Textdaten
Autor: Hans Lietzmann
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wilhelm Kroll [Trauerrede]
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1939
Verlag: Privatdruck
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Crönert-Bibliothek; Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[1]
Wilhelm Kroll
7. Oktober 1869 bis 21. April 1939








Trauerrede
gehalten von Prof. D. Dr. H. Lietzmann
[2]

     Herr Gott, du bist unsre Zuflucht für und für,
     Ehe denn die Berge wurden
und die Erde und die Welt geschaffen wurden,
bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit;
     der du die Menschen lässest sterben,
und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!
     Denn Tausend Jahre sind vor dir
wie der Tag, der gestern vergangen ist,
und wie eine Nachtwache.
     Du lässest sie dahin fahren wie einen Strom,
und sind wie ein Schlaf;
gleich wie ein Gras,
das doch bald welk wird,
das da frühe blühet und bald welk wird,
und des Abends abgehauen wird und verdorret.
     Unser Leben währet siebenzig Jahre,
wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre,
und wenn’s köstlich gewesen ist
so ist’s Mühe und Arbeit gewesen;
denn es fähret schnell dahin,
als flögen wir davon.

     Herr, lehre doch mich,
daß ein Ende mit mir haben muß,
und mein Leben ein Ziel hat,
und ich davon muß.

     Siehe, meine Tage sind einer Hand breit bei dir,
und mein Leben ist wie nichts vor dir.
Wie gar nichts sind alle Menschen,
die doch so sicher leben.

[3]

     Sie gehen daher wie ein Schemen,
und machen sich viel vergebliche Unruhe;
sie sammeln, und wissen nicht,
wer es einnehmen wird.
     Nun Herr, wes soll ich mich trösten?
Ich hoffe auf dich.

     Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.
Wen suchen wir, der Hilfe tu, daß wir Gnad erlangen?
Das bist du, Herr, alleine.
Uns reuet unsre Missetat, die Dich, Herr, erzürnet hat.
Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott,
Heiliger barmherziger Heiland, Du ewiger Gott:
Laß uns nicht versinken in des bittern Todes Not!
Kyrieleison!

     Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen, das predigt uns dieser Sarg, an dem wir uns in dieser ernsten Feierstunde versammelt haben, mit eindringlicher Klarheit. Unvergeßlich wird mir die Stunde sein, da ich am vergangenen Donnerstag am Krankenlager des Freundes saß, und wir über seine Arbeit und Pläne sprachen und dann weiter von seinen Reisen, von seinen Hoffnungen und von baldiger Genesung plauderten. Fröhlich winkten wir uns beim Abschied einen Gruß zu. Und am nächsten Vormittag konnte er noch bester Hoffnung leben, als der Arzt ihm sagte, daß die Krise überwunden sei und es nun wieder aufwärts gehe, ja daß nach menschlichem Ermessen ihm noch eine Reihe von arbeitsreichen Jahren beschieden sei. So durfte er mit frohen Augen in die lachende Sonne des Frühlings schauen – und gleich danach griff der Tod nach seinem Herzen.

     Mitten im Leben stand er noch, er war frisch und arbeitskräftig, und all sein Sehnen war auf die Ausführung seiner wissenschaftlichen Pläne gestellt. Alles das hat der Tod nun abgeschnitten. Und wenn wir darüber erschüttert trauern, so kommt uns aus den Worten der Heiligen Schrift die ernste Mahnung zu: „Unser Leben währet 70 Jahre“ – und dem Entschlafenen sind fast 70 Jahre zugemessen gewesen – „und (wie Luther in die Weise deutscher Frömmigkeit übersetzt hat) wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und [4] Arbeit gewesen.“ So ist auch sein Leben Mühe und Arbeit und darum köstlich gewesen. Und der Trost, den dieses Gotteswort in diese Stunde hineinpredigt, lenkt den Blick auf die große Erfüllung dieses Lebens, und aus dem Klagen wird Dank gegen Gott, daß er dem Entschlafenen so reiche Ernte und so edle Freude geschenkt hat.

     Und darum ziemt es uns in dieser Stunde einer Abschiedsandacht des Lebens und Wirkens unseres Freundes zu gedenken.

     Vor 70 Jahren, im Oktober 1869, ist er geboren; Schlesier war er von Geburt und ist es auch geblieben. Schlesien war seine Heimat, die ihm in der Jugend das Herz erfreute, und sie blieb ihm die Kraftquelle, wenn er in reifen Jahren von seinem Landhaus in Querseifen seinen Blick in das herrliche Tal schweifen ließ, das die grünen Höhenzüge der schlesischen Berge umkränzen.

     Aber neben Schlesien gewann er noch eine andere Heimat. Seine wissenschaftliche Ausbildung führte ihn schon in jungen Jahren nach Italien, und Italien mit seiner Schönheit der Natur, mit seinen geschichtlichen Denkmälern und mit seiner künstlerischen Pracht ist seine zweite Heimat geworden. Italien wurde für immer das Land seiner Sehnsucht, es ist auch das Land seiner letzten Sehnsucht geworden. Dankbar gedenke ich auch in dieser Stunde sonniger Tage, die wir in Rom gemeinsam genießen durften.

     Im ganzen war sein Leben das eines deutschen Professors alten Stils. – Mit 25 Jahren hat er sich in Breslau habilitiert, mit 30 Jahren war er schon, ohne die Stufe des Extraordinats kennengelernt zu haben, ordentlicher Professor in Greifswald; und das nächste Jahr bescheerte ihm die Vereinigung mit der Frau, die alle Freuden und Kämpfe seines Lebens nun 39 Jahre lang mit ihm geteilt hat und treulich an seiner Seite stand bis zur letzten Minute. Die akademische Laufbahn zog ihn weiter nach Münster, dann kam er 1913 nach Breslau. Hier wirkte er länger als 20 Jahre, bis er schließlich als Emeritus nach Berlin zog, wo er seinen Wirkungskreis bequem erweitern konnte und wieder mit alten Freunden in nähere Berührung kam.

     Den entscheidenden Stempel hat seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit die Schule der großen Bonner Philologen aufgedrückt. Er hat dort das bekommen, was wir alle als Lebensaufgabe der strengen Zucht in Bonn dankbar preisen, die heilsame Scheu vor großen Worten und die Andacht zur schlichten Arbeit, die unverdrossen Tatsachen sammelt, ehe sie urteilt.
[5]      Aber in diesem durch solche Erziehung unerbittlich gesteckten Grenzen hat er seine Wirksamkeit weithin ausgedehnt auf eine Fülle von Gebieten. Er hat seine Forschungen aus den gebahnten Wegen tapfer hinausgetrieben und neue Länder erobert.

     Schon zu Anfang seiner Tätigkeit hat die Spätantike sein Herz gewonnen: Davon zeugt seine Sammlung der chaldäischen Orakel, seltsamer Zeugnisse religiösen Ringens in einer Zeit der Krisis, vor allem aber die in Gemeinschaft mit anderen Forscher unternommene Katalogisierung astrologischer Handschriften, die zum ersten mal den Weg freilegte in ein Gebiet menschlicher Sehnsüchte, die unaustilgbar sind. Diese Arbeiten haben ihn zusammengeführt mit einer Reihe von Gelehrten, unter denen der belgische Religionshistoriker Franz Cumont ihm in besonderer Weise freundschaftlich nahetrat. Der Beschäftigung mit antiker Astrologie entsprangen seine Ausgaben des Dialogus des Hermippos, des Vettius Valens und des Firmicus Maternus. In die Problematik spätantiker Religionsgeschichte weist uns seine Behandlung des Hermes Trismegistos, und im Republikkommentar des letzten neuplatonischen Klassikers Proklus erschließt sich die höchste Geistigkeit einer todgeweihten Welt.

     Manch ehrfurchtgebietende, aber auch auch manch wunderliche Gestalt hat seine Hand beschworen, und wir begreifen es gut, daß er dem, was diesen Männern zutiefst am Herzen lag, seine Aufmerksamkeit zuwandte: der antiken Kultur und vor allem ihrer Religion. So schrieb er auch über den antiken Aberglauben, schilderte die Religiosität in der Zeit des Cicero, und daraus erwuchs sein zweibändiges Werk über „Die Kultur der Ciceronischen Zeit“. Als Deuter antiker Klassiker lernen wir ihn kennen, wenn er Ciceronische Schriften auslegt oder den größten Lyriker Roms, Catull, dem Verständnis näherbringt.

     Wo er seine Hand anlegte, wuchsen reiche Früchte an den Bäumen, die er pflanzte. Und so wurde er gern zu Hilfe gerufen, wenn es galt, fremde Arbeiten aus älterer Zeit zu neuem Leben zu erwecken. Wir Alten wissen es besser vielleicht als mancher der jungen Generation, was seine Neubearbeitung von Teuffels Geschichte der römischen Literatur für die täglichen Bedürfnisse des Philologen bedeutet.

     Aber Kroll war auch gewillt, schwerste Lasten auf sich zu nehmen, wenn es galt, der Wissenschaft Dienste zu leisten, die andere nicht auf sich nehmen mochten oder konnten. 15 Jahre lang gab er die Jahresberichte über die Fortschritte [6] der klassischen Altertumswissenschaft heraus. Dann übernahm er 1914 die Redaktion der sprachwissenschaftlichen Zeitschrift „Glotta“ und hat in ihr mehrfach von seiner besonderen Liebe zur lateinischen Syntax Zeugnis abgelegt.

     Seine höchste Leistung ist aber die Leitung der Pauly-Wissowa’schen Realenzyklopädie des klassischen Altertums, die er im Jahre 1906 übernahm und 33 Jahre lang durchführte. Diese Arbeit ist überhaupt nicht hoch genug einzuschätzen. Dieses Werk ist ein Denkmal deutscher Gemeinschaftsarbeit auf dem Gebiet der Altertumswissenschaft, dem keine Nation der Erde etwas Ähnliches an die Seite zu stellen hat. Und Krolls sichere, aber nie pedantisch enge Zügelführung hat es bewirkt, daß diese Enzyklopädie keine Sammlung lehrreicher Exzerpte, sondern eine Bibliothek produktiver Monographien geworden und geblieben ist. Es wäre wohl angebracht, wenn die Wissenschaft vom Altertum Wilhelm Kroll für seine ein Menschenalter währende treue Arbeit an diesem Werk dadurch dankte, daß sie es mit seinem Namen nennte.

     Denn vor allem als Haushalter und Schatzmeister deutscher Altertumswissenschaft steht Wilhelm Kroll vor uns. Sein Lebenswerk galt der Antike. Sie ist die Grundlage unserer gesamten abendländischen Kultur, ja auch das äußere Gewand für die Botschaft des Christentums gewesen, dessen Wort uns in diese Stunde der Trauer und des ernsten Gedenkens hineingeführt hat. So möge denn auch am Ende das Evangelium seine Stimme erheben und zu uns sprechen:

     Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.

Amen.