Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste
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Tiger, (der fliegende) oder geflügelte Tiger

Band: 44 (1745), Spalte: 113–115. (Scan)

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Tiger, (der) war der Titel eines Frantzösischen so genannten Pasquils oder Schmäh-Schrifft wider das Hauß derer Hertzoge von Gvise weß wegen nach des Castelnau Bericht der Buchdrucker, der solche Schrifft gedruckt hatte, inhafftiret, der Urheber aber und ein Kaufmann gehencket worden. Allein diese Erzehlung ist nicht richtig; sie berichtet nicht, was dem Buchdrucker geschehen, und man giebt darinnen fälschlich vor, daß die Person gehencket worden, dieman wegen der Verfertigung dieser Schmäh-Schrifft im Verdachte gehabt. Er hätte sagen sollen, wie es de la Planche gemachet hat, daß man den Buchdrucker und einen Kaufmann gehencket hätte: allein weder der eine noch der andere ist der vermuthliche Urheber gewesen. Wir wollen die Worte dieses Geschicht-Schreibers anführen. La Planche Histoire de France schreibet: Der Parlaments-Hof hat grosse Untersuchungen wider diejenigen angestellt, welche die Schrifften, welche man wider die Gvisen ausgestreuet, gedruckt und feil geboten haben. Hierinnen sind einige Tage auf eine so verschmitzte Art verstrichen, bis sie endlich erfahren, daß ein gewisses sehr beissendes Buch, der Tyger betitelt, gedruckt worden war. Die Sache wurde einem Rathe, Nahmens Du Lion aufgetragen, der sie wegen des Versprechens einer Präsidenten-Stelle bey dem Parlamente zu Bourdeaux, wobey er nach seinem Gefallen Geld schneiden könnte, willig [114] über sich genommen. Nachdem man Leute ausgeschickt, so hat man es bey einem Buchdrucker Martin L' Hommet genannt, gefunden, den man gefangen genommen. Auf Befragen, wer es ihm überliefert, hat er geantwortet, daß es ein unbekannter Mensch gewesen, und endlich viele Personen angegeben, die es gesehen und gelesen hätten, wider welche Untersuchungen angestellet worden: Allein sie haben sich aus dem Staube gemacht. Da man also diesen Buchdrucker zum Galgen geführt, so hat sich ein wohlbemittelter und angesehener Kaufmann von Rouen dabey befunden, welcher da er das Volck zu Paris sehr erbittert wider diesen armen Sünder gesehen, nur zu ihnen gesagt: und wie, meine Freunde, ist es nicht genug, daß er sterben muß? Lasset den Scharf-Richter machen. Warum wollet ihr ihn noch mehr martern, als sein Urtheil enthält? (Nun hat er nicht gewust, warum man ihn hinrichten ließ, und war kaum in einem benachbarten Wirths-Hause abgestiegen) Auf dieses Wort haben sich einige Priester an ihn gemacht, u. ihn einen Hugenotten und Cameraden dieses Menschen genennet, u. kaum war dieser Streit erreget worden, so fiel der Pöbel über seinen Mantel-Sack her, und zerprügelte ihn erbärmlich. Bey diesem Lärmen haben sich diejenigen genähert, die man die Gerichte nennet, und ihn zur Linderung in das Gefängniß des Parlaments geführet; wo er kaum angekommen war, als ihn du Lion wegen der Sache des Tigers, und wegen seiner gegen das Volck geführten Worte summarisch befragt hat. Dieser arme Kauffmann hat geschwohren, daß er nichts davon wüste, daß er es niemahls gesehen, noch von den Herren von Gvise reden hören; er hat gesagt, daß er ein Kaufmann wäre, der sich nur um seine Geschäffte bekümmere. Er hat betheuert, daß ihm der zum Gerichte geführte Mensch gäntzlich unbekannt wäre, daß er aber zum Mitleiden bewogen worden, und das Volck ermahnet hätte, den Scharf-Richter nicht ins Handwerck zu fallen. Er hat gebeten, daß man sich nach seinem Leben und Umgange erkundigen solte, daß er sich dem Urtheile der gantzen Welt unterwürffe. Lion hat ohne weitern Proceß seinen Bericht an das Parlament, oder die von demselben bevollmächtigten Richter erstattet, welche ihn verurtheilt, auf dem Platze Maubert gehenckt und erwürgt zu werden, und zwar eben an dem Orte, wo dieser Buchdrucker war aufgeknüpffet worden. Einige Tage darauf hat du Lion, der sich bey einer grossen Gesellschaft zur Abendmahlzeit befand, über diesen armen Kaufmann kurtzweilen wollen. Man hat ihm die Unbilligkeit des Urtheils aus seinen eigenen Worten vorgestellt. Was wollet ihr? hat er gesagt, man muste wohl dem Cardinal Gvise durch etwas eine Gnüge thun, weil wir den Urheber nicht haben fangen können; denn sonst würde er uns nimmermehr Ruhe gelassen haben. Nach Herr Baylens Meynung saget Maimburg mit Unrecht, daß die Hoheit der Seele des Cardinals von Lothringen ihn bewogen, sich an den Pasquillanten weiter durch nichts, als durch eine großmüthige Verachtung zu rächen. Man urtheile aus dem bereits gesagten, ob die Guisen in Ansehung dieser Satyre unempfindlich gewesen. Brantome [115] wird ihre ausserordentliche Empfindlichkeit in folgenden von dieser Satyre handelnden Worten bezeugen: Es hat unter Franciscus dem II eine Menge Läster-Schrifften wider die Regenten des Reichs gegeben; allein keine eintzige ist beissender und beleidigender gewesen, als eine Schmäh Schrifft, der Tyger betitelt, (nach dem Beyspiel der ersten Rede des Cicero wider den Catilina) zumahl da sie von den Liebes-Händeln einer so schönen Dame, mit einem ihrer Anverwandten geredet: Wenn der listige Urheber ergriffen worden wäre, so hätte er hundert tausend Leben verlieren müssen, wenn er sie gehabt hätte; denn so wohl der Grosse, als die Grosse sind so böse darüber geworden, daß sie vor Verzweiffelung hätten bersten mögen. Einer von Langrets Briefen, am 23 Jenner 1562 aus Paris geschrieben, belehret uns, daß der Hertzog von Gvise, der nach Saverne gegangen war, den Bischoff von Straßburg zu sprechen, einen Proceß wegen einiger Schmäh-Schrifften wider Franciscus Hottomannen angefangen hätte; und daß viele behaupten, er habe allein deßwegen diese Reise gethan. Languet hat zwar nicht glauben können, daß eine so nichtige Bewegungs-Ursache den Hertzog von Gvise verbunden hätte, nach Saverne zu reisen, Herr Bayle aber zweiffelt nicht, daß er nicht geurtheilt, es sey dem Hottoman schimpflich gewesen, als ein Pasquillant vor Gerichte angeklagt zu werden. Maimburg Histoire du Calvin. p. 153. Castelnau Memoires L. II. c. 7. La Planche Histoire de France Sous François II. p. 385. Petrus de Bourdeille Memoires des Dames galantes, Tom. II. p. 374. Languet Epist. LXVII. p. 197. Baylens Hist. und Crit. Wörterb. II Th. p. 693. 806.