Wie die Alten den Tod gebildet? Siebenter Brief

Textdaten
<<<
Autor: Johann Gottfried Herder
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wie die Alten den Tod gebildet? Siebenter Brief
Untertitel: Ein Nachtrag zu Leßings Abhandlung desselben Titels und Inhalts
aus: Zerstreute Blätter (Zweite Sammlung) S. 365–376
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Gotha
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Googleund Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[365]
Siebenter Brief.


Man ist gewohnt, allen Unsinn, dessen Grund man nicht weiß, nach Orient zu schieben; unsern Knochenmann, Tod, aber haben wir wenigstens aus Orient nicht her. Den alten Ebräern war der Tod ein Jäger mit Netz und Pfeil, ein Räuber und Auflaurer im Mantel der Nacht oder einer schwarzen tödtlichen Seuche. Späterhin, [366] da man alles mit Engeln erfüllte, war er ein Engel mit dem feurigen Schwert, der gesandt war, die Seele des Menschen zu fodern. „Wenn die Zeit des Menschen herbeikommt, sagt die Tradition dieses Volks, daß seine Seele von ihm scheide, tritt der Engel des Todes vor ihn mit seinem brennenden Schwert. Ganz Flamme, ganz Auge stehet er da und blickt ihn an: seinem Blick kann der Sterbende nicht entfliehen; er sieht die Wände seines Hauses brennen, windet sich und in seinen Mund trieft vom flammenden Schwert ein Tropfen Galle, der schnell seinen Leib durchdringt mit dem bittern Geschmack des Todes. Die Seele des Guten (fährt die Tradition fort,) geht aus dem Körper, wie man den Faden aus der Milch zieht; die Seele des Bösen, wie man Dornen aus der Wolle reißet. Auch wenn im Grabe, (erzählt sie weiter) der Todes-Engel mit seiner Kette, die Feuer und Eis ist, den Leichnam berührt: so fallen die Gebeine des Mildthätigen sanft auseinander: täglich wir seine Asche erquickt vom [367] Thau, der vom Thron des Ewigen fließet; der Leichnam des Bösewichts dagegen zerspringt wie die steinerne Scherbe: wie an seinem Gewissen, so nagt der Wurm auch an seinen Gebeinen.“ Also die Ebräische Volkssage, an welcher mehrere morgenländische Völker theilnehmen und es ist bekannt, zu welchem oft lächerlichen Aberglauben sie manchen Pöbel dieses Todesscheuen Volks gebracht hat. Sie wollen, wie sie es im Leben den Menschen thaten, auch noch zuletzt den Todesengel betrügen, geben dem Kranken, dessen Ende sie befürchten, einen andern Namen, daß wenn jener ihn ruft, dieser nicht folgen dürfe u. f.

Das Idol des Todesengel also oder einen bösen Dämon, der Todes Gewalt hat, a)[1] fand das Christenthum vor sich und sah seine böse Folgen; der Urheber desselben suchte den Dämon von seiner Herrschaft zu verdrängen und auch hier den fürchterlichen Thanatos in einen Engel des Schlafs zu verwandeln. „Unser Freund schläft: [368] wer mein Wort hält, soll den Tod nicht sehen: die Entschlafenen sollen aufwachen: in Kurzem sollen sie die Stimme des Erweckenden hören.“ das waren die Lehren dieses himmlischen Genius und die ganze Verheissung von der Auferstehung sollte die tröstende Idee von einem kurzen Schlaf im Schoos der Erde gleichsam besiegeln. Wenn also irgendwohin, sollte man denken, so gehöre der Engel des Schlafs mit der gesenkten Fackel vor die Grabmähler der Christen, da der Stifter ihrer Religion es zu einem Hauptzweck seiner Sendung machte, den Tod in einen Schlaf zu verwandeln.

Bald aber verstanden es die Christen nicht also und jemehr ihre Religion in vielen Andern Aberglaube ward, mußte sie es auch in diesem Stück werden. Statt in der Lehre von der Auferstehung bei den schönen Ideen zu bleiben: „das Saamenkorn, das in die Erde fällt, muß ersterben: was gesäet wird, ist nicht die Frucht die hervorgeht, sondern Eine der Art, die Gott aus der Natur des Saamens hervorbringt: [369] unser Fleisch und Blut können ins künftige Reich nicht eingehen u. f.“ statt solcher klaren Stellen mißbrauchte man andre. Jeder wollte mit der runzlichen Haut umgeben seyn, die ins Grab gelegt würde und in diesem seinem Fleisch Gott schauen: das Feld der Gebeine Ezechiels kam also vor Augen und so ward die Schlafkammer christlicher Gräber sehr bald zu einem Behältnißort heiliger Cadaver, die, wie sie da lagen, auf die Auferstehung harrten. Viele unter ihnen waren Märtyrer gewesen und so war der Leichnam, an dem sie gelitten hatten, noch heiliger und aller Verehrung werth. Er ward besucht, er ward aufgestellt, er that Wunder: Gerippe und Knochen kamen also mehr als jemals in die Achtung der Menschen; a)[2] da [370] bei den Griechen und Römern es kein größeres Unglück, keine empfindlichere Strafe gab, als unbegraben zu seyn oder in der Erde keine Ruhe zu haben. Hier wanderten heilige Knochen in der Welt umher und wurden sehr kostbar. – Endlich konnten auch das Kreuz des Erhöheten selbst unschuldiger Weise Anlaß geben, Bilder der Skelete ins Heiligthum einzuführen. Auf der Schädelstäte stand es und dies hies nach der gemeinen Deutung auf einem mit Schädeln überdeckten Ort. Den Tod hatte dies Kreuz besieget und so kamen auch in der Abbildung ein Todtenhaupt und einige Gebeine an den Fuß des Kreuzes; ja bei das Grab des Auferstandnen wohl gar ein knirschendes Todtengerippe. Endlich häufte man Tropen mit Tropen: der Ueberwinder habe mit dem Tode gerungen, ihn bezwungen, ihn verschlungen und wenn diesen mißverstandnen Ausdrücken die Kunst nachging, wohin mußte sie kommen! wie elend mußte sie werden!

[371] Sie können leicht denken, m. F. daß alle diese Mißbräuche nicht Wurzel gefaßt hätten, wenn die Denkart der Nordländer, in der von Natur keine schöne Bilder schwebten, sie nicht begünstigt und das Schauderhaft-Greßliche dem Wohlgeordneten vorgezogen hätte. In unserm Todesbilde sind zwei einander widersprechende Wesen, die Zeit und das Bild eines Leichnams vereinigt, deren Jedes die Alten kannten, jedes aber für sich und in sich selbst bestehend brauchten. Die Zeit schlich mit gefesselten Füssen als ein krummer Greis daher: a)[3] ihr gehörte das Stundenglas und die Sense. Das Bild vom Mähen brauchten sie auch als ein Symbol der Vergänglichkeit auf Todtenmahlen; b)[4] da waren es aber Schnitter, die da mäheten, keine Gerippe: denn diese können ihrer Natur nach weder mähen noch die Stunden [372] zählen. Das Skelet und die Larve hatten sie, wie wir gesehen haben, auch; beide aber in ihrer natürlichen Bedeutung; ohne daß sie widrige Begriffe ungereimt hätten paaren, den Leichnam zum handelnden Wesen oder den Todten zum Tode umschaffen wollen. Wie es nun das entscheidende Kennzeichen des stumpfen Sinnes ist, wenn er die wahren Attribute einer Sache nicht erfaßt, und ein gewisses Kennzeichen des falschen Geschmacks giebt, wenn er sie widrig und nicht auf dem rechten Punct vereinet: so können wir den Schluß leicht fassen, was von einem Symbol zu halten sei, das in seinen eignen Gliedern nicht vest steht.

Auch haben sich die Christen der ersten Jahrhunderte, insonderheit in Rom, lange von diesem Gerippe freigehalten und es ist sonderbar zu sehen, wie sie die Symbole auf den Grabmahlen der Heiden allmälich verwandelt haben. So kommen z. B. die beiden Genien mit der Fackel, die Delphine, ja selbst der Vogel mit [373] dem Schmetterlinge Anfangs noch war, bis nach und nach aus dem Vogel die Taube des Noah mit dem Oelzweige, aus den streitenden Hähnen der Hahn des Petrus, aus den Löwen die Löwen Daniels, aus den Genien Engel, aus den Delphinen weidende Schaafe werden und statt der Götter- und Heldengeschichte, die Geschichte der Bibel auftritt. Selbst die kleinern Symbole der ersten, zumal römischen Christen, der Anker, die Leier oder gar Orpheus mit derselben, das segelnde Schiff u. f. waren alte Symbole; und nur dem Dunkel der nordischen Mitternacht blieb er aufbehalten, dem Tode Schloß und Burg, eine Rittergestalt vor dem Thor der Hölle und zuletzt die Galanterie zu geben, daß er mit allen Ständen der Erde umhertanze. Zum Christenthum gehört dies eben so wenig, als zur Religion des Dalai-Lama in Tibet.


Erlauben sie mir also, m. Fr. daß ich von dieser Maske wegsehe und mich noch mit [374] Einem Blick an den bessern Hoffnungen freue, die uns das Christenthum zur Gewißheit gemacht hat. Nicht Bilder hat es uns gegeben: denn diese sind nur für Kinder; sondern Wahrheit und Ueberzeugung. Und eben diese hellere Wahrheit hat jene Bilder verdrängt, die nur in der Morgenröthe dem menschlichen Verstande zureichend seyn konnten. Offenbar sind wir, wie über das Reich des Pluto, so über alle jene schöne Kinderspiele von Amor und Psyche, der Luna und dem Endymion hinweg, wenn wir nicht reinere höhere Wahrheit in sie kleiden; und dieser hat das Christenthum gleichsam das Thor geöfnet. Es hat die Hoffnung eines andern Lebens nicht zu einer philosophischen Frage, noch weniger zu einem neuen Kunstbilde, aber wohl zum Volksglauben gemacht und an sie die erhabensten Wahrheiten der Vernunft und Menschwürde geknüpfet.

[775]

Lebensfunke, vom Himmel entglüht, a)[5]
Der sich loszuwinden müht!
Zitternd-kühn, vor Sehnen leidend,
Gern und doch mit Schmerzen scheidend –
End’ o end’ den Kampf, Natur!
Sanft ins Leben
Aufwärts schweben,
Sanft hinschwinden laß mich nur.

Horch! mir lispeln Geister zu:
„Schwester-Seele! komm zur Ruh!“
Ziehet was mich sanft von hinnen?
Was ists, das mir meine Sinnen,
Mir den Hauch zu rauben droht?
Seele sprich, ist das der Tod?

[376]

Die Welt entweicht! Sie ist nicht mehr!
Harmonieen um mich her!
Ich schwimm’ im Morgenroth –
Leiht, o leiht mir eure Schwingen,
Ihr Brüder-Geister! helft mir singen:
„O Grab, wo ist dein Sieg? wo ist dein Pfeil, o Tod?“


  1. a) Ebr. 2, 14.
  2. a) S. die ersten Bücher von Aringhi Roma subterranca (Rom. 1651.) wo man siehet, wie vieles in der alten Geschichte des Christenthums um Leichname und Gräber sich windet und von ihnen ausgeht.
  3. a) Montfaucon comp. Semler. tab. 2. fig. 2. aus Maffei. Winkelmanns Allegorie S. 86.
  4. b) Fabretti inscr. p. 334.
  5. a) Popens sterbender Christ an seine Seele.