Zedler:Pragmatische Sanction


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PRAGMATICUS, oder Pragmatici

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Pragmatische Sanction (Oesterreichische)

Band: 29 (1741), Spalte: 169–172. (Scan)

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Pragmatische Sanction, Lat. Pragmatica, oder Sanctio Pragmatica, Fr. Sanction Pragmatique, ist in seiner weitläufftigsten Bedeutung nichts anders, als ein Fürstlicher oder Landesherrlicher Befehl, welcher iedoch bloß auf eines andern vorher gegangenes Bitten und Ansuchen ertheilet wird. l. omnes. 6. C. si contra Jus vel util. publ. l. un. in pr. C. de monopol. & convent. negot. Vultejus ad §. 7. Inst. de J. N. G. & C. n. 10. In besonderm und eigentlichem Verstande aber werden bloß diejenigen Rescripte also genennet, so in Angelegenheiten eines gantzen Corporis, Collegii oder Gemeine auf vorhergehende Berathschlagung in dem geheimen Rathe oder demjenigen Collegio, an welches man dieselbe gelangen lassen, ergangen sind. l. 7. §. 1. C. de divers. rescript. & pragmat. sanct. Gothofredus al rubr. C. eod. Z. E. eine gewisse Zunfft hat Hoffnung mit in den Rath zu kommen, ehe noch die Wahl vor sich gehet. Daher stellet der gantze Rath dem Landes-Herrn vor, wie sich die Zunfft durch verschiedene Sachen verhaßt gemacht, daß sie nicht würdig sey, ein solches öffentliches Amt zu bekleiden. Wenn nun der Fürst dieser Gemeine in ihrer eigenen und das gemeine Beste betreffenden Angelegenheit überhaupt antwortet, daß sie nicht, oder bis sie sich durch besondere Verdienste gezeiget, hinein kommen solle: so heisset ein solches Rescript ins besondere eine Pragmatische Sanction. Wobey nicht zu vergessen, 1) daß der Landes-Herr in einem solchen Rescripte sich gemeiniglich dieser Worte zu bedienen pfleget: Nachdem Wir die Sache in Unserm Geheimen Rathe oder Regierung reiflich überleget haben etc. Und 2) daß diese Rescripte ewig gelten, und auch bey allen Unterthanen von Zeit zu Zeit unausgesetzt beobachtet werden müssen. Absonderlich heissen Pragmatische Sanctionen gewisse Edicte oder General-Rescripte von wichtigen Sachen, welche zur Erhaltung der allgemeinen Wohlfarth sowohl in Kirchen- als Policey-Sachen gehören, und von den höchsten Raths-Collegiis aufgesetzet werden. Also führen diesen Namen z. E. etliche Verordnungen, welche in Kirchen-Sachen von den Königen in Franckreich gemacht worden. Der König Ludwig IX der heilige machte 1288 eine pragmatische Sanction, worinnen verordnet wurde, 1) daß die geistlichen Prälaten, Collatores und Patroni der geistlichen Aemter, alle ihre Rechte ungestöhrt verwalten solten; 2) daß die Dom- und andere Kirchen bey der Freyheit ihre Bischöffe und Prälaten zu erwählen, geschützet, und die dabey[170] vorfallende Streitigkeiten bloß allein nach dem canonischen Rechte ausgemacht werden solten; 3) daß die Simonie und Verkauffung der geistlichen Aemter gäntzlich abgethan seyn solte. 4) Daß alle Beförderungen zu geistlichen Aemtern und andern Wohlthaten, nach dem gemeinen Rechte, wie auch nach den Concilien und Gewohnheiten, so durch die alten Kirchen-Väter eingeführet worden, geschehen solten. 5) Daß der Römische Hof nicht befugt seyn solte in einigen Gegenden des Königreichs von den Unterthanen Geld zu fordern, es wäre denn, daß sie die höchste Noth darzu antriebe, wiewohl es auch in solchem Falle nicht anders, als mit des Königs Bewilligung, und nach der Frantzösischen Kirche Gutachten geschehen solte; und endlich 6) daß alle Kirchen und Geistliche des Königreichs bey ihren Freyheiten und Privilegien, so ihnen von den vorigen Königen ertheilet worden, geschützet werden solten.

Allein die berühmteste Pragmatica Sanctio war diejenige, welche der König in Franckreich, Carl VII 1438 machte. Dieses desto besser zu verstehen, ist zu wissen, daß die Bischöffe und Prälaten vorzeiten durch die Stimmen der untern Geistlichkeit und des Volcks erwählet wurden. In folgender Zeit wurde in der Morgenländischen Kirche das Volck von solchem Rechte ausgeschlossen; in der Abendländischen aber blieb diese Gewohnheit noch immerfort, so, daß sie auch bey der Wahl der Päbste statt fand. Als die Gallier den Römischen Kaysern unterworffen waren, erwählte die Clerisey und das Volck die Bischöffe; nach einiger Zeit aber wolten auch die Könige in Franckreich Theil daran haben, welche Gewohnheit nicht allein zur Zeit des ersten Geschlechts der Frantzösischen Könige, sondern auch unter Pipino, und Carln dem Grossen im Schwange war, wie der P. Sirmondus anmercket, welcher hinzu setzet, daß Ludewig der fromme der erste gewesen, welcher der Clerisey in dem dritten Jahre seiner Regierung die Macht Bischöffe zu erwählen wieder gegeben habe. Jedoch war diese Gewalt in gewisse Gräntzen eingeschräncket: denn kein Bischoff durffte eher eingeweyhet werden, als bis der König die Wahl bestätigt hatte. In solchem Stande blieb es bis 1438, da zwischen dem Pabst Eugenio IV und der Baseler Kirchen-Versammlung ein Streit entstund. Denn damit die Baseler Kirchen-Versammlung den König in Franckreich auf ihre Seite bringen möchte, schickte sie eine solenne Gesandtschafft an denselben, nebst einigen Verordnungen, so sie gemacht, um die Päbstliche Gewalt einzuschränken, das selbige möchten in Franckreich bestätiget werden. Hierauf versammlete König Carl VII seine Räthe und die Clerisey seines Königreichs zu Bourges, welche aus diesen von der Versammlung zugeschickten Verordnungen, eine Pragmaticam Sanctionem aufsetzten, so von dem Parisischen Parlament 1439 bestätiget wurde. Die Summe dessen, was zu Bourges abgehandelt worden, bestund darinnen, daß die Wahl der Bischöffe und Prälaten nach der alten Gewohnheit geschehen, und diese gleich nach der Wahl vor Prälaten erkannt werden solten; daß das Ansehen der [171] allgemeinen Versammlungen mehr gelten solten, als des Pabsts; und daß die so genannten gratiae expectativae gäntzlich abgeschaffet seyn solten; daß man nicht gleich unmittelbar an den Pabst, sondern erst an den Bischoff, hernach an den Metropolitanum, so dann an den Primatem, und hierauf erst an den Pabst appelliren, dieser auch alsdenn Judices in paribus, d. i. die in Franckreich selbst wohnen, ernennen solte; daß die Annaten abgeschaffet seyn solten; andere Puncte wegen des Banns wider das Reich, oder eine Stadt und Gemeinde, u. d. g. zu geschweigen. Diese Pragmatica war allezeit dem Päbstlichen Stuhl im höchsten Grad verhaßt; daher sich solcher auf alle Weise bemühete, sie abzuschaffen. Nachdem Aeneas Silvius, welcher vorher für die Baselische Kirchen-Versammlung sehr geeyfert, 1458 unter dem Nahmen Pii II zum Pabst erwählet worden, wuste er die Sache so wohl einzurichten, daß er den König in Franckreich Ludewigen XI beredete, die Sachen in dem Stande zu lassen, in welchem sie vor der Pragmatica Sanctione gewesen; befahl hierauf bemeldete Verordnungen zum Zeichen dessen, daß sie vernichtiget und abgethan worden, durch die Strassen in Rom zu schleppen, und schickte dagegen dem gedachten Könige einen geweyheten und mit vielen Perlen besetzten Degen nebst einigen zu dessen Lobe gemachten Versen. Mittlerweile aber billigte das Parlament solches nicht. Als hernach der König Carl VIII seine Regierung angetreten hatte, beschwerte man sich darüber auf dem Reichstage zu Tours, und Johann de St. Romano, der General-Procurator, verhinderte die Registrirung der Briefe, vorgebend, daß durch Abschaffung der Pragmaticae Sanctionis die Capitul ihres Wahl-Rechts, und die Ordinarii ihrer Collaturen beraubet würden, so, daß auch endlich die gemeinen Unterthanen des Königs nach Rom gehen, und um geistliche Aemter sich bewerben würden; wie denn bereits wahrgenommen worden, daß binnen den 3 Jahren, da man die Pragmaticam Sanctionem nicht beobachtet, 340000 Cronen für die Bißthümer, und 2 Millionen Cronen für andere geistliche Aemter aus Franckreich nach Rom geschicket worden. Die Parisische Universität nahm sich dieser Sache gleichfalls an, worbey insonderheit der Rector sich gegen den Päbstlichen Legaten erklärte, daß er an die näheste allgemeine Kirchen-Versammlung appellirte. Solcher gestalt nun wurde die Sanctio Pragmatica unter Carls VIII und Ludewigs XII Regierung weder abgeschaffet noch genau beobachtet, bis daß nachgehends der Pabst Leo X und der König Franciscus I sich dergestalt mit einander verglichen, daß diese Verordnung 1514 aufgehoben wurde. Siehe Concordatum Gallicum. Duarenus l. 5. de SS. eccl. ministr. c. II. Peter de Marca de concordia sacerdotii & imperii. Schilter de liberrate eccles. germ. l. 6. c. 6. Heidegger hist. Pap. §. 147. Von gleichem Valor solte auch das Edict von Nantes seyn, in welchem König Heinrich der IV den Reformirten an gewissen Plätzen die Freyheit ihres Gottesdienstes auf ewige Zeiten bestätiget, wiewohl der vorige König selbiges dennoch abzuschaffen Anlaß genommen. Hieher gehöret in [172] Deutschland die güldene Bulle Kaysers Carls des IV; der Passauische Vertrag 1552; und der darauf 1555 zu Augspurg geschlossene Religions-Friede; der Westphälische Friedens-Schluß; Kaysers Ferdinands III und eines jeglichen Römischen Königs Wahl-Capitulation, welche sämtlich die Krafft einer Pragmatischen Sanction im Römischen Reiche haben. Sanctio pragmatica heisset auch die 1710 publicirte Oesterreichische Erb-Folge-Ordnung, von der ein eigener Artickel folget.