Wie die Alten den Tod gebildet? Fünfter Brief

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Wie die Alten den Tod gebildet? Fünfter Brief
Untertitel: Ein Nachtrag zu Leßings Abhandlung desselben Titels und Inhalts
aus: Zerstreute Blätter (Zweite Sammlung) S. 326–348
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Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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[326]
Fünfter Brief.


So ruhig es seyn mag, im Grabe zu schlummern und von keinem Leide der Erde mehr zu wissen: so bleibt dies doch immer ein trauriger Trost und man sähe sich in kurzer Zeit an den beiden Schildhaltern der Ruhe satt und müde. Sollten die Alten also nicht darauf gekommen seyn, den Begrif des Todes weiter zu führen und aus ihrer Philosophie und Tradition auch der Kunst süßere Tröstungen anzubilden? Kein Zweifel; da auch hierüber ohne alle mystische Deutungen so viele Grabmähler Zeugniß geben.

Zuerst war es angenommene Sache der ältesten Tradition, daß nur der Körper verwese, der Athem, die Seele aber ins Reich der Schatten gehe und daselbst als Schatte, als das Idol und simulacrum eines Menschen fortlebe. Die Sprache schuf hier bald durch eine paßende Zweideutigkeit für die Kunst ein Bild, das schöne Bild eines Schmetterlinges mit der Bedeutung der Seele. Auf wie vielen Denkmahlen ist [327] dasselbe sichtbar! und es zeigt überall, daß man an etwas Ueberbleibendes ausser der Asche und den Gebeinen glaubte. Da liegt z. B. die Entschlafne: a)[1] der Todtenkopf liegt in einiger Entfernung vor ihren Füßen: (so etwas wird ihr Körper werden;) aber über ihrem Gesicht, aus ihrem Munde fliegt der Schmetterling, die Seele. - Dort liegt ein Gerippe; b)[2] die Füße über einander geschlagen, die Eine Hand aufs Haupt gelegt; Zeichen der Ruhe. Aber auf seinem Knie sitzt der Vogel, der den Schmetterling auffängt und ein andrer fliegt wie auf dem Rücken des Vogels. – Da steht der Schlaf mit seiner gesenkten Fackel: c)[3] entspannt ist der Bogen, der Köcher liegt an der Erde; aber auf der andern Seite kriecht unter der flammenden Fackel der Schmetterling, die Seele. Es wäre eine Nutzlose Mühe, eine Menge Schmetterlinge [328] dieser Art hier zu sammlen, zumal sie andre schon gesammlet haben.

Bald entstand aus diesem Bilde ein schöneres. Was soll der Schmetterling zu den Füßen des Schlafes? wie wenn die Verstorbene in ihrer Gestalt selbst erschiene und der Genius sie statt einer Pasithea umarmte. Siehe da das schöne Bild von der Psyche mit Schmetterlingsflügeln, die der Schlaf umarmet, auf so vielen Grabmählern. d)[4] Daß es der Schlaf und nicht immer Amor seyn sollte, zeigt nicht nur die herabgesenkte Fackel, e)[5] sammt dem häufigen Gebrauch dieser Idee auf Särgen und Grabmahlen, f)[6] sondern am meisten die Zusammenhaltung [329] mit jenen zahlreichen andern Vorstellungen, g)[7] die den blossen Schmetterling neben dem Schlafe zeigten. Sobald Psyche eine Person ward, war ja nichts leichter, nichts natürlicher, als daß sie in den Armen des Schlafs von ihm geküßt und geliebt werde, zumal da Homer selbst die Idee von der Vermählung des Schlafes mit einer Grazie gegeben hatte. Es war ein natürlicher Gedanke, daß diejenigen die hier von Menschen geliebt waren, auch von Göttern geliebt und von solchen nur als Lieblinge weggeführt würden. Mehrere Dichter hatten diese Vorstellungsart gegeben, h)[8] Homer selbst [330] war in ihr vorgegangen, der z. B. den Clitus, b)[9] den Orion c)[10] als Geliebte von der Aurora entführen läßt; ja ein grosser Theil der mythologischen Tradition ging auf diesem Wege. d)[11] Mit der Zeit also ward es ein gemeiner Ausdruck von einem früh Verstorbenen: „die Sonne hat ihn entführt, die Götter haben [331] ihn geliebet.“ e)[12] Wenn nun überdem Bruder und Schwester, Geliebter und Geliebte in kurzer Zeit gleichsam einander nachgeholt hatten: was war natürlicher, als daß die Eltern schrieben: Calippo F. Helpidi F. und beide sich im Bilde dieser schönen Gruppe auch im Todesschlaf umarmen liessen? f)[13] Mit verschränkten Füßen steht Psyche ruhig da und legt dem brüderlichen Schlaf die Hand auf die Schulter; oder sie umarmen sich beide, die Jungfrau bescheiden verhüllt, [332] nacket der Jüngling. a)[14] Ich gestehe, daß auch blos als Künstler-Idee betrachtet, die Gruppe eine der reizendsten ist, die ich kenne, daher sie auch so gern wiederholt ward.

Und nun war mit ihr der Uebergang zu einer Menge neuer Vorstellungen gegeben. Der Genius des Schlafs hatte eine große Anzahl Brüder, die, wie allenthalben, so auch auf Grabmählern in mancherlei Spielen vorgestellt wurden und wer unter diesen war ihm näher verwandt, als Amor? Die umgekehrte Fackel durfte nur erhoben werden, wie sich auch bei den Genien oft erhoben war; der erschlaffte Bogen zu ihren Füßen war ohnedem Amors Werkzeug und so kam Psyche, abermals durch Hülfe einer gegebnen schönen Fabel, mit ihm und andern frölichen Genien in Gesellschaft. Sie wissen, m. Fr., welche Fabel ich meyne, die einzige, um die ich den afrikanischen Apulejus beneide. b)[15] [333] O hätten wir sie aus einer andern Hand, als aus der Seinigen! wäre der Grieche noch da, c)[16] den Fulgentius anführt, der sie in ganzen Büchern weitläufig beschrieben! Aber wir müssen nehmen was da ist und so erlauben Sie, daß ich einige Momente dieser schönen Dichtung auszeichne, die, wenn sie nicht bei veranlaßenden Todesfällen schöner Geliebten entstanden sind, doch gewiß, wie es auch geschehen ist, den Künstler reizen mußten, sie zu Emblemen des Todes zu bilden.

„Psyche, die schönste ihrer Schwestern, erregt den Neid der Göttin mit ihrer Schönheit;“ und welchen Ausdruck kennen wir auf Grabschriften häufiger, als den vom Neid höherer Wesen? d)[17] Die Fabel ging auch hier mit der Geschichte des Apolls, der Diana u. a. voran, so daß die Pfeile der letztern eine gewöhnliche [334] Bezeichnung des sanften, frühen, unschuldigen Todes geworden waren. e)[18]

Ferner der unglücklichen Psyche spricht ein böser Orakelspruch des Schicksal zu, daß sie einem Ungeheuer zur Gattin bestimmt sei: mit Thränen wird sie also hingeführt, zu ihrem Hochzeit- als zu einem Todtenfeste. Düster brennen die Fackeln: die hochzeitliche Flöte seufzt klagende Töne: der Hymenäus erstirbt wie ein Todtengesang: die weinende Psyche nimmt wie eine Sterbende Abschied und ihre Eltern verlassen sie traurend. „Erinnern Sie sich, m. Fr., an so viele Grabschriften, die dasselbe sagen. Der Hymenäus ist in einem Todtengesang, die hochzeitliche in eine Leichenfackel verwandelt, das blühende Mädchen ist eine Braut des Orkus. Selbst der Name Psyche kam dem Gebrauch dieser Geschichte zu statten und lud zu ihr ein: denn mit welchem Namen [335] ist den Verstorbenen auf ihren Grabmählern mehr geschmeichelt und geliebkoset worden, als mit dem Namen Psyche, Psycharion, anima, animula, denen sie die süßesten Beinamen gaben, die sich in der Sprache fanden.

Weiter. „Die von ihren Eltern verlaßene Psyche, deren Brautfackeln von Thränen verlöscht sind, harret in ihrer bangen Einöde auf dem Gipfel des Berges und plötzlich erhebt sie ein linder Zephyr: ruhig trägt er sie in den Abgrund des drunten liegenden Thals und legt sie sanft in den blumigen Schoos eines weichen Rasens nieder.“ Abermals ein Moment für die Ueberführung des Todten: denn schon der Name sagte es, daß vom Zephyr geführt oder hinübergeführt zu werden, einen sanften Uebergang bedeute. So ward der Sohn der Aurora, Memnon, noch von seinem Scheiterhaufen von den Winden hinweggeführt: a)[19] die Hinwegführung, durch wen sie geschehen mochte, hatte die Sprache [336] und Kunst geheiligt. Hier nun hatte ein Gott die Sterbliche geliebt; der schönste Genius, Amor: denn wenn er Göttern und Genien Liebe eingoß; warum sollte nicht auch Er lieben?

„Psyche betrachtet ihren neuen Aufenthalt und sie ist wie in einem Elysischen Thale. Auf Blumen tritt sie daher: ein Pallast von Licht glänzt ihr entgegen: eine Göttertafel steht für sie gedeckt: Harmonieen laden sie ein zur Freude und Liebe.“ Nichts anders hatte das Leben in Elysium, das die Dichter schilderten und die Grabschriften priesen. b)[20]

Nein du bist nicht gestorben, o Prote! Schöne Fluren
Siehest du jetzt und bewohnst voll Freude der Seligen Inseln.
Auf den Auen Elysiums wandelnd in sprießenden Blumen,
Lebst vom Leide du fern. Getrübt vom traurigen Winter

[337]

Bist du nicht mehr, nicht mehr von Hitze gequält und der Krankheit,
Nicht von Hunger und Durst. Der armen Sterblichen Wallfahrt
Reizet dich zum Verlangen nicht mehr; ein untadelich Leben
Lebst du in reinem Glanz, in der Nähe des Götter-Olympus.

„Aber der Psyche droheten Unglücksfälle; und der härteste Knote derselben führte abermals zu mancherlei Bildern der Todes. Von ihrem Geliebten getrennt, muß sie den steilen Felsen hinauf zum stygischen Pful, aus dem Cocyt ihre Urne zu füllen; und wer hilft ihr dabei? Ein Bild, das auf Leichenmahlen so oft vorkommt, der Adler. Ja endlich soll sie über den Acheron selbst zu Proserpina hin ins Reich der Todten; sie bekommt für den Cerberus besänftigende Speise und das Fährgeld für den Charon mit sich. Glücklich gelangt sie an die dunklen Orte und kehrt mit der gefährlichen Büchse zurück, die der Neugierigen den Tod bringt, bis Amor [338] sie wieder belebet. Nun sind ihre Leiden vollbracht; die himmlische Vermählung folgt und ihr Leben mit den Göttern.“ Sagen Sie, m. Fr., könnte eine Geschichte erdacht werden, die die Schicksale der abgeschiedenen Psyche, deren Name schon die Allegorie vesthielt, abwechselnder, reicher, anschaulicher schilderte? und so dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie so oft auf Leichendenkmahlen vorkommt. Hier windet Psyche Blumenkränze, ihren geliebten Genius zu krönen, der ihr einen Kranz von Myrthen darbeut; dort hält sie betrübt die Fackel nieder, der Genius tröstet sie und legt die Hand auf ihre Schulter. a)[21] Bald küssen sie einander und erheben sich umarmend in die Lüfte. Jetzt führt Hymenäus mit erhobner Fackel beide Liebende zum Brautbett: Psyche ist tief verschleiert: der Genius an ihrer Seite minder: einer seiner Brüder geht voran, einer folgt b)[22] – u. f. [339] Unglücklicher Weise hat man auch bei Särgen und Leichensteinen so manches in dieser Geschichte grübelnd gedeutet, das gewiß eine offnere Gestalt annehme, wenn wir die Fabel von einem ältern Schriftsteller erzählt besäßen. So glaube ich z. B. nichts davon, daß wenn ein Vogel den Schmetterling aufhascht, dies die Seelenwanderung bedeute a)[23] oder daß wenn die Genius ihn mit seiner Fackel berührt, er damit die Seele durchs Feuer reinige. b)[24] Viel eher deutet jenes entweder die mancherlei Zufälle an, denen man die abgeschiedne Seele ausgesetzt glaubte c)[25] oder daß ein günstiger Bote der Götter, deren gemeines Sinnbild die Vögel waren, d)[26] sie hülfreich aufnehme und zum Ort ihrer Bestimmung [340] bringe, wie bei Vergötterungen und sonst andre Symbole es deutlicher sagen. Die Qualen mit dem Feuer sind offenbar nur aus der Fackel entstanden, die der Genius führte und da die Geschichte von Schmerzen sprach, die Amor durch die Fackel der Psyche gelitten hatte: so lag ja der Gegensatz nahe genug, daß in einem Spiel mit den Symbolen bald der Genius den Schmetterling oder die Psyche, bald diese wiederum den Amor oder gar den Schmetterling, d. i. sich selbst peinigt. Ueber jedes dieser Spiele eine neue Moral zu ersinnen, halte ich für so leicht als Nutzlos; die Idee im Ganzen aber ist schön; so schön, daß ich in mehr als Einer Situation für die Grabmähler junger Personen fast keine holdere wüßte. Möge der Genius ein Engel oder Amor oder der Schlaf seyn; genug, wenn er die arme Verhüllte sanft hinüber führt und elysische Jugendfreuden dort auf sie warten.

Doch es ist Zeit weiter zu gehen und auch andre anmuthig-tröstende Vorstellungen zu betrachten, mit denen die Alten ihre Gräber [341] schmückten. Der Tradition nach mußten die Verstorbne über dunkle, furchtbare Ströme oder gar über den Ocean; wie kamen sie hinüber? Der alte Charon war dem Thanatos zu nahe verwandt und an sich ein trauriges Bild, das indessen auf Leichendenkmahlen doch auch nicht fehlet; a)[27] man wählte also frölichere Schiffer und hier standen abermals Vögel, Fische, Genien zu Dienst. Auf Delphinen oder andern Seethieren schiffen sie hinüber,b)[28] wozu die Geschichte Arions u. a. Gelegenheit gaben: oft sind blasende Tritonen um sie her, c)[29] eine Art von Vergötterung, zu der die Fabel der Ino, des Melicertes u. a. einluden. Jetzt sitzt der Genius ohne Flügel auf einer Muschel und hält den Schmetterling in die Höhe:d)[30] jetzt sitzt Psyche [342] auf einem Schiff von Delphinen gezogen und rudert selbst, a)[31] die Vorstellung ward endlich so bekannt und allgemein, daß man den Schmetterling oder die Psyche weglies und blos die schiffenden, fahrenden Genien zur Verzierung brauchte. Auf andern Grabmählern sind sie in einer Art von frölichem bacchischen Zuge; sie blasen, auf spielenden Centauren reitend; wie denn dergleichen Züge, theils als Bilder der Frölichkeit, theils bisweilen als Anspielung auf die Vergötterung der Ariadne, oder auf die Freuden der andern Welt, bei Todtenmahlen sehr geliebt wurden. b)[32] Es wäre unnütz, die andern Spiele der Genien zu durchgehen, die bald ein Andenken aus dem Leben des Verstorbnen, zumal eines [343] Jünglinges und Kindes, bald überhaupt fröliche Bilder waren, an die sich in Verzierungen das Auge dieser Nationen gewöhnt hatte a)[33] und die wenigstens traurige Vorstellungen verscheuchten.

Ferner. Nach der Tradition kam der Todte ins Reich des Pluto; wer wird sich da seiner annehmen? wie können aus dem dunklen Reich tröstende Bilder werden? Hier kam ihnen die Fabel zu Hülfe. Bald ist es Merkur, der die scheue Seele an der Hand hat und linde führet b)[34] jetzt sind es Castor und Pollux, rettende Göttersöhne, die den Todten begleiten: c)[35] bald wurden die Arbeiten des Herkules vorgestellt, wie er Seelen zurückführt und den Cerberus bändigt. d)[36] Jetzt drohet er einem Löwen: e)[37] jetzt [344] reichen Pluto oder Prosperpina dem Höllenhunde Speisen, daß er den Todten nicht schrecke. a)[38] Bald ists Perseus, der die Andromeda erlöset: b)[39] bald sinds Vergötterungen z. B. des Herkules, der Semele, der Ino, des Hyacinthus c)[40] aus der alten Heldengeschichte. In dieser schweiften die Künstler so weit umher, daß sie entweder ähnliche Todesfälle der Helden, oder die Spiele an ihrem Grabe oder gar ohne Beziehung auf den Tod, blos als große und fröliche Kunstgegenstände, ihre Thaten selbst vorstellten; d)[41] [345] wo es denn sehr ungereimt wäre, wenn man jeden Zug der Vorstellung deuten wollte.


Oder man verlies ganz die Gegenden des Pluto und schilderte die Reise nach Elysium, nach den Gärten der Hesperiden oder das Leben mit den Göttern. a)[42] Auf diesem Denkmahl reitet ein Jüngling nach dem Baum mit goldnen Aepfeln, zu dem einst Herkules den Weg nahm: b)[43] auf jenen speiset und streichelt das Mädchen den Adler, c)[44] daß er sie wie den Ganymedes hinauftrage. Dort wird eine Daphne in den Lorbeerbaum [346] verwandelt; a)[45] hier schläft ein Endymion im Schoos des geflügelten Saturnus; von einem Amor wird Luna zu ihm geführt und hinter ihr wartet der zweibespannte Wagen mit dienenden Liebesgöttern. b)[46] Endlich was sollen auf den Grabmählern alle die Kränze und Blumen, die Trauben und Früchte, die Schwäne und Tauben, die bald trinken, bald sich küssen, bald Früchte kosten u. f. als fröliche Ideen geben, woher man sie auch nehme. Ich weiß wohl, daß man auch hier viel zu sehr gedeutet hat und der Antiquarier gern alles genau nehmen mögte, wozu er irgend eine erläuternde Stelle findet; indessen ists eben so gewiß, daß die Kunst im Alterthum eine Art von vestgesetzter Bildersprache gehabt habe, die nur uns, die wir nicht daran gewöhnt sind, fremde dünket. Tauben, Vögel, Genien, Kränze, Schwäne u. dgl. waren [347] angenommene Bilder bald der Frölichkeit und der Jugend, bald des Flüchtlinges und der Liebe; warum sollte also der Storch nicht bisweilen auch eine Deutung auf die fortwährende Liebe der Eltern zu ihren Kindern oder der Ehegatten unter einander gehabt haben, da so manche Grabschrift und andre Vorstellungen es deutlicher sagen. a)[47] Warum sollte das Nest von jungen Vögeln, zu dem die Alten fliegen, b)[48] warum so oft dieser sich aufschwingende Adler, c)[49] jener Phönix, d)[50] diese fliegende Schwäne, e)[51] endlich insonderheit jene so häufigen Göttermahlzeiten f)[52] ohne Gedanken dahin gebildet seyn? Aus Münzen [348] sowohl als auch andern Ehrendenkmahlen der Römer weiß man, daß bei ihnen diese Art symbolischer Sprache fest bestimmt und gegeben war von römischen Denkmahlen ist hier meistens nur die Rede.

Endlich die Vergötterung der Kaiser und Kaiserinnen, wenn hier ein Adler, dort eine Lucifera den neuen Gott, die neue Göttin zum Himmel trägt. a)[53] Verzeihen Sie, m. Fr., der Glanz dieser gar zu hoch getriebenen römischen Pracht, der oft den Auswurf des menschlichen Geschlechts mit Götterehren schmückte, blendet mein Auge so sehr, daß ich es lieber zu jenen stillen Denkmahlen der ehelichen, freundschaftlichen, elterlichen Zärtlichkeit auf den Gräbern zurückwende und mit dem Bilde der treuen Hände, die sich auch für jene Welt zusammenschlingen, b)[54] diesen langen Brief ende.


  1. a) Spon Miscell. p. 7. Fig. 4.
  2. b) ib. Fig. 5.
  3. c) ib. Fig. 9.
  4. d) Bellori Luc. Fig. 7. Passer. Luc. T. II. tab 20. T. III. tab. 92. Gruter. p. 690. n. 8. Spon Misc. p. 7. Fig. 7. 8. &c.
  5. e)S. Spon, Bellori I. c. Winkelmann descript. du Cabinet de Stosch p. 156. n. 886. 887.
  6. f) S. Gorii columbar. Liviae August. Praef. Spon Miscell. p. 8. Buonaroti Osservanz. tab. 28. p. 193. Middleton monim. tab. 4. p. 87.
  7. g) Die Idee der Umarmung war ganz in Homers Sprache. Auch die Pasithea hatte der Schlaf lange geliebt und war von jeher in sie entbrannt gewesen; der Kunst gab dies kein anderes Bild als die Umarmung,
  8. h) S. Pausanias 1. Kap. 3. der bei der Entführung des Cephalus von der Aurora den Hesiodus anführt. Eine ähnlich Stelle ist in der Theogonie[330] nie von 985. f. Welche Entführung auch auf des jungen Hyacinths Grabmal stand. Fabretti inscr. p. 188. 193. 194. 702. &c.
  9. b) Odyss. ό. ν. 250. wo Homer ausdrücklich sagt, daß Aurora ihn wegen seiner Schönheit geraubt habe, damit er bei den Unsterblichen wäre.
  10. c) Odyss. δ. ν. 121. Er erklärt die Entführung der liebenden Göttin sogleich durch die Pfeile der Diana, d. i. durch einen unvermutheten Tod. Beide Bilder also sollten ein Gleiches sagen.
  11. d) Die Fabel der Entführung des Tithonus von der Aurora war eine der ältesten: S. Hymn. in Vener. v. 219. seq. Die Entführung der Proserpina, des Ganymedes u. a. sind eben so bekannt. Auf der Erde ist die Mythologie voll von Geschichten,[331] schichten, da liebende Götter ihre Geliebten entführen: Menschen thaten es; warum sollten es die mächtigern Götter nicht noch mehr thun und gethan haben? ohne Zweifel war dieses der Ursprung dieser Vorstellungsart und nicht der kindische, den Heraklides Ponticus angiebt (Homer. Allegor. p. 429. Gale.)
  12. e) Gruter. inscr. p. 928. n. 4. 5. Gori. inscr. II. p. 33 so wie man auf der andern Seite sagte: der böse Dämon hat ihn entführt, die Parze hat ihn geraubet.
  13. f) Spon Miscell. p. 7. Fig. 7.
  14. a) ib. Fig. 8.
  15. b) Die Geschichte von Amor und Psyche, s. Apulejus Verwandlung B. 5. gegen das Ende.
  16. c) Fulgentius nennt ihn Aristophontes: s. Autor. Mythogr. p. 718. ed. von Staveren.
  17. d) Invida Fata. φθονος atra dies abstulit &c.
  18. e) Odyss. δ. 123. λ. 171. 197. 323. δ. 409. 477. δ. 60. 80. &c.
  19. a) Quint. Smyrnaeus Paralipom. L. 2. v. 549. seq.
  20. b) Gori Inscr. II. 119.
  21. a)S. Gori columbar. Liv. Augustae. Vorrede und Auszierungen hie und da.
  22. b) Spon. Miscell. P. 7. fig. 3.
  23. a) Spon. Miscell. p. 8.
  24. b)Winkelmanns Allegorie S. 78.
  25. c) Animula vagula, blaudula, quae nunc abibis in loca? &c. Oft sucht der Genius den Schmetterling auf der Erde mit seiner Fackel oder einer Leuchte, wie im Dunkeln.
  26. d) Virgil. Aen. L. VI. nota Heyn. et al. al.
  27. a) Bellori monum. fig. 55. Lucern. fig. 12.
  28. b) Passeri luc. III. 53. Gruter. p. 766. Gorii inscr. III. tab. 12. 14. Boissard tab. 82. &c.
  29. c) Gori inscr. I. p. 344. III. tab. 78. Bellori luc. fig. 5.
  30. d) Ogle tab. 27. Gori inscr. III. tab. 13. eine Art der Vergötterung auf einer Muschel der Venus.
  31. a) Winkelmann descript. du cab. de Stosch p. 158. n. 900. Psyche mit der Fackel auf einem Wagen von Genien gezogen, in den Lüften Licet. Hierogl. p. 3.
  32. b) Leßings Tab. 5. Gori inscr. T. III. tab. 17. 29. 30. 35. Bellori monum. fig. 109. Muratori inscr. T. III. p. 1468. 1473. u. f.
  33. a)S. die Verzierungen der Herkulanischen Gemählde und andrer Denkmahle aller Art.
  34. b) Bellori monum. fig. 55. 56.
  35. c) Gori inscr. III. tab. 10.
  36. d) Gori inscr. III. tab. 77. 78. Bellori monum. tab. 16. Passeri luc. III. tab. 93. 94.
  37. e) Gruter inscr. p. 924.
  38. a) Fabretti inscript. p. 468.
  39. b) Admiranda Rom. tab. 62.
  40. c) Auf dem Grabmahl des Hyacinthus unter dem Amikläischen Thron bei Pausanias B. 3. T. 18. 19.
  41. d) Uebrigens hat Heyne in seiner Vorlesung über den Kasten des Cypselus (Gött. 1770.) die gegründete Anmerkung gemacht, daß da die Künstler dergleichen Kunstwerke, als Sarkophagen u. dgl. wahrscheinlich im Vorrath gemacht und die Vorstellungen auf demselben theils von andern copirt, theils nach ihrer Phantasie geändert hätten,[345] man nicht überall Zusammenhang der Figuren oder Deutungen auf den Verstorbenen suchen könne, welches Urtheil die Vergleichung mehrerer Denkmahle offenbar bekräftigt. Selbst bei den Kunstvorstellungen und der Bauart gegeben, dem man also im Ganzen folgte.
  42. a) Gori inscr. II. p. 119. 140. Gruter p. 748. 686.
  43. b) Fabretti inscript. p. 161-63.
  44. c) Gruter inscript. p. 830.
  45. a) Gori inscript. I. p. 439. Fabretti inscr. p. 186 Murat. inscr. p. 1543.
  46. b) Mus. Capitol. T. IV. tab. 24.
  47. a) Gruter. p. 806. 681. n. 8.
  48. b) Bellori monum. fig. 105.
  49. c) Gori inscr. I. p. 191. 360. bei Boißard, Gruter oft. Passer luc. T. III. tab. 57. 60. 61. 83. Er war ein gewöhnliches Bild der Vergötterung bei den Römern.
  50. d) Fabreti inscr. S. 378.
  51. e) Gruter. p. 701. n. 9.
  52. f) Gori inscript. I. p. 50. 99. II. p. 22. Boissard. tab. 81. Murat. inscr. T. III. p. 1345.
  53. a) S. die Admiranda Rom. tab. 9. 37. et. al.
  54. b) Fabretti inscr. p. 421. 425. Murator inscr. T. III. p. 1321 Andre simple Vorstellung s. p. 1324. 1661. 1522.