Zedler:PIA FRAUS, ein frommer Betrug
PIA FRAUS, ein frommer Betrug, ist eine gewisse Art des Betrugs, und deutet eine solche Verrichtung an, die an sich selbst unrecht, durch die gute Absicht dabey aber gut werden soll. Daher ein solcher Betrug eben den Namen piae fraudis, eines frommen Betrugs bekommen. So suchte man ehedem durch solchen Betrug die wahre Religion fortzupflantzen, daß man sich allerhand Eingebungen und Offenbarungen fälschlich rühmete, und selbige als göttlich ausgab, davon Joh. Wilhelm Baier in diss. de propagatione fidei per revelationes fictas gehandelt; dahin auch die so genannten Sibyllinischen Orackel gehören. Denn es haben viel Gelehrte nicht ohne Grund dafür gehalten, daß dieselbe mehrentheils von den Christen erdichtet, und den Sibyllis zugeschrieben worden, damit sie die Gemüther der Heyden desto eher gewinnen, und zum Christlichen Glauben bekehren möchten, wie solches Fabricius in bibl. graec. lib. 1. c. 33. §. 15. 16. mit mehrern untersuchet hat. So verfertigte man Schrifften, und legte selbige Christo, der Jungfrau Marien, denen Aposteln und andern Heiligen zu; oder man pflegte aus den wahren Büchern wohl eins und das andere auszustreichen, und behielte verschiedene heydnische Gebräuche in der Christlichen Kirchen bey, davon man genugsame Exempel bey den Papisten antrifft. Und so machtens auch die weltlichen Regenten, welche, um das Volck besser im Zaum zu erhalten, fürgaben, als wären sie von den Göttern entsprungen, und hätten von ihnen durch eine Offenbarung die Gesetze bekommen, davon Diodorus Siculus bibl. hist. lib. I. p. 59. verschiedene Exempel anführet, und Varro hat nach dem Zeugniß Augustini lib. 3. c. 4. de civit. Dei gesaget: Utile esse civitatibus, ut se viri fortes, etiamsi falsum sit, ex diis genitos esse credant, ut eo modo animus humanus, velut divinae stirpis fiduciam gerens, res magnas aggrediendas [8] praesumat audacius, & ob hoc impleat ipsa securitate felicius. Dahin giengen die heydnischen Oracula, von welchen Van Dale in Diss. de oraculis veterum ethnic. gewiesen, was vor Betrügereyen dabey fürgegangen, anderer Arten zu geschweigen. Doch von solchen piis fraudibus, läst sich noch vieles sagen. Denn einmal ist es eine grosse Einfalt, daß man fürgeben will, die gute Intention sey hinlänglich, eine Verrichtung, die an sich selbst unrecht, gut zu machen, und damit gleichsam prätendiret, daß der göttliche Wille der menschlichen Intention weiche. Zu einer guten Verrichtung gehöret nicht nur das Formale, sondern auch das Materiale, daß man würcklich dasjenige thut, was das Gesetz haben will, und unterlässet, was es verbeut. Jacob Cap. II. v. 6. sagt: so iemand das gantze Gesetz hält, und sündiget an einem, der ists gantz schuldig, und Paulus Röm. III. v. 8. lehret: daß man nicht übels thun müsse, auf daß gutes daraus komme. Und wie können die Leute eine gute Intention haben, wenn sie wissen, daß sie etwas wider den göttlichen Willen fürnehmen? Vors andere stünde noch zu untersuchen, ob auch bey solchem Betrug allezeit eine gute Absicht gewesen? Wenigstens sind die Piae fraudes, die zum Besten der wahren Religion abzielen sollen, nicht erlaubt. Denn es wächset daraus derselben nie ein Vortheil zu, der nicht anders erhalten werden könnte, oder unentbehrlich wäre: es wird dadurch die Kirche über lang oder kurtz verdächtig gemacht, die sich dieses Mittels bedient, und nur die Scheinheiligkeit unterhalten.