Zedler:Umstand, Umstände

Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste
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Umstossen, oder Umstossung, und Umgestossen

Band: 49 (1746), Spalte: 1063–1067. (Scan)

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Umstand, Umstände, Lat. Circumstantiae, sind, die einen Theil des Zusammenhanges der Dinge ausmachen und der Grund wahrscheinlicher Vermuthungen sind. Sie werden von den Rheroricis in die Umstände theils der Personen, theils der Sachen theils der Verrichtungen oder Handlungen eingetheilet. Die Umstände der Personen, werden eingetheilet 1) in die Gaben des Gemüths als da ist: Scharffsinnigkeit, Gelehrsamkeit, Klugheit, Tugend; 2.) in die Gaben des Leibes, als da ist: die Schönheit, Stärcke, Gesundheit; 3)in die Gaben des Glücks, als da ist: Adel, Ehre, Freundschafft, Reichthum, u. d. g. Die Umstände der Sachen sind die sogenannten pro pria und accidentia, z. E. Das Königreich Preußen ist ein volckreiches, ein fruchtbares, ein geseegnetes Land. Die Umstände der Verrichtungen oder Handlungen, Lat. Circumstantiae, sind dreyerley: Entweder ich beschreibe was vorgegangen (antecedentia) was bey der Handlung selbst vorgelauffen (concomitantia) und was endlich erfolget ist, (consequentia); Oder man brauchet den bekannten Vers: Quis? Quid? ubi? quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? In der Rede Kunst wird sonderlich auf die Umstände der Zeit und des Ortes gesehen: Dahin gehöret alles, was zur selben Zeit, oder an selbigen Ort merckwürdiges geschehen; also können die Jahres-Zeiten, die Sonn- und Fest-Tage, die merckwürdige-Tage im Calender, die himmlischen Zeichen und Aspecten, berühmte Belagerungen, und Feld-Schlachten, Glücks und Unglücks-Fälle hoher Personen, so sich zu selbiger Zeit ereignen, u. d. g. Anlas zu artigen Einfällen geben. Kemmerichs Academie der Wissenschafften II Th p. 813. u. ff. In Logicalischem Verstande sind die Umstände, oder alles das, was wir an dem Object empfinden, der Grund wahrscheinlicher Vermuthungen oder einer supponirten Hypethesi. Es kommet demnach eine Hypothesis mit einem Umstande [1064] des Objects darinnen überein, wenn dieser letztere aus der Hypothesi, als ein Effect aus seiner causa, durch richtige Folge sich schliessen, und solcher gestalt die Art und Weise, wie er zugehe, sich erklären lässet. Also ist z. E. die Coppernicanische Hypothesis oder Vermuthung von dem Weltbau, oder Systemate Mundi, allerdings wahrscheinlich, weil alle Umstände, die man an dem Welt-Gebäude und dessen Bewegungen wahrnimmt, sich aus derselben durch richtige Folge herleiten, und in Ansehung der Art und Weise, wie sie zugehen, verstehen lassen. Die Ptolomäische Hypothesis hingegen ist nicht wahrscheinlich, weil unterschiedene wichtige Umstände der Bewegung der grossen Welt-Cörper, insonderheit des Mercurii und Veneris, sich mit derselbigen auf keine Weise zusammen reimen lassen; z. E. Es kan aus dieser Hypothesi nicht begrieffen werden, wie es komme, daß die Erdkugel niemahls zwischen der Sonne und dem Mercurio oder Venere zustehen komme. Die Umstände des Objects, auf deren Uebereinstimmung mit der Hypothesi die Wahrscheinlichkeit gegründet ist, können von zweyerley Gattung seyn. Einige eräugnen sich an den Object von Natur und ohne unser Zuthun; andere hingegen durch allerhand so wohl theoretische als practische Versuche der Menschen, die man insgemein Experimente nennet. Wer demnach in wahrscheinlichen Wissenschafften etwas leisten will, der muß zuförderst die völlige Historie des Objects, d. i. alles, was sich mit demselben begiebet, nach allen Umständen inne haben. Denn die Uebereinstimmung nicht etwa nur mit einem oder dem andern, sondern, so viel möglich, mit allen Umständen des Objects, machet eine Hypothesin wahrscheinlich. Wem es dahero nicht gegeben ist, die Historie eines Objects inne zu haben, z. E. einem Privat-Manne die eigentlichen Umstände der Staats-Geschäffte, der wird, so weit die Umstände der Sache ihm verborgen sind, kein sattsam gegründetes Urtheil fällen können, was in Ansehung, derselben glaublich sey. Hieraus erhellet der Unterscheid zwischen einem demonstrativen und probablen Beweise. In jenem ist ein eintziger wohlgegründeter, und mit demonstrativer Gewißheit schliessender Beweisgrund so gut als tausend; indem ein jeder, eben, weil er demonstrativ ist, die Möglichkeit des Gegentheils ausschliesset. In einem probablen Beweise hingegen, der von der Uebereinstimmung der Umstände mit der zu beweisenden Hypothesi hergenommen wird, beweiset ein eintziger Umstand nichts; wenn er auch gleich durch demonstrative Folge aus der Hypothesi hergeleitet werden könnte; gleichwie auch, wenn gleich alle Umstände des Objects mit demonstrativer Folge aus der Hypothesi hergeleitet werden könten, die Hypothesis dennnoch durch solche demonstrative Uebereinstimmung nicht demonstrativ, sondern nur höchst wahrscheinlich wird. Denn in der Hypothetischen Nothwendigkeit, dergleichen in dieser demonstrativen Uebereinstimmung ist, wäre es ein grober paralogismus, von der Wahrheit und demonstrativen Folge des consequentis auf eine ebenfalls unstreitige Wahrheit des antecedentis zu schliessen. In einem Beweise demnach, der demonstrativ seyn soll, kan die Vielheit der Gründe, [1065] deren man sich bedienet, den Mangel der demonstrativen Folge, der sich in ihnen eintzeln befindet, auf keine Weise ersetzen; wohl aber in den probablen Beweise einer Hypotheseos, als in welchem, obgleich aus keinem derer zum Beweise angezogenen Umstände des Objects, wenn man nehmlich einen jeden Umstand allein zum Beweiß annehmen wolte, die Hypothesis weder gewiß noch wahrscheinlich folget, dennoch die Uebereinstimmung ihrer aller mit der Hypothesi allerdings eine Wahrscheinlichkeit, die ihren Beyfall verdienet, hervorbringet. Wenn ein Umstand des Objects mit einer Hypothesi nicht übereinstimmend befunden wird, so kan solches auf zweyerley Art geschehen; Denn der Umstand wiederspricht entweder der Hypothesi, oder er wiederspricht ihr zwar eben nicht; man kan aber nur nicht absehen, wie er aus der Hypothesi folgen, und also aus derselben, wie er eigentlich zugehe, begriffen werden könne. Im ersten Fall, da sich nehmlich ein wiedersprechender Umstand findet, ist die Hypothesis nicht vor wahrscheinlich anzunehmen, sondern vielmehr in Ansehung des Wiederspruches, wenn demselben auf keine Weise abzuhelfen ist, als eine demonstrative Falschheit zu verwerffen; wenn auch gleich sonst sehr viele gar wohl übereinstimmende Umstände sich finden solten. Im andern Fall hingegen, wenn sich nehmlich nur unverständliche oder schwierige Umstände an dem Object hervorthun, ist ein Unterschied zu machen, ob deren nur etwa einer und der andere, oder aber sehr viele sich zeigen. Wenn dieses letztere ist, so ist die Hypothesis, in Ansehung des so vielfältigen Mangels der Uebereinstimmung vor unwahrscheinlich zu halten, und zwar mehr oder weniger, nachdem solche Schwierigkeiten, oder unverständliche Umstände denen übereinstimmenden oder verständlichen an Anzahl nahe kommen, oder nicht, öder selbige wohl gar übertreffen. Ist aber nur etwa einer oder der andere unverständlich, und die übrigen stimmen mit der Hypothesi in grosser Anzahl überein; so höret wegen der Schwierigkeit etwa eines oder weniger Umstände, die Hypothesis nicht sogleich auf, vermuthlich zu seyn; dieweil solche Schwierigkeit oder Unverständlichkeit vielleicht aus dem Mangel des ingenii, oder daß man etwa der Neben-Umstände eines solchen Umstandes nicht sattsam kundig ist, herrühren kan; dahero auch offt mit der Zeit, wenn man von solchen Neben-Umständen mehr und mehr Erkundigung einzuziehen Gelegenheit findet, eine solche Anfangs anscheinende Schwierigkeit sich gar leicht heben lässet; obwohl die Beysorge des Gegentheils durch einen und den andern solchen unverständlichen Umstand, wenn man auf keine Wege siehet, wie ihm abzuhelffen sey, in etwas vermehret werden kan. Rüdiger de sensu Veri & Fals. III. c. 1. §. 11 u. ff. Zuweilen widerspricht ein Umstand der Sache einer sonst guten und mit allen andern Umständen wohl übereinstimmenden Hypothesi hur zum Schein; indem alle Ideen und Propositionen, unter denen ein wahrhafftet Wiederspruch seyn soll, allen Umständen nach in einerley Absehen und Betrachtung genommen werden müssen, und es sich leicht begeben kan, daß entweder von der an sich selbst guten Hypothesi, oder [1066] von dem Umstande, der ihr zu wiedersprechen scheinet, etwa ein kleiner Neben-Umstand unbekannt ist, welcher, wenn er entweder durch Hülffe des Ingenii, oder durch genauere Erfahrung, sich endlich findet, der Wiederspruch, oder auch die Schwierigkeit hinwegfält. Dahero folget daß man dem anscheinenden Wiederspruche oder auch nur der Schwierigkeit eines Umstandes, zuweilen dadurch abhelffen, und also die Wahrscheinlichkeit der Hypotheseos sicherer und vollkommener machen könne, wenn man zur Hypothesi einen an sich selbst möglichen Zusatz, oder zu dem wiedersprechenden oder schwierigen Umstande eine eigene Hypothesin oder probable Raison zu finden weiß, vermittelst deren, wenn man sie setzet, der Wiederspruch oder die Schwierigkeit hinwegfalle. Dergleichen Zusatz, oder Neben-Hypothesin, nennet D. Rüdiger de Sensu Veri & Falsi Lib. III. c. 1. §. 14. Lit. I. hypothesin subsidiariam; und erhellet aus der Natur der Wahrscheinlichkeit überhaupt, daß dergleichen Zusatz oder Neben-Hypotheses, wenn sie anders vor wahrscheinlich, und nicht vor eine blosse Mögligkeit oder Gedicht paßiren soll, nicht etwa nur mit dem unverständlichen, oder dem Schein nach wiedersprechenden Umstande, wegen welches sie angenommen wird, sondern auch mit den andern Umständen des Objects, so gut als die Haupt-Hypothesis, übereinkommen müsse. Wenn derowegen bey einer sonst sehr wahrscheinlichen Hypothesis sich noch eine und andere Schwierigkeiten finden; so ist solches eins Anzeigung daß entweder die Hypothesis vielleicht noch unvollkommen, und zu derselben noch etwas hinzuzuthun sey; oder daß man vielleicht von den Neben-Umständen das mit der Hypothesi noch nicht zum besten übereinkommenden Hauptumstandes nicht genugsame Erfahrung habe; oder auch, daß ein solcher Umstand vielleicht seine eigene besondere Ursache habe. Dahero die Wahrscheinligkeit solchenfalls nicht alsobald hinwegfällt, sondern etwa dem Grade nach in etwas vermindert wird. Also bleibet zum Exempel, bey der Copernicanischen Hypothesi von dem Systemate mundi, aus welcher sonst alle Umstände des Himmelslaufs sich ungemein wohl verstehen lassen, diese eintzige Schwierigkeit übrig, daß, wenn die Erdkugel einmahl an einem Punct ihrer Bahn, in welcher sie sich um die Sonne herum beweget, das anderemahl an dent andern entgegengesetzten Puncte derselben stünde, die Fix-Sterne in Ansehung des Diameters der gedachten Bahn eine merckliche parallaxin haben müsten; welches doch mit der Erfahrung nicht übereinstimmet. Diesen Zweifel zu heben, hat Copernicus eine so unermeßliche Entfernung der Fix-Sterne von der Erdkugel supponiret und zu Hülffe genommen, daß in Ansehung derselben der Diameter der Erdbahn nur vor einen Punct zu halten, und daher die parallaxis eines Fix-Sterns unmercklich sey; Wolffs Anfangsgründe der Astronomie §. 404. immassen die parallaxis eines Sternes immer kleiner ist, je weiter er von der Erden abstehet, und also durch die Weite der Entfernung endlich unmercklich werden muß, ebend. §. 205. 206. Weil nun diese unermeßliche Entfernung der Fix-Sterne aus einer Menge von Umständen sehr wohl zu [1067] erweisen ist: so ist sie allerdings als eine gute hypothesis fubsidiaria zu billigen, aus welcher der obgedachten Schwierigkeit gar wohl abzuhelffen ist. Hingegen wenn zu Ablehnung der Schwierigkeiten, die sich mit der Prolomäischen Hypothesi in grosser Menge nicht wollen zusammen räumen lassen, von den Vertheidigern derselben supponiret wird, daß an den grossen Zirckeln, die die Sterne in ihrem Umlauf um die Erde beschreiben, andere kleine, die sie epicyclos nennen, zu finden, welche sie, neben den grossen, mit umlauffen müsten (Wolff c. I. §. 394.) so siehet man leicht, daß die Supponirung dieser epicyclorum keine gute und wahrscheinliche hypothesis subsidiaria, sondern ein blosses Gedicht sey: indem nicht allein diese supponirten epicycli mit keinem andern Umstande erwiesen werden können, als aufs höchste mit denjenigen, wegen welcher sie aus Noth supponiret werden; sondern auch, wenn man sie gleich einräumen wolte, andere noch weit mehrere Schwierigkeiten daraus entstehen, denen auch duch alle neue wiederum zu Hülffe genommene unerweißliche hypotheses subsidiarias nicht einmahl abzuhelffen ist. Müllers Philosoph. I Th. p. 561. u. ff. In moralischen und juristischen Verstande sind die Umstände zwar überhaupt bey jeder Handlung und vorkommenden Fällen, bey denen Verbrechen aber dennoch gantz besonders mit Fleiß zu erwägen, und selbigen von dem Richter möglichst nachzuforschen, damit die Gerechtigkeit um so viel besser in Acht genommen, und das Recht vom Unrechte unterschieden, auch die Billigkeit gebührend beobachtet werden möge. Mithin ist vornehmlich zu betrachten, ob etwas 1) vorsetzlich, oder doch aus freyem Willen und wissentlich 2) aus Fahrläßigkeit, darunter auch die Unwissenheit und der Irrthum gehöret oder aber 3) von einem ungefärlichen Zufalle geschehen, den ein Mensch durch seine Vorsichtigkeit nicht abwenden können. Davon an gehörigen Oertern mit mehrerm gehandelt wird. Insbesondere aber hat nach Maßgebung der Chur-Sächsischen Rechte über einerley Punct zwar Beweis und Eydes-Delation zugleich nicht statt, Proceß-Ordn. t. 18. §. 3. doch mag das Factum bewiesen, und über dessen Umstände der Eyd deferiret werden. Ibid. Wer über einerley Artickel oder Umstände viele in unterschiedenen Orten befindliche Zeugen angiebt, mag dieserwegen nicht weniger als wegen ausländischer Zeugen mit dem Eyde der Boßheit oder vor Gefährte beleget werden. Erläut. Proceß-Ordn. ad 23. §. 1. Wenn bey Fortsetzung des Processes wahrgenommen wird, daß es an einem oder andern Umstande noch fehle, ist auf dessen sonderlichen Beweis ohne Anstellung einer neuen Klage zu sprechen. Erläut. Proceß Ordn. ad 5. §. 4. Wichtiger Umstände halber findet wieder eydliche Verträge die Entbindung von dem Eyde c. 35. p. 2. ingleichen Linderung der Straffen statt. C. 22. 23. p. 4. Siehe anbey auch die Artickel: Circumstantiae, im VI Bande, p. 151* und Formalia, im IX Bande, p. 1492.