die Befestigung der reinen Lehre und Vertreibung der bisher eingeschlichenen Calvinischen Irrthümer, zu welchem Ende man unter andern die so genannten Visitations-Articul verfertigte. Es sind derselbigen 4, und handelt der erste vom Heil. Nachtmahle; der andere von der Person Christi; der dritte von der Heil. Tauffe und der vierdte von der Gnaden-Wahl und ewigen Versehung GOttes welche auf die Art, wie in der Formula Concordiae geschehen, eingerichtet worden, daß man nicht nur die reine Lehre vorgetragen; sondern auch das Gegentheil unter dem Titul: falsche und irrige Lehre derer Calvinisten, hinzugefügt. Im Jahr 1593 wurden diese Artickel in öffentlichen Druck gestellet unter der Ueberschrifft: Visitations-Articul im gantzen Chur-Creyß Sachsen. Samt derer Calvinisten negativa und Gegen-Lehre; und die Form der Subscription, welchergestalt dieselbe beyden Partheyen sich zu unterschreiben, sind vorgelegt worden. Von unsern Theologen haben einige besondere Erläuterungen darüber verfertiget, als Friedrich Balduinus In disputationibus tredecim pro aureolo visitationis Misnicae libello, in quo articuli IV cardinem salutis nostre concernentes compendiose & orthodoxe per thesin & antithesin explicantur; hinc autem fusius nonnihil ex sacra scriptura & sincerorum theologorum scriptis reperuntur, davon die andere Edition zu Wittenberg 1620 herausgekommen; ferner Daniel Henrici, der darüber 5 Disputationes gehalten, 1662 gedruckt worden, und Friedrich Rappolt in introductione in articulos visitatorios, [1843] die sich in dessen Operibus theologicis p. 871. u. ff. befindet. Unter den Reformirten hat Samuel Strimesius eine besondere Schrifft in visitatorios IV. articulos Saxonicos hinterlassen, welche nach dessen Todte mit eimer Vorrede Herrn Pauli Ernesti Jablonsky 1730 zum Vorschein kommen; wie denn auch zur Vertheidigung solcher Articul eine gründliche Verantwortung derer 4 streitigen Articul ans Licht getreten, welche wie man dafür hält, Aegidius Hunnius aufgesetzet hat. Die Folgen dieser Visitation waren vor diejenigen, die bey ihren Meynungen hartnäckigt beharreten, sehr gefährlich und bitter. Der Cantzler D. Nicolaus Crell wurde so gleich nach dem Todte Christiani I mit Arrest belegt. D. Christoph Gundermann, Pastor in Leipzig, muste ins Gefängniß gehen. D. Urbanus Pierius, Supperintendens und Professor zu Wittenberg, die beyden Hof-Prediger in Dreßden, Johann Salmuth und David Steinbach, nebst vielen andern hatten ein gleiches Schicksal. Jedoch wurden sie alle gegen einen gewissen Revers wieder losgelassen, bis auf Nicolaum Crell, welcher den 17 Novemb. desselben Jahres nach den Königstein gebracht, und den 9 October zu Dreßden mit dem Schwerdte hingerichtet wurde, nachdem er vorhero in der Böhmischen Appellations-Kammer zu Prag auf die harte Anklage der Ritterschafft darzu verdammt worden. Walchs Religions-Streitigkeiten ausser der Evangelisch-Lutherischen Kirche III Th. p. 96. u. ff. Unschuldige Nachrichten 1711 p. 83. u. ff. 1712 p. 519. Lundorpii Contin. Sleid. T. II. L. XXXII. p. 861 u. ff.
Sonst sind auch in Städten und Dörffern die Häuser wegen Feuers-Gefahr. General-Verordn. 1719. Die Wirths-Häuser wegen der Spitzbuben und Räuber, Mandat 1711. Die Wein- und Bier-Keller wegen der Accise, Instruction 1703 die Korn-Böden zu theurer Zeit wegen verhandenen Vorraths zu visitiren. Mandat 1719. 1720. Womit auch in den meisten Stücken die Hochfürstlich-Sachsen-Gothaische und andere Landes- und Kirchen-Ordnungen übereinstimmen, nach welchen zu Zeiten nicht weniger auch die Hospitäler, Lazarethe, Gefängnisse, Zucht und Waysen-Häuser zu visitiren, und alle dabey sich eräugnende Mängel bestmöglichst abzustellen sind. Siehe übrigens die Artickel Visitare; Schau, im XXXIV Bande, p. 995, und Inspectio, im XIV Bande, p. 746. u. ff.