Zedler:Parmenideische Philosophie


Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste
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Parmenides, von Elea

Band: 26 (1740), Spalte: 996–999. (Scan)

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Parmenideische Philosophie, Philosophia Parmenidea, heisset der Inbegriff dererjenigen Sätze und Meynungen, welche Parmenides, von Elea gebürtig, vorgetragen hat. Worinne aber solche bestanden, ist schwer anzuzeigen, weil nicht [997] nur dieses Philosophen eigner Schrifften der allerwenigste Theil übrig, sondern er auch selbst seine eigene Gedanken mit Fleiß verheelet und dunckel vorgetragen hat. Lescalopier. ad Cicer. de nat. Deor. Wie er denn auch eine doppelte Lehrart und hypothesin statuirte, deren die eine seine eigene Meynung in der Metaphysick, die andere aber nur, wie alles den Sinnen und Leuten vorkommt, vorgetragen hat. Laert. L. IX, s. 22. So hat man auch Ursach zu glauben, daß diejenigen, welche von seinen Lehrsätzen Nachrichten hinterlassen haben, entweder nicht gekonnt oder nicht gewolt, sie richtig genug vortragen. Hierzu kommt, daß er Xenophanis und der Pythagoreer Schüler gewesen, und noch dazu seine eigene von ihnen abgehende Gedancken gehabt: Dahero man schwerlich hinter seine eigentliche Meynung gewiß und unstreitig kommen kan. Doch wird ihm beygeleget, er habe gelehret,

1) Es sey nur ein Principium aller Dinge. Aristoteles Phys. L. I, c. 8. Origenes Philosoph. c. XI, p. 26.
2) Aus diesem eintzigen Principio bestehe alles. ebend.
3) Dieses eintzige sey unendlich und allein etwas wesentliches. ebend.
4) Was nicht dieses eigentliche wesentliche Ding ist, das ist nichts.
5) Dieses einige Wesen ist auch unbeweglich.
6) Demnach giebt es eigentlich weder Bewegung noch Erzeugung. Plutarchus de Placit. Philosoph. L. I, c. 24.
7) Was uns aber die Sinne dargegen zeigen, ist nur eine Meynung und ungewiß. ebend. siehe auch Laertium L. IX, s. 23. Wenn man diese Sätze zusammen nimmt, so siehet man, daß Parmenides in seiner eigentlichen Metaphysica von Xenophanis Grundsätzen nicht abgewichen sey. Ob sich gleich Laertius Lib. IX, s. 21. eines andern beredet; Denn was er von ihm abgegangen, betrifft nur die principia physica apparentia, nach seiner Lehrart zu reden; nur ist hier die Frage, in was Verstand Parmenides die Worte unum, ens, omnia, infinitum, genommen. Wenn man des Plato Erklärung nachgehet, so wäre Parmenides also zu verstehen, daß nur ein einiges Principium aller Dinge sey, von welchem alles entstanden, und sein Wesen, Subsistentz und Bleiben empfangen, ohne welches nichts seyn kan, und daß andere nicht selbstständige Dinge, welche unter dem Namen des vielen von den Pythagoreern verstanden werden, keine wahre wesentliche selbstständige Dinge seyn. Es favorisiret dieser Erklärung, daß auch die Pythagoreer, mit deren Kalb Parmenides gepflüget, diesen Grundsatz in diesem Verstand angenommen, wie denn Lipsius Manud. ad Phil. Stoic. Lib. II. Diss. 4. p. 134 auf solche Art Parmenides unum zu erklären sich bemühet hat. Hingegen stehet dieser Erklärung entgegen, daß so wohl Plato Parmenides Lehre nach seinem eigenen Gefallen vorgetragen, vermehret und verbessert hat, und man also auf Plato Erklärung [998] nicht bauen dürfe, als auch, daß der unten befindliche vierzehende Satz, welcher ihm ausdrücklich beygemessen wird, ziemlich deutlich zu erkennen giebt, daß er mit Xenophanes einig gewesen, und durch das universum nichts anders, als alles, was ist, verstanden, und also die Welt selbst davon nicht ausgeschlossen habe. Es läßt sich auch nicht begreiffen, wie er multa in der Materie soll statuiret, und doch alle Bewegung, Generation und Mutation der Materie geläugnet haben? Man siehet also hieraus, wie schwer es sey, von den principiis der Alten, sonderlich Parmenides zu urtheilen, und wie viel Schwierigkeiten es habe, zu sagen, ob er ein Atheist sey, oder nicht. Wie ihn denn deswegen Cudworth Syst. intell. p. 383 ff. nach Gassendus T. I. opp. p. 234 und der Auctor Art. cogit. P. III. c. 19 von der Atheisterey lossprechen, da hingegen ihn Bayle Dict. Tom. IV. Buddeus Analect. hist. philos. p. 323 und Thes. de Atheismo c. 1. §. 19. p. 60 und Wolff übern Origenes der Spinozisterey beschuldigen, und in den Gundlingian. P. XV. Diss. I. weitläufftig ausgeführet worden. Am besten ist, man spricht weder ia noch nein, welche Parthey auch Reimmann Hist. Ath. c. XXX. §. 3. p. 206 gar vorsichtig erwählet hat.
8) Wenn man nach denen Sinnen urtheilet, so bestehen die Dinge aus Wärme und Kälte, als den zwey natürlichen Principiis; jene begreifft das Feuer, diese die Erde; jane ist der thätige und würckende, diese der leidende und annehmende Theil. Laert. L. IX. s. 22.
9) Der Mond ist wie die Sonne, empfängt aber sein Licht von derselbigen. Plutarch. de plac. phil. L. II, c. 26.
10) Die Erde ist rund und in der Mitte der Welt. Laertius L. IX, s. 23.
11) Sie ist überall gleich weit abstehend, daher kan sie von ihrer Stelle nicht bewegt, aber wohl erschüttert werden. Plutarch. l. c.
12) Die erste Menschen sind aus Leim und Erde durch Wärme und Kälte hervor gekommen. Laert. L. IX, s. 22. Es stehet zwar in dem ordinari-Text, die Menschen seyn aus der Sonne hervor gekommen, weil aber dieses keinen bequemen Verstand hat, so hält man billig die Stelle vor verdorben und lißt an statt Sonne Leim, welches sich Aldrobandin, und Menag, ad h. l. ingleichen Burnet in Archaeol. philos. L. I. c. 12 gefallen lassen.
13) Die Welt wird einmal untergehen. Origen. Philosoph. l. c.
14) Hingegen ist das gantze (universum) ewig, nicht erschaffen noch hervor gebracht, ohne Bewegung, und sich selbst gleich, daher runder Figur. Euseb. Praepar. Evangel. L. I, c. 8. Origenes l. c.
15) Der fürnehmste Theil der Seele sitzt in der Brust. Plutarchus l. c. L. IV, c. 5.

Wenn man dem Gespräche des Plato trauen darff, das den Namen Parmenidis trägt, so hat [999] er auch die Lehre der Pythagoreer von den wesentlichen Urbildern, welche sie unter dem Bild der Zahlen vorgestellet, angenommen und als vorgetragen:

1) Die Würcklichkeit und Existentz ist was anders als das Wesen der Dinge.
2) Das Wesen der würcklichen Dinge ist nicht in ihnen, sondern ausser ihnen.
3) Einige Dinge sind einander gleich, einige ungleich.
4) Diejenige Dinge, welche einander gleich sind, machen mit einander einen gleichen Begriff ihres Wesens aus.
5) Alle Dinge gehören zu gewissen Classen und gewissen Ideen.
6) Alle diese Ideen, sind in dem einigen, das ist, in GOtt, und machen zusammen ein einiges aus, daher ist alles eines.
7) Die Wissenschafften bestehen nicht in Erkänntniß der Singularium, sondern der Specierum, als der Wesen der Dinge.
8) Diese Erkänntniß der wesentlichen Dinge, oder der Idearum ist von den würcklich existirenden Dingen unterschieden.
9) Weil diese Ideen in GOtt sind, so sind sie den Menschen unbekannt.
10) Daher ist dem Menschen alles unbegreiflich.
11) Diese Ideen in unserm Verstand, sind nur Schattenbilder von dem, was die wesentliche Begriffe der Dinge oder die Ideae sind.
12) Zu einem solchen wesentlichen Begriff der Dinge wird erfordert, daß er einfach, ohne Bewegung und Veränderung, Zeit und Abwechselung seye, mit der Existentz derer Singularium nichts zu thun habe, und doch denenselbigen ihre Gräntze setze und die Natur des einigen Wesens mittheile. Es ist aber aus Platonis Träumen von den Ideis klar genung, daß er unter Parmenidis Lehrsätze seine eigene Gedancken gemischet habe, so daß man nicht wohl sagen kan, wie viel hierinnen Parmenides selbst statuiret habe oder nicht? Zu den neueren Zeiten hat Bernardinus Telesius, ein Italiäner, der zu Cosenza 1508 aus einem adelichen Geschlechte gebohren worden, des Parmenides Philosophie wieder hervor gesucht; von dem ein besonderer Artickel unter Telesius, handelt.