Zedler:Braunschweig, (Land und Hertzogthum)
Braunschweig, (Land und Hertzogthum.) Das Braunschweigische Land ist ein Stück ja der gröste Theil von dem alten Teutschen Hertzogthum Sachsen [1139] gewesen, und also von Wittekind und dessen Nachkommen beherrschet worden, wie denn Bruno II, Ludolphi Sohn, der Wittekindi Ur-Enckel gewesen, die Stadt Braunschweig, u. sein Bruder Danckwardus das Schloß daselbst Tanckwarderode gebauet haben soll, welches aber Jo. Cph. Harenberg in Nov. Act. Erud. Lips. a. 1733. p. 125. aus dem Chronico Rhythm. Princ. Brunsuic. c. 8. p. 13. zu wiederlegen sucht, als woselbst man fände, daß Tanquarderode damahls schon seinen Namen gehabt habe, und schreibt Brunoni III die Verbesserung desselben zu, wie man aus dem Chron. Riddagesh. ad. an. 1057 ersähe.
Was also den uralten Zustand dieses Landes unter denen Regenten Wittekindischen u. Billungischen Stammes antrifft, muß davon unter dem Artickel Sachsen nachgelesen werden. Hier ist nur folgendes zu bemercken. Der Käyser Otto, Henrici Aucupis Sohn, theilte das gantze Sachsen-Land in 3 Theile, nemlich in 1) das Lüneburger-Land, so Hermann Billing bekam, 2) das Braunschweigische, so Brunoni, des Käysers Bruders Sohn zu Theil worden, dessen Nachkommen sich Marg-Grafen von Sachsen und Thüringen genennet, und 3) das Land an der Weser oder zu Northeim und Göttingen, welches Ottoni, der auch des Käysers Vetter gewesen, übergeben worden.
Diese Länder sind aber alle folgender massen wieder vereiniget worden. Gertrudis, Marg-Graf Ecberti I von Thüringen Erb-Tochter, ward an Henricum Crassum, Grafen von Northeim, vermählet, und gebahr Richsam oder Richenzam, eine Gemahlin des Käysers Lotharii, dem sie nach dem Tode ihres Bruders Ottonis, so wohl die väterliche als mütterliche Lande zugebracht. Nun hatte dieser Lotharius vorher schon als Graf von Suplinburg unterschiedenes in diesen Landen besessen, und war mit Vorbeygehung derer beyden Töchter des letzten Billungischen Hertzogs Magni, auch mit desselben Landen von dem Kayser Henrico V belehnet worden, wobey iedoch Henricus Niger sein Allodial-Fürstenthum Lüneburg in Sicherheit behielte. Daß also dieser Hertzog und nachmahlige Käyser Lotharius das gantze Hertzogthum Sachsen wieder vereiniget und allein besessen. Dieser übergab seine Länder seinem Schwieger-Sohn Henrico dem stoltzen, Hertzog von Bayern, dem ersten Besitzer dieser Lande, aus dem noch blühenden Welfischen Stamm, der ohne dem wegen seiner Mutter Wulfhild, gedachten Hertzogs Magni Tochter, eine Praetension auf dieselben hatte.
Arend. Diss. de Princip. Brunsu. Luneb. qui singularia cognomina indepti sunt §. 19. p. 50. Annalista Saxo ap. Eccard. ad an. 1101. Arbor Geneal. de Guelfis Princip. apud Leibnitz Tom. I. Rer. Brunsuic. p. 800. Muratori delle Antichita Estensi P. I. c. 29. p. 286. Rethmeyer Chron. Brunsu. Add. ad P. III. c. 1. p. 1783. Dodechinus in Adp. ad Marianum Scotum ad an. 1126. p. 470. Otto Frisingensis VII. 19.
Wie bey seinem erfolgten Fall das Hertzogthum Sachsen an Albertum Vrsum,[1] aus dem Hause Ascanien, einen Sohn Elikae, der andern Tochter Hertzogs Magni, gekommen, und wie sein Sohn, Henricus der Löwe, zwar erstlich alles wieder erhalten, was sein Vater besessen, nachgehends aber doch sich mit denen Braunschweig-Lüneburgischen Landen begnügen lassen müssen, ist aus beyder besondern Lebens-Beschreibungen weitläufftiger zu ersehen. Es wurde demselben auch Braunschweig und [1140] Lüneburg deßwegen gelassen, weil er Erbe war, und kein Reichs-Lehn, dahero die Reichs-Acht sich nicht dahin erstreckte.
Arnoldus Lubec. II. 36. Albertus Stadensis an. 1181. p. 295. von Bünaus Leben Friedrichs I. p. 277.
Henricus Leo[2] hatte die Braunschweigischen Lande seinem ältesten Sohne Henrico Hertzoge zu Sachsen und Pfaltz-Grafen am Rhein im Testamente zugedacht. Allein sein mittlerer Bruder Otto, Graf von Poitou zog sie an sich, doch fielen sie nach dessen Tode an gedachten Henr., dessen Schwieger-Söhne Otto Pfaltz-Graf am Rhein und Hertzoge in Bayern, und Hermann Marg-Graf zu Baden verkaufften an. 1227 Käyser Friderico II um eine geringe Summe Geldes das Braunschweigische Land.
Allein Otto, mit dem Zunamen das Kind, gedachten Henrici Bruders Wilhelmi Sohn und Henrici Leonis Enckel, als er von dem Kauffe hörte, wolte das Land nicht in fremde Hände kommen lassen, und eroberte durch Hülffe seiner Anverwandten Joannis und Ottonis, Marg-Grafen zu Brandenburg, die Stadt Braunschweig. Als nun der Käyser durch seinen Sohn Henricum Römischen König, die Stadt und das Land will in Besitz nehmen lassen, und Pfaltz-Graf Otto mit ihm dahin reist, um ihm dasselbe zu übergeben, erfahren sie, daß sich Otto das Kind desselbigen bemächtiget habe, daher sie unverrichteter Sache wieder abziehen müssen.
Der Käyser hat aber doch hernach den gedachten Ottonem das Kind zu Gnaden angenommen, und ihn an. 1235 den 21 Aug. zu Mayntz auf den Reichs-Tage belehnt, und ihn zum ersten Hertzoge von Braunschweig und Lüneburg gemacht, wiewohl man aus einigen Diplomatibus[3] siehet, daß er sich schon vorher des Hertzoglichen Titels von Braunschweig declarirt, dahingegen seine Vor-Eltern sich Hertzoge von Sachsen geschrieben. Durch den Mayntzischen Vergleich aber ist auch der Streit des Gibellinischen und Gvelfischen Hauses beygeleget worden.
Meibomius Diss. de erectione ducatus Brunsuic. p. 205. Leibnitz in Cod. Diplom. Tollnerus Hist. Palat. 12. p. 34. seq. Rethmeyer Chron. Brunsuic. III. 26. p. 464. Gebhardi de factis heroicis ducum Brunsuic. §. 12. p. 38. Buntings Braunschweig. Lüneb. Chron. P. I. p. 159. 205. seq. Luca Fürsten-Saal p. 388. seqq. Monachus Weingart. apud Leibnitz. Tom. I. Script. Brunsv. p. 805. Junckers Anleitung zur mittl. Geogr. II. 9. p. 368. seqq.
Von dieser Zeit an ist dieses Hertzogthum überhaupt zwar in seinen damahligen Grentzen gröstentheils geblieben, aber mit vielen ausgestorbenen auch eingezogenen Graf- und Herrschafften, auch Unterwerffung derer vorher freyen Städte vermehret und unterschiedlichemahl unter die Linien und Glieder dieses Hertzoglichen Hauses getheilet worden, von welchen Theilungen gleich ietzo, unter dem Titel Braunschweig, (Geschlecht) Nachricht gegeben werden soll.
Hier ist nur so viel zu mercken, daß von dem Abgang der Zellischen Linie, oder dem an. 1705 erfolgten Tode Hertzog Georg Wilhelms an, das gantze Land in das sogenannte Lüneburgische, oder den Hannöverischen Chur-Creiß und in das Braunschweig- oder Wolffenbüttelische eingetheilet wird. Von jenem ist unter dem Artickel Hannover nachzusehen.
Zu diesem gehören vornemlich die Stadt Braunschweig selbst, ferner die Hertzogliche Residentz Wolffenbüttel, wobey das Lust-Schloß Saltz-Thal, die Universität Helmstädt, die ehemahlige Grafschafft und ietziges Fürstenthum [1141] Blanckenburg, die Stifter Gandersheim und Walckenried, die Clöster Königslutter, Stederburg, Michaelstein, Amelunxborn und Riddagshausen, it. Schöningen, Lutter, Hessen, Schöppenstädt, etc. Die 4 Berg-Städte Cellerfeld, Wildeman, Grunde und Lautenthal, werden von dem Hannoverischen und Braunschweigischen Hause gemeinschafftlich besessen, der Rammelberg aber gehört dem Hause Braunschweig alleine zu, gleichwie Clausthal und Andreasberg dem Hause Lüneburg.
Das Braunschweigische Land ist sonst fruchtbar und wohl angebauet, und trägt sonderlich wegen des Hartz-Gebürges und derer darauf befindlichen Berg-Wercke ein sehr grosses ein, des vortreflichen Wildpräts und Vieh-Weiden, wie auch des Hanfes, so häuffig an die Hamburger und Holländer verkauft, und zu Tauen verarbeitet wird, ingleichen des Braunschweigischen Biers, die Mumme genannt, welche biß in Indien verführet wird, zugeschweigen. Ohne die Weser, Leine, Innerste und Ocker sind sehr viel angenehme Forellen-Bäche, die aus denen Wäldern hervor flüssen.
Der Brocksberg, die Baumanns-Höle, und viele alte, gröstentheils zerstörte, zum theil auch noch vorhandene Berg-Schlösser, sind sonderlich in dem Fürstenthum Blanckenburg merck- und sehenswürdig, wie an seinem Ort angezeigt worden.
Die Religion betreffend, ist von dem Heydenthum und Bekehrung derer alten Sachsen nichts zugedencken. Die Lutherische Lehre ist sonderlich durch Hertzog Julium um das Jahr 1568 durch den Dienst Martini Chemnitii eingeführt, und denen Braunschweigischen Kirchen das so genannte Corpus doctrinae Julium, als ein beständiges Formular, wornach sie sich zuachten, vorgeschrieben worden. In dem Hertzogthum Lüneburg hatten schon Ernestus zu Zelle, und Franciscus zu Gifhorn an. 1530 die Augspurgische Confession unterschrieben, und in ihren Landen dieselbe eingeführet; wobey es auch nach der Zeit geblieben. Denn obschon hin und her denen Catholischen einige Religions-Uebung verstattet worden, auch der Hertzog Anton Vlrich selbst gegen das Ende seines Lebens sich nach dem Exempel seiner Enckelin Elisabetha Christina, der Gemahlin des Kaysers Caroli VI, zur Catholischen Religion bekennet, hat doch solches keine weitere Veränderung nach sich gezogen, eben so wenig als in dem Hause Lüneburg der Abtritt Hertzogs Joannis Friderici, dessen Tochter, Wilhelmina Amalia, an den Kayser Josephum vermählet worden; ingleichen des in Kayserlichen Diensten gestandenen Hertzogs Maximilian Wilhelms, indem diese Herren allerseits es bey ihrem priuat-GOttes-Dienst bewenden lassen, und niemanden ihre Meynungen aufzudringen begehret. Sonsten werden auch in denen sämtlichen Braunschweigischen Landen die Juden gedultet.
Die Administration der Justiz betreffend, haben die Braunschweigischen Hertzoge ihre Hof-Gerichts-Ordnungen, nach welchen gesprochen wird, welche der Kayser Ferdinandus I, an. 1559 bestätiget hat. Wo diese nicht zureichet, wird nicht nach denen Sächsischen, sondern Käyserlichen und gemeinen Rechten verfahren. Zu Hannover, Wolfenbüttel und Zelle, werden jährlich etliche mahl Hof-Gerichte, und am letztern Ort noch über dieß die Ober-Adpellations-Gerichte gehalten. Es ist dem gantzen Hause Braunschweig schon an. 1648 das priuilegium de non adpellando auf 2000 Gold-Gülden extendirt, [1142] und über dieß die Freyheit gegeben worden, in Dingen, die keine Fahn-Lehen betreffen, als welche allein vor den Reichs-Hof-Rath gehören, binnen 2 Monathen zu wehlen, ob sie ihre Sache lieber bey jetztgedachtem Reichs-Hof-Rath, oder an dem Cammer-Gericht ausgemacht wissen wollen; so daß auf ihre eingegebene fori declinatoriam, ein Process wieder sie, so an dem einen judicio schon anhängig gemacht worden, aufgehoben und an das andere verwiesen wird.
Die übrigen Priuilegia u. andere Vorzüge des gesamten Hauses Braunschweig und Lüneburg sind vornemlich folgende: 1) der Braunschweig-Hannoverischen Chur-Würde, und davon rührenden praerogatuien ist unter dem Artickel Hannover gedacht worden. 2) das Hauß Braunschweig hat 4 vota im Fürsten-Collegio wegen Wolffenbüttel, Zell, Grubenhagen, Calenberg; und eben so viel im dritten Reichs-Collegio, wegen Hoja, Diepholt, Blanckenburg und Walckenried. 3) der Senior in dem Braunschweig-Lüneburgischen Hause führet das Condirectorium des Nieder-Sächsischen Creisses zugleich mit Bremen und Magdeburg. 4) Vermöge des Westphälischen Friedens muß in dem Bißthum Osnabrück wechselsweise ein Catholischer Bischoff und ein Administrator Protestantischer Religion aus dem Hause Braunschweig erwehlet werden. 5) die Hertzoge von Braunschweig haben die Schutz-Gerechtigkeit über die Stadt Goslar, welcher Stadt Reichs-Freyheit auch von denen Hertzogen angefochten wird. 6) Also haben auch unsere Hertzoge das Schutz- und Besatzungs-Recht in der Hildesheimischen Stadt und Festung Peina. 7) Sie sind auf der Elbe Zoll-frey von ihren Landen an biß an das Meer, und darf auch an diesem Strom nichts gebauet werden, wodurch dessen Fluß-Bett zum Schaden derer Hertzoglichen Lande geändert werden könte. 8) Es darf kein ander als das Lüneburgische Saltz in oder durch die Braunschweigische Länder und benachbarte Bißthümer geführet werden. 9) Es hat kein Hauß in Teutschland so mächtige Fürsten unter seinen Ahnen gehabt, als die beyden Hertzoge Heinrich der Stoltze und dessen Sohn Henrich der Löwe gewesen. 10) Hertzog Erich von Braunschweig ist an. 1580, und Hertzog Joann Fridrich an. 1668 in das güldne Buch des Venetianischen Adels eingezeichnet worden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Albertus Ursus, lat., Albrecht der Bär
- ↑ Henricus Leo, lat., Heinrich der Löwe
- ↑ diplomatibus, von lat. diploma, Urkunden