Westphälische Sagen und Geschichten/Gervin von Volmestein

Textdaten
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Autor: H. Stahl alias Jodocus Temme
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Titel: Gervin von Volmestein
Untertitel:
aus: Westphälische Sagen und Geschichten
Seite 62–98
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: Büschler’sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Elberfeld
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Quelle: Commons = Google
Kurzbeschreibung:
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[62]
IV.


Gervin von Volmestein.
Eine Erzählung von H. Stahl.


Gervin von Vollmestein war im Jahre 1124 als ein froher, nach Thaten dürstender Jüngling, aus der väterlichen Burg gezogen, um Abentheuer aufzusuchen und sich den Ritterschlag zu verdienen. Mit dem besten Segen hatte ihn sein früh verwitweter Vater, [63] der alte Ritter Gerhard von Vollmestein entlassen, und dem feurigen Jünglinge nur Besonnenheit und Vorsicht anempfohlen, damit er in seinen alten Tagen nicht durch den harten Schlag, seinen einzigen Sohn und Erben zu verlieren, getroffen werden, sondern die Freude haben möge, diesen einst wohlbehalten an seiner Seite zu sehen. Allein wenn gleich der Greis von dem gefürchteten harten Schlage nicht getroffen wurde, so sollte er doch auch nicht mehr die gehoffte Freude erleben[.] Zwar hörte er oft von heimkehrenden und herumziehenden Rittern des Guten, Edlen und Rühmlichen viel von seinem Sohne, wie dieser durch ächten Muth, und durch Adeligkeit und Ritterlichkeit sich überall auszeichne, die Freude aller Tapferen, der Tröster und Beschützer der Unterdrückten, und der Schrecken der Feigen und Bösewichter sey, wie ihn, mit vieler Feyerlichkeit Friederich, Herzog in Schwaben, zum Ritter geschlagen, und wie er die innigste Freundschaft und ein Bündniß auf Leben und Tod mit dem durch ganz Deutschland als ein Muster der Ritterlichkeit berühmten Markgrafen Diepolt von Vohburg geschlossen habe, und mit diesem am Rhein und in Frankreich umherziehe, und sich allenthalben Ruhm und Ehre erwerbe, sowohl im Turniere, als in der ernsten Fehde. Ueber welches Alles das väterliche Herz des Greises sich sehr erfreuete. Allein wiedersehen sollte er die Freude seines Alters nicht, denn an demselben Tage, als er die Nachricht erhielt, Gervin und Diepolt von Vohburg haben sich mit den Herren Friederichs von Schwaben und dessen Bruders Conrad von Franken vereinigt, um den Angriffen des Kaysers Lothar des Zweiten Einhalt thun zu helfen; an demselben Tage machte ein schleichendes [64] Fieber, das schon lange an den Kräften des alten Mannes gezehrt hatte, seinem Leben ein Ende.

Von dem Ritter Gervin hörte man seitdem fast nichts mehr; nur selten erscholl auf Burg Volmestein eine Kunde von ihm, daß er noch mit seinem alten Muthe seinen fürstlichen Freunden in Schwaben, am Rhein und in Italien beystehe, und ihnen die wesentlichsten Dienste leiste.

Da kam eines Nachmittags im Frühlinge des Jahrs 1135 ein Ritter, von einem einzigen Knappen begleitet, gen Burg Volmestein geritten. Beyde ritten langsam den Hohlweg zwischen den hohen, starren Felsen hinauf. Der Ritter dessen Gestalt und Gesichtsbildung kräftig und schön war, in dessen Zügen sich aber unverkennbar ein stiller tief eingewurzelter innerer Schmerz malte, hatte beyde Hände auf dem Nacken seines großen, starken Rosses liegen, und ließ das, augenscheinlich von der Reise ermüdete Thier nach eigenem Gutdünken den Berg emporklimmen, während sein Reiter, weder auf das Roß, noch auf den Weg achtend, mit einem Blicke vor sich hinstarrte, der nur zu klar verrieth, wie schmerzlich er sich wieder mit dem an seiner Seele nagenden Grame unterhielt. Desto aufmerksamer war der Knappe, der, ein schöner schlanker, fast mädchenhaft aussehender Knabe, hinter ihm ritt, sowohl auf den steilen, holperigen Weg, als auf seinen Herrn und dessen Roß. Ohne auf sich und sein Pferd zu achten, blickte er nur unverwandt nach dem Ritter, achtete auf jeden Schritt, den dessen Pferd that, und wurde ängstlich, wenn es an einem der vielen loosen platten Steine, die im Wege lagen, zu straucheln oder zu gleiten schien. –

[65] Die beyden Reuter hatten sich endlich aus dem Hohlwege empor gearbeitet, und befanden sich jetzt auf der Höhe des Berges, vor sich die weitläufige, starke Burg, mit ihren hohen, glatten Mauern und runden Thürmen, von der Seite, fast zu ihren Füßen die rauschende Ruhr, und darüber hin die Aussicht in die bebaueten Flächen des Hohlweges, und in die Berge des Süderlandes. Allein so schön der Anblick war, so wenig wirkte er auf den Ritter ein; nur der Knappe schauete lange und mit einem tiefen Seufzer zu der Burg hinauf, und dann in die Waldung, die mit neuem Laube bedeckt hinter jener sich ausbreitete. Der Ritter aber schlug nur flüchtig sein in sich gesenktes Auge zu dem Mauerwerk der Burg, gleichsam, als wenn er prüfen wolle, ob sie fest genug seyen auch gegen die Stürme des Lebens, und lenkte dann langsam sein Pferd dem großen Eingangsthore zu.

Der Burgwart bließ lustig in sein Horn, als er die Ankommenden gewahrte, und der Ton schien doch andere Gefühle in der Brust des Ritters zu wecken. Er sammelte sich, richtete seine hohe, kräftge Gestalt empor und faßte die Zügel seines Pferdes fester; dann legte er diesem leise den Sporn an, und sprengte nun auf dem muthigen Thiere bis nahe an die aufgezogene Brücke.

Jenseits stand schon der alte, greise Burgvogt, den Gerhard von Volmestein bis zur Rückkehr seines Sohnes zum unumschränkten Verwalter der Burg und aller dazu gehörigen Besitzungen bestellt hatte. Dieser sah dem fremden Ritter, der still uns tief in Gedanken versunken, vor der Brücke hielt, einige Minuten forschend in die trüben Augen, und wartete vergeblich, [66] von ihm angesprochen zu werden. Als dieß nicht geschah, nahm er endlich das Wort. Begehret Ihr Einlaß, edler Herr, sprach er, so nennt mir vorher Euren Namen, wie es die Sitte ihrer Burg erheischt, und alsbald sollen ihre Thore sich Euch öffnen.

Da schauete das Auge des Ritters empor, und blitzte wie von einer plötzlichen Freude auf, als es den greisen Burgvogt sah. Theobald! rief er, kennst Du mich denn nicht mehr? Habe ich mich denn so sehr verändert, daß ich Dir ganz fremd geworden bin, ich, den Du so oft auf Deinen Armen getragen, auf Deinen Knieen geschaukelt hast?

Der Diener blickte verwundert auf, und betrachtete lange die schönen, aber bleichen Züge des Ritters. Dann schüttelte er still, wie mit einer plötzlich aufsteigenden Vermuthung kämpfend, den Kopf.

Du bist alt geworden, Theobald! rief der Ritter wieder; und Dein Gedächtniß hat Dich verlassen! Oder wäre wirklich Gervin von Volmestein so unkenntlich geworden?

Da wurde der Vogt sehr erschrocken. Herr! rief er. Ihr, mein lieber Herr? Ja, ja, ich erkenne Eure Züge wieder. Ihr seyd es, mein theurer Herr! Aber welcher Gram oder welche Krankheit hat Euch so entstellt? Eure Augen sind hohl, Eure Wangen fahl und eingefallen! Und sonst waren sie so frisch, so voll, so feurig!

Der Ritter seufzte tief auf, statt der Antwort, und in das Auge des Knappen drängte sich still eine Thräne. Die Zugbrücke wurde unterdeß schnell niedergelassen und der Ritter und sein Knappe ritten langsam darüber hin in den Burghof hinein. Herzlich [67] drückte hier der Ritter die Hand des Vogts, der ihn mitleidig betrachtete, und sagte zu ihm: Auf der Burg meiner Väter wird mir wieder besser werden! Dann begrüßte er die herzugekommenen Knappen und übrigen Diener, und ließ sich darauf von dem Vogt in das Innere der Burg führen, gefolgt von seinem treuen Knappen.

Aber die Zurückgebliebenen sahen ihm traurig und mitleidig nach. Das unser junger Ritter? sprachen sie untereinander. Das der tapfere, feurige Gervin von Volmestein, von dessen Muth und Thaten so viele und so rühmliche Kunde zu uns gekommen ist? Gebe Gott, daß er wahr sagte, daß hier wieder Kraft und Leben in ihn komme!

Aber der Ritter sollte nicht wahr gesagt haben. So bleich und traurig er im Frühjahr angekommen war, so bleich und traurig fand ihn auch der Sommer, und der Herbst, und der Winter, und wieder der Lenz des folgenden Jahrs. Es kam keine Kraft und kein Muth in ihn. Alles Feuer schien in ihm erloschen alle Elemente des freyen, frischen Lebens in ihm erstorben zu seyn. Immer still und in sich gekehrt, schlich er umher, verschloß sich oft Tagelang in seinem Gemache, oder strich durch die dicken Wälder der Gegend, oder saß auf den hohen Felsen an der Ruhr und blickte Stundenlang in die Berge hinein, und noch oft darüber weg, tief, tief nach Süden hin. Mancher Ritter der Nachbarschaft kam zu ihm, und versuchte, durch fröhliche Gespräche, durch Erzählungen von Fehden und Turnieren, ihn aufzurichten, den alten, angestammten Muth in ihm wieder zu wecken; aber es war vergeblich. Oft schlich der alte Vogt Theobald zu ihm, und [68] erzählte ihm von dem Frohsinn und dem Muthe seiner Jugend, und bat ihn mit weinenden Augen, wieder so zu werden, wie er früher gewesen; allein es war alles vergeblich. Stumm hörte er zu; zuweilen wohl blitzte Feuer in seiner Seele und in seinem Auge auf; aber es war auch nur ein eben so kurzes, als rasches Aufblitzen.

Ein tiefer Gram mußte an ihm zehren. Welcher aber, das wußte Niemand. Umsonst erkundigten sich die Diener darnach, umsonst die Nachbaren. Umsonst forschte man bey dem Edelknappen Julius. Der zarte Knabe war der einzige Begleiter und Gesellschafter seines Herrn, und wohl konnte man daher vermuthen, er müsse dessen Gram kennen. Aber er blieb stumm, wenn man ihn darnach fragte, und wurde noch trauriger, als er gewöhnlich war; denn auch ihn sah man nur nachdenkend und still, und nie kam Lächeln in seine sanften Züge.

Die Burg Volmestein glich in dieser Zeit eher einem Aufenthalte von Mönchen, die nur der stillen Betrachtung leben, als einem Ritterschlosse. Da sah man kein Rossetummeln, da hörte man kein Schwertergeklirr. Nur selten, zu gewissen Zeiten wurden die Pferde von den Knechten umhergeritten, damit sie nicht vor Feuer und Uebermuth die Ställe zerstampften; noch seltener wurden die glänzenden Waffen und Rüstungen aus der Rüstkammer hervorgezogen, um im Sonnenlichte geputzt und blank gemacht zu werden. Dann waren die Buben und Knappen jedesmal doppelt traurig, wenn sie bedachten, wie rund um sie her alles in wilder, lustiger Fehde lebte, und nur sie allein still und unthätig zwischen ihren Mauern liegen mußten, [69] gerade sie, die so gern auch gezeigt hätten, sie hätten den tapfersten und kühnsten und stärksten Herrn.

Aber plöztlich sollte Leben in die Burg kommen, und auch wieder in ihren kranken Herrn. Ein volles Jahr war dahingegangen, seitdem Ritter Gervin auf seine väterliche Burg zurückgekehrt war; die kleinen Gesträuche auf den Bergen und in den Thälern hatten sich schon wieder mit frischem Grün bekleidet, und auch die hohen Buchen und Eichen schlugen frisch und üppig aus; da nahete sich eines Tages ein fröhlicher und[WS 1] glänzender Zug von Rittern und Damen und Edelknappen und Zofen auf muthigen Hengsten und Zeltern, der Burg Volmestein. Wer sie sah, der blieb verwunderungsvoll stehen und sah ihnen lange nach, nicht sowohl wegen der Fremdheit der Ritter und Damen, als vielmehr wegen des in westphälischen Gauen niemals gesehenen Glanzes, der den ganzen Zug umgab. Besonders zeichnete sich an Pracht und Schönheit ein junges Paar in dem Zuge aus, ein Ritter in glänzender goldener Rüstung, und eine Dame in himmelblauer Seide, die von den kostbarsten Perlen und Edelsteinen glänzte. An der Ehrfurcht, womit Beyde von ihren Reisegefährten behandelt wurden, sah man auch leicht, daß sie die Vornehmsten und Gebieter der Anderen waren.

Als sie aus dem Hohlwege, der zu der Burg führte, sich herausgearbeitet hatten, und nun in geringer Entfernung das Schloß vor ihnen lag, sah man rasch einen Ritter sich von ihnen trennen, und vor dem Haufen voraus zu der Burg sprengen. An der aufgezogenen Zugbrücke hielt er still, und rief mit lauter Stimme nach dem Thurmwart, und fragte diesen, [70] als er endlich ankam, ob sein Herr, der Ritter Gervin von Volmestein, daheim sey.

Freylich! antwortete der Thurmwart, aber seit drey Tagen hat ihn Niemand gesehen; Ihr werdet ihn schwerlich sprechen können.

Und doch muß ich! erwiederte der Ritter mit fröhlicher Stimme. Ich bringe ihm frohe Botschaft; rufe Du ihn nur schnell herbey!

Er will Niemanden sprechen! entschuldigte der Knecht.

Allein der Ritter wurde ungeduldig. Rufe Du ihn! befahl er. Sage ihm, ein Ritter sey da, der ihm die froheste Kunde seines Lebens bringe.

Der Thurmwart ging. Nach wenigen Minuten kam die bleiche Gestalt Gervins wirklich heran, gestützt auf seinen Knappen. Was begehrt Ihr? fragte er den Fremden Ritter, ohne ihn anzusehen.

Ich bitte um freundliches Quartier, entgegnete dieser, für meinen Herrn und meine Gebieterin, die Euch, edler Ritter, heimsuchen wollen.

Und wer ist Euer Herr? fragte Gervin.

Mein Herr, erwiederte der Ritter, ist der edle Markgraf Diepolt von Vohburg, der dort nahet mit seiner Gemahlin, der schönen Gräfin Constantia, und mit vielen Rittern und Frauen, um Euch heimzusuchen auf Eurer Burg.

Allmächtiger Gott! rief der Ritter[WS 2] Gervin, und wurde bleicher, als ihn je Jemand gesehen hatte, und schlug sein Auge zum Himmel empor, als wenn er um Erlösung von einem schweren Schmerze flehen wolle. Aber auch der Knabe, auf dessen Schulter er sich stützte, wurde schneeweiß, daß in seinem schönen [71] Gesichte auch kein Blutstropfen zu sehen war, und schwankte und zitterte heftig. Doch schien eigenes Leid ihn nicht zu überwältigen, sondern nur der Schmerz seines Herrn, denn er blickte ängstlich zu diesem empor, und flüsterte ihm tröstend zu: Fasset Euch, edler Herr! Um Gotteswillen!

Mehr konnte er nicht sprechen, denn die Stimme versagte ihm, und ein Strom von Thränen schoß plötzlich aus seinen Augen.

Gervin sah ihn verwundert an. Was fehlt Dir, Knabe? fragte er; Du zitterst und bist bleich? Und was sollen diese Thränen!

Der zarte Jüngling konnte vor Schluchzen nicht antworten, sondern wandte sich auf die Seite, um seinen Thränen freyen Lauf zu lassen. Da sagte Gervin mit sanfter, liebreicher Stimme zu ihm: Dir ist nicht wohl, Julius! Geh’ auf Dein Kämmerlein, bis heute Abend.

Der Knabe ging langsam in die Burg.

Eure Gebieter sind mir auf das herzlichste willkommen! sagte Gervin dann zu dem verwundert harrenden Ritter, und ließ, während dieser zu dem hinter einem Felsen zurückgebliebenen Zuge eilte, schnell die Zugbrücke niederschlagen und die Thore der Burg öffnen. Seine Züge belebten und erheiterten sich unterdeß sichtlich, seine Augen bekamen Feuer, selbst seine Wangen Röthe, ohne daß man gewahren konnte, ob er sich Gewalt anthun müsse. Und als nach wenigen Augenblicken der fremde Zug herankam und in den Burghof einritt, der Graf und die Gräfin an der Spitze, da konnte Gervin ihnen mit einem recht fröhlichen Gesichte entgegentreten.

[72] Mein edler Gebieter, und mein theurer Freund! rief er mit ungeheuchelter, inniger Freude, und schloß bwegt den jungen, kräftigen und schönen Markgrafen in seine Arme, der, ein Bild der lebendigsten Freude, von seinem hohen Rosse in die Arme des geliebten Freundes sprang, ihn auf das herzlichste bewillkommnete, und nicht genug sein Entzücken über dieses überraschende Wiedersehen ausdrücken konnte.

Ein Jahrlang, rief der Markgraf Diepolt, hielt ich es aus ohne Kunde von Dir. Länger war es mir nicht möglich. Wir haben Frieden im Lande, seitdem der Herzog Conrad sich in Bamberg mit dem Kayser versöhnt hat. Ich lag unthätig auf meinem Schlosse; da faßte ich einen raschen Entschluß und brach auf mit meinem jungen Weibe, um den theuersten, den einzigen Freund meines Herzens wiederzusehen.

O, wie soll ich Dir diese Liebe danken? rief Gervin, dessen Freude immer herzlicher und fröhlicher wurde, und beyde Freunde schlossen sich von neuem in die Arme.

Da trat rasch die schöne Markgräfin Constantia, die unterdeß mit Hülfe ihres Pagen von ihrem milchweißen Zelter gesprungen war, zu den Freunden und trennte sanft die fest verschränkten Arme, sah dann drohend mit ihren großen, schwarzen Augen zum Ritter Gervin empor und rief: Wollt Ihr denn mich nicht willkommen heißen, Ritter? Ist man in Westphalen weniger galant als im übrigen Deutschland?

Dabey reichte sie ihm freundlich ihre schöne Hand, aber in des Ritters Gesichte zuckte ein heftiger Schmerz auf, als er sie sah, und unwillkürlich griff er nach seiner Brust, als wenn es auch dort ihn schmerze. Doch bemeisterte [73] er sich bald und faßte die dargebotene Hand und drückte sie ehrerbietig an seine Lippen, indem er verbindlich erwiederte: Auch in Westphalen, edle Frau, ist die Schönheit stets Königin! Schenket uns lange die Gnade, meine, und dieses Schlosses Gebieterin zu seyn!

Seine Züge hatten sich bey diesen Worten ungewöhnlich belebt, seine dunklen Augen glänzten, auf seinen Wangen brannte ein lebhaftes Roth. Die Gräfin drückte ihm leise die Hand, zum Zeichen, wie seine Höflichkeit ihr angenehm sey, und ihre Augen ruheten mit sichtlichem Wohlgefallen auf der Gestalt des Ritters, die immer noch schön und kräftig war, und der die Blässe des Gesichts einen eignen Reitz verlieh. Der Ritter schlug verwirrt seine Augen zu Boden; während seine Hände heftig zitterten.

Nicht minder aber zitterte der schöne Page der Markgräfin, der frech durch die Reihen der Ritter und Frauen seiner Gebieterin sich vorgedrängt hatte, und Zeuge dieses Auftrittes gewesen war. Aber er zitterte vor Wuth, denn seine Augen funkelten und starrten bald die Gräfin, bald den Ritter von Volmestein an, und seine feinen Lippen preßten sich fest und lange aufeinander. So ging er, als Gervin jetzt den Arm der Gräfin nahm, und sie, gefolgt von den Uebrigen, in die Burg führte, hinter den Beyden her, und deutlich genug verriethen seine Blicke eine innerlich kochende Eifersucht. –

Leben und Freude kehrten mit den Fremden in die Burg Volmestein ein, sie schien plötzlich wie umgewandelt; wer sie nur wenige Tage vorher gesehen hatte, hätte sie nicht wieder erkannt. Vom frühen [74] Morgen bis oft in die späte Nacht hinein hallte sie wieder von Musik aller Art und von Fröhlichkeit und Jubel der Zechenden. Unermüdet und unerschöpflich war Gervin in Belustigung und Unterhaltung seiner lieben Gäste. Bald veranstaltete er große Jagden in seinen weitläufigen Forsten zu beyden Seiten der Ruhr[WS 3], bald Lustritte in die benachbarten Gegenden, bald kleine Turniere auf dem Burghofe, bald Besuche bey den benachbarten Rittern, den edlen Herrn von der Reck, von Vittinghoff, von Herbede, bald Tanz und Bankette, zu denen er das Glänzendste einladete, was die ganze Umgegend an Rittern und Damen aufzuweisen hatte.

Ungezwungene Fröhlichkeit beseelte alle diese Feste, denn Markgraf Diepolt, so wie er der tapferste Ritter seiner Zeit war, war auch der fröhlichste und lustigste; und seine schöne Gemahlin konte unmöglich das feurige italische Blut verläugnen, das durch ihre Adern rauschte; sie war die Königin aller Festlichkeiten, aber auch die belebende Sonne und Seele derselben.

Der Fröhlichste von Allen jedoch war der Wirth selbst, Gervin von Volmestein. Von dem Augenblicke an, wo er seine edlen Gäste in seine Burg einführte, war aller Gram, alle Spur eines Schmerzes aus seinen Zügen und aus seinem ganzen Wesen verschwunden. Sein Körper hing nicht mehr gebückt, sein Auge stierte nicht mehr tiefsinnig vor sich hin, seine Bewegungen waren nicht mehr matt. Neue Kräfte schienen rasch sich in ihm entwickelt zu haben, seine Gestalt erhob sich, sein Gang und seine Bewegungen waren wieder leicht und lebendig und kräftig, wie vormals, sein Auge glänzte wieder, um seine Lippen wohnte [75] Lächeln, auf seiner Stirne Frohsinn, von seinem Munde strömte Scherz und Lustigkeit, oft bis zur Ausgelassenheit, Ueberspannung, so daß dann selbst sein argloser Freund Diepolt, der ihn so nie gekannt hatte, ihn befremdet ansah. Die seine vorherige Melancholie gekannt hatten, waren längst irre an ihm geworden, ihnen konnte diese Lustigkeit unmöglich natürlich vorkommen, sie sahen daher nur eine gewaltsame, aber desto schmerzlichere Anstrengung darin, und wurden um so trauriger, je lustiger der arme Ritter war. Besonders der alte Burgvogt und der Edelknappe Julius. Stumm schüttelte jener oft den Kopf, wenn er das tolle Treiben sah, und meinte, das könne nie ein gutes Ende nehmen. Der Knabe aber schlich jetzt bleicher und stiller und kummervoller einher als je, und große Thränen flossen oft über seine zarten Wangen, wenn er des Abends zu seinem Herrn kam und diesen erschöpft, mit starren, glanzlosen Augen, erschlafftem Körper in dem Lehnsessel des einsamen Schlafgemachs liegen sah und schwere Seufzer aus der gepreßten Brust heraufkämpfen hörte. Er stellte sich dann in eine Ecke, um unbemerkt und ungestört den Schmerz, der auch seinen Busen drückte, ausweinen zu können.

Eines Abends aber, die Fremden konnten beynahe vier Wochen da gewesen seyn, mußte sein Schmerz laut werden, und es entstand dadurch eine Szene zwischen Herrn und Diener, die plötzlich dem ganzen fröhlichen Leben und Treiben ein Ende machen sollte.

Ermüdet von einer Jagd in den benachbarten Wäldern, die den ganzen Tag gedauert hatte, waren Fremde und Einheimische früh zur Ruh gegangen. Der Ritter Gervin saß noch einsam und still auf seinem [76] Schlafgemache; seinen Kopf hatte er in die linke Hand gestützt, seine Rechte hing nachlässig herunter, seine Augen starrten trübe in eine dunkle Ecke, der ganze Ausdruck seines Gesichts verrieth, daß seine Seele von schmerzlichen Bildern angefüllt war. So saß er lange, bis ein Geräusch an seiner Seite ihm sagte, daß er nicht mehr allein sey. Er blickte um sich, und sah seinen Knappen Julius neben sich stehen. Die Züge des schönen Knaben waren verstört, seine Augen hafteten mit einem Ausdrucke innigen Mitleids, aber doch mit verwirrter Unentschlossenheit an dem Ritter.

Der Ritter liebte den Knaben, das einzige Wesen, das er aus dem Frankenlande in seine Heimath mit herübergebracht, und das stets mit der hingebendsten Liebe, mit der unerschütterlichsten Treue, auf eine sonderbare, fast geheimnißvolle Weise an ihm gehangen hatte. Seine Niedergeschlagenheit, besonders in der letzteren Zeit, hatte er wohl bemerkt, allein, zu sehr mit sich selbst beschäftigt, hatte er nie sonderlich darauf geachtet. Doch in diesem Augenblicke mochte sein Schmerz, wie das dem Schmerze in edlen Seelen so leicht eigen ist, ihn mehr zum Mitgefühle für fremde Leiden hinneigen; die kummervolle Gestalt und das blasse Gesicht des Knaben fielen ihm auf, und liebevoll fragte er: Was fehlt Dir, Julius?

Da warf dieser, plötzlich in laute Thränen ausbrechend, sich vor ihm nieder und umfaßte mit beyden Händen seine Kniee, und rief, von Schluchzen unterbrochen: Ihr seyd unglücklich, lieber Herr! O könnte ich Euch retten! Könnte mein Leben es! Ich gäbe es so gern für Euch hin!

[77] Gervin faßte sanft seine Hände. Du bist gut, Knabe! erwiderte er ihm liebevoll, und mit einem tiefen Seufzer setzte er hinzu: Retten wird mich wohl Niemand können! So lange ich dieses Herz trage, so lange werde ich auch sein Leid tragen müssen.

Nein Herr! rief der Knappe, plötzlich entschlossen aufspringend, das sollt Ihr nicht. Es gibt ein Mittel, das Euch retten, Euch von Eurem Schmerze befreyen kann. Aber – setzte er kleinlauter hinzu, es ist ein gewaltsames. Ihr müßt Euch fassen können, sonst tödtet es Euch.

Julius! rief der Ritter, verwundert über diese Rede des Knaben, wie über dessen ganzes sonderbare Wesen. Du wüßtest ein Mittel gegen meinen Schmerz! Kennst Du ihn denn?

Ich kenne ihn! rief der Knabe wieder entschlossen, und feurig. Ich kenne ihn, Herr! und will Euch heilen! Ihr liebt die Markgräfin von Vohburg! Ich ahne es lange. Darum Eure schnelle Abreise aus Franken! Darum Euer Vergraben in diese Einsamkeit! Darum das Verwelken Euer Gestalt, das Erlöschen Eures Auges, Euer Gram, Euer Abzehren! O, wohl ahne ich es. Aber Gewißheit sollte ich erst jetzt erhalten, und sie zerriß meine Brust.

Er schwieg hier fast erschöpft, als wenn die hohe Leidenschaftlichkeit, mit der er die Worte gesprochen, oder eine gewaltige, innerliche, verborgene Gluth schnell seine jugendlichen Kräfte verzehrt hätte. Was ist Dir, Knabe? fragte der Herr von Volmestein, und sah ihn einen Augenblick verwundert an; aber der eigne Zustand wurde bald wieder Herr über ihn. Ja, Julius! erwiderte er mit schmerzlicher Stimme. Ich liebe sie, [78] die Hohe! Aber das ist nicht mein Gram, das nicht mein Tod! der Stachel sitzt tiefer, der mich zernichtet. O, mein Elend ist groß, furchtbar! Ja, ich liebe sie! Laß es mich Dir, der in meinem unglücklichen Herzen gelesen hat, gestehen, was noch nicht über meine Lippen gekommen ist, und was ich allen Wesen, allen Kreaturen zurufen möchte. Ich liebte sie schon in Monga, von dem Augenblicke an, da ich sie sah. Es war bey der Krönung Conrads, nie werde ich es vergessen, wie sie mit der edlen, hohen Gestalt, dem geistreichen Gesichte, die durchdringenden Augen vor mir stand! Ich fühlte es klar in dem Momente, daß nur sie die Bedingung meines Glückes sey. Aber da sah ich auch Diepolts Augen bey ihrem Anblicke glänzen, wie von einem überirdischen Feuer, und ich sah, wie der schöne, tapfere Markgraf ihr besser gefiel. Und ich trat zurück, und schwieg: aber die verzehrende Flamme, die tödtliche Gluth konnte ich nicht mehr aus meiner Brust verbannen. Da kam mein Freund, der einzige, den ich hatte, zu mir und warf sich an meine Brust, und gestand mir jauchzend, daß er glücklich sey, daß Constantia von San Paolo, die reichste Erbin der Lombardey, die gefeyerteste Tochter Italiens, seine Liebe erhört habe, ihn wieder liebe. Ich schwieg, und die Gluth in meinem Innern wurde verzehrender, wüthender, fürchterlicher. Dennoch suchte ich sie zu bekämpfen, aber. – Laß mich schweigen, Julius! Aber das' ist nicht mein Elend! O, wäre es nur dieß! –

Er ließ sein Antlitz auf die Brust sinken, und bedeckte es mit beyden Händen. Der Knabe stand heftig zitternd, und fast todesbleich vor ihm, es war, als ob jedes Wort in der Erzählung des Ritters ein Dolchstich [79] in seine Brust gewesen wäre. Er schwieg, mit sich selbst kämpfend.

Nach einer Weile erhob der Ritter sich wieder, sein Gesicht glühete. Sie ist das Weib eines Andern! fuhr er fort. Sie ist das Weib meines besten, meines einzigen Freundes! Aber dennoch kann ich die Liebe zu ihr nicht aus meiner Brust reißen; sie hat sich darin festgeklammert, wie mit entsetzlichen Krallen. Ich war auf einem raschen Wege zum Grabe, seit ich hier allein war, getrennt von ihr. Ihr Anblick hat wieder Oel auf die erlöschende Lampe gegossen. Ich lebe wieder auf; es ist nicht bloßer Zwang, meine Lustigkeit; es ist auch das Wonnegefühl ihrer Nähe. Aber meine Qual ist darum auch desto entsetzlicher, wenn sie erwacht: bin ich nicht ein Verräther gegen meinen Freund? – O, rief er fast aufschreyend, war ich es denn nicht schon? und schrecklicher? fürchterlicher? –

Da rief der Knabe mit starker Stimme, in einem würdevollen Tone: Nein, Ritter! Nicht gegen ihn seyd Ihr ein Verbrecher, aber gegen Euch selbst!

Der Ritter erschrank beynahe über diesen Ton. Gegen mich? fragte er.

Gegen Euch! wiederholte der Knappe enschlossen, noch Eine Sekunde mit sich kämpfend. Herr, es muß heraus! Ich kann es nicht länger in meiner Brust verschließen. Ihr müßt es wissen, und wenn es Euer Tod wäre. Aber Euer Leiden kann ich nicht mehr ansehen. Ritter! Ihr liebt eine Unwürdige, eine Verbrecherin, eine schnöde Verrätherin! –

Das Gesicht des Knaben wurde von einer hohen, zürnenden Gluth überzogen, als er diese Worte sprach, oder vielmehr gewaltsam hervorpreßte, seine Brust [80] wogte hoch auf und nieder, seine zarte Gestalt erhob sich. Aber schnell, als er geendet hatte, sank er wieder zusammen, denn Gervin war mit funkelnden Augen aufgesprungen, und ergriff ihn fast krampfhaft bey beyden Armen.

Knabe! rief er, Eine Verbrecherin? Eine Verrätherin? Knabe, Knabe, bist Du bei Sinnen? Sie? – Constantia? Hat denn die Welt einen zweyten Engel, wie sie? Unglücklicher! – Und doch! sprach er auf einmal erschöpft, und mit glanzlosen Augen, und in seinen Sessel zurücksinkend. Und doch! O, ewiger Gott! – Er bedeckte sein Gesicht wieder mit beyden Händen, und saß lange stumm, während die Heftigkeit seines Athems seine gewaltsame innere Bewegung verrieth. Nach einer Weile stand er langsam auf, und schritt einigemale in dem Gemache auf und ab, mit stierem Auge vor sich hinstarrend. Dann wandte er sich zu dem Knappen, der weinend sich an den Sessel gelehnt hatte. Erzähle, Julius! sprach er sanft. Fürchte Dich nicht! Wenn auch mein Herz bricht!

O, mein edler, geliebter Herr! rief der Knabe, und faßte seine Hand und drückte sie an seine glühenden Lippen, an seine von Thränen benetzten Wangen. O, verzeihet mir! Aber ich konnte nicht anders. Ich konnte Euer Herz nicht länger in den entehrenden Banden sehen. Ja, gewiß ist die Markgräfin eine Verbrecherin. – Zuerst, fuhr er mit zitternder Stimme fort, wurde ich durch ihre Freundlichkeit gegen Euch aufmerksam. Verzeihet[WS 4] mir! Ihr schwanktet, aber Ihr kämpftet, und Ihr habt gesiegt. Ich machte mir Vorwürfe, daß ich für Euch nur einen Augenblick hätte fürchten können. Desto argwöhnischer machte mich dagegen [81] zu derselben Zeit das Betragen des Pagen der Markgräfin. Diese Keckheit, diese Anmaßung des gewandten, feurigen Italieners gegen Andere, dieses Schmollen gegen seine Dame, wenn er sich nur einen Moment unbemerkt von den Uebrigen glaubte, weckte einen unbesiegbaren Argwohn in mir. Es mußte ein vertrautes Verhältniß zum Grunde liegen. Ich forschte, ich beobachtete sie, ich lauschte; mein Verdacht wurde immer stärker, und endlich zur Gewißheit. Beyde spielen ein schändliches Spiel mit dem edlen Markgrafen!

Der Ritter Gervin war während dieser Erzählung heftig im Gemache auf und nieder gegangen. Rasch trat er jetzt vor den Knappen. Es ist nicht möglich! rief er leidenschaftlich, mit seinen Augen den Knaben durchbohrend.

Meine Sinne trügen mich nicht! erwiderte dieser. Ich sah ihre Umarmungen, ich hörte das Geflüster ihrer Liebe! Wollt Ihr Beweise Herr? Folget mir, jetzt gleich!

Aber der Ritter bedeckte wieder sein Gesicht und winkte verneinend. Nein, nein! rief er mit schmerzlicher Stimme. Ich glaube Dir! Du hast Recht, Du sprachst die Wahrheit! O, nur zu gewiß! nur zu gewiß! das ist ja der Fluch der Sünde! – O, laß mich, Knabe, laß mich allein!

Er ging in höchster Aufwallung, die Hände ringend, auf und ab. Entsetzlich! rief er, entsetzlich, fürchterlich!

Der zitternde Knabe sah ihn kummervoll an. O, lieber Herr! sprach er, fasset Euch! Lasset die schreckliche Nachricht Euch nicht zu stark ergreifen! Werdet [82] Herr über Euren Schmerz, und reißet eine Leidenschaft aus Eurem Busen, deren Gegenstand ein so unwürdiger ist.

Aber der Ritter hörte nicht auf ihn. Verlaß mich! rief er nur; o, ich bitte Dich, verlaß mich! – Dann sprach er wieder mit höchstem Schmerze für sich: O, es ist furchtbar, entsetzlich! Eine gemeine Buhlerin! und durch wessen Schuld? durch wessen? – Nein, ich trage es nicht länger! Diesem Elende, dieser fürchterliche Qual muß ein Ende werden!

Aus den Augen des armen Knaben stürzten große, bittere Thränen; er mußte das Gemach verlassen, weil sein Herr es ihm wiederholt befahl. Aber er konnte nicht weiter bis vor die Thüre; hier blieb er stehen, und als seine Kräfte ihn verließen, legte er sich nieder auf den Fußboden, und hörte, wie sein unglücklicher Ritter die ganze Nacht umherging, geflohen vom erquickenden Schlafe, aber nicht von seinem peinigenden Schmerze. –

Der Ritter von Volmestein trat früh am folgengenden Morgen aus seinem Gemache hervor. Aber sein Gesicht trug nur die Spuren einer durchwachten Nacht; Schmerz und Verzweiflung waren nicht mehr darin zu lesen; dagegen sagte eine gewisse Ruhe, die über seine Züge verbreitet war, daß er einen großen und entscheidenden Entschluß gefaßt habe.

Es war an diesem Tage ein Turnier in Dortmund, zu dem alle Ritter der Nachbarschaft eingeladen waren, auch der Markgraf und Gervin. In abenteuerlicher Lust hatten beyde beschlossen, unerkannt und nur in einfacher Rüstung hinzugehen. Auch der Markgraf war schon fertig, als Gervin sein Gemach verließ. [83] Ganz allein, in schlichter Rüstung, aber auf ihren stolzeren Rossen und vollständig gewappnet, wie zum Schimpfe, so zum Ernste, machten sich Beyde alsbald auf den Weg, nur von zwey Knappen begleitet. Julius war nicht unter diesen. Ganz in der Frühe des Morgens hatte man ihn auf dem Gange vor seines Herrn Schlafstube entkräftet, mit starren Augen und starren Gliedern am Boden gefunden; man hatte ihn auf sein Lager gebracht, wo er jetzt in heftiger Fiebergluth lag. Der Ritter wurde plötzlich sehr still, als man ihm dieß berichtete; aber nur einen Augenblick lang, schnell nahm er wieder seine heitere Miene an, mit der er seinen Freund begrüßt hatte, und scherzte mit ihm über die heute zu bestehenden Abentheuer, über die Freude, wenn sie, zwey unbekannte Ritter, gegen den ganzen stolzen Adel Westphalens den Sieg und Preis davon tragen würden.

Mit der frohesten Laune von der Welt ritten beyde fort. Aber allmälig wurde der Ritter von Volmestein doch ernster, stiller, einsylbiger, zuletzt schwieg er ganz, in das tiefste Nachdenken versunken. So waren sie, die Ruhr[WS 5] entlang, bis ungefähr eine Viertelstunde bis vor das Damenstift Herdecke gekommen.

Ich weiß einen anmuthigeren Weg, schlug Gervin hier auf einmal seinem Freunde vor; laß uns dort links durch den Forst reiten, unsere Knechte können der Landstraße nach ziehen; in der Herberge beim Stifte treffen wir wieder mit ihnen zusammen.

Seine Stimme zitterte, während er diese Worte sprach; der Markgraf bemerkte es nicht. Gern nahm dieser den Vorschlag an, und langsam ritten beyde links in das dunkle Gebüsch hinein. Die beyden Knappen [84] folgten der Landstraße nach Herdecke. Die Ritter waren noch nicht da, als sie hier in der Herberge ankamen; sie stiegen ab und banden ihre Rosse an, zu warten, bis jene kämen. Aber lange warteten sie vergebens; Eine Minute ging nach der andern hin, Eine Viertelstunde nach der andern. Eine ganze Stunde war vergangen. Es war ihnen unbegreiflich. Sie wurden ungeduldig. Da kam im fliegenden Galopp der Ritter Gervin herangesprengt; aber allein – das Visir seines Helmes stand offen, seine Züge waren entstellt, sein Gesicht leichenblaß und mit Blut bedeckt; seine Hände bluteten ebenfalls, auch an seiner Rüstung waren dunkle, nasse Flecken.

Eilt! rief er athemlos den Knechten zu! Eilt zu Eurem Herrn! Dort links im Walde liegt er in seinem Blute; todt! – Todt! rief er noch einmal mit furchtbarer Stimme, Todt! und ich sein Mörder! Und gewaltsam drückte er seinem schäumenden Pferde beyde Sporen in die Seiten und sprengte davon, tief in das Gebirge hinein.

Die Knechte eilten zu der bezeichneten Stelle, – schrecklicher Erwartung; lange mußten sie nicht suchen. Zuerst fanden sie das Pferd des Markgrafen; es lief lose im Walde umher, seine Mähnen waren naß von Blute, Sattel und Zaum ebenfalls. Blaß und bebend eilten sie weiter. Erbarmungswürdiger Anblick! Da fanden sie auch ihren Herrn! Lang ausgestreckt lag er im Grase, sein Kopf war vom Helme entblößt, in seinem Gesichte war eine tiefe Wunde, aus der noch immer schwarzes Blut quoll, womit sein ganzes Gesicht bedeckt war; seine Augen waren geschlossen. Der Körper war noch warm, aber Athem und Leben waren fort.

[85] Die treuen Diener jammerten laut; aber sie versuchten doch, ob nicht das Leben zurückzurufen sey. Sie entkleideten ihn von der schweren Rüstung, seine Gewänder schnitten sie entzwey; dann wuschen sie ihn mit Wasser aus einer nahen Ouelle, und rieben ihm Schläfe und Stirn und Brust mit Wein, den sie bey sich hatten. Aber es war vergebens; laut klagend hoben sie ihn auf, und wollten ihn auf sein Pferd laden, und den theueren Leichnam nach Volmestein zurückbringen. Da hörten sie tief und langsam einen Seufzer aus der erstorbenen Brust sich empor winden, und bald darauf schlug der Todtgeglaubte die Augen auf. Er lebte noch; aber es war fast nur eine Ahnung von Leben mehr in ihm; ohnmächtig schloß er nach einer Sekunde die Augen wieder, und lag wieder ohne Zeichen des Lebens. Doch in die Knechte war neuer Muth gekommen. Sie rieben ihn noch einmal, sie tröpfelten Wein auf seine trockne Zunge, und noch einmal hatten sie das Glück, ihn athmen zu hören und ihn die Augen aufschlagen zu sehen. Und dießmal länger und mit Bewußtseyn, denn der Ausdruck seines Blickes sagte ihnen, daß er sie kenne. Sprechen konnte er nicht; sie machten auch keine Versuche, ihn dazu zu bewegen. Sie flochten eine Tragbahre von Zweigen, und legten ihn sanft darauf, um ihn so langsam und leise, nach Volmestein zu tragen. Allein der Wiederauflebende winkte ihnen verneinend und unwillig. Nicht dahin! rief er leise, mit höchster Anstrengung, und zeigte nach der Gegend des Klosters Herdecke hin. Gehorsam trugen ihn die Diener dahin. Sie gingen mit ihm an die Pforte des Klosters und baten um Aufnahme ihres verwundeten Ritters. Gern wurde ihnen [86] diese gewährt, und eine kundige Nonne unterzog sich sofort der Verbindung und Heilung seiner Wunde, die sie nicht für tödtlich erklärte. –

Die beyden Ritter waren langsam in das Gebüsch hinein geritten. Schweigend ritten sie hier eine Zeitlang neben einander hin. Gervins heftiges Athmen verrieth, daß er stark mit sich selbst kämpfe. Zuletzt nahm er das Wort.

Diepolt, begann er, nicht ohne Zögern, mit gepreßter Stimme; wir schwuren uns einst Freundschaft; wir schlossen einen schönen Bund, den schönsten des Lebens: nur Eins zu seyn, im Leben wie im Sterben!

Und sind wir es nicht? fiel schnell begeistert der Freund ein. Sind wir nicht Eins! – Ich konnte nicht leben ohne Dich; ich kann es noch nicht. Ich liebe mein Weib, ich liebe sie feurig, glühend; aber Dich kann sie mir nicht ersetzen. O Gervin, wie unsere Herzen nur dieselben Gefühle athmen, könnten doch unsere Leiber immer so dieselbe Luft einathmen!

Gervins Augen wurden trüber. Und wenn Du mich beleidigtest, Diepolt? fragte er; und wenn Du zum Verräther an mir würdest?

Bey Gott! rief mit flammendem Auge der Markgraf. Sieh dieses treue Schwert an meiner Seite; ich habe es nur gezogen gegen meine Feinde; aber dann würde ich es gegen meine Brust ziehen! – Doch, fuhr er ruhiger fort, es ist nicht möglich. Wie könnte ich Dein Verräther werden? wie Du der meinige? –

Der Ritter von Volmestein hörte die letzten Worte nicht. Das treue Schwert in die eigene Brust! sprach er langsam für sich. Du sprichst mein Urtheil! sagte er dann rasch und lauter. Höre mich an; aber um [87] des Himmelswillen, laß mich ausreden, unterbrich mich nicht.

Wir Beyde, fuhr er fort, sahen Constantien von San Paolo in Einem Augenblicke. Wir Beyde liebten sie in demselben Augenblicke. Du sahst meine Leidenschaft nicht, aber ich die Deinige, und ich trat zurück und entsetzte; was hätte ich nicht für Dich gethan? Du wurdest glücklich. Ich verschloß meine Liebe und meinen Gram in meinen Busen, niemand gewahrte sie. Am wenigsten Du. Aber Einem Auge entgingen sie nicht; das war das Auge Constantiens, Deines Weibes. Ihr Herz wurde von Mitleid ergriffen; sie suchte mich auf, mich, um mich zu trösten, mich aufzurichten. Ich sah einen unendlich zarten Sinn darin, wie das Weib ihn gebähren, wir nur ihn ahnen können. Meine Liebe wurde noch heftiger, wurde zur glühendsten, verzehrendsten Leidenschaft. Vergebens hatte ich bisher geläugnet, ich konnte mich ihr jetzt nicht mehr verbergen. Sie wurde milder, zärtlicher, um mich aufzurichten. Eines Abends! –

Unglücklicher! fiel heftig der Markgraf ein. Er hatte mit angehaltenem Athem, mit bleicher Wange jedes Wort seines Freundes fast verschlungen Unglücklicher! rief er, vollende nicht! Sprich das Entsetzliche nicht aus, das meine Seele ahnet!

Ahnt sie’s? rief Gervin, mit dem Lachen der Verzweiflung. So höre es dann auch. Ja, wir fielen, wir betrogen Dich, wir wurden die furchtbarsten Verräther, wir mordeten Liebe, wir mordeten Freundschaft. Meine Verzweiflung, ihr heißes Blut! –

Der Markgraf Diepolt hatte unwillkürlich sein Schwert von der Seite gerissen, er schwang es gegen [88] den Ritter, der keine Miene machte, sich zu wehren. Aber er führte den Streich nicht, den er drohete; matt ließ er den Arm sinken, und steckte das Schwert wieder ein, und starrte mit fast erstorbenen Augen vor sich hin. Von meinem einzigen Freunde betrogen! sprach er dann schmerzlich, mit fast weinender Stimme. Ich glaubte, Du seyest ich, und ich seye Du; kann ich denn zum Verräther werden an mir selbst? Doch plötzlich flammten seine Augen in ungezügelter Wuth auf. Verräther! schrie er, Du lebst noch? Es gibt ein Wesen, das meine Schande aussprechen kann? Vor dem sich mein Innerstes empören muß, wenn ich ihn anblicke? Stirb, Elender!

Er zuckte von neuem sein Schwert. Aber der Ritter von Volmestein wehrte sich wiederum nicht. Stoß zu! rief er, und hielt der scharfen Spitze seine Brust entgegen. Glaubst Du denn, dieses Leben sey mir eine Freude! eine Lust? O, es war nur seitdem die entsetzlichste Qual! Eine Qual der Hölle! Kann denn dem noch das Leben etwas gelten, der jede Stunde, jede Minute, mit jedem schnöden Athemzuge nur den Einen furchtbaren Gedanken hat: Du bist ein Verräther, ein Ehrloser! Dem wachend und träumend, immerwährend, furchtbare Gestalten zur Seite stehen, und ihm zu donnern: Du bist ein Elender, Du bist der Mörder des Heiligsten! Denn nicht blos Dich habe ich gemordet, und unsere Freundschaft! Auch sie, die sonst Reine, Heilige! Ich pflanzte den Samen der Sünde in ihre Brust! Meine Schuld ist es, daß sie eine Buhlerin, eine Verworfene wurde. Ja, höre es, höre es, damit kein Mitleid in Deine Seele komme, damit Du mich nicht verschonen mögest. Dein Weib [89] buhlt mit ihrem Pagen; sie betrügen Dich täglich, entsetzlich! Und nun durchbohre mich! O, stoße zu, und befreye mich von dieser fürchterlichen Qual!

Er sprach mit Tönen der Wuth. Der Graf von Vohburg hörte ihm in ohnmächtiger Zernichtung zu! Das Schwert entsank seiner Hand. Aber ein furchtbarer Frost füllte dann seine Züge. Ich sollte Dich morden! rief er, denn Du hast mich hinterlistig gemordet. Aber Gott soll Dich richten, nicht ich schwacher Mensch! – Wir sind gerüstet zum Kampfe auf Leben und Tod. Mag ein Gottesurtheil über Dich entscheiden. Hier, auf der Stelle! Eines Kampfrichters bedürfen wir nicht! Die gerechte Sache möge Richter seyn! Lege Deine Lanze ein, Ritter von Volmestein, und wehre Dich, wie es einem Ritter geziemt, der um sein Leben ficht!

Er faßte seine Lanze, legte sie ein, ritt einige Schritte zurück, und stürmte dann mit furchtbarer Wuth auf den Gegner ein. Ruhig, wie einer höheren Macht willenlos gehorchend, sah dieser ihn auf sich einrennen, nur mechanisch ohne zu wissen, was er that, aus langer, alter Gewohnheit, nahm er seine Lanze in den Arm und sandte ihre Spitze in horizontale Richtung. Und dieß war das Verderben des Markgrafen. Denn blind sprengte dieser voran, und während seine Lanze auf dem Harnisch des Ritters zerschallte, drang dessen still vorgehaltene Lanze durch das Visir seines Helmes, zerbrach dieses und fuhr gerade neben dem linken Auge ihm tief in die Stirn hinein. Mit einem Schrei glitt er vom Pferde, und stürzte zu Boden, und rauschendes Blut strömte aus der tiefen, klaffenden Wunde. Noch ein paarmal zuckte er in dem Grase [90] und röchelte, dann lag er still, ohne Bewegung und ohne Laut.

Der Ritter von Volmestein wußte kaum, was geschehen war. Es war, als wenn das lebendige Gefühl seines Verbrechens gegen den edlen Freund, seiner unauslöschlichen Schande, ihn gefühllos gegen jeden anderen Eindruck gemacht hätte. Er verdiente nicht mehr zu leben, er wollte, er mußte sterben; alles andere war ihm gleichgültig. Nur als er den Grafen mit zerbrochenen Helme, blutend und ohne Zeichen des Lebens an der Erde liegen sah, wurde für einen Augenblick ein anderes Gefühl in ihm rege; er sprang von seinem Rosse und warf sich über den Unglücklichen. Aber keine Spur des Lebens war in diesem mehr zu entdecken; das Auge war geschlossen, die Hände krampfhaft, wie im Todeskampfe, zusammengeklemmt, die Lippen bewegten sich nicht, kein Athem erwärmte sie; nur die tiefe Wunde an der Stirn schien zu leben, wie sie das schwarze, strömende Blut ausspie. Da faßte ein furchtbarer, nicht zu ertragender Schmerz, eine, sein ganzes Wesen, alle Kräfte seines Geistes und seines Gemüthes tödtende Verzweiflung den Ritter von Volmestein. Todt! sprach er dumpf in sich hinein. Er ist todt! Dann schüttelte er sich, wie vor schrecklichem Froste, stieg langsam auf sein Pferd, und ritt bewußtlos von dem blutigen Platze. Als er aber in die Nähe des Klosters Herdecke kam, kam Bewußtseyn des Geschehenen in seine Seele; er wollte umkehren zu dem verlassenen Freunde, und ihn ins Leben zurückrufen, oder mit ihm sterben. Aber da trat der Anblick der blutigen Leiche vor sein inneres Auge, und trieb ihn weiter, wie Einen von den Schrecken [91] der Hölle Gejagten. Wüthend spornte er sein Pferd, sprengte vor die Herberge, sprach die wenigen Worte mit den Knappen, und sprengte dann wieder davon, gejagt von den schrecklichsten Qualen, immer weiter, tiefer in das Gebirge hinein. Man sah und hörte nichts wieder von ihm. –

Der Markgraf von Vohburg genoß in dem Kloster zu Herdecke, unter den Händen kundiger und sorgsamer Jungfrauen, die beste Pflege; aber seine Heilung ging nur langsam von Statten. Gleich am folgenden Tage kam seine Gemahlin von der Burg Volmestein, wohin die Schreckensnachricht der tödtlichen Verwundung des Grafen schnell gedrungen war. Als seine Gemahlin konnte sie nicht abgewiesen werden; allein der Verwundete machte bey ihrem Anblicke die heftigsten, Widerwillen andeutenden, Bewegungen, und winkte seinen Pflegerinnen so lange zu, daß man sie entfernen solle, bis sie ging. Als sie das Gemach verlassen hatte, strengte er alle seine Kräfte an, um die Nonnen zu bitten, sie möchten die Verhaßte nicht mehr zu ihm lassen. Die Gräfin machte zwar noch einige Versuche, zu ihm zu kommen; als sie aber alle fehlschlugen, verließ sie, vielleicht des Vorgefallenen ahnend, mit ihrem Pagen sowohl Herdecke als Westphalen und kehrte in ihre Heimath nach Italien zurück, vorgebend, ihre Eltern besuchen zu wollen.

Nach Verlauf eines Vierteljahrs war der Markgraf so weit wieder hergestellt, daß er ohne Gefahr die Rückreise in sein Vaterland antreten konnte. Er schied mit überreichen Geschenken von seinen Retterinnen; aber stumm, wie er während der ganzen Dauer seiner Genesung stumm gewesen war. Nur die nothwendigsten [92] Worte waren über seine Lippen gekommen, und nur mit Widerwillen hatte er sie gesprochen, wie er nur mit Widerwillen zuhörte, wenn man zu ihm sprach. Es war, als wenn der Ton der menschlichen Stimme etwas Entsetzliches für ihn habe, wie der Anblick von Menschen, und wie sein eigenes Daseyn ihm lästig war. Immer still brütend, ohne Ausdruck und ohne Bewegung in seinem blassen Gesichte, saß er vor sich hin. Diese äußere Leblosigkeit, und die schwarze Binde, die er über dem Einen verlorenen Auge trug, gab seinem Anblicke etwas tief Schaudererregendes; man konnte die vom Gram gebeugte Gestalt nicht ohne Mitleid, das starre Gesicht aber zugleich nicht ohne inneres Grausen anblicken.

Sein erster Schritt, als er auf seinem Schlosse zu Eger wieder ankam, war, von seiner verworfenen Gattin sich scheiden zu lassen; dieß geschah leicht, da ihm kein Preis zu hoch war. Dann verschloß er sich still, und ohne alle Theilnahme an der Aussenwelt, in dem Innern seiner Burg, und nur selten sah Jemand seine verwelkende Gestalt. Der Verrath der Liebe und der Freundschaft zehrte an ihm.

Das Fieber des Edelknaben Julius wurde heftiger, bedenklicher, als die Nachrichten der traurigen Ereignisse zur Burg Volmestein gelangten; doch seine Jugendkraft rettete ihn: aber auch er blieb traurend und kummervoll, und glich einer verwelkenden Blume. Eines Tages aber war er plötzlich verschwunden. Am Tage darauf erschien an der Pforte des Klosters zu Herdecke eine fremde, von tiefem Grame daniedergebeugte Jungfrau. Sie bat um Einlaß, und um die Barmherzigkeit, ihr Leben in den stillen Mauern beschließen [93] zu dürfen. Beydes wurde ihr gewährt; doch nach Jahresfrist hatte der Gram ihr Herz getödtet. –


Es war an einem warmen Sommerabende des Jahrs 1136, als ein einzelner Mensch langsam den Berg erstieg, auf dessen Spitze, von der Abendsonne vergoldet, das Kloster Siegburg lag. Es war eine hohe, schlanke Gestalt, aber die Mattigkeit der Bewegungen und der Haltung verrieth, daß alle Muskelspannung und Nervenkraft von ihr gewichen war. In dem regelmäßigen, aber erdfahlen Gesichte herrschte neben tiefer Trauer eine Art wilder Verstörtheit. Er blieb oft stehen, und sah dann mit finsteren Blicken der scheidenden Sonne nach. Nur Einmal hob ein schwerer Seufzer seinen Busen, und leise, aber mir sehnsüchtiger Stimme sprach er: O, wer doch untergehen könnte, wie Du! Aber für immer, um nie wieder zu erwachen! – Und kann ich es denn nicht! rief er auf einmal lauter, und sein Blick wurde wieder finster, wild. Bin ich dann nicht Herr meines Lebens? – Aber rasch wandte er sich um nach der Klosterseite, und floh dahin, wie von Entsetzen getrieben, während seine Lippen murmelten: Mörder! Wieder ein Mord? –

Als er das Kloster erreicht hatte, stand er eine Zeitlang schweigend, und wie unschlüssig, an der Pforte, und besah das schöne, weitläufige Gebäude; dann trat er rasch vor, und läutete die Glocke. Ein Mönch erschien, und fragte ihn, wer er sey, und was er wolle?

Ich muß mit dem Abte sprechen! antwortete er; seinen Namen nannte er nicht.

[94] Der Mönch ließ ihn schweigend ein, und führte ihn durch lange, dunkle Gänge zu der Zelle des Abtes.

Wer seyd Ihr? fragte ihn dieser, ein hoher, ehrwürdiger Greis.

Ein Unglücklicher! erwiderte der Unbekannte, der Reue fühlt über sein vergangenes Leben, und der um Aufnahme in diese Mauer bittet, um unter dem Beystande und den Gebeten frommer Männer Buße thun, und den Segen des Himmels wieder erflehen zu können!

Das Auge des Greises verweilte lange auf der gebeugten, aber dennoch edlen Gestalt. Und Euer Name? fragte er.

Ich habe ihn vergessen! antwortete der Unbekannte.

Meine Lippen können ihn nicht mehr aussprechen! Möge auch die Welt ihn vergessen! Möge kein Mund ihn mehr nennen!

Der Abt sah ihn schärfer an. Junger Mann! sprach er strenge, Ihr seyd ein Verbrecher!

Ja! erwiederte jener; aber ein Reuiger!

Eine Weile bedachte sich der Abt. Ein Sünder, der Buße thut, sagte er dann, ist dem Himmel willkommen! Seyd es auch uns schwachen Menschen. Augustinus sey Euer Name fortan unter uns. Auch dieser heilige Kirchenvater war in seiner Jugend ein großer Sünder und Ketzer, und seine fromme Mutter weinte sich fast blind um ihn. Aber ein heiliger Bischof sagte zu ihr: Es ist unmöglich, daß ein Sohn so vieler Zähren verderbe! Und der Sünder und Ketzer ging in sich und that Buße, und wurde das glänzendste Licht des Glaubens und der Kirche. – Gehe auch Du [95] in Dich, mein Sohn, und wandle fromm und gottesfürchtig unter uns!

Der Bruder Augustinus lebte fromm und gottesfürchtig in dem Kloster zu Siegburg; er war der Unverdrossenste bey der Arbeit, auch bey der schwersten, niedrigsten; er war der Erste, der zum Gebet kam, er war der Letzte, der den Tempel verließ. Aber kein Laut kam über seine Lippen. Niemand im Kloster kannte ihn, aber auch Niemand wagte, ihn über seine Herkunft zu fragen; mit stiller Ehrfurcht begegneten dem leidenden Büßer Alle, die Layenbrüder wie die Mönche. Nach Verlauf eines Jahrs legte er die Novizenkleidung ab, und wurde zum Priester eingeweihet[WS 6], und Mönch. Aber er war nur noch demüthiger als vorher, und eben so still und fromm. Zu der Ehrfurcht, die man ihm bezeigte, kam nach und nach Liebe, denn so still er war, so freundlich und dienstfertig war er gegen Jedermann.

Vier Jahre war er im Kloster gewesen, täglich mehr geliebt und geachtet; da kam der Bischof von Regensburg, der fromme Cuno, nach Siegburg, um seinen Freund, den Abt, zu besuchen. Er sah den stillen, frommen Pater Augustin, und liebte ihn, wie die Uebrigen, und liebte ihn so, daß er sich bald nicht mehr von ihm trennen konnte, und ihn bat, mit ihm zu gehen nach Regensburg, um dort sein Freund und erster Geistlicher zu werden.

Aber der fromme Mönch schlug es aus. Lasset mich hier, hochwürdiger Herr! bat er, hier, wo meine Seele den Frieden gefunden hat.

Doch der Bischof bat dringender, und als auch der Abt sich mit seinen Bitten vereinigte, mußte er nachgeben.

[96] Auch in Regensburg blieb der Pater Augustin der fromme, demüthige Mönch. Doch fühlte er sich hier nicht glücklich; das Geräusch und der Glanz des bischöflichen Hofes sagten seinem einfachen Wesen nicht zu, und schon nach einem halben Jahre bat er seinen Freund und Herrn, ihn ziehen zu lassen, tief in die Einsamkeit, um als Einsiedler sein Leben beschließen zu dürfen. Der Bischof erkannte, daß Stille und Abgeschiedenheit seinem Freunde Noth thäten und obgleich ungern, gab er ihm die erbetene Erlaubniß.

Da verließ der fromme Pater Augustinus in seinem grauen Habite und in bloßen Füßen und nur mit einem leinenen Sacke, worin er schwarzes Brod trug, den bischöflichen Palast und die stolze Stadt Regensburg, und ging in den Wald hinein, ganz allein, immer tiefer und tiefer, über Dornen und über Disteln, daß ihm die Füße bluteten und ihn sehr schmerzten, drey lange Tage lang. Am dritten Tage aber kam er des Abends an einen großen Fluß, der der Egerfluß war; in diesen ergoß sich ein klares, freundliches Bächlein; und dem Bächlein hinauf folgte der Pater, bis wo er an eine dichte, düstere Stelle des Waldes kam. Hier blieb er, und bauete sich aus Zweigen eine Einsiedeley, und wohnte darin, und lebte einfach vom klaren Wasser des Bächleins, und von den Wurzeln und Beeren des Waldes, und diente seinem Herrn und betete zu ihm vom frühen Morgen bis in die späte Mitternacht. –

Und als er nun so wohl zwey Jahre lang in Einsamkeit, Entsagung stillem Gebete hingebracht hatte, da kam eines Tages ein Ritter, der nur von einem einzigen Knappen gefolgt war, langsam durch den [97] Wald geritten. Der Ritter erblickte die Einsiedelei, und ritt verwundert darauf zu, und betrachtete sie lange, und die stille Gegend, in der sie gebauet war. Ein wehmüthiges Sehnen schien seinen Busen zu heben, eine sanfte Freude sein bleiches, kummervolles Gesicht zu erheitern. Er stieg vom seinem Rosse, und ging näher zu der kleinen Wohnung. Da sah er den Mönch darin, der auf beyden Knieen vor einem Cruzifix lag, und still betete. Der Ritter betrachtete ihn und wankte plötzlich, und erbebte heftig; sein Gesicht wurde von einem argen, wilden Zuge entstellt. Aber nur einen Augenblick lang; dann wurde es wieder ruhig und heiter; und langsam schritt er in das Innere der Hütte auf den Mönch zu.

Gervin von Volmestein! sprach er zu diesem, und legte sanft seine Hand ihm auf die Schulter. Du hast ein höheres Leben gefunden, ein schöneres. Laß es uns theilen!

Entsetzt sprang der Mönch auf und flog zurück und starrte den Ritter an, der ihn liebevoll mit seinem Einen Auge ansah, während das andere ewige Nacht bedeckte. Um des Himmelswillen! rief er, wer seyd Ihr? Was begehrt Ihr von mir?

Und Du kennst mich nicht mehr? fragte der Ritter sanft. Du kennst deinen Freund Diepolt nicht mehr?

Da erkannte der Einsiedler, was die bekannte Stimme ihn schon hatte ahnen lassen. Aber auch er wankte und erbebte heftig. Doch auch nur einen Augenblick lang. Dann nahete er sich dem Markgrafen und sprach demüthig: Der Himmel hat mir vergeben, denn [98] es wohnt Friede in meinem Herzen! O edler Herr, vergebt auch Ihr mir!

Da warf sich der Ritter, laut weinend, an seine Brust und breitete beide Arme um ihn und drückte ihn fest an sich, und rief schluchzend: O mein Freund, mein Freund!

Und jetzt drückte ihn auch der Mönch an seine Brust, und sprach mit einer stillen, aber hohen Freude: Der Herr ist gnädig, der Herr ist unendlich barmherzig!

Lange hielten die beyde Freunde sich stumm umarmt; dann erzählten sie sich ihre Schicksale.

Der Markgraf aber ritt nicht wieder zurück. Das Leben in seinem Schlosse war ihm eine entsetzliche Qual gewesen; hier an dieser Stelle, an der Seite des frommen Mönches war ihm zum ersten Male wieder wohl geworden, und nie wollte er von hier scheiden. Er übergab seine Regierung und seine Länder seinem Bruder, und behielt sich nur den Wald aus, in dem die Einsiedelei lag.

Still und fromm und gottesfürchtig lebten hier die beiden edlen Freunde. Nach Jahresfrist besuchte sie der Bischof von Regensburg, zu dem die Kunde ihrer Vereinigung gedrungen war. Sie baten ihn um die Erlaubniß, an der Stelle der Einsiedeley ein Kloster bauen zu dürfen. Gern gab er ihnen diese, und nach kurzer Zeit erhob sich in dem dichten Walde das Kloster Waldsassen, in dem die beyden ritterlichen Freunde als fromme, demüthige Mönche ihr Leben beschlossen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: und und
  2. Vorlage: Rittter
  3. Vorlage: Rhur
  4. Vorlage: Verzeiheit
  5. Vorlage: Rhur
  6. Vorlage: eingeweiheit