Textdaten
Autor: Georg Büchner
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Titel: Wozzeck
Untertitel:
aus: Georg Büchner’s sämmtliche Werke, S. 161–201
Herausgeber: Karl Emil Franzos
Auflage:
Entstehungsdatum: vermutlich 1836
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Sauerland
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Erscheinungsort: Frankfurt am Main
Übersetzer:
Originaltitel: Woyzeck
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Erstveröffentlichung des von Franzos „Wozzeck“ genannten Fragments Büchners.
Siehe auch Zur Textkritik von „Wozzeck“ von Franzos.
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Indexseite
[161]
Wozzeck.


Ein Trauerspiel-Fragment.
[163]
Zimmer.
Der Hauptmann. Wozzeck.
Hauptmann auf einem Stuhl. Wozzeck rasirt ihn.

Hauptmann. Langsam, Wozzeck, langsam; eins nach dem Andern. Er macht mir ganz schwindlich. Was soll ich denn mit den zehn Minuten anfangen, die Er heut’ zu früh fertig wird? Wozzeck! bedenk’ Er, Er hat noch seine schönen dreißig Jahre zu leben! Dreißig Jahr! macht dreihundert und sechzig Monate und erst wie viel Tage, Stunden, Minuten! Was will Er denn mit der ungeheueren Zeit all anfangen? Theil Er sich ein, Wozzeck!

Wozzeck. Ja wohl, Herr Hauptmann!

Hauptmann. Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Wozzeck, Beschäftigung! Ewig, das ist ewig! - Das sieht Er ein. Nun ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick! - Wozzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tage herumdreht. Was für eine Zeitverschwendung! - wo soll das hinaus? So geschwind geht Alles! - Wozzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd’ melancholisch!

[164] Wozzeck. Ja wohl, Herr Hauptmann!

Hauptmann. Wozzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch thut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, thut Alles langsam … Red’ Er doch was, Wozzeck. Was ist heut für Wetter?

Wozzeck. Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm. Wind!

Hauptmann. Ich spür’s schon, ’s ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effect, wie eine Maus. (Pfiffig.) Ich glaub’, wir haben so was aus Süd-Nord?

Wozzeck. Ja wohl, Herr Hauptmann.

Hauptmann. Ha! ha! ha! Süd-Nord! Ha! ha! ha! O Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! (Gerührt.) Wozzeck, Er ist ein guter Mensch, aber (mit Würde), Wozzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er? Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hochwürdiger Herr Garnisonsprediger sagt, „ohne den Segen der Kirche“ - das Wort ist nicht von mir.

Wozzeck. Herr Hauptmann! Der liebe Gott wird den armen Wurm nicht d’rum ansehen, ob das Amen darüber gesagt ist, eh’ er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen!

Hauptmann. Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz confus mit seiner Antwort. Wenn ich sage: Er, so meine ich Ihn, Ihn …

Wozzeck. Wir arme Leut! Sehen Sie, Herr Hauptmann, Geld, Geld! Wer kein Geld hat! - Da setz’ einmal einer Seinesgleichen auf die moralische Art in die Welt! [165] Man hat auch sein Fleisch und Blut! Unsereins ist doch einmal unselig in dieser und der anderen Welt! Ich glaub’, wenn wir in den Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.

Hauptmann. Wozzeck! Er hat keine Tugend, Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg’, wenn’s geregnet hat, und den weißen Strümpfen so nachseh’, wie sie über die Gasse springen — verdammt! Wozzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab’ auch Fleisch und Blut! Aber Wozzeck, die Tugend! die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? — ich sag’ mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch, (gerührt) ein guter Mensch, ein guter Mensch!

Wozzeck. Ja, Herr Hauptmann, die Tugend — ich hab’s noch nicht so aus. Seh’n Sie, wir gemeine Leut’ — das hat keine Tugend; es kommt einem nur so die Natur. Aber wenn ich ein Herr wär und hätt’ einen Hut und eine Uhr und ein Augenglas und könnt’ vornehm reden, ich wollt’ schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann, aber ich bin ein armer Kerl.

Hauptmann. Gut, Wozzeck, Er ist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber Er denkt zu viel, das zehrt; Er sieht immer so verhetzt aus. Der Diskurs hat mich angegriffen. Geh’ Er jetzt, und renn Er nicht so, geh’ Er langsam, hübsch langsam die Straße hinunter, genau in der Mitte!

[166]
Oeffentlicher Platz. Buden.
Volk. Wozzeck. Marie.

Alter Mann und Kind (tanzen und singen):

Auf der Welt ist kein Bestand,
Wir müssen Alle sterben, das ist uns wohlbekannt.
     Heissassa! Hopssassa!

Wozzeck. He! Marie, lustig! Schöne Welt! Gelt?

Ausrufer (vor einer Bude). Meine Herren und Damen! Hier sind zu sehen das astronomische Pferd und der geographische Esel! Die Creatur, wie sie Gott gemacht hat, ist nix, gar nix! Sehen Sie die Kunst! Schon der Affe hier! Geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat einen Säbel! He, Michel! mach’ Kompliment! So ist’s brav! Gib’ Kuß. Da! (Der Affe trompetet.) Meine Herren und Damen! Hier sind zu sehen das historische Pferd und der philosophische Esel. Sind Favorits von allen Potentaten Europas, Africas, Australiens, Mitglieder von allen gelehrten Gesellschaften, waren früher Professoren an einer Universität. Der Esel sagt den Leuten Alles, wie alt, wie viel Kinder, was für Krankheiten! Kein Schwindel, Alles Erziehung! Der Esel hat eine viehische Vernunft, auch vernünftige Viehigkeit, ist nicht viehdumm, wie die Menschen, das geehrte Publikum abgerechnet. Der Aff’ geht aufrecht, schießt eine Pistole los, ist musikalisch. (Der Affe trompetet wieder.) Meine Herren und Damen! Hier sind zu sehen der astrologische Esel, das romantische Pferd, der militärische Affe! Hereinspaziert, meine Herrschaften, gleich ist der Anfang vom Anfang. Herein spaziert, kost einen Groschen!


[167] Erster Zuschauer. Ich bin ein Freund vom Grotesken. Ich bin ein Atheist.

Zweiter Zuschauer. Ich bin ein christlich-dogmatischer Atheist. Ich muß den Esel sehen. (Gehen in die Bude.)

Wozzeck. Willst auch hinein?

Marie. Meintwegen. Was der Mensch Quasten hat, und die Frau hat Hosen. Das muß ein schön Ding sein. (Gehen hinein.)




Das Innere der Bude.

Ausrufer (den Esel producirend). Zeig dein Talent! zeig deine viehische Vernünftigkeit. Beschäme die menschliche Société. Meine Herrschaften, das ist ein Esel, hat vier Hufe und einen Schweif und das sonstige Zubehör! War Professor an einer Universität, die Studenten haben bei ihm Reiten und Schlagen gelernt! Er hat einen einfachen Verstand und eine doppelte Raison. Was machst du, wenn du mit der doppelten Raison denkst? (Der Esel p—t.) Wenn du mit der doppelten Raison denkst?! Sage, ist unter der geehrten Société da ein Esel? (Der Esel schüttelt den Kopf.) Sehen Sie, das ist Vernunft. Was ist der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Esel? Staub, Sand, Dreck sind Beide. Nur das Ausdrücken ist verschieden. Der Esel spricht mit dem Huf. Sag’ den Herrschaften, wie viel Uhr es ist! Wer von den Herrschaften hat eine Uhr?

Ein Zuschauer (reicht die seine). Hier!

[168] Marie. Das muß ich sehen! (Klettert auf eine Bank.)

Wozzeck. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —




Stube.

Marie (sitzt, ihr Kind auf dem Schooß, ein Stückchen Spiegel in der Hand. Bespiegelt sich.) Was die Steine glänzen? Was sind’s für welche? Was hat er gesagt? — — Schlaf Bub! Drück die Augen zu, fest. (Das Kind versteckt die Augen hinter den Händen) Noch fester! Bleib so — still! oder er holt Dich! (Singt.)

Mädel, mach ’s Lädel zu!
’s kommt ein Zigeunerbu,
Führt dich an seiner Hand
Fort ins Zigeunerland.

(Spiegelt sich wieder.) ’s ist gewiß Gold! Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein Stückchen Spiegel, und doch hab’ ich einen so rothen Mund, als die großen Madamen mit ihren Spiegeln von oben bis unten und ihren schönen Herren, die ihnen die Händ’ küssen, und ich bin nur ein arm Weibsbild! .. (Das Kind richtet sich auf.) Still, Bub, die Augen zu! Das Schlafengelchen! .. (sie blinkt mit dem Glas) .. wie’s an der Wand läuft! — Die Augen zu, oder es sieht dir hinein, daß du blind wirst.

(Wozzeck tritt herein, hinter sie. Sie fährt auf, mit den Händen nach den Ohren.)

[169] Wozzeck. Was hast da?

Marie. Nix!

Wozzeck. Unter deinen Fingern glänzt’s ja.

Marie. Ein Ohr-Ringlein, — habs gefunden —

Wozzeck. Ich hab so noch nix gefunden! — Zwei auf einmal!

Marie. Bin ich ein schlecht Mensch?

Wozzeck. ’s ist gut, Marie. — Was der Bub schläft! Greif ihm unter’s Aermchen, der Stuhl drückt ihn. Die hellen Tropfen stehen ihm auf der Stirn … Alles Arbeit unter der Sonne, sogar Schweiß im Schlaf. Wir arme Leut! … Da ist wieder Geld. Marie, die Löhnung und was von meinem Hauptmann und vom Doktor.

Marie. Gott vergelts, Franz.

Wozzeck. Ich muß fort. Heut Abend, Marie, Adies!

Marie. (allein, nach einer Pause). Ich bin doch ein schlecht Mensch. Ich könnt mich erstechen. — Ach! Was Welt! Geht doch Alles zum Teufel, Mann und Weib!




Der Hof des Doctors.
Studenten und Wozzeck unten. Der Doctor am Dachfenster.

Doctor. Meine Herren! ich bin auf dem Dache wie David, als er die Bathseba sah; aber ich sehe nichts, als die culs de Paris der Mädchenpension im Garten trocknen. Meine Herrn! wir sind an der wichtigen Frage über das Verhältniß des Subjekts zum Objekt. Wenn wir eins von [170] den Dingen nehmen, worin sich die organische Selbst-Affirmation des Göttlichen auf einem so hohen Standpunkte manifestirt, und ihr Verhältniß zum Raum, zur Erde, zur Zeit untersuchen, meine Herren, wenn ich also diese Katze zum Fenster hinauswerfe, wie wird diese Wesenheit sich zum Gesetz der Gravitation und zum eigenen Instinct verhalten? He, Wozzeck! (brüllt) Wozzeck!

Wozzeck (hat die Katze aufgefangen). Herr Doktor, sie beißt!

Doctor. Kerl! Er greift die Bestie so zärtlich an, als wär’s seine Großmutter.

Wozzeck. Herr Doctor, ich hab’ Zittern.

Doctor (ganz erfreut). Haha! schön, Wozzeck. (Reibt sich die Hände.)

Wozzeck. Mir wird dunkel!

Doktor (erscheint im Hofe, nimmt die Katze). Was seh’ ich, meine Herren? Eine neue Spezies Hasenlaus. Eine schönere Species als die bekannten. (Zieht eine Lupe heraus.) Hasenlaus, meine Herren! (Die Katze läuft fort.) Meine Herren! Das Thier hat keinen wissenschaftlichen Instinkt. Hasenlaus, die schönsten Exemplare trägt es im Pelzwerk. – Meine Herrn! Sie können dafür was Anderes sehen. Sehen Sie diesen Menschen! Seit einem Vierteljahr ißt er nichts als Erbsen! Bemerken Sie die Wirkung – fühlen einmal den ungleichen Puls, und dann die Augen –

Wozzeck. Herr Doktor, mir wird ganz dunkel! (Setzt sich.)

Doctor. Courage, Wozzeck, noch ein paar Tage, und dann ist’s fertig. Fühlen Sie, meine Herren, fühlen Sie! (Die Studenten betasten dem Wozzeck Schläfen, Puls und Brust.) [171] A propos, Wozzeck, beweg’ er vor den Herren doch einmal die Ohren. Ich hab’s Ihnen schon zeigen wollen — zwei Muskeln sind dabei thätig. Allons! frisch!

Wozzeck. Ach, Herr Doktor!

Doctor. Bestie! Soll ich dir die Ohren bewegen? Willst du’s machen, wie die Katze? So, meine Herren, das sind so Uebergänge zum Esel, häufig auch in Folge weiblicher Erziehung und der Muttersprache. Wozzeck! Deine Haare hat die Mutter zum Abschied[WS 1] schön ausgerissen aus Zärtlichkeit. Sie sind ja ganz dünn geworden. Oder ist’s erst seit ein paar Tagen, machen’s die Erbsen? Ja, meine Herrn, die Erbsen, die Erbsen! Die Wissenschaft!




Freies Feld. Die Stadt in der Ferne.
Wozzeck und Andres schneiden Stöcke im Gebüsch.

Wozzeck. Du, der Platz ist verflucht!

Andres. Ach was! (Singt:)

Das ist die schöne Jägerei,
Schießen steht Jedem frei!
Da möcht ich Jäger sein,
Da möcht ich hin!

Wozzeck. Der Platz ist verflucht. Siehst du den lichten Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da rollt Abends ein Kopf. Hob ihn einmal [172] Einer auf, meint’, es wär’ ein Igel. Drei Tage und drei Nächte drauf, und er lag auf den Hobelspänen.

Andres. Es wird finster, das macht dir angst. Ei was! (Singt:)

Läuft dort ein Haas vorbei,
Fragt mich, ob ich Jäger sei?
Jäger bin ich auch schon gewesen,
Schießen kann ich aber nit!

Wozzeck. Still, Andres! Das waren die Freimaurer, ich hab’s, die Freimaurer! Still!

Andres. Sing lieber mit. (Singt:)

Saßen dort zwei Hasen,
Fraßen ab das grüne, grüne Gras.

Wozzeck. Hörst du, Andres, es geht was?! (Stampft auf dem Boden.) Hohl! Alles hohl! ein Schlund! es schwankt … Hörst du, es wandert was mit uns, da unten wandert was mit uns!

Andres (singt:)

Fraßen ab das grüne Gras
Bis auf den Rasen!

Wozzeck. Fort, fort! (Reißt ihn mit sich.)

Andres. He! bist du toll?

Wozzeck (bleibt stehen). ’s ist kurios still. Und schwül. Man möcht den Athem halten! Andres!

Andres. Was?

Wozzeck. Red’ was! (Starrt in die Gegend.) Andres! wie hell! Ein Feuer fährt von der Erde in den Himmel und ein Getös herunter, wie Posaunen. Wie’s heranklirrt!

Andres. Die Sonn’ ist unter. Drinnen trommeln sie.

[173] Wozzeck. Still, wieder Alles still, als wär’ die Welt todt!

Andres. Nacht! Wir müssen heim!




Die Stadt.
Marie, mit ihrem Kinde am Fenster. Margareth. – Der Zapfenstreich geht vorbei, der Tambourmajor voran.

Marie (das Kind auf dem Arm wiegend). He Bub! Sa sa! Ra ra ra! Hörst? Da kommen sie!

Margareth. Was ein Mann! wie ein Baum!

Marie. Er steht auf seinen Füßen, wie ein Löw. (Tambourmajor grüßt.)

Margareth. Ei was freundliche Augen, Frau Nachbarin! So was is man an ihr nit gewohnt.

Marie (singt):

Soldaten das sind schöne Bursch –
Soldaten, Soldaten! –

Margareth. Ihre Augen glänzen ja noch –

Marie. Und wenn! Was geht Sie’s an? Trag’ Sie ihre Augen zum Juden, und laß Sie sie putzen, vielleicht glänzen sie auch noch, daß man sie für zwei Knöpf’ verkaufen könnt.

Margareth. Was Sie, Sie Frau Jungfer! Ich bin eine honette Person, aber Sie, das weiß Jeder, Sie guckt sieben Paar lederne Hosen durch.

[174] Marie. Luder! (Schlägt das Fenster zu). Komm, mein Bub! Was die Leut wollen! Bist nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter doch so viel Freud’ mit deinem unehrlichen Gesicht! Sa! sa! (Singt:)

Mädel, was fangst du jetzt an?
Hast ein klein Kind und kein Mann!
Ei was frag ich darnach,
Sing’ ich die ganze Nacht:
Eia, popeia, mein Bub, juchhu!
Gibt mir kein Mensch nix dazu!

Hansel! spann deine sechs Schimmel an,
Gib sie zu fressen auf’s Neu –
Kein Haber fresse sie,
Kein Wasser saufe sie,
Lauter kühle Wein muß es sein, Juchhe!
Lauter kühle Wein muß es sein!

(Es klopft am Fenster.)

Marie. Wer da? Bist du’s, Franz? Komm herein!

Wozzeck. Kann nit. Muß zum Verles!

Marie. Hast Stecken geschnitten für den Major?

Wozzeck. Ja, Marie. Ach …

Marie. Was hast du, Franz, du siehst so verstört?

Wozzeck. Pst, still! Ich hab’s aus! Es war ein Gebild am Himmel, und Alles in Gluth! Ich bin Vielem auf der Spur!

Marie. Mann!

Wozzeck. Und jetzt Alles finster, finster! … Marie, es war wieder was, viel … (Geheimnißvoll.) Steht nicht [175] geschrieben: „Und sieh, es ging der Rauch aus vom Land, wie ein Rauch vom Ofen.“

Marie. Franz!

Wozzeck. Es ist hinter mir hergegangen bis vor die Stadt. Was soll das werden?

Marie. Dein Bub —

Wozzeck. Hei, Jung! Heut Abend wieder auf die Meß! Ich hab noch was gespart! Jetzt muß ich fort. (Ab.)

Marie (allein.) Der Mann! So vergeistert! Er hat sein Kind nicht angesehen! Er schnappt noch über mit den Gedanken! Was bist so still, Bub. Fürcht’st dich? Es wird so dunkel, man meint, man wird blind. Sonst scheint doch die Laterne herein! Ach! wir armen Leut. Ich halt’s nit aus, es schauert mich …




Studirstube des Doctors.
Wozzeck. Der Doctor.

Doctor. Was erleb’ ich, Wozzeck? Ein Mann von Wort? Ei! ei! ei!

Wozzeck. Was denn, Herr Doctor?

Doctor. Ich habs gesehen, Wozzeck! Er hat auf die Straße gep — t, an die Wand gep — t, wie ein Hund! Geb’ ich Ihm dafür alle Tage drei Groschen? Wozzeck! Das ist schlecht, die Welt wird schlecht, sehr schlecht. O!

Wozzeck. Aber Herr Doctor, wenn Einem die Natur kommt!

[176] Doctor. Die Natur kommt! die Natur kommt! Aberglaube! abscheulicher Aberglaube! Die Natur! Hab’ ich nicht nachgewiesen, daß der musculus sphincter vesicae dem Willen unterworfen ist? Die Natur! Wozzeck! Der Mensch ist frei! In dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit! Den Harn nicht halten können! (Schüttelt den Kopf, legt die Hände auf den Rücken und geht auf und ab.) Hat Er schon seine Erbsen gegessen, Wozzeck? Nichts als Erbsen, nichts als Hülsenfrüchte, merk’ Er sich’s! Die nächste Woche fangen wir dann mit Hammelfleisch an. Es gibt eine Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff, salzsaures Ammonium, Hyperoxydul! — Wozzeck, kann Er nicht wieder p — n? geh’ Er einmal da hinein und probir Er’s.

Wozzeck. Ich kann nit, Herr Doctor!

Doctor (mit Affect.) Aber an die Wand p — n! Ich hab’s schriftlich, den Accord in der Hand! Ich hab’s geseh’n, mit diesen Augen gesehen, ich steckte gerade die Nase zum Fenster hinaus und ließ die Sonnenstrahlen hineinfallen, um das Niesen zu beobachten, die Entstehung des Niesens. Man muß Alles beobachten. Hat Er mir Frösche gefangen? Laich? Süßwasser-Polypen? Cristatellum? Hat Er? Stoß’ Er mir nicht an’s Mikroskop, ich habe den linken Backenzahn eines Infusoriums darunter. Aber (tritt auf ihn los), Er hat an die Wand gep — t! — Nein! — ich ärgere mich nicht, ärgern ist ungesund, ist unwissenschaftlich! Ich bin ruhig, ganz ruhig, mein Puls hat seine gewöhnlichen 60, und ich sag’s Ihm mit der größten Kaltblütigkeit. Behüte, wer wird sich über einen Menschen ärgern, einen Menschen! Wenn es noch ein Proteus wäre, der Einem unpäßlich wird! [177] Aber, Wozzeck, Er hätte doch nicht an die Wand p — n sollen!

Wozzeck. Seh’n Sie, Herr Doctor, manchmal hat man so ’nen Charakter, so ’ne Struktur. — Aber mit der Natur ist’s was ander’s, sehen Sie, mit der Natur (er kracht mit den Fingern), das ist so was, wie soll ich doch sagen — zum Beispiel —

Doctor. Wozzeck, Er philosophirt wieder!

Wozzeck. Ja, Herr Doctor, wenn die Natur aus ist —

Doctor. Was, wenn die Natur —

Wozzeck. — die Natur aus ist, wenn die Welt so finster wird, daß man mit den Händen an ihr herumtappen muß, daß man meint, sie verrinnt, wie ein Spinnengewebe. Ach, wenn was is und doch nicht is! Ach, Marie! Wenn Alles dunkel is, und nur noch ein rother Schein im Westen, wie von einer Esse, an was soll man sich da halten? (Schreitet im Zimmer auf und ab.)

Doctor. Kerl! Er tastet mit seinen Füßen herum, wie mit Spinnfüßen.

Wozzeck (vertraulich). Herr Doctor, haben Sie schon was von der doppelten Natur gesehen? Wenn die Sonne im Mittag steht, und es ist, als gieng’ die Welt im Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir geredet.

Doctor. Wozzeck, Er hat eine aberratio.

Wozzeck (legt den Finger an die Nase). Die Schwämme! Haben Sie schon die Ringe von den Schwämmen am Boden gesehen? Linienkreise — Figuren — da steckts, da — wer das lesen könnte!

Doctor. Wozzeck, Er kommt in’s Narrenhaus. Er [178] hat eine schöne fixe Idee, eine köstliche aberratio mentalis partialis, zweite Spezies! Sehr schön ausgebildet! Wozzeck, Er kriegt noch mehr Zulage! Zweite Spezies: Fixe Idee bei allgemein vernünftigem Zustand! Er thut noch Alles, wie sonst? rasirt seinen Hauptmann?

Wozzeck. Ja wohl!

Doctor. Ißt seine Erbsen?

Wozzeck. Immer ordentlich, Herr Doctor! Das Geld für die Menage kriegt das Weib — — Darum thu’ ich’s ja!

Doctor. Thut seinen Dienst?

Wozzeck. Ja wohl!

Doctor. Er ist ein interessanter Casus! Er kriegt noch einen Groschen Zulage die Woche. Wozzeck, halt’ Er sich nur brav! Seh’ Er mich an: was muß Er thun?

Wozzeck (stöhnend). Die Marie …

Doctor. Erbsen essen, dann Hammelfleisch essen, sein Gewehr putzen, dazwischen die fixe Idee pflegen. O meine Theorie! O mein Ruhm! Ich werde unsterblich! Unsterblich!

Wozzeck. Ja! die Marie … und der arme Wurm.

Doctor. Unsterblich, Wozzeck! Zeig’ er die Zunge!




Straße.
Marie. Tambour-Major.

Tambour-Major. Marie.

Marie (ihn anschauend, mit Ausdruck). Geh’ einmal vor [179] dich hin! — Ueber die Brust wie ein Rind und ein Bart wie ein Löwe. So ist Keiner! — Ich bin stolz vor allen Weibern!

Tambour-Major. Wenn ich erst am Sonntag den großen Federbusch hab’ und die weißen Handschuh! Donnerwetter! Der Prinz sagt immer: Mensch! Er ist ein Kerl!

Marie (spöttisch). Ach was! (Tritt vor ihn hin.) Mann!

Tambour-Major. Und du bist auch ein Weibsbild! Sapperment! Wir wollen eine Zucht von Tambour-Majors anlegen. He? (Er umfaßt sie.)

Marie. Laß mich!

Tambour-Major. Wildes Thier!

Marie (heftig). Rühr mich nicht an!

Tambour-Major. Sieht dir der Teufel aus den Augen?

Marie. Meinetwegen. Es ist Alles eins! — — — — — — — — — — — — — — — — — —




Straße.
Hauptmann. Doctor.

Hauptmann. Wohin so eilig, geehrtester Herr Sargnagel?

Doctor. Wohin so langsam, geehrtester Herr Exercizengel?

Hauptmann. Nehmen Sie sich Zeit! Laufen Sie nicht so! Uff!

Doctor. Pressirt! pressirt!

[180] Hauptmann. Laufen Sie nicht! Ein guter Mensch geht nicht so schnell. (Heftig schnaufend.) Ein guter Mensch — ein guter — Sie hetzen sich ja hinter dem Tod d’rein — Sie machen mir Angst!

Doctor. Ich stehle meine Zeit nicht.

Hauptmann. Ein guter Mensch — (Erwischt den Doctor beim Rock.) Herr Doctor, die Pferde machen mir ganz Angst, wenn ich denke, daß die armen Bestien zu Fuß gehen müssen. Rennen Sie nicht so, Herr Sargnagel! Rudern Sie mit dem Stock nicht so in der Luft! Sie schleifen sich ja Ihre Beine auf dem Pflaster ab. (Hält ihn fest.) Erlauben Sie, daß ich ein Menschenleben rette —

Doctor. Frau, in vier Wochen todt, cancer uteri. Habe schon zwanzig solche Patienten gehabt — in vier Wochen —

Hauptmann. Doctor! erschrecken Sie mich nicht, es sind schon Leute am Schreck gestorben, am puren hellen Schreck!

Doctor. In vier Wochen! — Gibt ein interessantes Präparat.

Hauptmann. Oh! Oh!

Doctor. Und Sie selbst! Hm! aufgedunsen, fett, dicker Hals, apoplektische Constitution! Ja, Herr Hauptmann, Sie können eine apoplexia cerebri kriegen, Sie können sie aber vielleicht nur auf der einen Seite bekommen. Ja, Sie können nur auf der einen Seite gelähmt werden oder im besten Falle nur unten!

Hauptmann. Um Gottes —

Doctor. Ja! das sind so ungefähr Ihre Aussichten auf die nächsten vier Wochen! Uebrigens kann ich Sie versichern, daß Sie einen von den interessanten Fällen abgeben [181] werden, und wenn Gott will, daß Ihre Zunge zum Theile gelähmt wird, so machen wir die unsterblichsten Experimente. (Will gehen.)

Hauptmann. Halt, Doctor! Ich lasse Sie nicht! Sargnagel! Todtenfreund! in vier Wochen? — Es sind schon Leute am puren Schreck — Doctor! Ich sehe schon die Leute mit den Citronen in den Händen, aber sie werden sagen: er war ein guter Mensch (gerührt), ein guter Mensch —

Doctor (thut, als hätte er ihn just bemerkt, schwenkt den Hut). Ei! guten Morgen, Herr Hauptmann! (Hält ihm den Hut hin.) Was ist das? Herr Hauptmann, das ist — Hohlkopf!

Hauptmann (macht am Rock eine Falte). Und was ist das, Herr Doctor? Das ist Einfalt. Hahaha! Aber nichts für ungut! Ich bin ein guter Mensch, aber ich kann auch, wenn ich will! Herr Doctor, ich sag’ Ihnen, wenn ich will —

Wozzeck (geht rasch vorbei, salutirt).

Hauptmann. He! Wozzeck! Was hetzt Er sich so an uns vorbei? Bleib Er doch, Wozzeck! Er läuft ja wie ein offenes Rasirmesser durch die Welt, man schneidet sich an Ihm! Er läuft, als hätte Er ein Regiment Katzenschweife zu rasiren, und würde gehenkt, so lange noch ein letztes Haar — aber über die langen Bärte — was wollte ich doch sagen — die langen Bärte —

Doctor. Ein langer Bart unter dem Kinn — schon Plinius spricht davon — man muß es den Soldaten abgewöhnen —

Hauptmann. Ha, die langen Bärte! Was ist’s, Wozzeck? Hat Er nicht ein Haar aus einem Bart in seiner Schüssel gefunden? Haha! — Er versteht mich doch? Ein [182] Haar von einem Menschen! Vom Bart eines Sapeurs — oder eines Unteroffiziers — oder eines Tambourmajors. He, Wozzeck? Aber Er hat ein braves Weib, he?

Wozzeck. Ja wohl! Was wollen Sie damit sagen, Herr Hauptmann?!

Hauptmann. Was der Kerl ein Gesicht macht! Nun haha! wenn auch nicht gerade in der Suppe, aber wenn Er sich eilt und um die Ecke geht, so kann Er vielleicht noch auf einem Paar Lippen eins finden! Ein Haar nämlich! Uebrigens ein Paar Lippen, Wozzeck, ein Paar Lippen! — o! ich habe auch einmal die Liebe gefühlt! — Aber, Kerl, Er ist ja kreideweiß!

Wozzeck. Herr Hauptmann, ich bin ein armer Teufel! Hab’ sonst nichts auf der Welt! Herr Hauptmann, wenn Sie Spaß machen —

Hauptmann. Spaß’ ich? Daß dich? Spaß! Kerl —

Doctor. Den Puls, Wozzeck! Klein, hart, hüpfend —

Wozzeck. Herr Hauptmann! Die Erd’ ist Manchem höllenheiß — die Hölle ist kalt dagegen —

Hauptmann. Kerl, will Er sich erschießen? Er sticht mich mit seinen Augen! Ich mein’s gut mit ihm, weil er ein guter Mensch ist, Wozzeck, ein guter Mensch!

Doctor. Gesichtsmuskeln starr, gespannt, Auge stier. Hm!

Wozzeck. Ich geh’ — es ist viel möglich! Der Mensch — es ist viel möglich! Ja oder nein? Gott im Himmel! Man könnt’ Lust bekommen, einen Kloben hineinzuschlagen und sich dran aufzuhängen. Dann wüßt’ man, woran man ist! Ja oder nein? (Geht rasch ab.)

Doctor. Er ist ein Phänomen, dieser Wozzeck!

Hauptmann. Mir wird ganz schwindlich von dem [183] Menschen! Wie der lange Schlingel läuft und sein Schatten hinterdrein! Und so verzweifelt! Das hab ich nicht gerne! Ein guter Mensch ist dankbar gegen Gott. Ein guter Mensch hat auch keine Courage! Nur ein Hundsfott hat Courage! Ich bin auch manchmal schwermüthig; ich hab’ in meiner Natur so was Schwärmerisches, ich muß immer weinen, wenn ich meinen Rock an der Wand hängen sehe! Aber der Mensch ist dazu da, um seinen Schöpfer zu preisen und sich in der Liebe zum Leben zu befestigen. Nur ein Hundsfott hat Courage! Nur ein Hundsfott!




Mariens Stube.
Wozzeck. Marie.

Marie. Guten Tag, Franz.

Wozzeck. (sieht sie starr an und schüttelt den Kopf.) Hm! ich seh’ nichts, ich seh’ nichts. O, man müßt’s seh’n, man müßt’s greifen können mit den Fäusten!

Marie. Was hast, Franz?

Wozzeck. (wie früher). Bißt du’s noch, Marie?! – Eine Sünde, so dick und breit – das müßt stinken, daß man die Engelchen zum Himmel hinausräuchern könnt’. Aber du hast einen rothen Mund, Marie! Einen rothen Mund – keine Blase drauf?

Marie. Du bißt hirnwüthig, Franz, ich fürcht’ mich …

[184] Wozzeck. Du bist schön — „wie die Sünde“. Aber kann die Todsünde so schön sein, Marie? (Auffahrend.) Da! — Hat er da gestanden, so, so?

Marie. Ich kann den Leuten die Gasse nicht verbieten … Wozzeck. Teufel! Hat er da gestanden?

Marie. Dieweil der Tag lang und die Welt alt ist, können viel Menschen an einem Platze stehen, einer nach dem andern.

Wozzeck. Ich hab ihn gesehen!

Marie. Man kann viel sehen, wenn man zwei Augen hat, und wenn man nicht blind ist, und wenn die Sonn’ scheint.

Wozzeck. Du bei ihm!

Marie (keck). Und wenn auch!

Wozzeck (geht auf sie los). Mensch!

Marie. Rühr’ mich nicht an. Lieber ein Messer in den Leib, als eine Hand auf mich. Mein Vater hat’s nicht gewagt, wie ich zehn Jahr alt war …

Wozzeck (sieht sie starr an, läßt langsam die Hand sinken). Lieber ein Messer! (Nach einer Pause, scheu flüsternd:) Der Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt Einem, wenn man hinunterschaut … Mich schwindelt …




Wirthshaus.
Tambour-Major. Wozzeck. Andres. Leute.

Tambour-Major. Ich bin ein Mann! (Schlägt sich auf die Brust.) Ein Mann, sag’ ich. Wer will was? Wer [185] kein besoffener Herrgott ist, der laß sich von mir — — Ich will ihm die Nas ins A — loch prügeln. Ich will — (Zu Wozzeck.) Da Kerl, sauf’ — ich wollt’, die Welt wär Schnaps, Schnaps, der Mann muß saufen — da Kerl, sauf’ —

Wozzeck (blickt weg, pfeift).

Tambour-Major. Kerl, soll ich dir die Zung’ aus dem Hals zieh’n und sie dir um den Leib wickeln? (Sie ringen, Wozzeck unterliegt.) Soll ich dir noch so viel Athem lassen, als ein Altweiberf — z? Soll ich —

Wozzeck (sinkt erschöpft auf eine Bank).

Tambour-Major. Jetzt soll der Kerl pfeifen, dunkelblau soll er sich pfeifen! He! Brandwein, das ist mein Leben! Brandwein, das gibt Courage!

Einer. Der hat sein Fett!

Andres. Er blut’.

Wozzeck. Einer nach dem Andern!




Die Wachtstube.
Wozzeck. Andres.

Andres (singt):

Frau Wirthin hat eine brave Magd,
Sie sitzt im Garten Tag und Nacht,
Sie sitzt in ihrem Garten —

Wozzeck. Andres!

[186] Andres. Nu!

Wozzeck. Was meinst, wo sie … Schön Wetter!

Andres. Sonntagswetter! Musik vor der Stadt. Vorhin sind die Weibsbilder[WS 2] hin … Tanz … die Bursche dampfen, das geht!

Wozzeck (unruhig). Tanz, Andres, sie tanzen!

Andres. Im Rößl und im Stern.

Wozzeck. Was glaubst, wo sie — ich muß sehen, wo sie tanzen!

Andres. Meinetwegen. (Singt.)

Sie sitzt in ihrem Garten,
Bis daß das Glöcklein zwölfe schlägt,
Und paßt auf die Soldaten.

Wozzeck. Andres, ich hab keine Ruh.

Andres. Narr!

Wozzeck. Ich muß hinaus. Es dreht sich mir vor den Augen. Tanz! Wird sie heiß haben! Verdammt! — Adies!

Andres. Was willst du?

Wozzeck. Ich muß fort, muß sehen.

Andres. Wegen dem Mensch!

Wozzeck. Hinaus, hinaus!




Wirthshaus.
Abend. Fenster offen. Tanz. Bursche. Soldaten. Mägde. Bänke vor dem Haus.

Erster Handwerksbursche (singt):

Ich hab ein Hemdlein an, das ist nicht mein,
Meine Seele stinket nach Branntewein!

[187] Zweiter Handwerksbursche. Vergißmeinnicht! Freundschaft! Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein Loch in die Natur machen? Bruder! ich will ein Loch in deine Natur machen, ich will dir alle Flöh’ am Leib todt schlagen. Bruder, ich bin auch ein Kerl, du weißt —

Erster Handwerksbursche. Meine Seele, meine unsterbliche Seele stinket nach Branntewein! Sie stinket, und ich weiß nicht warum. Warum ist die Welt! Selbst das Geld geht in Verwesung über! Der Teufel soll den lieben Herrgott holen! Bruder, ich muß ein Regenfaß voll greinen!

Zweiter Handwerksbursche. Vergißmeinnicht! Warum ist die Welt so schön! — Ich wollt’, unsere Nasen wären zwei Bouteillen, und wir könnten sie uns einander in den Hals gießen. Die ganze Welt ist rosenroth! Branntwein, das ist ein Leben.

Erster Handwerksbursche. Meine Seele stinket, oh! ich lieg mir selbst im Weg’ und muß über mich springen! Das ist traurig!

(Wozzeck stellt sich an’s Fenster, blickt hinein. Marie und der Tambour-Major tanzen vorbei, ohne ihn zu bemerken.)

Wozzeck. Er! Sie! Teufel!

Marie (im Vorbeitanzen). Immer zu! Immer zu!

Wozzeck. Immer zu — immer zu! (Sinkt auf die Bank vor dem Hause) Immer zu! (Schlägt die Hände in einander.) Dreht Euch, wälzt Euch! Warum löscht Gott nicht die Sonne aus! Alles wälzt sich in Unzucht über einander! Mann und Weib und Mensch und Vieh! Sie thun’s am hellen Tag, sie thun’s schier Einem auf den Händen, wie die Mücken. Weib! Weib! Immer zu. (Fährt heftig auf) Wie er an ihr [188] herumgreift! An ihrem Leib! Und sie lacht dazu! Verdammt! Ich —

Bursche (drinnen, singen im Chor):

Ein Jäger aus der Pfalz
Ritt einst durch einen grünen Wald!
Halli, halloh! Halli, halloh!
Ja lustig ist die Jägerei
Allhie auf grüner Haid’.
Das Jagen ist mein’ Freud’.

Andere Bursche (singen):

O Tochter, meine Tochter —
Was hat sie gedenkt,
Daß sie sich an die Kutscher
Und die Schiffsleut’ hat gehängt?!

(Soldaten gehen hinaus an Wozzeck vorbei.)

Ein Soldat (zu Wozzeck). Was machst du?

Wozzeck. Wie viel Uhr?

Soldat. Elf Uhr!

Wozzeck. So? Ich meint’, es müßt später sein! Die Zeit wird Einem lang bei der Kurzweil —

Soldat. Was sitzest du da vor der Thür?

Wozzeck. Ich sitz’ gut da. Es sind manche Leut’ nah an der Thür und wissen’s nicht, bis man sie zur Thür hinausträgt, die Füß’ voran!

Soldat. Du sitzest hart.

Wozzeck. Gut sitz ich, und im kühlen Grab da lieg’ ich dann noch besser —

Soldat. Bist besoffen?

Wozzeck. Nein! Leider! Brings nit zusamm!

Erster Handwerksbursche (drinnen, hat sich auf den Tisch [189] gestellt und predigt). Jedoch, wenn ein Wanderer, der gelehnt steht an dem Strom der Zeit oder aber sich die göttliche Weisheit beantwortet und fraget: Warum ist der Mensch? Aber wahrlich, geliebte Zuhörer, ich sage Euch, es ist gut so, denn von was hätten der Landmann, der Faßbinder, der Schneider, der Arzt leben sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen hätte? Von was hätte der Schneider leben sollen, wenn er nicht dem Menschen die Empfindung der Schamhaftigkeit eingepflanzt hätte? von was der Soldat und der Wirth, wenn er ihn nicht mit dem Bedürfniß des Todtschlagens und der Feuchtigkeit ausgerüstet hätte? Darum zweifelt nicht, Geliebteste, ja! ja! es ist Alles lieblich und fein, aber alles Irdische ist eitel, selbst das Geld geht in Verwesung über, und meine unsterbliche Seele stinket sehr nach Branntewein. Zum Schluß, meine geliebten Zuhörer, lasset uns noch über’s Kreuz p—n, damit ein Jud’ stirbt!

Wozzeck. Sie hat rothe Backen, und er einen schönen Bart! Warum nicht? Warum also nicht?

Ein Irrsinniger (drängt sich neben Wozzeck ans Fenster). Lustig, lustig, aber es riecht —

Wozzeck. Narr, was willst du?

Irrsinniger. Ich riech, ich riech Blut!

Wozzeck. Blut! Ha Blut! Mir wird roth vor den Augen. Mir ist, als wälzten sie sich alle in einem Meer von Blut über einander.

[190]
Freies Feld.
Nacht. Wozzeck.

Wozzeck. Immer zu! Immer zu! Still Musik! Ha! was, was sagt Ihr? So — lauter! lauter! Jetzt hör’ ich’s. Stich — stich die Zickwölfin todt — Stich — stich — die — Zickwölfin todt — soll ich? — muß ich? — Ich hör’s immer, immer zu — stich todt — todt — Da unten aus dem Boden heraus spricht’s, und die Pappeln sprechen’s — stich todt — stich —




Kaserne.
Nacht. Andres und Wozzeck schlafen in einem Bett.

Wozzeck (fährt auf). Andres! Andres! ich kann nicht schlafen, wenn ich die Augen zumach’, dann seh ich sie doch immer und ich hör’ die Geigen immer zu, immer zu. Und dann sprichts aus der Wand heraus — hörst du nix, Andres? Und das geigt und springt!

Andres (murmelt). Ja! — laß sie tan — zen —

Wozzeck. Und dazwischen blitzt’s mir immer vor den Augen, wie ein Messer! wie ein breites Messer, und bald liegt’s auf einem Tisch in einem Laden in einer dunklen Gaß, und bald hab’ ich’s in der Hand und — oh!

Andres. Schlaf, Narr!

[191] Wozzeck. „Und führe uns nicht in Versuchung!“ Mein Herr und Gott, „und führe uns nicht in Versuchung, Amen!“




Kasernenhof.
Tambour-Major. Andres. Wozzeck (abseit).

Tambour-Major. Ich bin ein Mann! Ich hab’ ein Weibsbild, ich sag’ Ihm, ein Weibsbild! — Zur Zucht von Tambourmajors! Ein Busen und Schenkel! Und Alles fest! Die Augen wie glühende Kohlen. Ein Weibsbild, sag’ ich Ihm...

Andres. He! He! Wer is es denn?

Tambour-Major. Frag’ Er den Wozzeck da! Hehe! Ich bin ein Mann, ein Mann! (Ab)

Wozzeck (zu Andres). Er hat von mir geredt? Was hat er gesagt?

Andres. Ich sollt’ dich fragen, wer sein Mensch ist. Hätt’ ein prächtig Weibsbild — die hätt’ Schenkel —

Wozzeck (ganz kalt). So? Hat er das gesagt? Was hat mir heut Nacht geträumt, Andres? War’s nicht von einem Messer? — Was man doch närrische Träume hat! Oder kluge Träume? (Will fort.)

Andres. Wohin, Kamerad?

Wozzeck. Meinem Hauptmann Wein holen. Ach! Andres, sie war doch ein einzig Mädel!

Andres. Wer war? War? Ist nicht mehr?

Wozzeck. Wird bald nicht mehr sein, Adies!

[192]
Mariens Stube.

Marie (allein, blättert in der Bibel). „Und ist kein Betrug in seinem Munde erfunden worden“ ... Herrgott, Herrgott! Sieh mich nicht an! (Blättert weiter.) „Aber die Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, so im Ehebruch lebte und stelleten sie vor ihn.“ (Liest murmelnd weiter, dann mit gehobener Stimme): „Jesus aber sprach. So verdamme ich dich auch nicht, geh’ hin, und sündige hinfort nicht mehr.“ (Schlägt die Hände zusammen.) Herrgott! Herrgott! — ich kann nicht — Herrgott! gib mir nur so viel, daß ich beten kann. (Das Kind drängt sich an sie.) Der Bub gibt mir einen Stich in’s Herz. Fort! Das brüst’ sich in der Sonne! Nein komm, komm her! (Beginnt zu erzählen.) Es war einmal ein König. Der Herr König hatt’ eine goldene Kron und eine Frau Königin und ein klein Büblein. Und was aßen sie Alle? — Sie aßen Alle Leberwürst... Der Franz ist nit gekommen, gestern nit, heut nit... Mir wird heiß, heiß! (Reißt das Fenster auf.) Wie steht es geschrieben von der Magdalena — wie steht es geschrieben?.. „Und kniete hin zu seinen Füßen und weinte und küßte seine Füße und netzte sie mit Thränen und salbte sie mit Salben“... (Schlägt sich auf die Brust.) Heiland! ich möchte dir die Füße salben — Heiland, du hast dich ihrer erbarmt, erbarme dich auch meiner! — — — — — — — — — — — —

[193]
Kramladen.
Wozzeck. Ein Jude.

Wozzeck. Das Pistölchen ist zu theuer.

Jude. Nu, kauft’s nur — gaude Waar’! Kauft’s nit? Was anders?

Wozzeck. Was kost’ das Messer?

Jude. Zwei Gulden! ’Sist gaud! a gaud’s Messer. Wollt Ihr Euch den Hals mit abschneiden? Nun was is? Ich geb’s Euch so wohlfeil wie ein Anderer! Ihr sollt Eueren Tod wohlfeil haben, aber doch nicht umsonst. Ihr kauft’s? Nu?

Wozzeck. Das kann mehr als Brod schneiden —

Jude. Ja, Herrche!

Wozzeck. Da! (wirft das Geld hin, nimmt das Messer, ab.)

Jude. Da! Hihi! Als ob’s nix wär! Und s’is doch Geld. Hihi.




Straße.
Sonntag Nachmittags. Marie vor der Hausthür, ihr Kind auf dem Arm. Neben ihr eine alte Frau Kinder spielen auf der Straße.

Kleine Mädchen (gehen paarweise und singen):

Wie heute schön die Sonne scheint,
Wie steht das Korn im Blüh’n!
Sie gingen über die Wiese hin,
Sie gingen zwei und zwei.
Die Pfeifer gingen vorne,
Die Geiger hinterdrein,

[194]

Sie hatten alle rothe Schuh
Und gingen immer zu.

Erstes Mädchen (tritt aus der Reihe). Was Anderes!

Alle. Was Anderes! Was?

Erstes Mädchen. Ich weiß nit. Was Anderes!

Marie. Kommt — alle im Kreis (singt, die Kinder singen nach und drehen sich).

„Ringel, Ringel, Rosenkranz,
Ringel, Ringel!

Erstes Mädchen (zur alten Frau). Großmutter, warum scheint heute die Sonn’?

Alte Frau. Darum!

Erstes Mädchen. Aber warum — darum?

Zweites Mädchen. Großmutter, erzählt was!

Marie. Ja, erzählt was, Base.

Alte Frau (erzählt). Es war einmal ein arm Kind und hatt’ keinen Vater und keine Mutter — war Alles todt und war Niemand auf der Welt, und es hat gehungert und geweint Tag und Nacht. Und weil es Niemand mehr hatt’ auf der Welt, wollt’s in den Himmel geh’n. Und der Mond guckt’ es so freundlich an, und wie’s endlich zum Mond kommt, ist’s ein Stück faul Holz. Da wollt’s zur Sonne geh’n, und die Sonn’ guckt es so freundlich an, und wie’s endlich zur Sonne kommt, ist’s ein verwelkt Sonnblümlein. Da wollt’s zu den Sternen geh’n, und die Sterne gucken es so freundlich an, und wie’s endlich zu den Sternen kommt, da sind’s goldene Mücklein, die sind aufgespießt auf Schlehendörner und sterben. Da wollt’ das Kind wieder zur Erde, aber wie’s zur Erde kam, da war die Erde ein umgestürzt Häfchen. Und so war das Kind [195] ganz allein und hat sich hingesetzt und hat geweint. Hab’ nicht Vater noch Mutter, hab’ nicht Sonne, Mond und Sterne und nicht die Erde. Und da sitzt es noch und ist ganz allein.

Marie (drückt angstvoll ihr Kind an die Brust), Ach! wenn ich todt bin! Bas’, sie hat mir das Herz schwer gemacht. Mein armer Wurm! Wenn ich todt bin!




Kaserne.
Andres. Wozzeck (kramt in seinen Sachen).

Wozzeck. Das Kamisölchen, Andres, gehört nit zur Montur. Du kannst’s brauchen, Andres! Das Kreuz ist meiner Schwester und das Ringlein, ich hab’ auch noch zwei Herzen, schön Gold. Das da lag in meiner Mutter Bibel, und da steht:

Leiden sei all mein Gewinnst,
Leiden sei mein Gottesdienst,
Herr! wie Dein Leib war roth und wund,
So laß mein Herz sein alle Stund.

Andres (ganz starr, sieht ihn verwundert an, schüttelt den Kopf, sagt zu Allem) Jawohl!

Wozzeck (zieht ein Papier hervor). Johann Franz Wozzeck, Wehrmann und Füselier im 2. Regiment, 2. Bataillon, 4. Kompagnie, geboren Mariä Verkündigung 20. Juli (murmelt die Jahreszahl). Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 Monat und 12 Tag.

[196] Andres. Franz, Du kommst ins Lazareth. Du mußt Schnaps trinken und Pulver drin, das tödt’ das Fieber.

Wozzeck. Ja, Andres, wenn der Schreiner die Hobelspäne sammelt, da weiß Niemand, wer seinen Kopf darauf legen wird.




Waldweg am Teich.
(Es dunkelt.)
Wozzeck. Marie.

Marie. Dort links geht’s in die Stadt. S’ist noch weit. Komm schneller.

Wozzeck. Du sollst da bleiben, Marie. Komm, setz’ Dich.

Marie. Aber ich muß fort.

Wozzeck. Komm. (Sie setzen sich.) Bist weit gegangen, Marie. Sollst dir die Füße nicht mehr wund laufen. S’ist still hier! Und so dunkel. — Weißt noch, Marie, wie lang es jetzt ist, daß wir uns kennen?

Marie. Zu Pfingsten drei Jahr.

Wozzeck. Und was meinst, wie lang es noch dauern wird?

Marie (springt auf). Ich muß fort.

Wozzeck. Fürchst dich, Marie? Und bist doch fromm? (lacht) Und gut! Und treu! (Zieht sie wieder auf den Sitz.) Fürchst dich? — Was du für süße Lippen hast, Marie! (küßt sie.) Den Himmel gäb’ ich drum und die Seligkeit, [197] wenn ich dich noch oft so küssen dürft. Aber ich darf nicht! — Was zitterst?

Marie. Der Nachtthau fällt.

Wozzeck (flüstert vor sich hin). Wer kalt ist, den friert nicht mehr! Dich wird beim Morgenthau nicht frieren. — Aber mich! Ach! es muß sein!

Marie. Was sagst du da?

Wozzeck. Nix. (Langes Schweigen.)

Marie. Wie der Mond roth aufgeht!

Wozzeck. Wie ein blutig Eisen! (zieht ein Messer.)

Marie. Was zitterst so? (springt auf.) Was willst?

Wozzeck. Ich nicht, Marie! und kein Anderer auch nicht! (stößt ihr das Messer in den Hals.)

Marie. Hülfe! Hülfe! (sie sinkt nieder.)

Wozzeck. Todt! (beugt sich über sie) Todt! Mörder! Mörder! (stürzt davon.)




Wirthshaus.
Bursche, Dirnen, Tanz. Wozzeck (abseit an einem Tische).

Wozzeck. Tanzt Alle; tanzt nur zu, springt, schwitzt und stinkt, es holt Euch doch noch einmal alle der Teufel! (leert sein Glas, singt:)

Es ritten drei Reiter wohl an den Rhein,
Bei einer Frau Wirthin da kehrten sie ein.
Mein Wein ist gut, mein Bier ist klar,
Mein Töchterlein liegt auf der —

Verdammt! (springt auf.) He, Käthe! (tanzt mit ihr.) Komm, [198] setz dich! (führt sie an seinen Tisch.) Ich hab heiß, heiß! (Zieht den Rock aus.) S’ist einmal so! Der Teufel holt die Einen und läßt die Andern laufen. Käthe, du bist heiß! Wart nur, wirst auch noch kalt werden! Kannst nicht singen?

Käthe (singt.)

In’s Schwabenland, da mag ich nit,
Und lange Kleider trag ich nit,
Denn lange Kleider, spitze Schuh
Die kommen keiner Dienstmagd zu.

Wozzeck. Nein! keine Schuh, man kann auch bloßfüßig in die Höll’ geh’n! (singt)

O pfui mein Schatz, das war nicht fein!
Behalt den Thaler und schlaf allein!

Ich möcht heut raufen, — raufen —

Käthe. Aber was hast du da an der Hand?

Wozzeck. Ich? ich?

Käthe. Roth! Blut!

(Es stellen sich Leute um sie.)

Wozzeck. Blut? Blut?

Wirthin. Freilich — Blut.

Wozzeck. Ich glaub’, ich hab’ mich — geschnitten, da an der — rechten — Hand —

Wirthin. Wie kommts aber an den Ellenbogen?

Wozzeck. Ich habs abgewischt.

Wirthin. Mit der rechten Hand am rechten Arm?

Bauer. Puh! was stinkt da Menschenblut!

Wozzeck (springt auf.) Was wollt Ihr? Was geht’s Euch an? Bin ich ein Mörder? Was gafft Ihr? Platz — oder es geht Jemand zum Teufel! (stürzt hinaus.)

[199]
Waldweg am Teich.
Nacht. Wozzeck (kommt herangewankt.)

Das Messer? — Wo ist das Messer? — Ich habs da gelassen. — Näher, noch näher. — Mir graut’s — Da regt sich was. Still! — Alles still und todt. — Mörder! Mörder! Ha! da ruft’s. Nein — ich selbst. (stößt auf die Leiche.) Marie! Marie! Was hast du für eine rothe Schnur um den Hals? Hast dir das rothe Halsband verdient, wie die Ohr-Ringlein, mit deiner Sünde! Was hängen dir die schwarzen Haare so wild —?! — Mörder! — Mörder! — Sie werden nach mir suchen. Das Messer verräth mich! Da, da ist’s — — Leute! — — fort!

(Am Teich.)

So! da hinunter! (wirft das Messer hinein.) Es taucht ins dunkle Wasser wie ein Stein. Aber der Mond verräth mich — der Mond ist blutig. Will denn die ganze Welt es ausplaudern?! — Das Messer, es liegt zu weit vorn, sie findens beim Baden oder wenn sie nach Muscheln tauchen. (geht in den Teich hinein.) Ich find’s nicht. Aber ich muß mich waschen. Ich bin blutig. Da ein Fleck — und noch einer. Weh! weh! ich wasche mich mit Blut — das Wasser ist Blut … Blut … (ertrinkt.)

(Es kommen Leute.)

Erster Bürger. Halt!

Zweiter Bürger. Hörst du? Dort!

Erster Bürger. Jesus! das war ein Ton.

Zweiter Bürger. Es ist das Wasser im Teich. Das Wasser ruft. Es ist schon lange Niemand ertrunken. Komm — es ist nicht gut zu hören.

[200] Erster Bürger. Das stöhnt — als stürbe ein Mensch. Hans! da ertrinkt Jemand.

Zweiter Bürger. Unheimlich! Der Mond roth und die Nebel grau. Hörst? — jetzt wieder das Aechzen.

Erster Bürger. Stiller, — jetzt ganz still. Komm! komm schnell. (eilen der Stadt zu.)




Früher Morgen. Vor Mariens Hausthür.
Kinder (spielen und lärmen).

Erstes Kind. Du, Margreth! — die Marie

Zweites Kind. Was is?

Erstes Kind. Weißt es nit? Sie sind schon Alle ’naus.

Drittes Kind (zu Mariens Knaben). Du! Dein Mutter ist todt!

Der Knabe (auf der Schwelle reitend). Hei! Hei! Hopp! Hopp!

Erstes Kind. Wo is sie denn?

Zweites Kind. Draus liegt sie, am Weg, neben dem Teich.

Erstes Kind. Kommt — anschaun! (laufen davon.)

Der Knabe. Hei! Hei! Hopp! Hopp!

[201]
Secirsaal.
Chirurg. Arzt. Richter.

Richter. Ein guter Mord, ein ächter Mord, ein schöner Mord, so schön, als man ihn nur verlangen kann. Wir haben schon lange keinen so schönen gehabt.

Arzt. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Original: Aschied
  2. Original: Weisbilder