Westphälische Sagen und Geschichten/Die Springwurzel

Textdaten
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Autor: H. Stahl alias Jodocus Temme
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Titel: Die Springwurzel
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aus: Westphälische Sagen und Geschichten
Seite 116–117
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: Büschler’sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Elberfeld
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Quelle: Commons = Google
Kurzbeschreibung:
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[116]
XIII.


Die Springwurzel.


In der Nähe der Stadt Lübbecke bey Minden befindet sich in der Gebirgskette, die weiterhin die Porta Westphalica bildet, ein hoher, spitziger Berg, die Babildnie genannt. Oben auf der Spitze desselben hat im grauen Alterthume eine feste Burg gestanden, von welcher man jetzt nur noch einzelne Steine und Mauerstücke und die Spuren eines weitläufigen dreyfachen Walles findet. Die Burg hat dem tapferen Sachsenherzoge Wittekind gehöret, der sich gegen die Verfolgungen der Franken darauf geflüchtet hat. Er wurde hart von diesen bedrängt, und konnte ihnen zuletzt nicht mehr widerstehen, weshalb er die Burg Preis gab. Als nun die Franken die Burg nahmen, waren der Herzog mit seinem Weibe und seinen Kindern plötzlich verschwunden, und Niemand wußte, wohin sie gekommen. Nur Eine von seinen Töchtern war nicht mit fort, sondern in einem großen Keller unter der Burg geblieben, in welchem eine ungeheure Menge Schätze waren. Die Burg aber wurde von den Franken zerstört, und dabey die Prinzessin in dem Keller verschüttet. Dort muß sie nun sitzen und die Schätze bewachen. Wenn aber der Mond gerade um Mitternacht voll wird, dann darf sie heraus gehen, und wenn sie dann Jemanden findet, der mit ihr in den Keller gehet und die Springwurzel nimmt, die dort liegt, so [117] wird dieser alle Schätze bekommen und die Prinzessin erlöset werden.

Vor langer Zeit war einmal ein Schäfer, der an diesem Berge seine Schafe hütete. Derselbe war des Abends eingeschlafen und hatte sich verspätet. Als er erwachte, stand der Mond hoch am Himmel, und er sah ein wunderschönes, von Gold und Edelsteinen glänzendes Fräulein vor sich stehen; die winkte ihm freundlich, er solle ihr folgen. Der Schäfer that es, und sie führte ihn oben auf den Berg. Da sah er eine Mauer, die that sich auf, als das Fräulein sie berührte, und beyde schritten durch dieselbe in den Berg. Sie kamen in einen großen weiten Saal, darinnen nichts war, als Silber, Gold und Edelsteine, aber auf einem Tische ganz allein lag eine Wurzel, das war die Springwurzel. Das Fräulein sprach zu dem Schäfer, er solle sich nehmen, so viel als er tragen könne, allein er solle das Beste nicht vergessen, sonsten er nimmer würde glücklich werden. Der Schäfer aber steckte alle seine Taschen voll von Gold und Juwelen, auch die Schäfertasche, und nahm auch beyde Hände voll; doch die Wurzel ließ er liegen. Da rief ihm das Fräulein noch einmal zu: Vergiß das Beste nicht, sonst wirst Du auch des Andern nicht froh! – Was sie aber meinte, das durfte sie nicht sagen. Allein der Schäfer achtete ihrer Worte nicht, und ging, und hinter ihm schlug mit furchtbarem Geprassel die Mauer zu. Seines Reichthums wurde er jedoch nicht froh, denn der schnöde Geiz war in sein Herz gefahren, und er starb vor Hunger.

(Mündlich. Vgl. auch Grimms deutsche Sagen und und die folgende Sage.).