Weinsberg, vormals freie Reichs-, jetzt württemb. Oberamtsstadt. Chronik derselben/Vorwort

« [[Weinsberg, vormals freie Reichs-, jetzt württemb. Oberamtsstadt. Chronik derselben/|]] Ferdinand Ludwig Immanuel Dillenius
Weinsberg, vormals freie Reichs-, jetzt württemb. Oberamtsstadt. Chronik derselben
Übersicht »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).

[III]

Vorwort.




Weinsberg ist unstreitig Einer der interessantesten Punkte des württembergischen Vaterlandes.

Die Burg, seit uralten Zeiten Weibertreue genannt, sehr wahrscheinlich ursprünglich römisches Castell, später mit der großen Hohenstaufen’schen Periode verflochten, der Sitz eines durch 4 bis 6 Jahrhunderte blühenden Geschlechtes, zählt zu den berühmtesten deutschen Burgen – als Denkmal der Frauentreue.

Die Freiherrschaft, von der württembergischen Alb (Neuffen) durch’s Hohenlohe’sche und Fränkische bis zur Wetterau (Münzenberg, Falkenstein und Königsstein) einstmals sich ausdehnend, übertraf an Größe und Umfang die damaligen benachbarten Grafschaften Württemberg, Löwenstein und Hohenlohe, und hätte, bei gleich gutem Haushalte, ebenso gut wie Württemberg ein Herzogthum (Franken) werden können.

Aus dem Geschlechte der Freiherrn von Weinsberg, die mit den edelsten und mächtigsten Geschlechtern ihrer Zeit verbunden waren, giengen berühmte Männer hervor, wie Konrad IV., der kaiserliche Landvogt von Nieder-Schwaben, welcher den Grafen Eberhard I. von Württemberg (den Erlauchten) aus seinem Lande schlug; Konrad, der Erzbischof von Mainz, und Konrad IX., Reichs-Erbkämmerer und Protector des Concils von Basel – kurz vor dem Erlöschen des Hauses.

Die Stadt endlich, von den Hohenstaufen her freie Reichsstadt, behauptete sich als solche im Bunde mit den übrigen schwäbischen Reichsstädten 3 Jahrhunderte lang gegen die Gelüste der über ihren Giebeln hausenden Freiherrn von Weinsberg, denen sie von den Kaisern mehrmals verpfändet wurde, bis sie, im Kampfe der Städte mit den Adelichen erobert, und an Churpfalz verkauft wurde. 1440.

Im baierischen Erbfolgekrieg von Herzog Ulrich von Württemberg erobert und in Besitz genommen (1504–12) theilte sie das Mißgeschick des neuen württembergischen Vaterlandes, nach Vertreibung Herzog Ulrichs unter östreichische Regierung zu kommen, (1520) und ihr tragisches Schicksal unter dieser Regierung, im Bauernkriege von 1525, ihre Eroberung durch die Bauern, die Ermordung der Ritter vor ihren Thoren, ihre gräßliche [IV] Zerstörung durch den Bundesfeldherrn Georg Truchseß von Waldburg gaben der unglücklichen Stadt vor allen anderen des Landes eine traurige Berühmtheit.

Am Tage vor der entscheidenden Schlacht bei Lauffen 1534 huldigte sie dem wiederkehrenden Herzog Ulrich von Württemberg, erhielt unter seinem berühmten Sohne, Herzog Christoph, die verlorenen Stadtrechte zurück und blieb bis nach der Schlacht bei Nördlingen (1634) von den Drangsalen des 30jährigen Krieges schwer heimgesucht, unter württembergischer Hoheit, ward aber 1635 mit Burg und Amt vom siegreichen Kaiser dem östreichischen Grafen von Trautmannsdorf geschenkt.

Von diesem im J. 1646 (noch vor dem westphälischen Frieden) an den Herzog Eberhard III. von Württemberg zurückgegeben, gieng sie 3 Jahre später durch fürstbrüderlichen Vergleich hälftig an die Württemb.-Neuenstadter Linie über, von welcher sie erst nach deren Aussterben an das regierende Herzogliche Haus Württemberg zurückfiel.

Als Geburts- und Vaterstadt des berühmten Oekolampadius (Hausschein) – geb. 1482, gest. zu Basel 1531 – des Proselyten Is. Volmar – geb. 1582, gest 1662 –, des bekannten Professors der Rechte Dr. Malblank, geb. 1752, gest. 1828; als zeitweiliger Wirkungsplatz des württemb. Reformators Dr. Erhard Schnepf 1522, und des evang. Predigers Johann Gailing 1548, des berühmten Theosophen, Spec.-Superint. und Stadtpf. M. Oetinger, 1752–59 († 1782 als Abt [Prälat] zu Murrhard), des verdienten O.A.Manns, Hofrath v. Fetzer, 1785–1809, des geist- und gemüthreichen schwäbischen Dichters und Arztes, Dr. Justinus v. Kerner und Anderer glänzt der Namen der Stadt vor Anderen in der Biographie ausgezeichneter Männer.

Auch „daß alle Geister wohnen da“ (Uhland) hat Weinsberg in unserem Jahrhundert ein eigenthümliches Renommee gegeben.

Und so hatte der Verfasser, welcher 21 Jahre in ihr wohnte und wirkte, reiche Veranlassung, während er von 1836 an für die Nachkommen eine Chronik der Jetztzeit über das Miterlebte niederschrieb, auch mit der Vorzeit sich zu beschäftigen und aus den ihm zu Gebot stehenden Acten der Stadt und des Bezirkes Materialien für eine Chronographie von Burg, Freiherrschaft und Stadt Weinsberg zu sammeln.

Bei seinem Rücktritt vom Amte mit einem werthvollen Andenken von der Stadt beehrt, drängte es ihn um so mehr, auch der Stadt hinwiederum ein Andenken zu stiften. Als vieljähriges correspondirendes Mitglied des k. württ. Vereins für Vaterlandskunde und nach dem Statut von 1856 des statistisch-topographischen Bureau’s mit der Oberamtsbeschreibung von Weinsberg betraut, [V] fand er zwiefache Veranlassung, die Geschichte von Weinsberg bis zu ihrem Ursprung zu verfolgen, wobei er die ihm mitgetheilten Notizen des statistisch-topographischen Bureau’s, die Materialien der k. öffentlichen Bibliothek und des Archivs, die Geschichte Württembergs von Ob.Studienrath v. Stälin, die von Sattler, von Faber etc., die württ. Jahrbücher von Memminger, Titot’s Gesch. von Heilbronn, von Stadlinger und von Martens Gesch. des württ. Kriegswesens etc., Zimmermann’s Bauernkrieg, sowie die Vorarbeiten von Jäger (welche aber vielfacher Berichtigung bedurften), von Dr. Just. Kerner und – bes. bezüglich der Freiherrn von Weinsberg – die ges. Communicate von Dr. Pfaff, Director Albrecht, Dr. Klunzinger, Guterman u. A. benützte.

Die Resultate seiner Studien findet der geneigte Leser in Form einer Chronik, in welche mit Wenigem auch die gleichzeitigen Haupt-Welt-Begebenheiten außerhalb Weinsbergs und die Hauptereignisse der württembergischen Geschichte, seit Weinsberg Württemberg angehörte, mit aufgenommen sind, sofern sie auf die damalige Stimmung und Geistesrichtung, oft auch auf das Schicksal seiner Bürger ein- und zurückgewirkt haben. Man läßt sich wohl überhaupt nicht ungerne erinnern, was gleichzeitig Großes anderswo geschehen ist, und der Verf. hatte dabei die led. Jugend seines früheren Bezirkes im Auge, welcher der Lehrer, wenn das Nähere sie anzieht, auch das Entferntere hiebei nahelegen kann. Auch die Beschreibung der Jahrgänge im Allgemeinen, der Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit, des Witterungswechsels und anderer Naturereignisse, des Herbstertrags, der Wein-, Brod- und Fruchtpreise glaubte der Chronograph der Vollständigkeit wegen hiebei nicht fehlen lassen zu dürfen, wie sie bei Crusius, Steinhofer, Cloß (Wein-Chronik), in den württ. Jahrbüchern (von Pfaff und Vanotti) etc. zu finden ist und von Vielen, besonders Landwirthen, welche gerne das „Sonst“ und „Jetzt“ vergleichen, mit Interesse gelesen werden wird.

Die für Localereignisse und Personalwechsel benützten Kirchenbücher gehen bis 1571, die Stadtprotocolle nur bis 1707 zurück, wo das Rathhaus sammt der Registratur bei dem großen Stadtbrande von 1707 in Rauch aufgieng. Gemeiner Stadt Privilegienbuch von 1468 ist gerettet und vom Verf. benützt. Wenigere Ausbeute liefern die im städtischen Archiv (einem Kirchengewölbe) aufbewahrten, zum Theil unvollständigen Stadtrechnungen, zumal da sie nicht über die vorwürttembergische Periode hinaufreichen. Mit der furchtbaren Zerstörung der Stadt durch den Truchseß von Waldburg 1525 wurde Alles zerstört, was über die reichsstädtische und churpfälzische Periode einigen näheren Aufschluß hätte geben können. Was das Staatsarchiv über den Bauernkrieg darbot, ist von Zimmermann sorgfältig gesichtet und hier, mit [VI] Benützung eines werthvollen Archival-Manuscripts von dem sel. Regierungs-Rathe Günzler einverwoben, womit die, selbst von namhafteren Schriftstellern erhobenen Vorwürfe: als habe die Stadt ihr damaliges gräßliches Schicksal durch Verrätherei verdient, widerlegt sind.

Was der Bewohner Weinsbergs über das so wechselvolle und oft so traurige Schicksal seiner Vaterstadt und seiner Voreltern, der Bezirksangehörige über das mit der Geschichte des Bezirksorts so genau verwobene Schicksal seines eigenen Wohnorts, der Besucher der berühmten Burgruine – es besuchen deren so Viele alljährlich die romantische Stätte – über die Vorzeit dieser Burg und des einst hier hausenden edeln Geschlechtes zu erfahren wünscht, wird er hier sorgfältig zusammengetragen finden und sich dadurch von selbst zu Reflexionen angeregt fühlen, welche der Chronograph oft nur ungerne wegen der Fülle des Stoffes und Mangels an Raum unterdrückte.

Bei der großen Ausdehnung der einstigen Freiherrschaft Weinsberg wird auch der jetzt Auswärtige, ehemals dieser Herrschaft Angehörige Heimathklänge finden. Die noch nicht untergegangenen, einst mit dem Hause Weinsberg eng verbundenen edlen Geschlechter Deutschlands, und die mit der kleinen Reichsstadt Weinsberg treulich verbündeten, an ihrem Schicksale so oft theilnehmenden, sie noch lange überlebenden ehmaligen Reichsstädte werden in der Geschichte Weinsbergs einen kleinen Bruchtheil ihrer eigenen früheren Geschichte finden. Die im Auszug angehängte neuere Chronik von 1836 an wird den Jetztlebenden manche frohe oder wehmüthige Reminiscenz bringen.

Der Verfasser glaubt deswegen hoffen zu dürfen, daß er mit diesem Beitrag zur Topographie des württemb. Vaterlandes auch einem weiteren Kreise von Lesern eine nicht unwillkommene Gabe darbiete. So sieh Dich denn mit uns um, lieber Leser!

Zu Weinsberg, der gepriesnen Stadt,
Die von dem Wein den Namen hat,
Wo Lieder klingen schön und neu,
Und wo die Burg heißt Weibertreu.
Bei Wein und Weib und bei Gesang
Wär’ Luthern dort die Zeit nicht lang;
Auch fänd’ er Herberg und Gelaß
Für Teufel und für Dintenfaß;
Denn alle Geister wandeln da.       (Uhland.)


Der Verfasser.     
« [[Weinsberg, vormals freie Reichs-, jetzt württemb. Oberamtsstadt. Chronik derselben/|]] Ferdinand Ludwig Immanuel Dillenius
Weinsberg, vormals freie Reichs-, jetzt württemb. Oberamtsstadt. Chronik derselben
Übersicht »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).