Wie die Alten den Tod gebildet? Erster Brief

Textdaten
>>>
Autor: Johann Gottfried Herder
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wie die Alten den Tod gebildet? Erster Brief
Untertitel: Ein Nachtrag zu Leßings Abhandlung desselben Titels und Inhalts
aus: Zerstreute Blätter (Zweite Sammlung) S. 273–280
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Gotha
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Googleund Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[273]
V.
Wie die Alten den Tod gebildet?
––––––
Ein Nachtrag zu Leßings Abhandlung
desselben Titels und Inhalts.
–––
[275]
Erster Brief.


Schon der Gedanke, m. Fr. „Tod sei den Griechen in der Vorstellung ihrer Kunst nichts als ein Jüngling gewesen, der in ruhiger Stellung mit gesenktem trübem Blick die Fackel des Lebens über dem Leichnam auslöscht“ schon dieser Gedanke hat so etwas Beruhigendes und Sanftes, daß wir ihm gleichsam gut werden und uns gern dabei verweilen. Sie können also glauben, daß ich der Leßingschen Abhandlung a) [1] vom Anblick des Titels an, der uns dies anmuthige Bild giebt, mit einer Aufmerksamkeit und Freude gefolgt bin, die sich bei der reichen Gelehrsamkeit dieses Mannes und bei den Grazien seiner Schreibart von Blatt zu Blatt vermehrte. Wir leiden unter einer Menge natürlicher und [276] nothwendiger Uebel; warum sollten wir uns noch unnöthige und künstliche schaffen? Die Schale des Todes, sie sei bitter oder süß, wartet Zeit genug auf uns; warum wollten wir sie uns, ehe wir sie kennen müssen, im Vorgeschmack verderben und uns mit einem Phantom schrecken, das in der Natur vielleicht nicht ist, in den Händen der Kunst aber viel weniger seyn dürfte.

Nicht aber die Bequemlichkeit blos, um derentwillen der Mensch doch schon viel thut, sondern auch die Wahrheit selbst scheint den gräßlichen Bildern zu wiedersprechen, in denen Kinder und Schwache sich so gerne den Tod denken. Wenn unsre Alltagsdichter immer und immer vom Todeskampf, vom Brechen der Augen, vom Röcheln, Starren, Entsetzen und Erbeben als vom Tod singen: so ist dies Misbrauch der Sprache: denn nicht Tod ist dies, sondern Krankheit. Habe ich nun wohl von der Anmuth des Hafens Begrif gegeben, wenn ich ihn mit den Stürmen des hohen Meers verwirre, aus denen er eben rettet, die sich in seine sanfte Ruhe [277] enden? Er wäre ja nicht Hafen, wenn er die Höhe des Sturmmeers wäre und gesetzt, daß wir zu seiner Sicherheit auch nur durch Klippen, Strudel und einen engen Pfad gelangten, welcher Feige wollte sich nicht zum Ziel seiner Reise auch durch sie hindurch wagen?

Sehen Sie m. Fr. die natürlichsten Arten des Todes an; treten Sie an die Leiche eines blühenden Rosenkindes, eines Jünglinges, dem sein letzter Athem hinwegschwand, einer Geliebten, die fast ohne es zu wissen, hinüber schlummert, eines frommen Greises endlich, der wie Simeon sich gleichsam sein Sterbelied sang und mit dem Kleinode des Himmels in seinen Armen das Haupt neiget; wo ist bei diesen Todten der dürre Knochenmann? wo das Gespenst mit der furchtbaren Hippe oder die Furie, mit welcher der Kranke auf seinem Bette soll gekämpft haben? Ein sanfter Augenblick kam, ein Augenblick des Entschlafens und nicht mehr Erwachens, der Stille, die kein Geräusch, der Ruhe, die kein irrdischer Unfall mehr störet. Auch bei den gewaltsamsten [278] Zerrüttungen der Krankheit gehen meistens sanfte Minuten oder gar helle und heitere Visionen dem Abschiede voraus: die Flügel der Todes rauschen näher und je näher sie kommen, desto sanfter wird ihr Sausen, bis sie uns überschatten und der blasse Schleier auf uns sinkt, der von lebendigen Händen kaum mehr berührt werden sollte. Heiliger Kreis ist um einen Entschlafnen; das sagt sein ruhiges Gesicht: das sagt seine befriegte Todtengebehrde. Auch Gesichtszüge, welche die Leidenschaft lange verzerrt hatte, werden von der sanften Hand des Todes geebnet; so daß in wenigen Minuten mancher Entschlafne schöner ist, als er je in seinem Leben gewesen. Kein Schreckgespenst also ist unser letzte Freund; sondern ein Endiger des Lebens, der schöne Jüngling, der die Fackel auslöscht und dem wogenden Meer Ruhe gebietet. Was darauf folgt, sind Folgen des Todes, die zu ihm selbst nicht gehören. Das Geripp im Grabe ist so wenig der Tod, als mein fühlendes Ich dies Geripp ist; es ist die abgeworfne zerstörte Maske, [279] die nichts mehr fühlet und mit der auch wir eigentlich nichts mehr fühlen sollten: denn es ist doch nur Wahn, daß es dem Todten im Grabe so einsam, so dunkel, so kalt und wehe sei, wenn Würmer an ihm nagen.

Doch wo gerathe ich hin und vergesse, daß ich nur über eine antiquarische Abhandlung schreibe! Wie aber, m. Fr. wenn ich gegen diese schöne Abhandlung einige Einwendungen machen müßte? wenn es nicht so ganz richtig bliebe, daß der Tod den Alten nur dieser Jüngling, dieser schöne Jüngling mit der umgekehrten Fackel gewesen wäre? wenn es zu beweisen stünde, daß er eigentlich nie die Gottheit d. i. das personificirte Abstractum des Todes habe bedeuten wollen? Nicht wahr? Sie hassen mich mit so einer widrigen Einwendung? Fürchten Sie nichts. Ich werde Ihnen das liebliche Bild nicht zerstören, sondern es nur an seinen Ort stellen: ich werde dem verdienten Todten, der dies schrieb, kein Blatt von seinem blühenden Kranz rauben, sondern mich freuen, wenn ich einige Blumen [280] desselben zurechtrücken oder sie gar mit einigen andern vermehren kann, auf welche mich nur seine schöne Vorarbeit brachte.


  1. a) Wie die Alten den Tod gebildet? Berlin 1769.