Winterabend im Gebirge
[187] Winterabend im Gebirge. (Mit Illustration S. 177.) Fremdartig und ernst erscheint dem Städter die Berglandschaft im Winter, wenn der Schnee bis zur halben Mannshöhe die Straßen verweht hat; wenn die Bäche zu Eis erstarrt sind und in den Wäldern ein finsteres frostiges Schweigen sich unheimlich und todbringend hingelagert hat; wenn Alles grau in grau gemalt ist, was man sonst grün und goldig zu schauen gewohnt ist; wenn die unendliche Einsamkeit wieder in jenen Hochthälern thront, wo einst der sommerliche Almruf goldhell vom Felsen jauchzte!
Manches unserer schönen Thäler ist freilich heutzutage auch im Winter dem Freunde der Natur nicht mehr unzugänglich. Im behaglich durchwärmten Eisenbahnkoupé fahren wir den Bergen entgegen. Stundenlang sieht unser Auge nichts, als die mit einer dicken Eisrinde überzogenen Fenster des Wagens. Aber sobald wir diesen an der Endstation verlassen, erschließt sich schimmernder Zauber dem überraschten Blick. Noch hat die Natur Farbengluth und leuchtende Pracht, wenn auch nur wie ein Widerschein aus einem fernen Aether flüchtig gehaucht. Zum frühen Untergange neigt sich die Nachmittagssonne. Der ganze Himmel ist feurig. Im Süden steigen bekannte Wälder dunkelblau empor, und über ihnen thürmt sichs auf: tiefverschneite Alpenmatten, in der Abendsonne leuchtend, von dunklen Felsmassen gekrönt. Verwundert sucht der Blick sich an das fremdartige Wesen der zur Sommerszeit so wohl gekannten Landschaft zu gewöhnen. Selbst der Maßstab für die Entfernungen ist ein anderer geworden. Der Laubwald, hinter welchem sonst das Dorf sich versteckte, ist zum dünnen Gestrüpp geworden; die staubige Straße, die vom Bahnhofe zum Orte führt und auf welcher wir im Hochsommer zwischen Wolken Staubes dahinrasselten, ward ein knietiefer Sumpf, wo von Schneewasser gefüllte Schlittenspuren tief eingefurcht sind.
Eingefroren ist der Mühlbach, der damals in seinem holzgezimmerten
Bette neben der Straße hinrauschte. Weiter unten, halbwegs nach dem
Dorfe zu, treibt er sonst das Räderwerk einer alten Hammerschmiede.
Damals sahen wir – es war ein Sonntagabend um die Zeit der
Sonnenwende – am Zaune neben dem alten schwarzgrünen Mühlrad ein Pärchen
stehen. Wir kannten sie wohl, die hübsche Tochter des Hammerschmieds
und den blonden Jagdgehilfen mit seinem Dächsel. Jetzt muß der
Jagdgehilfe wohl weit weg sein, sonst würden die Hasen sich kaum getrauen,
so frech über die Straße zu galoppiren und am fahlen Strauchwerk zu
zupfen. Frecher als die Hasen sind freilich noch die Spatzen; droben auf
dem entlaubten Weißdorn sitzen sie und schütteln den Schnee vom Gezweig
und erzählen einander, daß man fett werden könne, wenn man unter das
Dach der Hammerschmiede schlüpfe, wo ein großer Sack Getreide offen
dasteht. Nur sei dort eine sehr bedenkliche graue Katze. Früher war’s
hübscher, als die junge Hammerschmiedstocher noch ab und zu eine Hand
voll Brot auf die Straße warf. Ja – wohin war sie wohl gerathen?
Rußige Gesellen steh’n in der Schmiede beim Ambos und schlagen mit
ihren schweren Hämmern drauf los, daß die Funken in den Schnee hinausstieben.
Vorüber, vorüber! Nach dem Dorfe zu, dessen Dächer so schwarz
in die weiße Landschaft hineinschauen! Ueber diesen Dächern glänzt es
seltsam; eine weite flimmernde Fläche. Das ist der See, dessen ferne
waldige Ufer im Abendnebel verschwinden. Ueber ihn hin geht jetzt ein
langhallender, klagender Ton, von einem Ufer zum anderen. Und weit
in der Ferne antwortet ein ähnlicher Klang, nachzitternd wie ein
Geistergruß. Das ist die Musik der krystallenen Eisfläche, die den See bedeckt;
eine Reihe von eigenartigen ergreifenden Naturlauten, die uns der Winter
singt zum Ersatz für das verlorene Rauschen des sommerlichen Waldes,
für das Plätschern spielender Wellen! M. Haushofer.