Zedler:Moscau, Lat. Moscovia

Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste
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Moscau, Mußka, eine Herrschafft in der Ober-Laußnitz

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Moscau, Muska, eine kleine Stadt

Band: 21 (1739), Spalte: 1816–1819. (Scan)

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Moscau, Lat. Moscovia, oder Moscua, Moscha, eine von den grösten Rußischen Städten, und Residentz der Czaare von Rußland, liegt in einer anmuthigen Ebene, am Flusse Mosca, unterm 60 Gr. 23 Min. der Länge, 55 Gr. 36 Min. der Breite, und war, ehe noch die Casanischen und Astracanischen Reiche, ingleichen die weitläufftigen Mitternächtigen Länder erobert worden, ziemlich der Mittel-Punct des Landes, indem man von dieser Stadt an bis zu den Grentzen des Reichs überall 120 Meilen zehlen konte. Man rechnet ihre Länge vor ietzo auf anderthalb, und die Breite eine Deutsche Meile, wiewol sie nach einiger Bericht ehemals weit grösser soll gewesen seyn, und ihr Bezirck sich auf 9 Deutsche Meilen erstrecket haben. Das äusserliche Ansehen dieser Stadt ist vortrefflich. Die viel hundert starck vergüldete bey Sonnenschein wider-strahlende Thürne fallen sehr schön in die Augen. Es ist aber auch die Gegend dieses Orts vor sich selbst sehr angenehm, wegen der vielen Alleen, Gärten und Vorwercker. Die Stadt war vor 160 Jahren noch gantz offen; heut zu Tage aber ist sie in 4 Creysse eingetheilet, deren ieder mit Mauren und tieffen Graben umgeben ist, iedoch wider einen öffentlichen Anfall nicht haltbar ist. Es sind zwar 2 Castelle angelegt worden, welche Italiänische Ingenieurs nach dem Muster des Meyländischen gebauet haben, und sind diese Castelle mit 7 steinernen Bastionen und tieffen Wasser-Graben versehen. Man fieng auch bey besorgten Einfall Carls XII. an, hin und wieder Befestigungs-Wercke anzulegen; es sind aber dieselben zu keiner rechten [1817] Vollkommenheit gelanget. In der ersten Mauer liegen die Slaboden oder Vorstädte, durch welche der Fluß Moscau fliesset. Es ist der gröste Theil dieser Slaboden sowol durch die ehemaligen Streiffereyen der Tartarn, als durch die öfftern Feuers-Brünste verwüstet worden und eingegangen. Der Czaar, Ivan Basilowitz, ließ sie für die Litthauer, Polen und Deutsche bauen, und nennte sie anfangs Naleiki, das heist, schenck ein. Es ist aber dieser Platz hernach den Strelitzen und andern gemeinem Pöbel zum Wohn-Platze angewiesen worden. Von dieser Stadt ist zu unterscheiden die absonderliche Vorstadt, worinnen anietzo die Deutschen wohnen, welche nova inasemska Sloboda genennet wird. Sie liegt vor der Prokoffsky-Pforte und an dem Bache Jansa. Vor diesem wohnten die Deutschen auch in der Stadt, wurden aber von der Clerisey ausser der Ring-Mauer an diesen Platz getrieben. Der andere Creyß wird Skorodom genennt, und ist das Theil der Stadt, so die beyden andern Städte rings umschleust, bis an den Fluß Musqua, in welchen sich der Bach Jagusa ergiesset. In der dritten Mauer, so Biela Szenna genennet wird, siehet man Czargorod oder die Czaarische Stadt. Sie liegt wie ein halber Mond, der Bach Neglina ströhmt mitten durch, und wohnen in derselben viele Knesen, Bojaren, fürnehme Bürger, und absonderlich die Becker. Es sind auch allhier die Korn-Böden, Fleisch-Bäncke, Bier- und Brandtewein-Schencken, der Vieh-Marckt, des Czaars Pferde-Ställe, das Gieß-Haus etc. Es hat diese Stadt grosse Märckte, auf welchen lauter höltzerne Sachen und Waaren verkauffet werden. Es stehen daselbst etliche hundert Häuser, die auf den Kauff gerichtet sind, und wenn sich ein Käuffer gefunden, aus einander geschlagen, und an den Ort, wohin es verlanget wird, mit grosser Behendigkeit gebracht werden. In der vierdten Mauer, welche Crossa Szenna genennet wird, liegt Kittaigrod, oder die Chinesische Stadt, in welcher die Chinesischen Waaren verkaufft werden. Es ist dieser Theil der Stadt nicht allein mit einer rothen dicken Mauer umgeben, sondern es wird derselbe auch gegen Süden von der Musqua, und gegen Morgen von dem Bach Neglina umschlossen. Es sind hier alle Cram-Buden, und einer ieden Art Waaren ihre besondere Quartiere angewiesen. Die Bilder der Heiligen werden an einem eigenen Bezirck verkaufft, oder, wie die Russen sagen, gegen Geld vertauscht, weil sich niemand unterstehen darff auf einen solchen Heiligen zu dingen. In diesem Creysse erblicket man der Czaaren Schloß, welches Cremelin genennet wird, es ist sehr groß, und mit einer dreyfachen starcken Mauer umgeben. Es stehen darneben und um dem Schlosse die Cantzeleyen, Wohnungen der Patriarchen, und 50 grosse und kleine Kirchen, davon die zu St. Maria, St. Michael und St. Nicolai die vornehmsten, und sind deren Thore mit starckem silbern Blech umzogen. Jede steinerne Kirche hat 5 weisse Thürne, und auf ieglichem ein dreyfaches Creutz. Vor dem Schlosse ist ein grosser Marckt, und der ansehnlichste Platz in der Stadt. Die Gebäude auf dem Cremelin sind mit lauter Quader-Steinen aufgeführet, iedoch ist die Symmetrie und Verbindung an demselben, wegen [1818] vieler Zusätze und öfftern Anbauung sehr mangelhafft. In dem innersten Platze des Schlosses stehet eine alte kleine Kirche, die noch vor der Stadt erbauet, und als eine Antiquität bisher erhalten worden. Die Crone und der Scepter sind in einem Gemache versiegelt und verschlossen. Den Schlüssel und Petschafft verwahret der Reichs-Cantzler. Die Häuser in Moscau sind gröstentheils nur von grossen und kleinen Bäumen ins Gevierdte über einander geleget, die Ritzen mit Moß verstopffet, und die Dächer mit dünnen Bretern belegt. Dannenhero man sich nicht wundern darff, wenn bey einer entstandenen Feuers-Brunst eine grosse Menge im Rauch aufgehet. Es sind aber doch wol 3000 steinerne Gebäude, iedoch unter viel 1000 höltzernen Häusern anzutreffen, überdem auch nicht an der Strasse, sondern hinten in den Höfen gebauet, und wegen Feuer und Uberfall der Diebe mit grossen Mauren umgeben. Die Gassen sind nicht ordentlich angelegt, und an sehr wenig Orten gepflastert: Die Menge der Leute ist sehr groß, wiewol zugleich ein Uberfluß von armen und faulem Gesindel vorhanden, welche die Strassen zur Abend-Zeit sehr unsicher machen. Die Diebe stellen sich in die Winckel der Strassen, und werfen mit dicken Prügeln, die sie Dubinen nennen, nach den Köpffen der vorbeyfahrenden und gehenden, und sind sie darauf wohl abgerichtet, daß von solchen tödtlichen Würffen wenige fehlen. Alle Erschlagene, welche man im gantzen Jahre auf den Gassen findet, werden ausser der Vorstadt in eine Grufft geführet, und werden um die Pfingsten-Zeit an einem gewissen Tage Priester hinein geschicket, welche daselbst Seel-Messen halten, und hiernächst die Grufft mit Erde beschütten lassen. Einige wollen 1500, andere 2000 Klöster in und um Moscau zehlen, worüber man sich nicht zu verwundern, indem ein ieder grosser und vermögender Herr sich seine eigne Capelle aufbauen lässet. Die steinernen Kirchen sind alle rund gewölbet, in den Kirchen aber weder Stühle noch Bäncke anzutreffen, weil das Gebet und Gottesdienst stehend verrichtet wird. An den Kirchen hangen bisweilen 5 oder 6 Glocken, und sind also etliche tausend Glocken in Moscau zu zehlen; es fehlet auch nicht an Uhrwercken. Die von dem Fürsten Menzikow erbauete Kirche hat ein schönes Glocken-Spiel. Die Gemeinen zehlen hier die Stunden des Tages von dem Aufgang bis zu dem Niedergang der Sonnen. Die Haupt-Kirche ist auf dem Cremelin zu sehen. Es ist ein grosses altes und sehr starckes steinernes Gebäude. Es werden in dieser Kirche die Leichname derer unter den Russen sehr hoch gehaltenen Heiligen Aeoli, Antonii, und Philippi, und nebst einem grossen Reichthum von güldenen Gefässen ein Kelch von Jaspis gezeiget, welchen der heilige Anton zu Rom soll ins Wasser geworffen, und wie er nach Novogrod gekommen, in dem dortigen Fluß wieder gefunden haben. Man siehet auch in dem Thurm dieser Kirche die grosse berühmte Glocke, welche in einer Feuers-Brunst geborsten und herunter gesuncken. Weil der Czaar Peter I. nicht vor nöthig befunden, einen Patriarchen wieder zu setzen, so wird diese Kirche durch die Metropoliten und Archi Rejes verwaltet. Unter den übrigen ist sonderlich die [1819] Kirche des Ertz-Engels zu mercken, in welcher die Czaare in steinern und meßingenen Särgen beerdiget liegen. Die Printzen von Geblüt, und welche nicht zur Regierung kommen, haben ihre eigne Stelle, und sind ihre Särge von geringem Werth. Alle hohe Fest-Tage werden die Czaarischen Gräber mit einer kostbaren Decke beleget, auf welcher die Personalia des Verstorbenen durch etliche tausend in Russischen Buchstaben zusammen gefügte Perlen und Edelgesteine zu lesen sind. Die Begräbnisse der Czaarinnen sind hingegen in einem nahe gelegenen Nonnen-Closter Tschude Monastere zu sehen, welches unter einer Aebtißin stehet. Unter den Clöstern, so in und bey Moscau liegen, ist das eine viertel-Meile von der Stadt entfernte Dewize Monastere sehenswürdig, in welchem die Printzeßin Sophia ihre Lebens-Zeit zubringen müssen. Eine halbe Meile von der Stadt liegen noch die Simonnadonsky und andere Clöster. Acht Meilen von Moscau aber siehet man das bekannte Woskresenskoy-Closter, welches der Patriarche Nikon nach dem Modell des heiligen Grabes gebauet, und auf eine viertel-Meile von dem Closter in einer Wüste 20 Jahr gewohnet hat, allwo man noch eine kleine steinerne Capelle antrifft. Es sind auch schon vor vielen Jahren in Moscau von Petern I. 3 Gymnasia angeleget worden; in dem ersten werden die Humaniora, in dem andern die Mathematick, in dem dritten aber die zur Navigation gehörige Wissenschafften gelehret. Man findet auch hier eine von den vollkommensten Apothecken in gantz Europa, aus welcher alle Armeen und grosse Städte in gantz Rußland versorget werden, und wird jährlich mit zwanzig und mehr tausend Rubel neuen Vorraths versehen. An dem Ende der Stadt liegt ein Thier-Garten, darinnen lebendige Löwen, Tieger, Panther, weisse Bären, schwartze Füchse, Luchse, Zobel, und viel kostbare schöne Vögel anzutreffen sind. Der Erbauer dieser Stadt ist der Groß-Fürst, Ivan Danielowitz. Es hat dieselbe von den Streiffereyen der Tartarn und den grossen Feuers-Brünsten unsäglichen Schaden gelidten. Im Jahr 1571 wurde sie von den Tartarn eingenommen, und gantz in Asche geleget. Im Jahr 1611 bemächtigten sich derselben die Polen, und opfferten alles dem Feuer auf; dergleichen Unglück sie auch 1668 aufs neue betroffen. Gleichwie ihr noch 1703, 1710, 1711 und 1712 durch den Brand auf etliche Millionen Schaden geschehen. Der Czaar Peter I. und dessen Nachfolgerin Catharina, haben zwar ordentlich in St. Petersburg residiret, desgleichen auch Peter II. eine Zeitlang gethan. Aber eben dieser letztgedachte Czaar hat sich bald nach des Fürsten Menzikows Fall wieder nach Moscau begeben, und die Czaarin Anna hat noch 1731 ihre Residentz daselbst gehabt. Seit 1731 ist hier eine Ritter-Academie angeleget, auch die bekannte Succeßions-Acte errichtet, und von dem Senat unterschrieben, und beschworen worden. Siehe Rußland.