Weitere Beobachtungen über die Eigenschaften der X-Strahlen

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Autor: Wilhelm Conrad Röntgen
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Titel: Weitere Beobachtungen über die Eigenschaften der X-Strahlen
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aus: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Jahrgang 1897. Erster Halbband. Seite 576–592
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Entstehungsdatum: 1897
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Georg Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Berlin-Brandenburgische Akademie, Commons
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[576]
Weitere Beobachtungen über die Eigenschaften der X-Strahlen.
Von W. C. Röntgen.


(Vorgetragen am 29. April [s. oben S. 483].)


1. Stellt man zwischen einem Entladungsapparat, der intensive X-Strahlen aussendet[1], und einem Fluorescenzschirm eine undurchlässige Platte so auf, dass diese den ganzen Schirm beschattet, so kann man trotzdem noch ein Leuchten des Baryumplatincyanürs bemerken. Dieses Leuchten ist sogar dann noch zu sehen, wenn der Schirm direct auf der Platte liegt, und man ist auf den ersten Blick geneigt, die Platte doch für durchlässig zu halten. Bedeckt man aber den auf der Platte liegenden Schirm mit einer dicken Glasscheibe, so wird das Fluorescenzlicht viel schwächer, und es verschwindet vollständig, wenn man, statt eine Glasplatte zu nehmen, den Schirm mit einem Cylinder aus 0.1 cm dickem Bleiblech umgibt, der einerseits durch die undurchlässige Platte, andererseits durch den Kopf des Beobachters abgeschlossen wird.

Die beschriebene Erscheinung könnte durch Beugung von sehr langwelligen Strahlen, oder dadurch entstanden sein, dass von den den Entladungsapparat umgebenden, bestrahlten Körpern, namentlich von der bestrahlten Luft, X-Strahlen ausgehen.

Fig. 1.

Die letztere Erklärung ist die richtige, wie sich u. a. mit folgendem Apparate leicht nachweisen lässt. Fig. 1 stellt eine sehr dickwandige, 20 cm hohe und 10 cm weite Glasglocke dar, die durch eine aufgekittete, [577] dicke Zinkplatte verschlossen ist. Bei 1 und 2 sind kreissegmentförmige Bleischeiben eingesetzt, die etwas grösser sind als der halbe Querschnitt der Glocke und verhindern, dass X-Strahlen, welche durch eine in der Zinkplatte angebrachte, mit Celluloidfilm wieder verschlossene Öffnung in die Glocke eindringen, auf directem Wege zu dem über der Bleischeibe 2 gelegenen Raum gelangen. Auf der oberen Seite dieser Bleischeibe ist ein Baryumplatincyanürschirmchen befestigt, das fast den ganzen Querschnitt der Glocke ausfüllt. Dasselbe kann weder von directen, noch von solchen Strahlen getroffen werden, die an einem festen Körper (z. B. der Glaswand) eine einmalige diffuse Reflexion erlitten haben. Die Glocke wird vor jedem Versuch mit staubfreier Luft gefüllt. – Lässt man X-Strahlen in die Glocke eintreten, und zwar zunächst so, dass sie alle von dem Bleischirm 1 aufgefangen werden, so sieht man noch gar keine Fluorescenz bei 2; erst wenn in Folge von Neigen der Glocke directe Strahlen auch zu dem zwischen 1 und 2 gelegenen Raum gelangen, leuchtet der Fluorescenzschirm auf der nicht von dem Bleiblech 2 bedeckten Hälfte. Setzt man nun die Glocke in Verbindung mit einer Wasserstrahl-Luftpumpe, so bemerkt man, dass die Fluorescenz immer schwächer wird, je weiter die Verdünnung fortschreitet; wird darauf Luft eingelassen, so nimmt die Intensität wieder zu.

Da nun, wie ich fand, die blosse Berührung mit kurz vorher bestrahlter Luft keine merkliche Fluorescenz des Baryumplatincyanürs erzeugt, so ist aus dem beschriebenen Versuch zu schliessen, dass die Luft, während sie bestrahlt wird, nach allen Richtungen X-Strahlen aussendet.

Würde unser Auge für die X-Strahlen ebenso empfindlich sein wie für Lichtstrahlen, so würde ein in Thätigkeit gesetzter Entladungsapparat uns erscheinen, ähnlich wie ein in einem mit Tabakrauch gleichmässig gefüllten Zimmer brennendes Licht; vielleicht wäre die Farbe der directen und der von den Lufttheilchen kommenden Strahlen verschieden.

Die Frage, ob die von den bestrahlten Körpern ausgehenden Strahlen derselben Art sind wie die auffallenden, oder mit anderen Worten ob eine diffuse Reflexion oder ein der Fluorescenz ähnlicher Vorgang die Ursache dieser Strahlen ist, habe ich noch nicht entscheiden können; dass auch die von der Luft kommenden Strahlen photographisch wirksam sind, lässt sich leicht nachweisen, und es macht sich diese Wirkung sogar manchmal in einer für den Beobachter unerwünschten Weise bemerkbar. Um sich gegen dieselben zu schützen, was namentlich bei längerer Expositionsdauer häufig nothwendig ist, wird man die photographische Platte durch geeignete Bleihüllen abschliessen müssen.


[578] 2. Zur Vergleichung der Intensität der Strahlung zweier Entladungsröhren und zu verschiedenen anderen Versuchen benutzte ich eine Vorrichtung, die dem Bouguer’schen Photometer nachgebildet ist, und welche ich der Einfachheit halber auch Photometer nennen will. Ein 35 cm hohes, 150 cm langes und 0.15 cm dickes, rechteckiges Stück Bleiblech ist, durch Bretter gestützt, in der Mitte eines langen Tisches vertical aufgestellt. Auf beiden Seiten desselben steht, auf dem Tisch verschiebbar, je eine Entladungsröhre. An dem einen Ende des Bleistreifens ist ein Fluorescenzschirm[2] so angebracht, dass jede Hälfte desselben nur von einer Röhre senkrecht bestrahlt wird. Bei den Messungen wird auf gleiche Helligkeit der Fluorescenz beider Hälften eingestellt.

Einige Bemerkungen über den Gebrauch dieses Instrumentes mögen hier Platz finden. Zunächst ist zu erwähnen, dass die Einstellungen häufig sehr erschwert werden durch die Inconstanz der Strahlenquelle: die Röhre reagirt auf jede Unregelmässigkeit in der Unterbrechung des primären Stromes, und solche kommen beim Deprez’schen, aber namentlich beim Foucault’schen Unterbrecher vor. Eine mehrmalige Wiederholung jeder Einstellung ist daher geboten. Zweitens möchte ich angeben, wovon die Helligkeit eines gegebenen Fluorescenzschirmes abhängig ist, der in so rascher Aufeinanderfolge von X-Strahlen getroffen wird, dass das beobachtende Auge die Intermittenz der Bestrahlung nicht mehr wahrnimmt. Diese Helligkeit hängt ab 1. von der Intensität der Strahlung, die von der Platinplatte der Entladungsröhre ausgeht; 2. sehr wahrscheinlich von der Art der den Schirm treffenden Strahlen, denn nicht jede Strahlenart (vergl. unten) braucht in gleichem Maass fluorescenzerregend zu wirken; 3. von der Entfernung des Schirmes von der Ausgangsstelle der Strahlen; 4. von der Absorption, die die Strahlen auf ihrem Wege bis zu dem Baryumplatincyanür erleiden; 5. von der Anzahl der Entladungen in der Secunde; 6. von der Dauer jeder einzelnen Entladung: 7. von der Dauer und der Stärke des Nachleuchtens des Baryumplatincyanürs und 8. von der Bestrahlung des Schirmes durch die die Entladungsröhre umgebenden Körper. Um Irrthümer zu vermeiden, wird man immer daran denken müssen, dass hier im allgemeinen ähnliche Verhältnisse vorliegen, wie wenn man mit Hülfe der Fluorescenzwirkung zwei verschiedenfarbige, intermittirende Lichtquellen zu vergleichen hätte, die [579] von einer absorbirenden Hülle umgeben in einem trüben – oder fluorescirenden – Medium aufgestellt sind.


3. Nach § 12 meiner ersten Mittheilung[3] ist die von den Kathodenstrahlen getroffene Stelle des Entladungsapparates der Ausgangsort der X-Strahlen und zwar breiten sich diese »nach allen Richtungen« aus. Es ist nun von Interesse zu erfahren, wie die Intensität der Strahlen sich mit der Richtung ändert.

Zu dieser Untersuchung eignen sich am besten die kugelförmigen Entladungsapparate mit gut eben geschliffener Platinplatte, die unter einem Winkel von 45° von den Kathodenstrahlen getroffen wird. Schon ohne weitere Hülfsmittel glaubt man an der gleichmässig hellen Fluorescenz der über der Platinplatte liegenden halbkugelförmigen Glaswand erkennen zu können, dass sehr grosse Verschiedenheiten der Intensitäten in verschiedenen Richtungen nicht vorhanden sind, dass somit das Lambert’sche Emanationsgesetz hier nicht gültig sein kann; doch dürfte diese Fluorescenz zum grössten Theil durch Kathodenstrahlen erzeugt sein.

Zur genaueren Prüfung wurden verschiedene Röhren mit dem Photometer auf die Intensität der Strahlung nach verschiedenen Richtungen untersucht, und ausserdem habe ich zu demselben Zweck photographische Films exponirt, die um die Platinplatte des Entladungsapparates als Mittelpunkt zu einem Halbkreis (Radius 25 cm) gebogen waren. Bei beiden Verfahren wirkt die Ungleichheit der Dicke verschiedener Stellen der Röhrenwand sehr störend, weil dadurch die nach verschiedenen Richtungen ausgehenden X-Strahlen in ungleichem Maasse zurückgehalten werden. Doch gelingt es wohl, die durchstrahlte Glasdicke durch Einschaltung von dünnen Glasplatten ziemlich gleich zu machen.

Das Resultat dieser Versuche ist, dass die Bestrahlung einer über der Platinplatte als Mittelpunkt construirt gedachten Halbkugel fast bis zum Rande derselben eine nahezu gleichmässige ist. Erst bei einem Emanationswinkel von etwa 80° der X-Strahlen konnte ich den Anfang einer Abnahme der Bestrahlung bemerken, und auch diese Abnahme ist noch eine relativ geringe, so dass die Hauptänderung der Intensität zwischen 89° und 90° vorhanden ist.

Einen Unterschied in der Art der unter verschiedenen Winkeln emittirten Strahlen habe ich nicht bemerken können.

In Folge der beschriebenen Intensitätsvertheilung der X-Strahlen müssen die Bilder, welche mit einer Lochcamera – bezw. mit einem engen Spalt – von der Platinplatte, sei es auf dem Fluorescenzschirm [580] oder auf der photographischen Platte, erhalten werden, um so intensiver sein, je grösser der Winkel ist, den die Platinplatte mit dem Schirm oder der photographischen Platte bildet; vorausgesetzt, dass dieser Winkel 80° nicht überschreitet. Durch geeignete Vorrichtungen, welche gestatteten, die bei verschiedenen Winkeln mit derselben Entladungsröhre gleichzeitig erhaltenen Bilder mit einander zu vergleichen, konnte ich diese Folgerung bestätigen.

Einen ähnlichen Fall von Intensitätsvertheilung ausgesandter Strahlen treffen wir in der Optik bei der Fluorescenz an. Lässt man in einen mit Wasser gefüllten, viereckigen Trog einige Tropfen Fluoresceïnlösung fallen und beleuchtet den Trog mit weissem oder violettem Licht, so bemerkt man, dass das hellste Fluorescenzlicht von den Rändern der langsam herabsinkenden Fluoresceïnfäden ausgeht, d. h. von den Stellen, wo der Emanationswinkel des Fluorescenzlichtes am grössten ist. Wie schon Hr. Stokes bei Gelegenheit eines ähnlichen Versuches bemerkte, rührt diese Erscheinung daher, dass die Fluorescenz erregenden Strahlen von der Fluoresceïnlösung bedeutend stärker absorbirt werden als das Fluorescenzlicht. Es ist nun sehr bemerkenswerth, dass auch die die X-Strahlen erzeugenden Kathodenstrahlen von Platin viel stärker absorbirt werden, als die X-Strahlen, und es liegt deshalb nahe zu vermuthen, dass zwischen den beiden Vorgängen – der Verwandlung von Licht in Fluorescenzlicht und der von Kathodenstrahlen in X-Strahlen – eine Verwandtschaft besteht. Irgend ein zwingender Grund für eine solche Annahme ist indessen vorläufig noch nicht vorhanden.

Auch mit Rücksicht auf die Technik der Herstellung von Schattenbildern mittels X-Strahlen haben die Beobachtungen über die Intensitätsvertheilung der von der Platinplatte ausgehenden Strahlen eine gewisse Bedeutung. Nach dem oben Mitgetheilten wird es sich empfehlen die Entladungsröhre so aufzustellen, dass die zur Bildererzeugung verwendeten Strahlen das Platin unter einem möglichst grossen, jedoch nicht viel über 80° hinausgehenden Winkel verlassen; dadurch erhält man möglichst scharfe Bilder, und wenn die Platinplatte gut eben und die Construction der Röhre eine derartige ist, dass die schräg emittirten Strahlen keine wesentlich dickere Glaswand zu durchlaufen haben als die senkrecht von der Platinplatte ausgehenden Strahlen, so erleidet auch die Bestrahlung des Objectes durch die angegebene Anordnung keine Einbusse an Intensität.


4. Mit »Durchlässigkeit eines Körpers« bezeichnete ich in meiner ersten Mittheilung das Verhältniss der Helligkeit eines dicht hinter dem Körper senkrecht zu den Strahlen gehaltenen Fluorescenzschirmes [581] zu derjenigen Helligkeit des Schirmes, welche dieser ohne Zwischenschaltung des Körpers aber unter sonst gleichen Verhältnissen zeigt. Specifische Durchlässigkeit eines Körpers soll die auf die Dickeneinheit reducirte Durchlässigkeit des Körpers genannt werden; dieselbe ist gleich der dten Wurzel aus der Durchlässigkeit, wenn d die Dicke der durchstrahlten Schicht, in der Richtung der Strahlen gemessen, bedeutet.

Um die Durchlässigkeit zu bestimmen, habe ich seit meiner ersten Mittheilung hauptsächlich das oben beschriebene Photometer gebraucht. Vor die eine der beiden gleich hell fluorescirenden Hälften des Schirmes wurde der betreffende plattenförmige Körper – Aluminium, Stanniol, Glas u. s. w. – gebracht, und die dadurch entstandene Ungleichheit der Helligkeiten wieder ausgeglichen entweder durch Vergrösserung der Entfernung des die nicht bedeckte Schirmhälfte bestrahlenden Entladungsapparates oder durch Nähern des andern. In beiden Fällen ist das richtig genommene Verhältniss der Quadrate der Entfernungen der Platinplatte des Entladungsapparates vom Schirm vor und nach der Verschiebung des Apparates der gesuchte Werth der Durchlässigkeit des vorgesetzten Körpers. Beide Wege führten zu demselben Resultat. Nach Hinzufügen einer zweiten Platte zu der ersten findet man in derselben Weise die Durchlässigkeit jener zweiten Platte für Strahlen, die bereits durch eine Platte hindurchgegangen sind.

Das beschriebene Verfahren setzt voraus, dass die Helligkeit eines Fluorescenzschirmes umgekehrt proportional ist dem Quadrat seiner Entfernung von der Strahlenquelle, und diess trifft nur dann zu, wenn erstens die Luft keine X-Strahlen absorbirt bezw. emittirt, und wenn zweitens die Helligkeit des Fluorezcenzlichtes der Intensität der Bestrahlung durch Strahlen gleicher Art proportional ist. Die erstere Bedingung ist nun sicher nicht erfüllt, und von der zweiten ist es fraglich, ob sie erfüllt ist; ich habe mich deshalb zuerst durch Versuche, wie sie bereits in § 10 meiner ersten Mittheilung beschrieben wurden, davon überzeugt, dass die Abweichungen von dem erwähnten Proportionalitätsgesetz so gering sind, dass sie in dem vorliegenden Fall ausser Betracht gelassen werden können. – Auch ist noch mit Rücksicht auf die Thatsache, dass von den bestrahlten Körpern wieder X-Strahlen ausgehen, zu erwähnen erstens, dass ein Unterschied in der Durchlässigkeit einer 0.925 mm dicken Aluminiumplatte und von 31 über einander gelegten Aluminiumblättern von 0.0299 mm Dicke – 31 × 0.0299 = 0.927 – mit dem Photometer nicht gefunden werden konnte; und zweitens, dass die Helligkeit des Fluorescenzschirmes nicht merklich verschieden war, wenn die Platte dicht vor dem Schirm, oder in grösserer Entfernung von demselben aufgestellt wurde.

[582] Das Ergebniss dieser Durchlässigkeitsversuche ist nun für Aluminium folgendes:

Durchlässigkeit für senkrecht auffallende
Strahlen
Röhre 2 Röhre 3 Röhre 4 Röhre 2
der ersten 1 mm dicken Alum.- Platte 0.40 0.45 0.68
der zweiten 1 mm 0.55 0.68 0.73
der ersten 2 mm 0.30 0.39 0.50
der zweiten 2 mm 0.39 0.54 0.63

Aus diesen und ähnlichen mit Glas und Stanniol angestellten Versuchen entnehmen wir zunächst folgendes Resultat: denkt man sich die untersuchten Körper in gleich dicke, zu den parallelen Strahlen senkrechte Schichten zerlegt, so ist jede dieser Schichten für die in sie eindringenden Strahlen durchlässiger als die vorhergehende; oder mit anderen Worten: die specifische Durchlässigkeit eines Körpers ist um so grösser, je dicker der betreffende Körper ist.

Dieses Resultat ist vollständig in Einklang mit dem, was man an der in § 4 meiner ersten Mittheilung erwähnten Photographie einer Stanniolscala beobachten kann, und auch mit der Thatsache, dass sich mitunter auf photographischen Bildern der Schatten dünner Schichten, z. B. von dem zum Einwickeln der Platte verwendeten Papier verhältnissmässig stark bemerkbar macht.


5. Wenn zwei Platten aus verschiedenen Körpern gleich durchlässig sind, so braucht diese Gleichheit nicht mehr zu bestehen, wenn die Dicke der beiden Platten in demselben Verhältniss und sonst nichts verändert wird. Diese Thatsache lässt sich am einfachsten nachweisen mit Hülfe von zwei neben einander gelegten Scalen aus Platin bezw. aus Aluminium. Ich benutzte dazu Platinfolie von 0.0026 mm und Aluminiumfolie von 0.0299 mm Dicke. Brachte ich die Doppelscala vor den Fluorescenzschirm oder vor eine photographische Platte und bestrahlte dieselben, so fand ich z. B. in einem Fall, dass eine einfache Platinschicht gleich durchlässig war, wie eine sechsfache Aluminiumschicht; dann war aber die Durchlässigkeit einer zweifachen Platinschicht nicht gleich der einer zwölffachen, sondern der einer sechzehnfachen Aluminiumschicht. Bei Verwendung einer anderen Entladungsröhre erhielt ich 1 Platin = 8 Aluminium bez. 8 Platin = 90 Aluminium. Aus diesen Versuchen folgt, dass das Verhältniss der Dicken von Platin und Aluminium gleicher Durchlässigkeit um so kleiner ist, je dicker die betreffenden Schichten sind.


6. Das Verhältniss der Dicken von zwei gleich durchlässigen Platten aus verschiedenem Material ist abhängig von der Dicke und dem Material desjenigen Körpers – z. B. der Glaswand des Entladungsapparates –, [583] den die Strahlen zu durchlaufen haben, bevor sie die betreffenden Platten erreichen.

Um dieses – nach dem in § 4 und 5 Mitgetheilten nicht unerwartete – Resultat nachzuweisen, kann man eine Vorrichtung gebrauchen, die ich ein Platin-Aluminiumfenster nenne, und die auch, wie wir sehen werden, zu anderen Zwecken verwendbar ist. Dieselbe besteht aus einem auf einem dünnen Papierschirm aufgeklebten, rechteckigen (4.0 cm × 6.5 cm) Stück Platinfolie von 0.0026 mm Dicke, das mittels eines Durchschlages mit 15 auf drei Reihen vertheilten runden Löchern von 0.7 cm Durchmesser versehen ist. Diese Fensterchen sind verdeckt mit genau passenden und sorgfältig über einander geschichteten Scheibchen aus 0.0299 mm dicker Aluminiumfolie, und zwar so, dass in dem ersten Fensterchen ein, im zweiten zwei u. s. w., schliesslich im fünfzehnten fünfzehn Scheibchen liegen. Bringt man diese Vorrichtung vor den Fluorescenzschirm, so erkennt man namentlich bei nicht zu harten Röhren (vergl. unten) sehr deutlich, wieviel Aluminiumblättchen gleich durchlässig sind, wie die Platinfolie. Diese Anzahl soll kurz die Fensternummer genannt werden.

Als Fensternummer erhielt ich in einem Fall bei directer Bestrahlung die Zahl 5; wurde dann eine 2 mm dicke Platte aus gewöhnlichem Natronglas vorgehalten, so ergab sich die Fensternummer 10; es war somit das Verhältniss der Dicken von Platin- und Aluminiumblechen gleicher Durchlässigkeit dadurch auf die Hälfte reducirt, dass ich statt der direct von dem Entladungsapparat kommenden Strahlen solche benutzte, die durch eine 2 mm dicke Glasplatte hindurchgegangen waren, q. e. d.

Auch der folgende Versuch verdient an dieser Stelle einer Erwähnung. Das Platin-Aluminiumfenster wurde auf ein Päckchen, das 12 photographische Films enthielt, gelegt und dann exponirt; nach dem Entwickeln zeigte das erste unter dem Fenster gelegene Blatt die Fensternummer 10, das zwölfte die Nummer 13 und die übrigen in richtiger Reihenfolge die Übergänge von 10 zu 13.


7. Die in den §§ 4, 5 und 6 mitgetheilten Versuche beziehen sich auf die Veränderungen, welche die von einer Entladungsröhre ausgehenden X-Strahlen beim Durchgang durch verschiedene Körper erleiden. Es soll nun nachgewiesen werden, dass ein und derselbe Körper bei gleicher durchstrahlter Dicke verschieden durchlässig sein kann für Strahlen, die von verschiedenen Röhren emittirt werden.

In der folgenden Tabelle sind zu diesem Zweck die Werthe der Durchlässigkeit einer 2 mm dicken Aluminiumplatte für die in verschiedenen [584] Röhren erzeugten Strahlen angegeben. Einige dieser Werthe sind der ersten Tabelle auf S. 582 entnommen.

Durchlässigkeit Röhre 1 Röhre 2 Röhre 3 Rohre 4 Röhre 2 Röhre 5
für senkrecht auffallende Strahlen
einer 2 mm dicken Aluminiumplatte 0.0044 0.22 0.30 0.39 0.50 0.59

Die Entladungsröhren unterschieden sich nicht wesentlich durch ihre Construction oder durch die Dicke ihrer Glaswand, sondern hauptsächlich durch den Grad der Verdünnung ihres Gasinhaltes und das dadurch bedingte Entladungspotential; die Röhre 1 erfordert das kleinste, die Röhre 5 das grösste Entladungspotential, oder wie wir der Kürze halber sagen wollen: die Röhre 1 ist die weichste, die Röhre 5 die härteste. Derselbe Ruhmkorff – und zwar in directer Verbindung mit den Röhren – derselbe Unterbrecher und dieselbe primäre Stromstärke wurden in allen Fällen benutzt.

Ähnlich wie das Aluminium verhalten sich die vielen anderen von mir untersuchten Körper: alle sind für Strahlen einer härteren Röhre durchlässiger als für Strahlen einer weicheren Röhre[4]. Diese Thatsache scheint mir einer besonderen Beachtung werth zu sein.

Auch das Verhältniss der Dicken von zwei gleich durchlässigen Platten verschiedener Körper stellt sich als abhängig von der Härte der benutzten Entladungsröhre heraus. Man erkennt das sofort mit dem Platin-Aluminiumfenster (§ 5): mit einer sehr weichen Röhre findet man z. B. die Fensternummer 2 und für sehr harte, sonst gleiche Röhren reicht die bis Nr. 15 gehende Scala gar nicht aus. Das heisst also, dass das Verhältniss der Dicken von Platin und Aluminium gleicher Durchlässigkeit um so kleiner ist, je härter die Röhren sind, aus denen die Strahlen kommen, oder – mit Rücksicht auf das oben mitgetheilte Resultat – je weniger absorbirbar die Strahlen sind.

Das verschiedene Verhalten der in verschieden harten Röhren erzeugten Strahlen macht sich selbstverständlich auch in den bekannten Schattenbildern von Händen u. s. w. bemerkbar. Mit einer sehr weichen Röhre erhält man dunkle Bilder, in denen die Knochen wenig hervortreten; bei Anwendung einer härteren Röhre sind die Knochen sehr deutlich und in allen Details sichtbar, die Weichtheile dagegen schwach, und mit einer sehr harten Röhre erhält man auch von den Knochen nur schwache Schatten. Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Wahl der zu benutzenden Röhre sich nach der Beschaffenheit des abzubildenden Gegenstandes richten muss.


8. Es bleibt noch übrig mitzutheilen, dass die Qualität der von einer und derselben Röhre gelieferten Strahlen von verschiedenen Umständen [585] abhängig ist. Wie die Untersuchung mit dem Platin-Aluminiumfenster lehrt, wird dieselbe beeinflusst: 1. von der Art und Weise, wie der Deprez- oder Foucault-Unterbrecher[5] am Inductionsapparat wirkt, das heisst von dem Verlauf des primären Stromes. Hierher gehört die häufig zu beobachtende Erscheinung, dass einzelne von den rasch aufeinanderfolgenden Entladungen X-Strahlen erzeugen, die nicht nur besonders intensiv sind, sondern sich auch durch ihre Absorbirbarkeit von den anderen unterscheiden. 2. Durch eine Funkenstrecke, welche in den secundären Kreis vor den Entladungsapparat eingeschaltet wird. 3. Durch Einschaltung eines Tesla-Transformators. 4. Durch den Grad der Verdünnung des Entladungsapparats (wie schon erwähnt). 5. Durch verschiedene noch nicht genügend erkannte Vorgänge im Innern der Entladungsröhre. Einzelne dieser Factoren verdienen eine etwas mehr eingehende Besprechung.

Nehmen wir eine noch nicht gebrauchte und nicht evacuirte Röhre und setzen dieselbe an die Quecksilberpumpe an, so werden wir nach dem nöthigen Pumpen und Erwärmen der Röhre einen Verdünnungsgrad erreichen, bei welchem die ersten X-Strahlen sich durch schwaches Leuchten des nahen Fluorescenzschirmes bemerkbar machen. Eine parallel zur Röhre geschaltete Funkenstrecke liefert Funken von wenigen Millimetern Länge, das Platin-Aluminiumfenster zeigt sehr niedrige Nummern, die Strahlen sind sehr absorbirbar. Die Röhre ist »sehr weich«. Wenn nun eine Funkenstrecke vorgeschaltet, oder ein Tesla-Transformator eingeschaltet wird[6], so entstehen intensivere und weniger absorbirbare Strahlen. So fand ich z. B. in einem Fall, dass durch Vergrösserung der vorgeschalteten Funkenstrecke die Fensternummer allmählich von 2.5 auf 10 heraufgebracht werden konnte.

[Diese Beobachtungen führten mich zu der Frage, ob nicht auch bei noch höheren Drucken durch Anwendung eines Tesla-Transformators X-Strahlen zu erhalten sind. Diess ist in der That der Fall: mit einer engen Röhre mit drahtförmigen Elektroden konnte ich noch X-Strahlen erhalten, wenn der Druck der eingeschlossenen Luft 3.1 mm Quecksilber betrug. Wurde statt Luft Wasserstoff genommen, so durfte der Druck noch grösser sein. Den geringsten Druck, bei welchem in Luft noch X-Strahlen erzeugt werden können, konnte ich nicht feststellen; derselbe liegt aber jedenfalls unter 0.0002 mm Quecksilber, so [586] dass das Druckgebiet, innerhalb dessen überhaupt X-Strahlen entstehen können, schon jetzt ein sehr grosses ist.]

Weiteres Evacuiren der »sehr weichen« – direct mit dem Inductorium verbundenen – Röhre hat zur Folge, dass die Strahlung intensiver wird, und dass ein grösserer Bruchtheil derselben durch die bestrahlten Körper hindurch geht: eine vor den Fluorescenzschirm gehaltene Hand ist durchlässiger als vorher, und es ergeben sich am Platin-Aluminiumfenster höhere Fensternummern. Gleichzeitig musste die parallel geschaltete Funkenstrecke vergrössert werden, um die Entladung durch die Röhre gehen zu lassen: die Röhre ist »härter« geworden. – Pumpt man die Röhre noch mehr aus, so wird sie so »hart«, dass die Funkenstrecke über 20 cm lang gemacht werden muss, und nun sendet die Röhre Strahlen aus, für welche die Körper ungemein durchlässig sind: 4.0 cm dicke Eisenplatten, mit dem Fluorescenzschirm untersucht, erwiesen sich noch als durchlässig.

Das beschriebene Verhalten einer mit der Quecksilberpumpe und mit dem Inductorium direct verbundenen Röhre ist das normale; Abweichungen von dieser Regel, die durch die Entladungen selbst bewirkt werden, kommen häufig vor. Das Verhalten der Röhren ist überhaupt manchmal ein ganz unberechenbares.

Das Hartwerden einer Röhre dachten wir uns durch fortgesetztes Evacuiren mit der Pumpe erzeugt; dasselbe kann auch in anderer Weise geschehen. So wird eine von der Pumpe abgeschmolzene, mittelharte Röhre auch von selbst – mit Rücksicht auf die Dauer ihrer Verwendbarkeit leider – fortwährend härter, wenn sie in richtiger Weise zum Erzeugen von X-Strahlen verwendet wird, das heisst, wenn Entladungen, die das Platin nicht, oder nur schwach, zum Glühen bringen, durchgeschickt werden. Es findet eine allmähliche Selbstevacuirung statt.

Mit einer solchen sehr hart gewordenen Röhre habe ich von dem Doppellauf eines Jagdgewehres mit eingesteckten Patronen ein sehr schönes photographisches Schattenbild erhalten, in welchem alle Details der Patronen, die inneren Fehler der Damastläufe u. s. w. sehr deutlich und scharf erkennbar sind. Der Abstand der Platinplatte der Entladungsröhre bis zur photographischen Platte betrug 15 cm, die Expositionsdauer 12 Minuten – verhältnissmässig lang in Folge der geringeren photographischen Wirkung der wenig absorbirbaren Strahlen (vergl. unten). Der Deprez-Unterbrecher musste durch den Foucault-Unterbrecher ersetzt werden. Es würde von Interesse sein, Röhren zu construiren, welche gestatten, noch höhere Entladungspotentiale anzuwenden, als bisher möglich ist.

Als Ursache des Hartwerdens einer von der Pumpe abgeschmolzenen Röhre wurde oben die Selbstevacuirung in Folge von Entladungen [587] angegeben; indessen ist diess nicht die einzige Ursache; es finden auch an den Elektroden Veränderungen statt, die dasselbe bewirken. Worin dieselben bestehen, weiss ich nicht.

Eine zu hart gewordene Röhre kann weicher gemacht werden: durch Einlassen von Luft, manchmal auch durch Erwärmen der Röhre oder Umkehren der Stromrichtung und schliesslich durch sehr kräftige hindurchgeschickte Entladungen. Im letzten Fall hat aber die Röhre meistens andere Eigenschaften als die oben beschriebenen bekommen; so beansprucht sie z. B. manchmal ein sehr grosses Entladungspotential und liefert doch Strahlen von verhältnissmässig geringer Fensternummer und grosser Absorbirbarkeit. Auf das Verhalten dieser »nicht normalen« Röhren möchte ich nicht weiter eingehen. – Die von Hrn. Zehnder construirten Röhren mit regulirbarem Vacuum, welche ein Stückchen Lindenkohle enthalten, haben mir sehr gute Dienste geleistet.

Die in diesem Paragraphen mitgetheilten Beobachtungen und andere haben mich zu der Ansicht geführt, dass die Zusammensetzung der von einer mit Platinanode versehenen Entladungsröhre ausgesandten Strahlen wesentlich bedingt ist durch den zeitlichen Verlauf des Entladungsstromes. Der Verdünnungsgrad, die Härte, spielt nur deshalb eine Rolle, weil davon die Form der Entladung abhängig ist. Wenn man die für das Zustandekommen der X-Strahlen nöthige Entladungsform in irgend einer Weise herzustellen vermag, so können auch X-Strahlen erhalten werden, selbst bei relativ hohen Drucken.

Schliesslich ist es noch erwähnenswerth, dass die Qualität der von einer Röhre erzeugten Strahlen gar nicht oder nur wenig geändert wird durch beträchtliche Veränderungen der Stärke des primären Stromes; vorausgesetzt, dass der Unterbrecher in allen Fällen gleich functionirt. Dagegen ergibt sich die Intensität der X-Strahlen innerhalb gewisser Grenzen proportional der Stärke des primären Stromes, wie folgender Versuch zeigt. Die Entfernungen vom Entladungsapparat, in welchen die Fluorescenz des Baryumplatincyanürschirmes in einem speciellen Fall noch eben bemerkbar war, betrugen 18.1 m, 25.7 m und 37.5 m, wenn die Stärke des primären Stromes von 8 auf 16 und 32 Amp. vergrössert wurde. Die Quadrate jener Entfernungen stehen in nahezu demselben Verhältniss zu einander wie die entsprechenden Stromstärken.


9. Die in den fünf letzten Paragraphen aufgeführten Resultate ergaben sich unmittelbar aus den einzelnen mitgetheilten Versuchen. Überblickt man die Gesammtheit dieser Einzelresultate, so kommt man, zum Theil geleitet durch die Analogie, welche zwischen dem Verhalten [588] der optischen und der X-Strahlen besteht, zu folgenden Vorstellungen:

a. Die von einem Entladungsapparate ausgehende Strahlung besteht aus einem Gemisch von Strahlen verschiedener Absorbirbarkeit und Intensität.

b. Die Zusammensetzung dieses Gemisches ist wesentlich von dem zeitlichen Verlauf des Entladungsstromes abhängig.

c. Die bei der Absorption von den Körpern bevorzugten Strahlen sind für die verschiedenen Körper verschieden.

d. Da die X-Strahlen durch die Kathodenstrahlen entstehen, und beide gemeinsame Eigenschaften haben – Fluorescenzerzeugung, photographische und elektrische Wirkungen, eine Absorbirbarkeit, deren Grösse wesentlich durch die Dichte der durchstrahlten Medien bedingt ist u. s. w. –, so liegt die Vermuthung nahe, dass beide Erscheinungen Vorgänge derselben Natur sind. Ohne mich zu dieser Ansicht bedingungslos bekennen zu wollen, möchte ich doch bemerken, dass die Resultate der letzten Paragraphen geeignet sind, eine Schwierigkeit, die sich jener Vermuthung bis jetzt entgegenstellte, zu heben. Diese Schwierigkeit besteht einmal in der grossen Verschiedenheit zwischen der Absorbirbarkeit der von Hrn. Lenard untersuchten Kathodenstrahlen und der der X-Strahlen, und zweitens darin, dass die Durchlässigkeit der Körper für jene Kathodenstrahlen nach einem andern Gesetz von der Dichte der Körper abhängig ist als die Durchlässigkeit für die X-Strahlen.

Was zunächst den ersten Punkt anbetrifft, so ist zweierlei zu erwägen. 1. Wir haben in § 7 gesehen, dass es X-Strahlen von sehr verschiedener Absorbirbarkeit gibt, und wissen durch die Untersuchungen von Hertz und Lenard, dass auch die verschiedenen Kathodenstrahlen sich durch ihre Absorbirbarkeit von einander unterscheiden: wenn somit auch die auf S. 584 erwähnte »weichste Röhre« X-Strahlen lieferte, deren Absorbirbarkeit noch bei weitem nicht an die der von Hrn. Lenard untersuchten Kathodenstrahlen heranreicht, so gibt es doch ohne Zweifel X-Strahlen von noch grösserer und andererseits Kathodenstrahlen von noch kleinerer Absorbirbarkeit. Es erscheint deshalb wohl möglich, dass bei späteren Versuchen Strahlen gefunden werden, die, was ihre Absorbirbarkeit anbetrifft, den Übergang von der einen Strahlenart zur anderen bilden. 2. Wir fanden in § 4, dass die specifische Durchlässigkeit eines Körpers desto kleiner ist, je dünner die durchstrahlte Platte ist. Hätten wir folglich zu unseren Versuchen so dünne Platten genommen wie Hr. Lenard, so würden wir für die Absorbirbarkeit der X-Strahlen Werthe gefunden haben, die den Lenard’schen näher gelegen wären.

[589] Bezüglich des verschiedenen Einflusses der Dichte der Körper auf die Absorbirbarkeit der X-Strahlen und der Kathodenstrahlen ist zu sagen, dass dieser Unterschied auch um so kleiner gefunden wird, je stärker absorbirbare X-Strahlen zu dem Versuch gewählt werden (§ 7 und § 8) und je dünner die durchstrahlten Platten sind (§ 5). Folglich ist die Möglichkeit zuzugeben, dass dieser Unterschied in dem Verhalten der beiden Strahlenarten gleichzeitig mit dem zuerst genannten durch weitere Versuche zum Verschwinden gebracht werden kann.

Am nächsten stehen sich in ihrem Verhalten bei der Absorption die in sehr harten Röhren vorzugsweise vorhandenen Kathodenstrahlen und die in sehr weichen Röhren von der Platinplatte vorzugsweise ausgehenden X-Strahlen.


10. Ausser der Fluorescenzerregung üben die X-Strahlen bekanntermaassen noch photographische, elektrische und andere Wirkungen aus, und es ist von Interesse zu wissen, in wie weit dieselben mit einander parallel gehen, wenn die Strahlenquelle geändert wird. Ich habe mich darauf beschränken müssen die beiden zuerst genannten Wirkungen mit einander zu vergleichen.

Dazu eignet sich zunächst wieder das Platin-Aluminiumfenster. Ein Exemplar davon wurde auf eine eingehüllte photographische Platte gelegt, ein zweites vor den Fluorescenzschirm gebracht, und dann beide in gleichem Abstand von dem Entladungsapparat aufgestellt. Die X-Strahlen hatten bis zur empfindlichen Schicht der photographischen Platte bezw. bis zum Baryumplatincyanür genau dieselben Medien zu durchlaufen. Während der Exposition beobachtete ich den Schirm und constatirte die Fensternummer; nach dem Entwickeln wurde auf der photographischen Platte ebenfalls die Fensternummer bestimmt, und dann wurden beide Nummern mit einander verglichen. Das Resultat solcher Versuche ist, dass bei Anwendung von weicheren Röhren (Fensternummer 4–7) kein Unterschied zu bemerken war; bei Anwendung von härteren Röhren schien es mir, als ob die Fensternummer auf der photographischen Platte ein wenig, aber höchstens eine Einheit, niedriger war als die mittels des Fluorescenzschirmes bestimmte. Indessen ist diese Beobachtung, wenn auch wiederholt bestätigt gefunden, doch nicht ganz einwurfsfrei, weil die Bestimmung der hohen Fensternummern am Fluorescenzschirm ziemlich unsicher ist.

Völlig sicher dagegen ist das folgende Ergebniss. Stellt man an dem in § 2 beschriebenen Photometer eine harte und eine weiche Röhre auf gleiche Helligkeit des Fluorescenzschirmes ein und bringt dann eine photographische Platte an die Stelle des Schirmes, so bemerkt [590] man nach dem Entwickeln dieser Platte, dass die von der harten Röhre bestrahlte Plattenhälfte beträchtlich weniger geschwärzt ist als die andere. Die Bestrahlungen, die gleiche Intensität der Fluorescenz erzeugten, wirkten photographisch verschieden.

Bei der Beurtheilung dieses Resultats darf man nicht ausser Betracht lassen, dass weder der Fluorescenzschirm noch die photographische Platte die auffallenden Strahlen vollständig ausnutzen; beide lassen noch viel Strahlen hindurch, die wieder Fluorescenz bez. photographische Wirkungen hervorrufen können. Das mitgetheilte Resultat gilt demnach zunächst nur für die gebräuchliche Dicke der empfindlichen photographischen Schicht und des Baryumplatincyanürbeleges.

Wie sehr durchlässig die empfindliche Schicht der photographischen Platte sogar für X-Strahlen von Röhren mittlerer Härte ist, beweist ein Versuch mit 96 auf einander gelegten, in 25 cm Entfernung von der Strahlenquelle 5 Minuten lang exponirten und durch eine Bleiumhüllung gegen die Strahlung der Luft geschützten Films. Noch auf dem letzten derselben ist eine photographische Wirkung deutlich zu erkennen, während der erste kaum überexponirt ist. Durch diese und ähnliche Beobachtungen veranlasst, habe ich bei einigen Firmen für photographische Platten angefragt, ob es nicht möglich wäre, Platten herzustellen, die für die Photographie mit X-Strahlen geeigneter wären, als die gewöhnlichen. Die eingesandten Proben waren jedoch nicht brauchbar.

Ich hatte, wie schon auf S. 586 erwähnt, häufig Gelegenheit wahrzunehmen, dass sehr harte Röhren unter sonst gleichen Umständen eine längere Expositionsdauer beanspruchen als mittelharte; es ist diess verständlich, wenn man sich des in § 9 mitgetheilten Resultates erinnert, wonach alle untersuchten Körper für Strahlen, die von harten Röhren emittirt werden, durchlässiger sind, als für die von weichen Röhren ausgehenden. Dass mit sehr weichen Röhren wieder lang exponirt werden muss, lässt sich durch die geringere Intensität der von denselben ausgesandten Strahlen erklären.

Wenn die Intensität der Strahlen durch Vergrösserung der primären Stromstärke (vergl. S. 587) vermehrt wird, so wird die photographische Wirkung in demselben Maasse gesteigert wie die Intensität der Fluorescenz; und es dürfte in diesem und in jenem oben besprochenen Fall, wo die Intensität der Bestrahlung des Fluorescenzschirmes durch Veränderung des Abstandes des Schirmes von der Strahlenquelle geändert wird, die Helligkeit der Fluorescenz – wenigstens sehr nahezu – proportional der Intensität der Bestrahlung sein. Es ist aber nicht erlaubt, diese Regel allgemein anzuwenden.


[591] 11. Zum Schluss sei es mir gestattet, folgende Einzelheiten zu erwähnen.

Bei einer richtig construirten, nicht zu weichen Entladungsröhre kommen die X-Strahlen hauptsächlich von einer nur 1 bis 2 mm grossen Stelle der von den Kathodenstrahlen getroffenen Platinplatte; indessen ist das nicht der einzige Ausgangsort: die ganze Platte und ein Theil der Röhrenwand emittirt, wenn auch in viel schwächerm Maasse, X-Strahlen. Von der Kathode gehen nämlich nach allen Richtungen Kathodenstrahlen aus; die Intensität derselben ist aber nur in der Nähe der Hohlspiegelaxe sehr bedeutend, und deshalb entstehen auf der Platinplatte da, wo diese Axe sie trifft, die intensivsten X-Strahlen. Wenn die Röhre sehr hart und das Platin dünn ist, so gehen auch von der Rückseite der Platinplatte sehr viel X-Strahlen aus, und zwar, wie die Lochcamera zeigt, wieder vorzugsweise von einer auf der Spiegelaxe liegenden Stelle.

Auch in diesen härtesten Röhren liess sich das Intensitätsmaximum der Kathodenstrahlen durch einen Magneten von der Platinplatte ablenken. Einige an weichen Röhren gemachte Erfahrungen veranlassten mich, die Frage nach der magnetischen Ablenkbarkeit der X-Strahlen mit verbesserten Hülfsmitteln nochmals in Angriff zu nehmen; ich hoffe bald über diese Versuche berichten zu können. –

Die in meiner ersten Mittheilung erwähnten Versuche über die Durchlässigkeit von Platten gleicher Dicke, die aus einem Krystall nach verschiedenen Richtungen geschnitten sind, habe ich fortgesetzt. Es kamen zur Untersuchung Platten von Kalkspath, Quarz, Turmalin, Beryll, Aragonit, Apathit und Baryt. Ein Einfluss der Richtung auf die Durchlässigkeit liess sich auch jetzt nicht erkennen. –

Die von Hrn. G. Brandes beobachtete Thatsache, dass die X-Strahlen in der Netzhaut des Auges einen Lichtreiz auslösen können, habe ich bestätigt gefunden. Auch in meinem Beobachtungsjournal steht eine Notiz aus dem Anfang des Monats November 1895, wonach ich in einem ganz verdunkelten Zimmer nahe an einer hölzernen Thür, auf deren Aussenseite eine Hittorf’sche Röhre befestigt war, eine schwache Lichterscheinung, die sich über das ganze Gesichtsfeld ausdehnte, wahrnahm, wenn Entladungen durch die Röhre geschickt wurden. Da ich diese Erscheinung nur einmal beobachtete, hielt ich sie für eine subjective, und dass ich sie nicht wiederholt sah, liegt daran, dass später statt der Hittorf’schen Röhre andere, weniger evacuirte und nicht mit Platinanode versehene Apparate zur Verwendung kamen. Die Hittorf’sche Röhre liefert wegen der hohen Verdünnung ihres Inhaltes Strahlen von geringer Absorbirbarkeit und wegen des Vorhandenseins einer von den Kathodenstrahlen getroffenen Platinanode intensive Strahlen, was [592] für das Zustandekommen der genannten Lichterscheinung günstig ist. Ich musste die Hittorf’schen Röhren durch andere ersetzen, weil alle nach sehr kurzer Zeit durchschlagen wurden.

Mit den jetzt in Gebrauch befindlichen, harten Röhren lässt sich der Brandes’sche Versuch leicht wiederholen. Vielleicht ist die Mittheilung von folgender Versuchsanordnung von einigem Interesse. Hält man möglichst dicht vor das offene oder geschlossene Auge einen verticalen, wenige Zehntelmillimeter breiten Metallspalt und bringt dann den durch ein schwarzes Tuch verhüllten Kopf nahe an den Entladungsapparat, so bemerkt man nach einiger Übung einen schwachen nicht gleichmässig hellen Lichtstreifen, der je nach der Stelle, wo sich der Spalt vor dem Auge befindet, eine andere Gestalt hat: gerade, gekrümmt oder kreisförmig. Durch langsames Bewegen des Spaltes in horizontaler Richtung kann man diese verschiedenen Formen allmählich in einander übergehen lassen. Eine Erklärung dieser Erscheinung ist bald gefunden, wenn man daran denkt, dass der Augapfel geschnitten wird von einem lamellaren Bündel X-Strahlen, und wenn man annimmt, dass die X-Strahlen in der Netzhaut Fluorescenz erregen können. –

Seit dem Beginn meiner Arbeit über X-Strahlen habe ich mich wiederholt bemüht, Beugungserscheinungen dieser Strahlen zu erhalten; ich erhielt auch verschiedene Male mit engen Spalten u. s. w. Erscheinungen, deren Aussehen wohl an Beugungsbilder erinnerte, aber wenn durch Veränderung der Versuchsbedingungen die Probe auf die Richtigkeit der Erklärung dieser Bilder durch Beugung gemacht wurde, so versagte sie jedesmal, und ich konnte häufig direct nachweisen, dass die Erscheinungen in ganz anderer Weise als durch Beugung zu Stande gekommen waren. Ich habe keinen Versuch zu verzeichnen, aus dem ich mit einer mir genügenden Sicherheit die Überzeugung von der Existenz einer Beugung der X-Strahlen gewinnen könnte.


Ausgegeben am 20. Mai.


Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei     

  1. Alle in der folgenden Mittheilung erwähnten Entladungsröhren sind nach dem in § 20 meiner zweiten Mittheilung (Sitzungsber. d. phys.-medic. Gesellschaft zu Würzburg, Jahrg. 1895) angegebenen Princip construirt. Einen grossen Theil davon erhielt ich von der Firma Greiner & Friedrichs in Stützerbach i. T., der ich für das mir in reichstem Maasse und kostenlos zur Verfügung gestellte Material öffentlich meinen Dank ausspreche.
  2. Bei diesen und anderen Versuchen hat sich der Edison’sche Fluorescenzschirm als sehr praktisch erwiesen. Derselbe besteht aus einem stereoskopähnlichen Gehäuse, das sich lichtdicht an den Kopf des Beobachters anlegen lässt, und dessen Cartonboden mit Baryumplatincyanür bedeckt ist. Edison nimmt statt Baryumplatincyanür Scheelit; ich ziehe aber ersteres aus manchen Gründen vor.
  3. Sitzungsberichte der phys.-medic. Gesellschaft zu Würzburg, Jahrg. 1895.
  4. Über das Verhalten »nicht normaler« Röhren siehe unten S. 587.
  5. Ein guter Deprez-Unterbrecher functionirt regelmässiger als ein Foucault-Unterbrecher; der letztere nutzt jedoch den primären Strom besser aus.
  6. Dass eine vorgeschaltete Funkenstrecke ähnlich wie ein eingeschalteter Tesla-Transformator wirkt, habe ich in der französischen Ausgabe meiner zweiten Mittheilung (Archives des sciences physiques etc. de Genève. 1896) erwähnen können; in der deutschen Ausgabe ist diese Bemerkung durch ein Versehen weggeblieben.