Wie die Alten den Tod gebildet? Dritter Brief

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Wie die Alten den Tod gebildet? Dritter Brief
Untertitel: Ein Nachtrag zu Leßings Abhandlung desselben Titels und Inhalts
aus: Zerstreute Blätter (Zweite Sammlung) S. 294–308
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Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Googleund Commons
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[294]
Dritter Brief.


Wie schön ist es, m. Fr., um eine fein- und wohlbestimmte Sprache! Begriffe, die in einer dunkeln Mundart verwirrt würden und erst durch lange Erörterungen aus einander gesetzt werden müssen, prägen sich in jener auch dem gemeinen Verstande durch eigne Worte rein und klar ein. In hundert Fällen verhält sichs so mit der griechischen Sprache und auch hier bei dem Begrif des [295] Todes. Entweder drückt dieser das harte nothwendige Schicksal zu sterben aus und da sagten die Griechen Schicksal (μοιρα). Oder es sollen die nähern, oft gewaltsamen und allzeit bittern Veranlassungen des Todes angezeigt werden und da sagten sie κηρ, κηρες. Ich will sie die Todesboten, die ereilenden tödtlichen Verhängnisse nennen, ob ihr Name gleich oft bis zum Begrif des Schicksals der Sterblichkeit selbst gemildert wurde. Oder der Tod kann den Abschied bedeuten, von dem was uns im Leben lieb war, das Entweichen in eine andre Welt, in eine dunkle, uns unbekannte Gegend; da war es ihnen also der Raub des Orkus, der Hingang zum Reich des Unsichtbaren und was sie weiter für Bilder hatten. Endlich kann Tod den Zustand des Todten, die Ruhe des entseelten Leichnams anzeigen; und da, nur da war er des Schlafes Bruder. Ich hoffe, es wird Ihnen nicht unangenehm seyn, wenn ich diese Vorstellungsarten durchgehe und bemerke, wiefern die Kunst an ihnen Theil genommen habe.

[296] Das hohe nothwendige Gesetz zu sterben, war, personificirt, die Göttin des Schicksals (μοιρα, parca, Fatum, Fatus:) sie war der Hauptbegrif der Alten, wenn sie an den Tod dachten und mich dünkt, der philosophisch-würdigste Begrif, den Menschen sich über eine Bestimmung, die ihrem Willen so widrig und ihrer Natur doch so gemäß ist, machen mögen. Seitdem dieser Begrif des hohen verhängenden Schicksals aus dem Gemüth der Menschen vertilgt ist, schleicht ihre Seele mit Blicken kleiner vorsichtigkeit und mit Aengsten einer niedrigen Duldung einher. Um einige Tage mehr zu leben, leben wir oft gar nicht, indem wir weder dem ordnenden Schicksal voll Gerechtigkeit und Güte, noch der eisernen Nothwendigkeit trauen. Die Griechen nicht also. In Homer und allen Tragikern ist es das Schicksal, welches das Loos wirft, Jupiter welcher wägt und die Parce, die da schneidet. a)[1] [297] hohen Begriff nicht. Die Göttinnen des Schicksals hatten ihre Tempel und Bildsäulen, ja ihr reiches Andenken auch auf den Gräbern; nicht nur in Grabschriften, wo eine nach der andern an die μοιρα, die Parze, die invida Fata u. f. denkt und oft sehr bitter über sie klagt, sondern auch in Denkmählern. In der ersten Leßingschen Tafel, b)[2] in welcher der Schlaf am deutlichsten genannt ist, steht ihm, nicht sein Bruder, sondern das ernste Schicksal gegen über. Ein Rad ist unter ihrem Fuß und [298] nach Pighius Angabe hatte sie in ihrer jetzt verstümmelten Hand eine Rolle, wahrscheinlich das Buch des Schicksals. So stehet die verhüllte Parze bei Zevs; und Merkur, der Führer der Todten, handelt mit beiden, indeß weiterhin Pluto die Proserpina raubet. c)[3] So stehet auf dem Grabbogen, von dem Leßing sein Titelkupfer nahm, b)[4] gleich bei dem Lebensanfange des Menschen die Parze, die da webt und das Fatum, welches auf eine Kugel schreibet; so wie bei seinem Lebensende eine sitzende Person sein Leben von einer Rolle lieset und eine andre verhüllte den Todten betrachtet. Daß die Moira nicht häufiger auf Gräbern erscheint, e)[5] auf denen sie oft genannt wird, kommt daher, weil das Schicksal des Todten vollendet ist und sie bei dem Begrabnen kein eigentliches Geschäft mehr hat.

[299] Ein gleiches ists mit der Gehülfin des Todes, der ereilenden, grausamen κηρ. So fürchterlich sie auf Kypselus Kasten gebildet war, f)[6] da sie dem fürchterlichsten Morde der griechischen Geschichte, dem Tode der beiden Brüder Eteokles und Polynikes beistand, durfte sie nicht immer gebildet seyn: denn nicht jeder Tod, zu welchem sie und ihre Schwestern Werkzeuge waren, war so fürchterlich und es ist bekannt, daß die griechische Kunst auch die furchtbaren Gestalten, wo sie es durfte, milderte, ja so gar verschönte. Den Göttinnen der Rache z. B. gab sie keine Schlangen ums Haupt; es war an ihnen, wie Pausanias sagt, so wenig als an den andern Bildern der Unterirrdischen was fürchterliches merkbar. g)[7] Die Parzen überdem, für welche die κηρες bei den Dichtern oft als Synonyme gelten, h)[8] waren ernst aber nicht gräßlich, da die himmlische Venus selbst unter ihnen die Aelteste [300] war und sie mit den Horen an Jupiters Haupt gebildet werden konnten. - Nur was sollten diese Todeswählerinnen beim Grabe? Sie waren Dienerinnen des Schicksals und hatten ihr Amt schon verwaltet. Dem ohngeachtet aber liessen die Griechen oder vielmehr die Römer, von denen bei dieser Art von Grabmählern mehr die Rede ist, ihr Andenken nicht ganz weg: denn auch bei den schönsten derselben sind Spuren der Empfindung eines harten zerstörenden Schicksals, von welchem sie Grabschrift so oft redet. Was wollen nämlich die Bilder der Gewaltsamkeit und tödtlichen Unterdrückung, die in den Beiwerken so oft vorkommen, sagen? woran erinnern sie, sofern die Kunst erinnern kann, als an gewaltsame Zerstörung? Hier zerhackt ein Vogel dem Knaben die Brust; dort frißt eine Katze die Früchte, a)[9] hier zerreißen Vögel eine Schlange, b)[10] eine Leier: c)[11] dort streiten [301] Hähne; d)[12] hier gehen Greise auf einander; e)[13] Ein Bock benagt die Früchte: f)[14] Vögel picken an Blättern, oder Blumen und Trauben: g)[15] der Adler würgt die Schlange, h)[16] der Löwe den Hirsch, der Genius einen Stier i)[17] der Vogel verschlingt die Eidexe k)[18] u. s. f. Was will der Vogel, der der Schlinge entgegen fliegt, l)[19] die Harpyie, die den Kopf des unbewehrten Schaafs zerreißt? m)[20] was will endlich das fürchterliche Haupt der Gorgo, das bei so vielen, vielen [302] Leichenmählern dasteht? n)[21] Ich bin weit entfernt, jeden kleinen Umstand hievon mystisch zu deuten: ich gebe soviel auf den ausschmückenden Einfall des Künstlers, als man nur geben kann, insonderheit da man auch bei den Auszierungen der herkulanischen Gemählde, von denen man leider einzeln nicht genau weiß, wo sie standen? [303] manche Zierrathen dieser Art findet. Indessen aus der Zusammenhaltung und gleichsam aus dem Costume der Grabmähler, mit ihren Grabschriften und der Denkart der Dichter überhaupt, entspringet das Gefühl von selbst, das im Ganzen diese Zeichen angab. Denn ist in der Welt nicht alles Zerstörung? Eins lebt vom andern und zehret es auf, damit ein andres von ihm lebe. Die Würgerin des Todes ward also hier ihrem Antlitz nach oder in ihrer Wirkung an niedern Geschlechtern gezeigt und zwischen Blumenkränzen, Genien und Früchten der Mensch an das allgemeine Gesetz der Zerstörung, durch Symbole einer bildlichen Fabel erinnert. Eine solche Erinnerung finde ich nicht wild, sondern für den, der diese Denkart hat, wahr: denn nur Kinder wären es, die die Hand vors Auge halten, um die Gorgo nicht zu sehen, die oft unvermuthet hineinblickt und das Glück der Menschen störet. Ein weichlicher und nicht ein feiner Geschmack wäre es, der da Süßigkeit suchte wo das Bittre die Haupt Essenz seyn mußte. So [304] sehr die griechische Kunst das Schöne suchte, so war das Bild der Furcht in Korinth so fürchterlich, als es nur seyn konnte.

Auch sofern der Tod ein Abschied, eine Hinwegführung war, verschwieg weder Kunst noch Sprache, was sie dabei ausdrücken sollten. Hier liegt der Kranke auf dem Bett in nackter elender Gestalt und vor ihm steht Pluto mit dem dreiköpfigen Hunde und dem Schwert oder dem Cepter im Arm; a)[22] ich glaube nicht, daß die Idee des herannahenden Todes fürchterlicher ausgedrückt werden könnte. Dort liegt ein bekränztes Paar auf dem hochzeitlichen Bett; der Todtenkranz ist in der Hand der Braut: ein hereintretender Knecht reicht auch dem Bräutigam denselben und hält in der andern Hand die Todtenlampe. b)[23] Oder Weib und Kind stehen von fern und sagen dem Kranken das letzte Lebewohl; auf ewig nimmt er Abschied von den [305] Seinen. a)[24] Bald hat er den Todtenkranz in seiner Hand und der Genius schwingt über ihn die Fackel: b)[25] bald segnet er ein Kind oder feiert die letzte Mahlzeit: c)[26] bald liegt er todt da und die Seinen um ihn klagen. d)[27] Oder er wandert schon ins Reich des Pluto und da gab die alte Mythologie symbolische Vorstellungen gnug, an diesen dunkeln Hingang zu erinnern. Der Kranke liegt auf dem Bett und sein Weib sitzt darneben; weiterhin führt Pluto die Seele weg, Merkur geht voran in ein rundes Haus, die Wohnung der Todten, neben welchen ein Skelet liegt; e)[28] das ist, dünkt mich, alles was man sagen konnte. Oder man kleidete den Raub des [306] Pluto in die Geschichte der Proserpina ein, die, wie ich glaube, ursprünglich nichts als das Andenken eines unerwarteten frühen Todes gewesen. Die Klagen der Ceres wurden hiebei nicht verschwiegen: in der ängstlichen Stellung fleht sie den Jupiter an, so wie ihre geraubte Tochter als eine von Schrecken Erstarrte in den Armen des Raubenden lieget. f)[29] Auf vielen Grabmählern kommt diese Geschichte vor: g)[30] denn sie war gleichsam das kanonische Bild zu den mancherlei klagenden Inschriften vom Raube des Aides oder des Orkus. Von jeder sterbenden Braut, sagte man, daß sie das dunkle Brautbett der Proserpina besteige: denn sie litt ihr Schicksal. Auf jedes Liebliche im Leben, wäre es auch nur ein Vogel, eine Cicada gewesen, hielt man den neidigen Orkus gierig. Bei edlen Jünglingen brachte man die traurige Geschichten [307] frühermordeten Helden, eines Achilles und Patroklus, eines Melangers und Protesilaus, des Adonis u. a. vor Augen; a)[31] oder man scheuete sich nicht, den dahingestürzten Todten selbst in schrecklichen Symbolen zu schildern. Von Schlangen umwunden stürzet er hier hinab: b)[32] dort wird der Geliebte des Herkules von den Nymphen hinuntergezogen: c)[33] hier tragen Drachen einen Todten fort d)[34] u. f. Auf andern Särgen hat man gar die Leidenden der Hölle, Ixion und Sisyphus nicht gescheuet: e)[35] und so sehen Sie m. Fr., daß auch die Gräber der Alten von traurigen und fürchterlichen Vorstellungen nicht frei gewesen. Sie liebten das Leben wie wir; ja bei ihren sinnlichern Begriffen von dieser und jener Welt mußten sie es noch mehr als wir lieben. [308] Das Reich des Pluto war ihnen die traurigste Wohnung, so wie die schöne Sonne zu sehn das größeste und letzte Glück. Der tapferste der Menschen auf Erden, Achilles sprach: „μη μοι παραυδα θανατον“ und wünscht lieber ein elender Tagelöhner unter den Lebenden zu seyn, als daß er jetzt im Todtenreich als der Schatte eines Helden umherschwebe. Je früher hinauf, desto fürchterlicher finden wir die Vorstellungen vom Tode oder Orkus: denn je sinnlicher die Exsistenz eines Menschen ist, desto größer ist seine Liebe zum Leben. Hier sollte ich Ihnen nun noch vom eigentlichen Tode, (θανατος) dieser fürchterlichen und mächtigen Gottheit reden, die gewiß kein Knabe mit der Fackel war; aber für diesmal gnug und Sie mögen den König der Schrecken aus Homer und Hesiodus, Euripides u. a. zuvor selbst kennen lernen.


  1. a)So läßt Homer sogar die κηρε zweier Heere vom [297] Jupiter wägen ([?] 70.) denn hier in vielen andern Stellen bedeutet κηρ sowohl den schwarzen Tod selbst, als das Schicksal.
  2. b) S. 26. Sie steht inGruter. inscript. p. 304. Boissard. topogr. tab. 48. Oft ist statt ihrer die Sphynx da und legt den Fuß auf die Urne(Licet. hierogl. p. 357.) Oder sie ergreift den Menschen oder zu ihren Füßen ermorden Thiere einander. (ib. p. 343. 345. etc.) Oft stehet das Rad des Schicksals unter dem Fuß eines Ungeheuers (Bellor. Luc. p. 2. Fig. 14.) oft stehets allein da oder statt seiner die Waage des Schicksals(Licet. hierogl. p. 158. 43.)
  3. c) Admiranda Rom. T. 59.
  4. b) Admir. Rom. tab. 80. 81.
  5. e) Gruter. inscr. p. 98. n. I. Gorii inscr. T. I. p. 447.
  6. f) Pausan. L. 5. c. 19.
  7. g) Pausan. L. 1. c. 28.
  8. h) Homer. Il. et. Odyss. Mimmerm. Eleg. 2. v. 5. u.a.
  9. a) Gorii. inscr. T. I. p. 228.
  10. b) ib. p 288.
  11. c) ib. p. 307.
  12. d) Gruter. inscr. p. 702. 924. n. 12. Boissard, topogr. tab. 143.
  13. e) Boissard. topogr. tab. 135.
  14. f) ib. tab. 80.
  15. g) ib. tab. 81. 84. 86. 108. 145. &c. &c.
  16. h) ib. tab. 84.
  17. i) ib. tab. 91.
  18. k) ib. tab 143. 86. &c.
  19. l) Gori inscr. T. 2. p. 316.
  20. m) Gruter. inscr. p. 794.
  21. n) S. Gruter, Boißard u. a.; am meisten sieht man sie bei Etruskischen Grabmählern. Der Kopf dieser Gorgo ist auf Leichenmahlen, Särgen, Grabschriften über dem Bett der Sterbenden u. f. Oft hacken Schwäne und andre Vögel auf ihn oder auf seine Schlangen: oft hat er Schlangen und Flügel, deren Bedeutung gleichfalls offenbar ist. Wenn Aeneas ins Reich der Schatten hinabsteigt, sind alle diese Schreckgestalten im Vorgemach des Orkus: <poem>Terribeles visu Formae; Letumque Labosque: Tum consanquineus Leti Sopor et mala mentis Gaudia, morriferumque adverso in limine Bellum Ferreique Eumenidum thalami &c. S. Heyne Anmerkungen zu dieser Stelle Virgil, II. 570. seq.
  22. a) Spon Miscell. p. 306. Fig. 2.
  23. b) ib. Fig. 3. Oder ein Genius reicht dem Liegenden den Todtenkranz. Murat. inscr. p. 798.
  24. a) Spon. ib. Fig. 4.
  25. b) Fabretti inscript. p. 273.
  26. c) Montfaucon antiqu. compend. Semler. tab. 135. n. 1. 2. tab. 134. n. 5. Gorii inscr. T. II. p. 22. Gruter. p. 954. Boissart. tab. 81. und sonst häufig.
  27. d) Gorii inscr. T. III. tab. XVII.
  28. e) Gor. T. I. p. 382.
  29. f) Admiranda Rom. tab. 59. 60.
  30. g) Gorii inscr. T. III. tab. 35. Gruter. p. 590. Bellor. Sepulcr. Fig. 17. und sonst häufig.
  31. a) Bellor. Sepulcr. tab. 55. Gor. T. III: tab. 24. 36. 37. 44.
  32. b) Gruter. p. 788. 910. Montfaucon tab. 131. n. 3.
  33. c) Pitture d’Ercolan. T. IV. p. 31.
  34. d) Gori T. III. tab. XIII.
  35. e) Bellori Fig. 56.