Weihnachtsliteratur (Die Gartenlaube 1885/48)

Textdaten
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Titel: Weihnachtsliteratur
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 801, 803
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vgl. Rubrik Vom Weihnachtsbüchertisch
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Hänschen im Hemdchen.0 Von Karl Fröschl. Aus der Münchener „Bunten Mappe“ (s. S. 803).

[803] Weihnachtsliteratur. Prachtwerke. Nur wenige neue Erscheinungen von Prachtwerken bietet der Buchhandel in diesem Jahre dem Büchermarkte dar, aber was der Menge abgeht, ist dem Werthe zu Gute gekommen, und namentlich die „Neuen Folgen“ einiger schon im vorigen Jahre von uns empfohlenen Werke beweisen das Gesagte.

Obenan steht die Neue Folge der im Verlage von Mitscher und Röstell herausgegebenen „Auswahl aus Chodowiecki’s schönsten Kupferstichen“ (135 Stiche auf 30 Kartonblättern, nach den zum Theil sehr seltenen Originalen in Lichtdruck ausgeführt von A. Frisch in Berlin). Dieselbe Sauberkeit, Treue nud Sorgfalt, die wir an der Ausgabe des vorigen Jahres rühmten, weist auch die Neue Folge auf, deren durch ihre Seltenheit hervorragendste Perle das Portrait der Prinzessin Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen, der Gemahlin des Prinzen Wilhelm V. von Oranien ist. Diesem charakteristisch und fein ausgeführten schönen Portrait reiht sich würdig der „Abschied des Calas von seiner Familie“ an. Chodowiecki begründete durch dieses Oelgemälde, das er 1767 in der Größe des Originales zweimal in Kupfer stach, seinen Ruf. Ferner zeigt diese Neue Folge eine Anzahl jener kleinen geistvollen, flüchtig hingeworfenen, aber ungemein charakteristischen Figuren, die Chodowiecki in den Plattenrand radirte, aber meist nach wenigen Abdrücken ausschleifen ließ. Nur Wenigen dürften diese reizenden „Spielereien“ bekannt sein, die doch echte, rechte Kunstwerke sind, welche der Dunkelheit entrissen zu haben, ein großes und anerkennenswerthes Verdienst der Verlagsbuchhandlung ist. Die Mappe – in der geschmackvollen Ausstattung der vorjährigen – bietet in ihrem Inhalte dem künstlerischen Feinschmecker wie dem Kunstliebhaber eine Fülle reinen und schönen Genusses.

Eine andere Neue Folge ist der diesjährige, zweite, Jahrgang der „Münchener Bunten Mappe“ (München, Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft), zu der Münchener Künstler, Dichter und Schriftsteller ihr Bestes in Bild und Wort beigesteuert haben. Entzücken einerseits die reizenden Frauenköpfe von Defregger, Lenbach, F. A. Kaulbach, Löfftz etc., die anmuthigen Mädchengestalten von Herterich, Seifert, Papperitz etc. und die prächtigen Genrebilder von Raupp, Prölß, Fröschl etc., so fesseln uns andererseits die geist- und schwungvoll geschriebenen litterarischen Beiträge von Pecht, Maximilian Schmidt, Gregorovius, Graf Schack, Holtzendorff, F. v. Reber, Paul Heyse und die köstlichen Dichtungen von Julius Grosse, Wilhelm Hertz, Martin Greif, Karl Stieler, Lingg, Scherer etc. Aus diesem Reichthume greifen wir auf gut Glück das anmuthige Genrebild „Hänschen im Hemdchen“ von Karl Fröschl heraus (vergl. S. 801); die tiefsinnigen und zarten Beziehungen Hänschens zu einem alten Storche werden mit frischem Humor in dem hübschen Gedichte, welches dem Bilde beigegeben ist, näher erläutert:

Hänschen im Hemdchen
Verwundert sich sehr,
Wer der Herr Langbein
Dort oben denn wär’?
Sperrt auf die Aeugelein
Und auch das Mäulchen sein,
Ei, das ist wunderlich –
Hänschen im Hemdchen!

Hänschen im Hemdchen
Hat großen Verstand;
Guckt noch ein Weilchen
Und hat ihn erkannt.
Der hat ihn hergebracht,
’s war in der Frühlingsnacht,
Hat in das Gras gelegt
Hänschen – im Hemdchen?

Es ist eine vornehme Gesellschaft, die man in dieser „Bunten Mappe“ trifft, eine Gesellschaft, die mit Geist, Anmuth, Witz und Gemüth aufwartet und ein Werk ins Leben gerufen hat, das ihr wie dem bayerischen Athen an der Jsar zu hoher Ehre gereicht.

Wie die Münchener Künstlergesellschaft sich zu gemeinsamem fröhlichen Schaffen zusammeugethan, so hat auch die Wiener Genossenschaft der bildenden Künstler sich zu gemeinschaftlichem Unternehmen vereinigt, indem sie im Verlage von R. Lechner’s Hof- und Universitätsbuchhandlung das „Album in Bild und Schrift“ herausgiebt, das in tadelloser und sorgfältigster Ausführung 12 Radirungen und 18 mit Randzeichnungen verzierte Textblätter enthält. Auch hier offenbart sich das Bestreben, das Beste in ihrer Kunst zu bieten, und es würde schwer fallen, einem der Meister allein die Krone zuzusprechen. Die Bilder eines Defregger, Karger, Fröschl, Friedländer, Lichtenfels, Pausinger, Schäffer, Ungcr sind ebenbürtig den im Faksimile wiedergegebenen Texten von Rosegger, Baumbach, Anzengruber, Hamerling, Bauernfeld, Uhl u. A., und das Ganze ist nicht nur von hohem künstlerischen Werthe, sondern bietet auch Unterhaltung wie Anregung für den Laien.

Ein drittes gemeinsames Unternehmen ist die „Spanische Künstlermappe“, welche zu Gunsten der durch Erdbeben in Spanien Heimgesuchten von der Prinzeß Ludwig Ferdinand von Bayern und Maria de la Paz, Infantin von Spanien, herausgegeben ist (Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft, vormals Friedrich Bruckmann, in München). In klaren und schönen, getönten Lichtdrucken finden wir hier die Werke spanischer Künstler wiedergegeben, die zum Theil, wie Fortuny und Andere, unseren Lesern keine Fremden mehr sind und die ihren Ruf weit über die Grenzen ihres Vaterlandes hinausgetragen haben. Es sind Oelbilder, Aquarelle, Bleistift- und Kreidezeichnungen, die alle in charakteristischer und pointirter Weise spanische Typen zur Erscheinung bringen und unsere ganze Bewunderung erregen müssen.

Diesen genossenschaftlichen Unternehmungen stellen wir das großartige Werk eines einzigen Mannes gegenüber, eines Mannes allerdings, der bestimmt ist, einen Kaiserthron zu besteigen; wir meinen die „Orientreise“ des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich (Wien, Verlag der Hof- und Staatsdruckerei), ein reiches, lebendig und warm geschriebenes Werk voller Belehrung, das aber auch jener Unterhaltung nicht ermangelt, welche geistvolle Schilderungen von Land und Leuten bieten. Das Märchenland des Orient, die ernsten Stätten des Grabes des Erlösers, die eigenartige Pracht und Schönheit der Landschaften des goldigen Ostens haben auf den fürstlichen Reisenden einen tiefen Eindruck gemacht, der sich in fesselnden Schilderungen niederschlägt und von der scharfen Beobachtungsgabe und umfassenden Bildung des Verfassers zeugt. Die dazu gehörigen Zeichnungen Franz von Pausinger’s sind in guten Radirungen und Holzschnitten wiedergegeben.

Ueber dem Neuen soll man die Werthschätzung des guten Alten nicht vergessen, und der Gegensatz des Romantischen am Anfang unseres Jahrhunderts zu dem Realistischen und Naturalistischen am Ende desselben ist ebenso wohlthuend wie lehrreich. Mit Freuden begrüßen wir daher die illustrirte Prachtausgabe „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Joseph Freiherrn von Eichendorff – mit Heliogravüren nach Originalen von Philipp Grot Johann und Professor Edmund Kanoldt (Leipzig, C. F. Amelang’s Verlag), ein vornehm und geschmackvoll ausgestattetes Werk, das sich zahlreiche Freunde unter denen erwerben wird, die der derben Realistik eines Zola und seiner deutschen Nachäffer keinen Geschmack abzugewinnen vermögen.

Wirkt in den genannten Werken Wort und Bild einträchtiglich zusammen, so versucht ein unseren Lesern wohlbekannter Künstler, Paul Heydel, mit seiner „Heinrich von Kleist-Gallerie“ (Berlin, Verlag von Sophus Williams) allein durch die Beredsamkeit und treffende Charakterisirung seines Zeichenstiftes einen Erfolg zu erreichen. In 12 Kreidezeichnungen stellt er die Figuren und Hauptscenen aus Kleist’s Werken dar. Ein anderes Werk desselben Künstlers „Spatzen-Liebe und Leben“, dessen humoristische Zeichnungen Richard Schmidt-Cabanis mit witzigen, geist- und gemüthvollen Dichtungen begleitet, liegt bereits in 2. Auflage für den diesjährigen Weihnachtstisch bereit.

Ein ganz eigenartiges Werk ist das „Japan-Album“ von E. Klumsch (Leipzig, Verlag von M. Heßling). Es sind dekorative japanische Handzeichnungen, die ihrer Fremdartigkcit halber sicher Nachahmer finden und ihre Reproduktion an manchem Fries und mancher Wandfläche veranlassen werden.