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Wilhelm Tell
Vierter Aufzug »
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[103]
Dritter Aufzug
Erste Scene

Hof vor Tells Hause. Er ist mit der Zimmeraxt, Hedwig mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt. Walther und Wilhelm in der Tiefe spielen mit einer kleinen Armbrust.

Walther (singt)
Mit dem Pfeil, dem Bogen,
Durch Gebirg und Thal
Kommt der Schütz gezogen
Früh am Morgenstrahl.

Wie im Reich der Lüfte
König ist der Weih, –
Durch Gebirg und Klüfte
Herrscht der Schütze frei.

Ihm gehört das Weite
Was sein Pfeil erreicht,
Das ist seine Beute,
Was da kreucht und fleugt.
(kommt gesprungen)

[104]

Der Strang ist mir entzwey. Mach mir ihn Vater.

Tell
Ich nicht. Ein rechter Schütze hilft sich selbst.
(Knaben entfernen sich)

Hedwig
Die Knaben fangen zeitig an zu schießen.

Tell
Früh übt sich, was ein Meister werden will.

Hedwig
Ach wollte Gott, sie lerntens nie

Tell
Sie sollen alles lernen. Wer durchs Leben
Sich frisch will schlagen, muß zu Schutz und Trutz
Gerüstet seyn.

Hedwig
 Ach, es wird keiner seine Ruh
Zu Hause finden.

Tell
 Mutter, ich kanns auch nicht,
Zum Hirten hat Natur mich nicht gebildet,

[105]

Rastlos muß ich ein flüchtig Ziel verfolgen,
Dann erst genieß ich meines Lebens recht,
Wenn ich mirs jeden Tag aufs neu erbeute.

Hedwig
Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht,
Die sich indessen, deiner wartend, härmt,
Denn mich erfüllts mit Grausen, was die Knechte
Von euren Wagefahrten sich erzählen.
Bei jedem Abschied zittert mir das Herz,
Daß du mir nimmer werdest wiederkehren.
Ich sehe dich im wilden Eisgebirg,
Verirrt, von einer Klippe zu der andern
Den Fehlsprung thun, seh wie die Gemse dich
Rückspringend mit sich in den Abgrund reißt,
Wie eine Windlawine dich verschüttet,
Wie unter dir der trügerische Firn
Einbricht und du hinabsinkst, ein lebendig
Begrabner, in die schauerliche Gruft –
Ach, den verwegnen Alpenjäger hascht
Der Tod in hundert wechselnden Gestalten,

[106]

Das ist ein unglückseliges Gewerb’,
Das halsgefährlich führt am Abgrund hin!

Tell
Wer frisch umher späht mit gesunden Sinnen,
Auf Gott vertraut und die gelenke Kraft,
Der ringt sich leicht aus jeder Fahr und Noth,
Den schreckt der Berg nicht, der darauf gebohren.
(er hat seine Arbeit vollendet, legt das Geräth hinweg)
Jetzt, mein ich, hält das Thor auf Jahr und Tag.
Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.
(nimmt den Hut)

Hedwig
Wo gehst du hin?

Tell
 Nach Altorf, zu dem Vater.

Hedwig
Sinnst du auch nichts gefährliches? Gesteh mirs.

Tell
Wie kommst du darauf Frau?

Hedwig
 Es spinnt sich etwas

[107]

Gegen die Vögte – Auf dem Rütli ward
Getagt, ich weiß, und du bist auch im Bunde.

Tell
Ich war nicht mit dabei – doch werd ich mich
Dem Lande nicht entziehen, wenn es ruft.

Hedwig
Sie werden dich hinstellen, wo Gefahr ist,
Das Schwerste wird dein Antheil seyn, wie immer.

Tell
Ein jeder wird besteuert nach Vermögen.

Hedwig
Den Unterwaldner hast du auch im Sturme
Ueber den See geschafft – Ein Wunder wars,
Daß ihr entkommen – Dachtest du denn gar nicht
An Kind und Weib?

Tell
 Lieb Weib, ich dacht’ an euch,
Drum rettet’ ich den Vater seinen Kindern.

Hedwig
Zu schiffen in dem wüthgen See! Das heißt
Nicht Gott vertrauen! Das heißt Gott versuchen.

[108]

Tell
Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.

Hedwig
Ja du bist gut und hilfreich, dienest allen,
Und wenn du selbst in Noth kommst, hilft dir keiner.

Tell
Verhüt es Gott, daß ich nicht Hülfe brauche.
(er nimmt die Armbrust und Pfeile)

Hedwig
Was willst du mit der Armbrust? Laß sie hier.

Tell
Mir fehlt der Arm, wenn mir die Waffe fehlt.
(die Knaben kommen zurück)

Walther
Vater, wo gehst du hin?

Tell
 Nach Altorf, Knabe,
Zum Ehni – Willst du mit?

Walther
 Ja freilich will ich.

Hedwig
Der Landvogt ist jezt dort. Bleib weg von Altorf.

[109]

Tell
Er geht, noch heute.

Hedwig
 Drum laß ihn erst fort seyn.
Gemahn’ ihn nicht an dich, du weißt, er grollt uns.

Tell
Mir soll sein böser Wille nicht viel schaden,
Ich thue recht und scheue keinen Feind.

Hedwig
Die recht thun, eben die haßt er am meisten.

Tell
Weil er nicht an sie kommen kann – Mich wird
Der Ritter wohl in Frieden lassen, mein ich.

Hedwig
So, weißt du das?

Tell
 Es ist nicht lange her,
Da gieng ich jagen durch die wilden Gründe
Des Schächenthals auf menschenleerer Spur,
Und da ich einsam einen Felsensteig

[110]

Verfolgte, wo nicht auszuweichen war,
Denn über mir hieng schroff die Felswand her,
Und unten rauschte fürchterlich der Schächen,
(die Knaben drängen sich rechts und links an ihn und sehen mit gespannter Neugier an ihm hinauf)
Da kam der Landvogt gegen mich daher,
Er ganz allein mit mir, der auch allein war,
Bloß Mensch zu Mensch, und neben uns der Abgrund.
Und als der Herre mein ansichtig ward,
Und mich erkannte, den er kurz zuvor
Um kleiner Ursach’ willen schwer gebüßt,
Und sah mich mit dem stattlichen Gewehr
Daher geschritten kommen, da verblaßt’ er,
Die Knie versagten ihm, ich sah es kommen,
Daß er jezt an die Felswand würde sinken.
– Da jammerte mich sein, ich trat zu ihm
Bescheidentlich und sprach: Ich bin’s, Herr Landvogt.
Er aber konnte keinen armen Laut
Aus seinem Munde geben – Mit der Hand nur
Winkt’ er mir schweigend, meines Wegs zu gehn,
Da gieng ich fort, und sandt ihm sein Gefolge.

[111]

Hedwig
Er hat vor dir gezittert – Wehe dir!
Daß du ihn schwach gesehn, vergiebt er nie.

Tell
Drum meid ich ihn, und er wird mich nicht suchen.

Hedwig
Bleib heute nur dort weg. Geh lieber jagen.

Tell
Was fällt dir ein?

Hedwig
 Mich ängstigts. Bleibe weg.

Tell
Wie kannst du dich so ohne Ursach’ quälen?

Hedwig
Weils keine Ursach’ hat – Tell, bleibe hier.

Tell
Ich habs versprochen, liebes Weib, zu kommen.

Hedwig
Mußt du, so geh – Nur lasse mir den Knaben!

Walther
Nein, Mütterchen. Ich gehe mit dem Vater.

[112]

Hedwig
Wälty, verlassen willst du deine Mutter?

Walther
Ich bring dir auch was hübsches mit vom Ehni.
(geht mit dem Vater)

Wilhelm
Mutter, ich bleibe bei dir!

Hedwig (umarmt ihn)
 Ja, du bist
Mein liebes Kind, du bleibst mir noch allein!
(Sie geht an das Hofthor, und folgt den Abgehenden lange mit den Augen)


Zweite Scene


Eine eingeschlossene wilde Waldgegend, Staubbäche stürzen von den Felsen.

Bertha im Jagdkleid. Gleich darauf Rudenz.

Bertha
Er folgt mir. Endlich kann ich mich erklären.

Rudenz (tritt rasch ein)
Fräulein, jezt endlich find ich euch allein,
Abgründe schließen rings umher uns ein,

[113]

In dieser Wildniß fürcht’ ich keinen Zeugen,
Vom Herzen wälz’ ich dieses lange Schweigen –

Bertha
Seid ihr gewiß, daß uns die Jagd nicht folgt?

Rudenz
Die Jagd ist dort hinaus – Jezt oder nie!
Ich muß den theuren Augenblick ergreifen –
Entschieden sehen muß ich mein Geschick,
Und sollt es mich auf ewig von euch scheiden.
– O waffnet eure gütgen Blicke nicht
Mit dieser finstern Strenge – Wer bin ich,
Daß ich den kühnen Wunsch zu euch erhebe?
Mich hat der Ruhm noch nicht genannt, ich darf
Mich in die Reih’ nicht stellen mit den Rittern,
Die siegberühmt und glänzend euch umwerben.
Nichts hab ich als mein Herz voll Treu und Liebe –

Bertha (ernst und streng)
Dürft Ihr von Liebe reden und von Treue,
Der treulos wird an seinen nächsten Pflichten?
(Rudenz tritt zurück.)

[114]

Der Sklave Oesterreichs, der sich dem Fremdling
Verkauft, dem Unterdrücker seines Volks?

Rudenz
Von euch, mein Fräulein, hör ich diesen Vorwurf?
Wen such’ ich denn, als Euch auf jener Seite?

Bertha
Mich denkt ihr auf der Seite des Verraths
Zu finden? Eher wollt’ ich meine Hand
Dem Geßler selbst, dem Unterdrücker schenken,
Als dem Naturvergeßnen Sohn der Schweiz,
Der sich zu seinem Werkzeug machen kann!

Rudenz
O Gott, was muß ich hören?

Bertha
 Wie? Was liegt
Dem guten Menschen näher als die Seinen?
Giebts schönre Pflichten für ein edles Herz,
Als ein Vertheidiger der Unschuld seyn,
Das Recht des Unterdrückten zu beschirmen?
– Die Seele blutet mir um euer Volk,
Ich leide mit ihm, denn ich muß es lieben,

[115]

Das so bescheiden ist und doch voll Kraft,
Es zieht mein ganzes Herz mich zu ihm hin,
Mit jedem Tage lern ich’s mehr verehren.
– Ihr aber, den Natur und Ritterpflicht
Ihm zum gebohrenen Beschützer gaben,
Und der’s verläßt, der treulos übertritt
Zum Feind, und Ketten schmiedet seinem Land,
Ihr seids, der mich verlezt und kränkt, ich muß
Mein Herz bezwingen, daß ich euch nicht hasse.

Rudenz
Will ich denn nicht das Beste meines Volks?
Ihm unter Oestreichs mächtgem Zepter nicht
Den Frieden –

Bertha
 Knechtschaft wollt ihr ihm bereiten!
Die Freiheit wollt ihr aus dem letzten Schloß,
Das ihr noch auf der Erde blieb, verjagen.
Das Volk versteht sich besser auf sein Glück,
Kein Schein verführt sein sicheres Gefühl,
Euch haben sie das Netz ums Haupt geworfen –

[116]

Rudenz
Bertha! Ihr haßt mich, ihr verachtet mich!

Bertha
Thät ichs, mir wäre besser – Aber den
Verachtet sehen und verachtungswerth,
Den man gern lieben möchte –

Rudenz
 Bertha! Bertha!
Ihr zeiget mir das höchste Himmelsglück,
Und stürzt mich tief in Einem Augenblick.

Bertha
Nein, nein, das Edle ist nicht ganz erstickt
In euch! Es schlummert nur, ich will es wecken,
Ihr müßt Gewalt ausüben an euch selbst,
Die angestammte Tugend zu ertöden,
Doch wohl euch, sie ist mächtiger als ihr,
Und trotz euch selber seid ihr gut und edel!

Rudenz
Ihr glaubt an mich! O Bertha, alles läßt
Mich eure Liebe seyn und werden!

[117]

Bertha
 Seid
Wozu die herrliche Natur euch machte!
Erfüllt den Platz, wohin sie euch gestellt,
Zu eurem Volke steht und eurem Lande,
Und kämpft für euer heilig Recht.

Rudenz
 Weh mir!
Wie kann ich euch erringen, euch besitzen,
Wenn ich der Macht des Kaisers widerstrebe?
Ists der Verwandten mächtger Wille nicht,
Der über eure Hand tyrannisch waltet?

Bertha
In den Waldstätten liegen meine Güter,
Und ist der Schweitzer frei, so bin auch ich’s.

Rudenz
Bertha! welch einen Blick thut ihr mir auf!

Bertha
Hofft nicht durch Oestreichs Gunst mich zu erringen,
Nach meinem Erbe strecken sie die Hand,
Das will man mit dem großen Erb vereinen.

[118]

Dieselbe Ländergier, die Eure Freiheit
Verschlingen will, sie drohet auch der meinen!
– O Freund, zum Opfer bin ich ausersehn,
Vielleicht um einen Günstling zu belohnen –
Dort wo die Falschheit und die Ränke wohnen,
Hin an den Kaiserhof will man mich ziehn,
Dort harren mein verhaßter Ehe Ketten,
Die Liebe nur – die Eure kann mich retten!

Rudenz
Ihr könntet euch entschließen, hier zu leben,
In meinem Vaterlande mein zu seyn?
O Bertha, all mein Sehnen in das Weite,
Was war es, als ein Streben nur nach Euch?
Euch sucht’ ich einzig auf dem Weg des Ruhms,
Und all mein Ehrgeitz war nur meine Liebe.
Könnt ihr mit mir euch in dieß stille Thal
Einschließen und der Erde Glanz entsagen –
O dann ist meines Strebens Ziel gefunden,
Dann mag der Strom der wildbewegten Welt
Ans sichre Ufer dieser Berge schlagen –
Kein flüchtiges Verlangen hab ich mehr

[119]

Hinaus zu senden in des Lebens Weiten –
Dann mögen diese Felsen um uns her
Die undurchdringlich feste Mauer breiten,
Und dieß verschloßne sel’ge Thal allein
Zum Himmel offen und gelichtet seyn!

Bertha
Jetzt bist du ganz, wie dich mein ahnend Herz
Geträumt, mich hat mein Glaube nicht betrogen!

Rudenz
Fahr’ hin, du eitler Wahn, der mich bethört!
Ich soll das Glück in meiner Heimat finden.
Hier wo der Knabe fröhlich aufgeblüht,
Wo tausend Freudespuren mich umgeben,
Wo alle Quellen mir und Bäume leben,
Im Vaterland willst du die Meine werden!
Ach, wohl hab’ ich es stets geliebt! Ich fühls,
Es fehlte mir zu jedem Glück der Erden.

Bertha
Wo wär die sel’ge Insel aufzufinden,
Wenn sie nicht hier ist in der Unschuld Land?
Hier, wo die alte Treue heimisch wohnt,

[120]

Wo sich die Falschheit noch nicht hingefunden,
Da trübt kein Neid die Quelle unsers Glücks,
Und ewig hell entfliehen uns die Stunden.
– Da seh ich Dich im ächten Männerwerth,
Den Ersten von den Freien und den Gleichen,
Mit reiner, freier Huldigung verehrt,
Groß wie ein König wirkt in seinen Reichen.

Rudenz
Da seh ich dich, die Krone aller Frauen,
In weiblich reizender Geschäftigkeit,
In meinem Haus den Himmel mir erbauen,
Und, wie der Frühling seine Blumen streut,
Mit schöner Anmuth mir das Leben schmücken,
Und alles rings beleben und beglücken!

Bertha
Sieh, theurer Freund, warum ich trauerte,
Als ich dieß höchste Lebensglück dich selbst
Zerstören sah – Weh mir! Wie stünds um mich,
Wenn ich dem stolzen Ritter müßte folgen,
Dem Landbedrücker auf sein finstres Schloß!

[121]

– Hier ist kein Schloß. Mich scheiden keine Mauern
Von einem Volk, das ich beglücken kann!

Rudenz
Doch wie mich retten – wie die Schlinge lösen,
Die ich mir thörigt selbst um’s Haupt gelegt?

Bertha
Zerreiße sie mit männlichem Entschluß!
Was auch draus werde – Steh zu deinem Volk,
Es ist dein angebohrner Platz.
(Jagdhörner in der Ferne.)
 Die Jagd
Kommt näher – Fort, wir müssen scheiden – Kämpfe
Für’s Vaterland, du kämpfst für deine Liebe!
Es ist Ein Feind, vor dem wir alle zittern,
Und Eine Freiheit macht uns alle frei!
(gehen ab.)

[122]
Dritte Scene


Wiese bei Altorf. Im Vordergrund Bäume, in der Tiefe der Hut auf einer Stange. Der Prospekt wird begrenzt durch den Bannberg, über welchem ein Schneegebirg emporragt.

Frießhardt und Leuthold halten Wache.

Frießhardt
Wir passen auf umsonst. Es will sich niemand
Heran begeben und dem Hut sein’ Reverenz
Erzeigen. ’s war doch sonst wie Jahrmarkt hier,
Jezt ist der ganze Anger wie verödet,
Seitdem der Popanz auf der Stange hängt.

Leuthold
Nur schlecht Gesindel läßt sich sehn und schwingt
Uns zum Verdrieße die zerlumpten Mützen.
Was rechte Leute sind, die machen lieber
Den langen Umweg um den halben Flecken,
Eh sie den Rücken beugten vor dem Hut.

Frießhardt
Sie müssen über diesen Platz, wenn sie
Vom Rathhaus kommen um die Mittagstunde.

[123]

Da meint’ ich schon, ’nen guten Fang zu thun,
Denn keiner dachte dran, den Hut zu grüssen.
Da siehts der Pfaff, der Rösselmann – kam just
Von einem Kranken her – und stellt sich hin
Mit dem Hochwürdigen, grad vor die Stange –
Der Sigrist mußte mit dem Glöcklein schellen,
Da fielen all aufs Knie, ich selber mit,
Und grüßten die Monstranz, doch nicht den Hut. –

Leuthold
Höre Gesell, es fängt mir an zu däuchten,
Wir stehen hier am Pranger vor dem Hut,
’s ist doch ein Schimpf für einen Reitersmann,
Schildwach zu stehn vor einem leeren Hut –
Und jeder rechte Kerl muß uns verachten.
– Die Reverenz zu machen einem Hut,
Es ist doch traun! ein närrischer Befehl!

Frießhardt
Warum nicht einem leeren hohlen Hut?
Bückst du dich vor manchem hohlen Schädel.

(Hildegard, Mechthild und Elsbeth treten auf mit Kindern und stellen sich um die Stange.)

[124]

Leuthold
Und du bist auch so ein dienstfertger Schurke,
Und brächtest wackre Leute gern ins Unglück.
Mag, wer da will, am Hut vorübergehn,
Ich drück die Augen zu und seh nicht hin.

Mechthild
Da hängt der Landvogt – Habt Respekt, ihr Buben.

Elsbeth
Wollts Gott, er gieng, und ließ uns seinen Hut,
Es sollte drum nicht schlechter stehn ums Land!

Frießhardt (verscheucht sie)
Wollt ihr vom Platz? Verwünschtes Volk der Weiber!
Wer fragt nach euch? Schickt eure Männer her,
Wenn sie der Muth sticht, dem Befehl zu trotzen.
(Weiber gehen)

Tell mit der Armbrust tritt auf, den Knaben an der Hand führend. Sie gehen an dem Hut vorbei gegen die vordere Scene, ohne darauf zu achten.

Walther (zeigt nach dem Bannberg)
Vater, ists wahr, daß auf dem Berge dort
Die Bäume bluten, wenn man einen Streich
Drauf führte mit der Axt?

[125]

Tell
 Wer sagt das Knabe?

Walther
Der Meister Hirt erzählts – Die Bäume seien
Gebannt, sagt er, und wer sie schädige,
Dem wachse seine Hand heraus zum Grabe.

Tell
Die Bäume sind gebannt, das ist die Wahrheit.
– Siehst du die Firnen dort, die weißen Hörner,
Die hoch bis in den Himmel sich verlieren?

Walther
Das sind die Gletscher, die des Nachts so donnern,
Und uns die Schlaglawinen niedersenden.

Tell
So ists, und die Lawinen hätten längst
Den Flecken Altorf unter ihrer Last
Verschüttet, wenn der Wald dort oben nicht
Als eine Landwehr sich dagegen stellte.

Walther (nach einigem Besinnen)
Giebts Länder, Vater, wo nicht Berge sind?

[126]

Tell
Wenn man hinunter steigt von unsern Höhen,
Und immer tiefer steigt, den Strömen nach,
Gelangt man in ein großes ebnes Land,
Wo die Waldwasser nicht mehr brausend schäumen,
Die Flüsse ruhig und gemächlich ziehn,
Da sieht man frei nach allen Himmelsräumen,
Das Korn wächst dort in langen schönen Auen,
Und wie ein Garten ist das Land zu schauen.

Walther
Ey Vater, warum steigen wir denn nicht
Geschwind hinab in dieses schöne Land,
Statt daß wir uns hier ängstigen und plagen?

Tell
Das Land ist schön und gütig wie der Himmel,
Doch die’s bebauen, sie genießen nicht
Den Segen, den sie pflanzen.

Walther
 Wohnen sie
Nicht frei wie du auf ihrem eignen Erbe?

[127]

Tell
Das Feld gehört dem Bischoff und dem König.

Walther
So dürfen sie doch frei in Wäldern jagen?

Tell
Dem Herrn gehört das Wild und das Gefieder.

Walther
Sie dürfen doch frei fischen in dem Strom?

Tell
Der Strom, das Meer, das Salz gehört dem König.

Walther
Wer ist der König denn, den alle fürchten?

Tell
Es ist der Eine, der sie schützt und nährt.

Walther
Sie können sich nicht muthig selbst beschützen?

Tell
Dort darf der Nachbar nicht dem Nachbar trauen.

Walther
Vater, es wird mir eng im weiten Land,
Da wohn’ ich lieber unter den Lawinen.

[128]

Tell
Ja wohl ists besser, Kind, die Gletscherberge
Im Rücken haben, als die bösen Menschen.
(sie wollen vorübergehen)

Walther
Ey Vater, sieh den Hut dort auf der Stange.

Tell
Was kümmert uns der Hut? Komm, laß uns gehen.
(indem er abgehen will, tritt ihm Frießhardt mit vorgehaltner Pike entgegen)

Frießhardt
In des Kaisers Nahmen! Haltet an und steht!

Tell (greift in die Pike)
Was wollt ihr? Warum haltet ihr mich auf?

Frießhardt
Ihr habt’s Mandat verlezt, ihr müßt uns folgen.

Leuthold
Ihr habt dem Hut nicht Reverenz bewiesen.

Tell
Freund, laß mich gehen.

[129]

Frießhardt
 Fort, fort ins Gefängniß!

Walther
Den Vater ins Gefängniß! Hülfe! Hülfe!
(in die Scene rufend)
Herbei, ihr Männer, gute Leute, helft,
Gewalt, Gewalt, sie führen ihn gefangen.
(Rösselmann der Pfarrer und Petermann der Sigrist kommen herbey, mit drei andern Männern)

Sigrist
Was giebts?

Rösselmann
 Was legst du Hand an diesen Mann?

Frießhardt
Er ist ein Feind des Kaisers, ein Verräther!

Tell (faßt ihn heftig)
Ein Verräther, ich!

Rösselmann
 Du irrst dich Freund, das ist
Der Tell, ein Ehrenmann und guter Bürger.

[130]

Walther (erblickt Walther Fürsten und eilt ihm entgegen)
Großvater hilf, Gewalt geschieht dem Vater.

Frießhardt
Ins Gefängniß, fort!

Walther Fürst (herbeieilend)
 Ich leiste Bürgschaft, haltet!
– Um Gotteswillen, Tell, was ist geschehen?
(Melchthal und Stauffacher kommen)

Frießhardt
Des Landvogts oberherrliche Gewalt
Verachtet er, und will sie nicht erkennen.

Stauffacher
Das hätt’ der Tell gethan?

Melchthal
 Das lügst du, Bube!

Leuthold
Er hat dem Hut nicht Reverenz bewiesen.

Walther Fürst
Und darum soll er ins Gefängniß? Freund,
Nimm meine Bürgschaft an und laß ihn ledig.

[131]

Frießhardt
Bürg du für dich und deinen eignen Leib!
Wir thun, was unsers Amtes – Fort mit ihm!

Melchthal (zu den Landleuten)
Nein, das ist schreiende Gewalt! Ertragen wirs,
Daß man ihn fort führt, frech, vor unsern Augen?

Sigrist
Wir sind die stärkern. Freunde, duldets nicht,
Wir haben einen Rücken an den andern!

Frießhardt
Wer widersezt sich dem Befehl des Vogts?

Noch drei Landleute (herbeieilend)
Wir helfen euch. Was giebts? Schlagt sie zu Boden.
(Hildegard, Mechthild und Elsbeth kommen zurück)

Tell
Ich helfe mir schon selbst. Geht, gute Leute,
Meint ihr, wenn ich die Kraft gebrauchen wollte,
Ich würde mich vor ihren Spießen fürchten?

Melchthal (zu Frießhardt)
Wags, ihn aus unsrer Mitte wegzuführen!

[132]

Walther Fürst und Stauffacher
Gelassen! Ruhig!

Frießhardt (schreit)
 Aufruhr und Empörung!
(Man hört Jagdhörner)

Weiber
Da kommt der Landvogt!

Frießhardt (erhebt die Stimme)
 Meuterei! Empörung!

Stauffacher
Schrei, bis du berstest, Schurke!

Rösselmann und Melchthal
 Willst du schweigen?

Frießhardt (ruft noch lauter)
Zu Hülf, zu Hülf den Dienern des Gesetzes.

Walther Fürst
Da ist der Vogt! Weh uns, was wird das werden!

Geßler zu Pferd, den Falken auf der Faust, Rudolph der Harras, Bertha und Rudenz, ein großes Gefolge von bewaffneten Knechten, welche einen Kreis von Piken um die ganze Scene schließen.

[133]

Rudolph der Harras
Platz, Platz dem Landvogt!

Geßler
 Treibt sie auseinander!
Was läuft das Volk zusammen? Wer ruft Hilfe?
(allgemeine Stille)
Wer wars? Ich will es wissen.
(zu Frießhardt)
 Du tritt vor!
Wer bist du und was hältst du diesen Mann?
(er giebt den Falken einem Diener)

Frießhardt
Gestrenger Herr, ich bin dein Waffenknecht
Und wohl bestellter Wächter bei dem Hut.
Diesen Mann ergriff ich über frischer That,
Wie er dem Hut den Ehrengruß versagte.
Verhaften wollt’ ich ihn, wie du befahlst,
Und mit Gewalt will ihn das Volk entreißen.

Geßler (nach einer Pause)
Verachtest du so deinen Kaiser, Tell,
Und Mich, der hier an seiner Statt gebietet,

[134]

Daß du die Ehr’ versagst dem Hut, den ich
Zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen?
Dein böses Trachten hast du mir verrathen.

Tell
Verzeiht mir lieber Herr! Aus Unbedacht,
Nicht aus Verachtung Eurer ists geschehn,
Wär ich besonnen, hieß ich nicht der Tell,
Ich bitt um Gnad’, es soll nicht mehr begegnen.

Geßler (nach einigem Stillschweigen)
Du bist ein Meister auf der Armbrust, Tell,
Man sagt, du nehmst es auf mit jedem Schützen?

Walther Tell
Und das muß wahr seyn, Herr – ’nen Apfel schießt
Der Vater dir vom Baum auf hundert Schritte.

Geßler
Ist das dein Knabe, Tell?

Tell
 Ja, lieber Herr.

Geßler
Hast du der Kinder mehr?

[135]

Tell
 Zwey Knaben, Herr.

Geßler
Und welcher ists, den du am meisten liebst?

Tell
Herr, beide sind sie mir gleich liebe Kinder.

Geßler
Nun Tell! Weil du den Apfel trifst vom Baume
Auf hundert Schritte, so wirst du deine Kunst
Vor mir bewähren müßen – Nimm die Armbrust –
Du hast sie gleich zur Hand – und mach dich fertig,
Einen Apfel von des Knaben Kopf zu schießen –
Doch will ich rathen, ziele gut, daß du
Den Apfel treffest auf den ersten Schuß,
Denn fehlst du ihn, so ist dein Kopf verloren.
(Alle geben Zeichen des Schreckens)

Tell
Herr – Welches Ungeheure sinnet ihr
Mir an – Ich soll vom Haupte meines Kindes –
– Nein, nein doch, lieber Herr, das kömmt euch nicht

[136]

Zu Sinn – Verhüts der gnädge Gott – das könnt ihr
Im Ernst von einem Vater nicht begehren!

Geßler
Du wirst den Apfel schießen von dem Kopf
Des Knaben – Ich begehrs und wills.

Tell
 Ich soll
Mit meiner Armbrust auf das liebe Haupt
Des eignen Kindes zielen – Eher sterb ich!

Geßler
Du schießest oder stirbst mit deinem Knaben.

Tell
Ich soll der Mörder werden meines Kinds!
Herr, ihr habt keine Kinder – wisset nicht,
Was sich bewegt in eines Vaters Herzen.

Geßler
Ey Tell, du bist ja plötzlich so besonnen!
Man sagte mir, daß du ein Träumer seyst,
Und dich entfernst von andrer Menschen Weise.
Du liebst das Seltsame – Drum hab’ ich jezt

[137]

Ein eigen Wagstück für dich ausgesucht.
Ein andrer wohl bedächte sich – Du drückst
Die Augen zu, und greifst es herzhaft an.

Bertha
Scherzt nicht, o Herr! mit diesen armen Leuten!
Ihr seht sie bleich und zitternd stehn – So wenig
Sind sie Kurzweils gewohnt aus eurem Munde.

Geßler
Wer sagt euch, daß ich scherze?
(greift nach einem Baumzweige, der über ihn herhängt)
 Hier ist der Apfel.
Man mache Raum – Er nehme seine Weite,
Wies Brauch ist – Achzig Schritte geb ich ihm –
Nicht weniger, noch mehr – Er rühmte sich,
Auf ihrer hundert seinen Mann zu treffen –
Jezt Schütze triff, und fehle nicht das Ziel!

Rudolph der Harras
Gott, das wird ernsthaft – Falle nieder Knabe,
Es gilt, und fleh den Landvogt um dein Leben.

Walther Fürst
(bei Seite zu Melchthal, der kaum seine Ungeduld bezwingt)
Haltet an euch, ich fleh euch drum, bleibt ruhig.

[138]

Bertha (zum Landvogt)
Laßt es genug seyn Herr! Unmenschlich ists,
Mit eines Vaters Angst also zu spielen.
Wenn dieser arme Mann auch Leib und Leben
Verwirkt durch seine leichte Schuld, bei Gott!
Er hätte jezt zehnfachen Tod empfunden.
Entlaßt ihn ungekränkt in seine Hütte,
Er hat euch kennen lernen, dieser Stunde
Wird er und seine Kindeskinder denken.

Geßler
Oefnet die Gasse – Frisch! Was zauderst du?
Dein Leben ist verwirkt, ich kann dich tödten,
Und sieh, ich lege gnädig dein Geschick
In deine eigne kunstgeübte Hand.
Der kann nicht klagen über harten Spruch,
Den man zum Meister seines Schicksals macht.
Du rühmst dich deines sichern Blicks! Wohlan!
Hier gilt es, Schütze, deine Kunst zu zeigen,
Das Ziel ist würdig und der Preiß ist groß!
Das Schwarze treffen in der Scheibe, das
Kann auch ein andrer, der ist mir der Meister,

[139]

Der seiner Kunst gewiß ist überal,
Dems Herz nicht in die Hand tritt noch ins Auge.

Walther Fürst (wirft sich vor ihm nieder)
Herr Landvogt, wir erkennen eure Hoheit,
Doch lasset Gnad’ vor Recht ergehen, nehmt
Die Hälfte meiner Haabe, nehmt sie ganz,
Nur dieses Gräßliche erlasset einem Vater!

Walther Tell
Großvater, knie nicht vor dem falschen Mann!
Sagt, wo ich hinstehn soll, ich fürcht mich nicht,
Der Vater trift den Vogel ja im Flug,
Er wird nicht fehlen auf das Herz des Kindes.

Stauffacher
Herr Landvogt, rührt euch nicht des Kindes Unschuld?

Rösselmann
O denket, daß ein Gott im Himmel ist,
Dem ihr müßt Rede stehn für eure Thaten.

Geßler (zeigt auf den Knaben)
Man bind ihn an die Linde dort!

[140]

Walther Tell
 Mich binden!
Nein, ich will nicht gebunden seyn. Ich will
Still halten, wie ein Lamm und auch nicht athmen.
Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ichs nicht,
So werd’ ich toben gegen meine Bande.

Rudolph der Harras
Die Augen nur laß dir verbinden, Knabe.

Walther Tell
Warum die Augen? Denket ihr, ich fürchte
Den Pfeil von Vaters Hand? Ich will ihn fest
Erwarten, und nicht zucken mit den Wimpern.
– Frisch Vater, zeigs, daß du ein Schütze bist,
Er glaubt dirs nicht, er denkt uns zu verderben –
Dem Wüthrich zum Verdruße, schieß und triff.
(er geht an die Linde, man legt ihm den Apfel auf)

Melchthal (zu den Landleuten)
Was? Soll der Frevel sich vor unsern Augen
Vollenden? Wozu haben wir geschworen?

Stauffacher
Es ist umsonst. Wir haben keine Waffen,
Ihr seht den Wald von Lanzen um uns her.

[141]

Melchthal
O hätten wirs mit frischer That vollendet,
Verzeihs Gott denen, die zum Aufschub riethen!

Geßler (zum Tell)
Ans Werk! Man führt die Waffen nicht vergebens.
Gefährlich ists, ein Mordgewehr zu tragen,
Und auf den Schützen springt der Pfeil zurück.
Dieß stolze Recht, das sich der Bauer nimmt,
Beleidiget den höchsten Herrn des Landes.
Gewaffnet sei Niemand, als wer gebietet.
Freuts euch, den Pfeil zu führen und den Bogen,
Wohl, so will ich das Ziel euch dazu geben.

Tell (spannt die Armbrust und legt den Pfeil auf)
Oefnet die Gasse! Platz!

Stauffacher
Was Tell? Ihr wolltet – Nimmermehr – Ihr zittert,
Die Hand erbebt euch, eure Kniee wanken –

Tell (läßt die Armbrust sinken)
Mir schwimmt es vor den Augen!

[142]

Weiber
 Gott im Himmel!

Tell (zum Landvogt)
Erlasset mir den Schuß. Hier ist mein Herz!
(er reißt die Brust auf)
Ruft eure Reisigen und stoßt mich nieder.

Geßler
Ich will dein Leben nicht, ich will den Schuß.
– Du kannst ja alles, Tell, an nichts verzagst du,
Das Steuerruder führst du wie den Bogen,
Dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt,
Jezt Retter hilf dir selbst – du rettest alle!
(Tell steht in fürchterlichem Kampf, mit den Händen zuckend, und die rollenden Augen bald auf den Landvogt, bald zum Himmel gerichtet – Plötzlich greift er in seinen Köcher, nimmt einen zweiten Pfeil heraus und steckt ihn in seinen Goller. Der Landvogt bemerkt alle diese Bewegungen.)

Walther Tell (unter der Linde)
Vater schieß zu, ich fürcht’ mich nicht.

Tell
 Es muß!
(er rafft sich zusammen und legt an)

[143]

Rudenz
(der die ganze Zeit über in der heftigsten Spannung gestanden und mit Gewalt an sich gehalten, tritt hervor)
Herr Landvogt, weiter werdet ihrs nicht treiben,
Ihr werdet nicht – Es war nur eine Prüfung –
Den Zweck habt ihr erreicht – Zu weit getrieben
Verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks,
Und allzustraff gespannt zerspringt der Bogen.

Geßler
Ihr schweigt, bis man euch aufruft.

Rudenz
 Ich will reden,
Ich darfs, des Königs Ehre ist mir heilig,
Doch solches Regiment muß Haß erwerben.
Das ist des Königs Wille nicht – Ich darfs
Behaupten – Solche Grausamkeit verdient
Mein Volk nicht, dazu habt ihr keine Vollmacht.

Geßler
Ha, ihr erkühnt euch!

Rudenz
 Ich hab’ still geschwiegen

[144]

Zu allen schweren Thaten, die ich sah,
Mein sehend Auge hab ich zugeschlossen,
Mein überschwellend und empörtes Herz
Hab ich hinabgedrückt in meinen Busen.
Doch länger schweigen wär Verrath zugleich
An meinem Vaterland und an dem Kaiser.

Bertha
     (wirft sich zwischen ihn und den Landvogt)
O Gott, ihr reizt den wüthenden noch mehr.

Rudenz
Mein Volk verließ ich, meinen Blutsverwandten
Entsagt’ ich, alle Bande der Natur
Zerriss ich, um an euch mich anzuschließen –
Das Beste aller glaubt’ ich zu befördern,
Da ich des Kaisers Macht bevestigte –
Die Binde fällt von meinen Augen – Schaudernd
Seh’ ich an einen Abgrund mich geführt –
Mein freies Urtheil habt ihr irr geleitet,
Mein redlich Herz verführt – Ich war daran,
Mein Volk in bester Meinung zu verderben.

[145]

Geßler
Verwegner, diese Sprache deinem Herrn?

Rudenz
Der Kaiser ist mein Herr, nicht ihr – Frei bin ich
Wie ihr gebohren, und ich messe mich
Mit euch in jeder ritterlichen Tugend.
Und stündet ihr nicht hier in Kaisers Nahmen,
Den ich verehre, selbst wo man ihn schändet,
Den Handschuh wärf ich vor euch hin, ihr solltet
Nach ritterlichem Brauch mir Antwort geben.
– Ja, winkt nur euren Reisigen – Ich stehe
Nicht wehrlos da, wie die –
     (auf das Volk zeigend)
 Ich hab ein Schwert,
Und wer mir naht –

Stauffacher (ruft)
 Der Apfel ist gefallen!

(indem sich alle nach dieser Seite gewendet und Bertha zwischen Rudenz und den Landvogt sich geworfen, hat Tell den Pfeil abgedrückt)

Rösselmann
Der Knabe lebt!

[146]

Viele Stimmen
Der Apfel ist getroffen!
(Walther Fürst schwankt und droht zu sinken, Bertha hält ihn)

Geßler (erstaunt)
Er hat geschossen? Wie? der Rasende!

Bertha
Der Knabe lebt! kommt zu euch, guter Vater!

Walther Tell (kommt mit dem Apfel gesprungen)
Vater, hier ist der Apfel – Wußt’ ichs ja,
Du würdest deinen Knaben nicht verletzen.

Tell

(stand mit vorgebognem Leib, als wollt’ er dem Pfeil folgen – die Armbrust entsinkt seiner Hand – wie er den Knaben kommen sieht, eilt er ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen, und hebt ihn mit heftiger Inbrunst zu seinem Herzen hinauf, in dieser Stellung sinkt er kraftlos zusammen. Alle stehen gerührt)

Bertha
O gütger Himmel!

Walther Fürst (zu Vater und Sohn)
 Kinder! meine Kinder!

Stauffacher
Gott sei gelobt!

[147]

Leuthold
 Das war ein Schuß! Davon
Wird man noch reden in den spätsten Zeiten.

Rudolph der Harras
Erzählen wird man von dem Schützen Tell,
Solang die Berge stehn auf ihrem Grunde.
(reicht dem Landvogt den Apfel)

Geßler
Bei Gott! der Apfel mitten durchgeschossen!
Es war ein Meisterschuß, ich muß ihn loben.

Rösselmann
Der Schuß war gut, doch wehe dem, der ihn
Dazu getrieben, daß er Gott versuchte.

Stauffacher
Kommt zu euch, Tell, steht auf, ihr habt euch männlich
Gelößt, und frei könnt ihr nach Hause gehen.

Rösselmann
Kommt, kommt und bringt der Mutter ihren Sohn.
(Sie wollen ihn wegführen)

Geßler
Tell, höre!

[148]

Tell (kommt zurück)
Was befehlt ihr, Herr?

Geßler
 Du stecktest
Noch einen zweiten Pfeil zu dir – Ja, ja,
Ich sah es wohl – Was meintest du damit?

Tell (verlegen)
Herr, das ist also bräuchlich bei den Schützen.

Geßler
Nein Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten,
Es wird was anders wohl bedeutet haben.
Sag mir die Wahrheit frisch und fröhlich, Tell,
Was es auch sei, dein Leben sichr’ ich dir.
Wozu der zweite Pfeil?

Tell
 Wohlan, o Herr,
Weil ihr mich meines Lebens habt gesichert,
So will ich euch die Wahrheit gründlich sagen.
(er zieht den Pfeil aus dem Goller und sieht den Landvogt mit einem furchtbaren Blick an)
Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß ich – Euch,

[149]

Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
Und Eurer – wahrlich! hätt’ ich nicht gefehlt.

Geßler
Wohl, Tell! Des Lebens hab ich dich gesichert,
Ich gab mein Ritterwort, das will ich halten –
Doch weil ich deinen bösen Sinn erkannt,
Will ich dich führen lassen und verwahren,
Wo weder Mond noch Sonne dich bescheint,
Damit ich sicher sei vor deinen Pfeilen.
Ergreift ihn, Knechte! Bindet ihn!
(Tell wird gebunden)

Stauffacher
 Wie, Herr?
So könntet ihr an einem Manne handeln,
An dem sich Gottes Hand sichtbar verkündigt?

Geßler
Laß sehn, ob sie ihn zweymal retten wird.
– Man bring ihn auf mein Schiff, ich folge nach
Sogleich, ich selbst will ihn nach Küßnacht führen.

Rösselmann
Das dürft ihr nicht, das darf der Kaiser nicht,
Das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen!

[150]

Geßler
Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestätigt?
Er hat sie nicht bestätigt – Diese Gunst
Muß erst erworben werden durch Gehorsam.
Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers
Gericht und nährt verwegene Empörung.
Ich kenn euch alle – ich durchschau euch ganz –
Den nehm ich jetzt heraus aus eurer Mitte,
Doch alle seid ihr theilhaft seiner Schuld,
Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen.

(er entfernt sich, Bertha, Rudenz, Harras und Knechte folgen, Frießhardt und Leuthold bleiben zurück)

Walther Fürst (in heftigem Schmerz)
Es ist vorbei, er hats beschlossen, mich
Mit meinem ganzen Hause zu verderben!

Stauffacher (zum Tell)
O warum mußtet ihr den Wüthrich reizen!

Tell
Bezwinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt!

Stauffacher
O nun ist alles, alles hin! Mit euch
Sind wir gefesselt alle und gebunden!

[151]

Landleute (umringen den Tell)
Mit euch geht unser letzter Trost dahin!

Leuthold (nähert sich)
Tell, es erbarmt mich – doch ich muß gehorchen.

Tell
Lebt wohl!

Walther Tell
(sich mit heftigem Schmerz an ihn schmiegend)
 O Vater! Vater! Lieber Vater!

Tell
(hebt die Arme zum Himmel)
Dort droben ist dein Vater! den ruf an!

Stauffacher
Tell, sag ich eurem Weibe nichts von euch?

Tell
(hebt den Knaben mit Inbrunst an seine Brust)
Der Knab’ ist unverlezt, mir wird Gott helfen.
(reißt sich schnell los und folgt den Waffenknechten)

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