1. Merkt auf, ich weiß ein neu Ge=dicht von ei=ner ho=hen
Schu=le, und wenn sie liegt am Neckar nicht, so su=chet sie in
Thu=le. Dort schwingt den Be=cher jung und alt, die Knaben, Männer,
Grei=se, und tau=sendstimmig hallt und schallt die al=te he=hre
Weise: Die Welt ist rund und muß sich drehn, was o=ben war, muß
unten stehn. Wein her! Wein her! Wein her! Wein her! Wein her!
2. (Mit verstellter Stimme.) Einst sprach der Rektor kummerschwer: „Es
will mich fast bedünken, als ob die Herrn Studenten mehr, als ihnen
ziemet, trinken. Laßt’s Eure Sorge sein, Pedell, daß Maß die Jugend
halte!“ Da eilte der Getreue schnell zur Schenke, wo es schallte: Die
[655] Welt ist rund und muß sich drehn, was oben war, muß unten stehn.
Wein her!
3. Es rann das große Ausstichfaß im Schank zum goldnen Löwen;
der Boden und der Tisch war naß vom edlen Blut der Reben. Der
Herr Pedell kam, sah und trank erst Neuen und dann Alten, bis schwer
das Haupt ihm niedersank und seine Lippen lallten: Die Welt ist rund ec.
4. Tags drauf der Rektor zürnend sprach: „Auch ihr zählt zu den
Thoren! Jetzt geht und ruft in mein Gemach die Herren Professoren!“ —
„Ihr werten Herren, nun steht mir bei, den uns vertrauten Seelen
zu legen Suff und Völlerei und das verwünschte Gröhlen: Die Welt
ist rund ec.“
5. Es saßen bis nach Mitternacht beisammen die Hochweisen, und weil
das Sprechen durstig macht, ließ man den Becher kreisen; und als der
Herr Pedell sein Ohr genäh’rt der Thüre Spalte, fuhr er mit freudgem
Schreck empor, dieweil es drinnen schallte: Die Welt ist rund ec.
6. Es war den Herrn am nächsten Tag im Kopfe etwas öde;
von Schwelgerei und Zechgelag war weiter nicht die Rede. Studenten
trinken und Senat seitdem in gleicher Weise und himmelwärts schallt’s
früh und spat aus lustger Zecher Kreise: Die Welt ist rund ec.
Rudolf Baumbach.