Wie eine große Zeitung hergestellt wird

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Titel: Wie eine große Zeitung hergestellt wird
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 214–215
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wie eine große Zeitung hergestellt wird.


Es gab eine Zeit, da die Leute, welche täglich gewissenhaft ihr Journal lasen, zu den Ausnahmen gehörten – heute ist die Sache umgekehrt und ein Mann, welcher auf Bildung Anspruch macht und sich nicht durch die Lectüre eines oder des anderen Blattes über die Tagesgeschichte zu unterrichten strebt, ist eine solche Seltenheit, daß er eigentlich verdienen würde, unter den Curiositäten der Wiener Weltausstellung zu glänzen.

Obwohl dieser erfreuliche Zustand eine nicht wegzuleugnende Thatsache ist, haben aber die Leser in der Regel entweder gar keinen oder nur einen sehr mangelhaften Begriff von der Erzeugung einer großen täglich erscheinenden Zeitung. Es ist dies auch gar nicht anders möglich. Eine Zeitung ist das Product der angestrengtesten Thätigkeit so mannigfaltiger und so fieberhaft schnell in einander greifender geistiger und materieller Kräfte, daß sie Jedermann, der nicht einen intimen Einblick in das innere Getriebe derselben genommen, als ein Wunder erscheinen muß, verblüffend und beängstigend wie etwa die Erscheinungen der Optik und des Magnetismus einer minder aufgeklärten Epoche.

Nur wer vollständig begreift, würdigt auch vollständig, und es ist einer der bezeichnendsten und wohl auch am meisten zu preisenden Züge der Gegenwart, daß sie den Dingen auf den Grund zu kommen sucht. Wir wissen, daß es keine Wunder giebt, aber indem wir den auffallenden und durch ihre Wirkungen überwältigend auftretenden Erscheinungen bis zu ihren letzten Ursachen nachgehen, lernen wir die Thätigkeit, welche so Unglaubliches zu Stande gebracht, um so höher schätzen und fühlen uns gleichfalls angeregt, unsere Kräfte zu messen; indem wir Andere ganz nach Gebühr achten lernen, wächst unser eigener Muth, unser Selbstvertrauen.

Es war nur logisch, daß eine Unternehmung, wie die „Neue Freie Presse“, welche stets eine besondere Feinfühligkeit für Tagesfragen bewiesen, den Beschluß faßte, dem aus aller Herren Ländern auf der Wiener Weltausstellung zusammenströmenden Publicum in übersichtlicher und deutlicher Weise augenfällig zu zeigen, wie heutzutage eine große Zeitung hergestellt wird. Zu diesem Zwecke wurde auf dem Ausstellungsplatz, dicht am Industrie-Palaste, ein eigener Pavillon erbaut, in welchem während der sechsmonatlichen Dauer der Exposition eine im Doppelbogen erscheinende Ausstellungszeitung redigirt, gesetzt, stereotypirt, gedruckt und gefalzt werden soll, um dann frisch von der Maschine weg in die Hände des Publicums zu gelangen.

Der Pavillon ist zweckmäßig gebaut, namentlich aber mit Rücksicht auf seinen Zweck, zu belehren und zu veranschaulichen; im gefälligen Renaissancestyl gehalten, besteht er aus einem stark vorspringenden, zwei Geschosse umfassenden Mittelraum, an den sich die Seitenflügel schließen, deren gewaltige Rundbogenfenster so hoch und so breit sind wie die Thüren des Mittelbaues und das Gebälke berühren. Da es der Natur der Sache nach geboten war, den Pavillon in seiner Architektur eben so an der dem Prater zugewendeten Seite als an jener zu betonen, welche gegen die Rotunde sieht, so ist der Gedanke des Baukünstlers Hasenauer glücklich zu nennen, die entsprechenden Façaden gleichmäßig reich zu schmücken, so daß man eigentlich von einer Hauptfaçade nicht reden kann, da die eine nur die Wiederholung der andern ist. Die beiden Geschosse des Mittelbaues sind durch die vom Fuße bis zum Friese reichenden scharf ausladenden Pilaster in Eines zusammengefaßt; der ganze Bau ist von einer mit hübschem Geländer versehenen Galerie umgeben, von wo aus es jedem Wißbegierigen möglich ist, die kleinsten Einzelheiten der journalistischen Production zu belauschen und klar darüber zu werden, wie ein Vorkommniß, das etwa um zwölf Uhr Mittags geschehen, bereits um vier Uhr Nachmittags mit allen Details in der Zeitung zu lesen sein kann.

Das Erdgeschoß zerfällt in drei durch Galerien geschiedene große Säle, in deren mittlerem die nach amerikanischen Mustern construirte, in den Ateliers des Herrn G. Sigl gebaute Druckmaschine arbeiten wird. Sie bedeutet in Wahrheit eine verbesserte Auflage der bisher in Gebrauch gewesenen ähnlichen Druckmaschinen, welche stündlich zehntausend Bogen auf beiden Seiten bedruckten und der Bedienung von sechs Personen bedurften. Einzelne kleine Unzukömmlichkeiten des Mechanismus und einschlägige Verbesserungen, welche man an den englischen Druckmaschinen angebracht hatte, lenkten den technischen Director des Blattes, Christoph Reißer, auf eine Reihe von Veränderungen, welche nach seinen Angaben von dem Ingenieur Becker in der Sigl’schen Fabrik ausgeführt wurden und sich seit Kurzem bereits praktisch bewähren. Durch diese Verbesserungen wurde der ungemeine Vortheil erzielt, daß nun die Maschine ohne alle Beihülfe von Menschenhänden, selbstständig die ganze vielgegliederte Arbeit verrichtet. Diese Maschine, die erste, welche in Oesterreich mit dem sogenannten endlosen Papier im großartigen Maßstab hantiert, wird dasselbe, wie es in sechs Centner schweren Walzen von der Pittener Fabrik anlangt, unmittelbar erfassen, diese Walzen abrollen, das Papier befeuchten, nach dem Format der „Neuen Freien Presse“ schneiden, auf die Druckcylinder leiten, bedrucken und in den mit der Druckmaschine verbundenen Falzapparat so einführen, daß dieser das fertige Blatt achtfach zu jener handlichen Form faltet, wie es dem Abonnenten zukommt. [215] All das ist das Werk weniger Augenblicke; jetzt sehen wir den Cylinder mit dem weißen Papier sich zauberhaft schnell um seine Achse drehen; einige Secunden später erscheint Blatt für Blatt nett bedruckt, und im nächsten Augenblicke ist es gefalzt. Diese Maschine ist im Stande, im Verlaufe einer Stunde elftausend Exemplare unseres Morgenblattes oder vierundvierzigtausend Exemplare unseres Abendblattes zu liefern.

In dem einen der Seitensäle befindet sich die Setzerei; an den Regalen ist eine Neuerung angebracht, die schon aus Gesundheits-Gründen mit Freuden zu begrüßen ist und nachahmenswerth erscheint; es ist ein vorspringendes Brett, welches dem Setzer ermöglicht, seine Arbeit im Sitzen zu verrichten. In dem andern Seitensaale ist die Stereotypie und die Seele sämmtlicher Mechanismen des Pavillons – eine sogenannte Wassersäulenmaschine – thätig. Die Haupttriebkraft ist also hier nicht, wie

Der Pavillon der „Neuen Freien Presse“ auf der Wiener Weltausstellung.

anderwärts, der Dampf, sondern das Wasser, wodurch alle die Unannehmlichkeiten, welche Dampfmotoren mit sich zu bringen pflegen, im Interesse der in diesem Hause Arbeitenden sowohl als des Publikums vermieden werden. Auf der dem Weltausstellungspalaste zugekehrten Seite enthält das Erdgeschoß überdies die Localitäten der Expedition.

Im ersten Stockwerke befinden sich die Redactionszimmer, das Sekretariat etc. Die Communication im Hause ist die sachgemäßeste, die man sich denken kann, und es wird den Besuchern gestattet sein, jeden einzelnen Zweig des Gesammtbetriebes aus unmittelbarster Nähe in seiner Thätigkeit zu beobachten. Damit dies, ohne daß irgend eine Störung zu befürchten wäre, geschehen könne, hat man die einzelnen Maschinen mit Galerien umfriedet, welche, während sie für das Publicum gewisse nicht zu überschreitende Schranken bilden, doch so eingerichtet sind, daß sie den Verkehr für die im Hause Beschäftigten nicht hemmen, sondern nach jeder Richtung hin frei halten.

Diejenigen Zuschauer, welche sich damit begnügen, von dem Ruheplatze der das Haus umspannenden Galerie das Getriebe in den Sälen des Erdgeschosses zu belauschen, werden die Empfindung haben, als sähen sie durch die Glastafel eines Bienenkorbes das Walten und Schaffen der fleißigsten aller Insecten vor sich. Da ist bei allem Eifer, bei aller Raschheit, jene ruhige Umsicht, welche bei den Thieren das Ergebniß des tausend und aber tausend Jahre dieselben Pfade weisenden und wandelnden Instinctes, bei den Menschen das Resultat von Erkenntniß, Erfahrung und Charakterbildung ist.

Unter allen Ausstellungsobjecten, welche im Prater zur Schau gestellt werden, dürfte dieser Pavillon eines der interessantesten und lehrreichsten sein. Er wird Jenen, denen auch heute noch die Presse zu schnell im Urtheil, zu wenig genau im Detail ist, die Ueberzeugung beibringen, daß die Journalistik nur deshalb eine solche Macht, ein solch imponirender Factor des öffentlichen Lebens geworden, weil sie mit der Plötzlichkeit der Inspiration arbeitet; jene aber, welche noch immer an das Märchen glauben, die Journalisten seien jemals verlegen um Stoff, werden durch den Augenschein erfahren, daß unsere größte Kunst nicht darin besteht, Alles, was wir erfahren, zu bringen, sondern in dem sicheren Geschmack, der uns aus der Ueberfülle der uns zugehenden Nachrichten, ohne lange zu wählen, stets das Wichtigste aufgreifen das Gleichgültige oder Nichtige aber bei Seite schieben läßt.

Unermüdlich, treffsicher, Alles beachtend – so soll eine große Zeitung sein und so wird sie hoffentlich auch in diesem Pavillon erscheinen.[1]
E. R.



  1. Wir hatten bisher nicht Veranlassung, die Vorarbeiten zur Wiener Weltausstellung unsern Lesern in Bild und Text darzustellen. Dagegen wurden unsererseits Anordnungen getroffen, nach Eröffnung der Ausstellung, wenn auch nicht regelmäßig wiederkehrende Referate, so doch zwanglos erscheinende und lebendig hingeworfene Skizzen über Aussteller, Ausgestelltes, Besucher und Ausstellungs-Freuden und Leiden in den Spalten unseres Blattes zu veröffentlichen.
    Die Redaction der Gartenlaube.