Warum die Wähler für Cleveland stimmen sollen

Textdaten
Autor: Carl Schurz
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Titel: Carl Schurz an die Wähler ohne Unterschied der Partei
Untertitel: Warum sie für Cleveland stimmen sollen.
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Herausgeber: Vereinigung für die Erwählung Grover Clevelands
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Entstehungsdatum: 1892
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Erscheinungsort: New York?
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: 1892 Wahlflugschrift für Grover Cleveland
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[1]

Carl Schurz
an die
Wähler ohne Unterschied der Partei.


Warum sie für Cleveland
stimmen sollen.


Veröffentlicht durch die
Deutsch-Amerikanische
Vereinigung für die Erwählung
Grover Clevelands.


[2]

An die Cleveland und Stevenson Clubs von Kings County, die Herren Alexander E. Orr, u. A.


Meine Herren! Mit hoher Würdigung Ihrer Freundlichkeit danke ich Ihnen aufrichtig für die Auszeichnung, die Sie mir durch Ihr Ersuchen haben zu Theil werden lassen, die Fragen, welche jetzt vom amerikanischen Volke bei der kommenden Präsidentenwahl entschieden werden sollen, öffentlich zu besprechen. Um Ihren Wunsch zu erfüllen, würde ich mit dem größten Vergnügen vor einer öffentlichen Versammlung eine Rede halten, wäre ich nicht zu meinem größten Bedauern durch Krankheit davon abgehalten. Ich werde Ihnen jedoch schriftlich dasjenige vorlegen, was der wesentliche Inhalt meiner Rede sein würde. Sie erwiesen mir die Ehre zu sagen, daß „es meine Gewohnheit gewesen ist, öffentliche Fragen nicht nur mit uneigennütziger Offenheit zu discutiren, sondern auch mit besonderer Rücksicht auf die größeren und dauernden Interessen des ganzen Landes statt auf die Parteiinteressen des Augenblicks.“ Dies ist wenigstens immer mein Bestreben gewesen und ich werde Ihnen nun mit vollständiger Aufrichtigkeit vorlegen, was, meiner Meinung nach, die wichtigen Folgen der Entscheidung des Volkes bei der nächsten Wahl sein werden. Der Ton Ihres Briefes giebt mir die Versicherung, daß ich zu Männern rede, die immer gewissenhaft in Erwägung ziehen, in welcher Weise sie den öffentlichen Interessen am Besten dienen können, ehe sie zum Entschluß kommen, wie sie stimmen werden.

Die demokratische Republik die beste Regierungsform.

Man sagt uns, daß der Tarif die Hauptfrage dieses Wahlkampfes ist. Gewiß unterschätze ich die Wichtigkeit dieser Frage in keiner Richtung, aber ich sehe dieselbe nur als einen Theil einer viel umfassenderen Frage an, welche nicht bloß ökonomischen, sondern politischen Characters ist und die allgemeine Wirksamkeit, in der That die Lebensfähigkeit unseres demokratischen Systems in sich schließt. Und das ist von weit größerem Belang als bloße Rücksichten des materiellen Interesses. Fassen wir unsern gegenwärtigen politischen Zustand ins [3] Auge. Es ist unter uns eine Schule von Pessimisten aufgewachsen, die, so oft irgend etwas verkehrt geht, bereit sind zu erklären, daß die demokratische Regierungsform ein Mißerfolg ist, und die an der Republik verzweifeln. Ich meine hier nicht die unbedeutende und lächerliche Klasse von armen Wesen, welche thun, als ob sie sich schämten, sich Amerikaner zu nennen, welche die Sitten fremder Aristokraten nachäffen und fremden Titeln nachlaufen. Diese sind einfach Gecken. Vielmehr meine ich gewisse, viel ernsthaftere Personen, welche die Betrachtung der häufigen Fehlschläge in der Führung der Volks-Regierung zu kleinmüthigen Schwarzsehern gemacht hat. Wenn ihr trauriger Gemüthszustand sie nur dazu anregte, schärfer zu kritisiren, so würde er keinen Schaden thun und möchte sogar Gutes wirken; aber wenn er so weit geht, jeden Versuch einer Besserung als unnütz zu entmuthigen, so ist er in der That schädlich. Ich erlaube mir, diese Pessimisten daran zu erinnern, daß, wenn sie dieselben Methoden der Kritik und dieselben Schlußfolgerungen, durch welche sie unsere demokratische Regierung als einen Mißerfolg beweisen wollen, auf aristokratische oder monarchische Regierungsformen anwenden, sich diese sicherlich ebenso als Mißerfolge darthun weden; und so auch jede andere Art von Regierung, bis sie zuletzt zu dem Schlusse kommen, daß alle Regierungsformen Mißerfolge sind, und daß es durchaus nutzlos ist, irgend eine zu versuchen. Nur die Anarchie wird ihnen bleiben und es ist nicht wahrscheinlich, daß sie diese zu einem Erfolge machen werden.

Ich für mein Theil, obgleich ich über die Zeit jugendlicher Illusionen hinaus bin, glaube, daß eine demokratische Republik sich als die beste Regierungsform erweisen wird, selbst wenn sie nicht etwa von Engeln administrirt wird, sondern von einem im Ganzen tugendhaften, selbstachtenden, geduldigen, sich selbst beherrschenden, vernünftigen, fleißigen, Freiheit, Frieden und Ordnung liebenden Volke, und daß die Amerikaner in demselben Maaße, wie sie ein solches Volk sind und bleiben, diese eine Regierung erfolgreich aufrecht erhalten und unter ihr stark und glücklich sein werden. Es muß wesentlich eine Regierung der öffentlichen Meinung sein, ausgesprochen in den Formen des Gesetzes. Solch eine Regierung wird natürlich ihre Unzulänglichkeiten haben und ihre Irrthümer begehen, vielleicht sehr ernstliche und viele davon. Aber so lange wie das Wachsthum und die Wirkung der öffentlichen Meinung in dem Staatswesen frei und echt ist, mag der gesunde Verstand des Volkes zuversichtlich damit betraut weden, im Laufe der Zeit begangene Irrthümer wieder gut zu machen, an bestehenden Uebeln abzuhelfen, – vielleicht nicht vollständig oder vollkommen, wohl aber in hinreichendem Maaße, um Alles schließlich zu gutem Ende zu führen, unser Regierungssytem im besten Gange zu halten [4] und unserm Volke mehr Freiheit und Zufriedenheit zu sichern, als es in irgend einer anderen Weise haben würde. Es mag paradox klingen, aber dies ist das Land, in welchem, wenn es so regiert wird, die Angelegenheiten im Detail schlecht, aber im Ganzen doch gut gehen mögen. Dies ist wahr und wird es bleiben, vorausgesetzt, daß wir nicht gewisse böse Einflüsse in unserem politischen Leben, welche das Wachsthum einer ehrlichen öffentlichen Meinung im Volke zu verhindern und den Ausdruck derselben zu verfälschen geeignet sind, weiter bestehen und stärker werden lassen als sie jetzt sind. Die offenbarsten dieser üblen Einflüsse in der Politik, von denen ich spreche, sind Geld und die Maschine.

Geld und Maschine.

Ich weiß, es ist immer etwas Geld in unseren Wahlen für durchaus berechtigte Zwecke gebraucht worden und so wird es auch bleiben; aber es ist eine offenkundige Thatsache, daß jetzt Summen in Präsidentenwahlen oder gar in Staatswahlen gebraucht werden, welche man vor einer Generation für fabelhaft angesehen haben würde; daß die Wahlen von Senatoren der Vereinigten Staaten durch gewisse Legislaturen finanzielle Arrangements veranlassen, so bedeutend wie die Gründung einer großen Bank; daß in einigen Congreßdistrikten und sogar Munizipalitäten die Kosten eines Wahlfeldzuges enorm sind; daß viel von diesem Gelde gebraucht wird für Bestechungen verschiedener Art; daß nicht wenig Wählerschaften, die vor kurzer Zeit noch rein waren, jetzt durchaus corrupt sind; und daß dieses Uebel sich in letzter Zeit von Jahr zu Jahr beständig ausgebreitet hat. Wir haben es so weit gebracht, daß das Aufbringen von großen Summen für den Gebrauch bei den Wahlen officiell als eine hohe politische Function anerkannt wird, die Auszeichnung verdient. Blicken Sie auf Herrn John Wanamaker, dessen einziger Anspruch auf den Rang eines Staatsmannes als er zum Kabinetsminister gemacht wurde, in dem Aufbringen eines großen Wahlfonds bestand, der von seinem Bruder-Staatsmann Matt Quay da ausgegeben wurde, wo er die größten Wirkungen erzielen würde. Und die Offenheit und der Ernst, mit welchem Parteiführer heut zu Tage die Statistiken der käuflichen Stimmgeber – der sogenannten „floaters“ – und die Methoden, dieselben aufzukaufen und überwachen, erörtern, beweisen, daß dieser Theil der Partei-Kriegführung zu der Würde eines anerkannten und wichtigen Zweiges der Wissenschaft der praktischen Politik erhoben worden ist; und die Meister darin werden mit Dankbarkeit als unvergleichliche Staatsmänner und politische Führer gepriesen.

Was die Maschine betrifft, so hören wir zuweilen wohlmeinende [5] Leute sagen, daß eine gewisse Art von Parteimaschine nothwendig sei. Lassen Sie uns unterscheiden. Patriotische Bürger bilden eine Partei, weil sie wesentlich dieselben Zwecke des öffentlichen Interesses im Auge haben. Sie suchen diese Zwecke durch organisirte Anstrengung zu befördern und zu diesem Ende bilden sie Committees und Clubs und was sonst zu einer wirksamen Organisation gehören mag, und alle diese Vereinigungen bestehen aus Männern, die von dem Wunsche, dieselben öffentlichen Zwecke zu befördern, beseelt sind. Dieses ist eine gesunde, berechtigte Partei-Organisation. Was ist die Maschine? Eine Organisation innerhalb einer Partei, bestehend aus Aemterhaltern und Aemtersuchern oder beiden, welche einem öffentlichen Zwecke scheinbar dienen, um diesen Zweck ihren eigenen Interessen dienen zu lassen; Politiker, vereint zu gegenseitiger Unterstützung und Beförderung; stramm disciplinirt unter schlauen und energischen Führern, in erster Linie suchend, die Partei zu beherrschen, zu welcher sie gehören, um in den Siegen derselben ihre Beute zu finden; bestrebt, ihre „Kaukusse“ und ihre nominirenden Conventionen zu kontrolliren, so daß nur solche Männer für öffentliche Stellungen von Macht und Geldwerth ausgesucht werden, auf die sie sich, was ihre Interessen betrifft, verlassen können; und sich wenig oder gar nicht um irgend eine Sache, irgend eine Partei oder irgend einen Kandidaten kümmern, es sei denn, daß ihr Interesse gesichert ist. Sie mögen zuweilen mit scheinbarem Eifer einen Kandidaten unterstützen, von dem sie keine Dienste zu erwarten haben; aber nur, weil sie sonst ihre Stellung in der Partei auf’s Spiel setzen und damit künftige Gelegenheiten verlieren würden. Dieses ist die Maschine. Ob sie nun nur in Municipalitäten operirt, oder ihre Macht über ganze Staaten ausbreitet, ihr Geist ist derselbe. Ihr Geist ist auch nicht sehr verschieden, wenn die Beamten der National-Regierung in den politischen Dienst gepreßt werden, um persönliche Zwecke zu befördern. Im Ganzen mag gesagt werden, daß die Entwickelung des Partei-Organisationswesens in den letzten Jahren vielfach in der Richtung der Maschinenmethoden stattgefunden hat.

Was wird nun die Wirkung von all diesem auf unser politisches Leben sein? Der unrechtliche Gebrauch von Geld in Wahlen korrumpirt die öffentliche Meinung; die Maschine, soweit ihr Einfluß reicht, strebt durch selbstsüchtige, wohldisciplinirte Organisation, die öffentliche Meinung zu unterdrücken, zu verfälschen, zu knechten, und so dienen beide, die eigentliche Quelle des demokratischen Regierungswesens zu vergiften. Sie thun noch mehr. Sie dienen dazu, eine Klasse von grundsatzlosen, selbstsüchtigen, käuflichen Politikern zu erziehen und Männer, die mit patriotischem Ehrgeiz das öffentliche Wohl [6] nach ihrer besten Ueberzeugung zu fördern wünschen, aus dem öffentlichen Leben zu vertreiben. Wo immer Geld und die Maschine Einfluß haben und erfolgreich sind, da lehren sie die Jugend dieses Landes, daß nicht Fähigkeit, Kenntnisse, Rechtlichkeit, Patriotismus, Pflichttreue sie in öffentlicher Stellung halten werden, sondern daß knechtische Unterwerfung unter eine selbstsüchtige Organisation, die Willigkeit, dieser Organisation alle höheren Zwecke zu opfern, zum politischen Erfolg nothwendig sind, daß die niedrigen Künste des politischen Drahtziehers mehr werth sind, als wahre Staatskunst; daß diejenigen, welche sich beständig von Grundsätzen und einem hohen Pflichtgefühl beunruhigen lassen, unpraktische Schwärmer und Stutzer und Pharisäer sind; daß solche Narren zuweilen aufzukommen scheinen, aber nicht für lange Zeit, daß derjenige, welcher in der Politik zu prosperiren wünscht, solche einfältige Ansichten bei Seite werfen muß, daß er, wenn er reich ist, sein Geld freigebig ausstreuen muß, ohne zu fragen, wohin es geht, oder wenn er Fähigkeiten besitzt, er diese Fähigkeiten rückhaltlos der Organisation auf Wohl und Wehe zu Diensten stellen muß. Wie diese Sorte von politischer Wirthschaft praktisch arbeitet, wo Geld und die Maschine einflußreich sind, wissen wir von der Erfahrung von Munizipalitäten und Staaten. Wie sie wirken würde, wenn sie über die ganze Nation ausgedehnt würde, können wir uns blos vorstellen. Diese Uebel sind nicht auf eine Partei beschränkt. Beide haben sich für ihre Sünden zu verantworten. Aber eine gewissenhafte Untersuchung der jüngsten politischen Geschichte und unseres jetzigen Zustandes hat mich zu dem Schlusse gezwungen, daß in der republikanischen Partei infolge eigenthümlicher Umstände diese Tendenzen zu ihrer gefährlichsten Entwickelung gekommen sind.

Die republikanische Partei als die Vertreterin politischer Corruption.

Ich kann das nicht von der republikanischen Partei aussprechen ohne ein Gefühl tiefsten Bedauerns. Politisch wuchs ich in und mit dieser Partei auf. Während ihrer großen Bestrebungen für menschliche Freiheit sah ich in ihr alles, was edel und gut war. In ihren Kämpfen genoß ich den glorreichen Sonnenschein eines jugendlichen Enthusiasmus, ungestört durch Zweifel oder böse Vorahnungen; und was von Ehre und Auszeichnung im öffentlichen Leben mir zugefallen ist, das genoß ich unter ihren Auspicien. Ich hing ihr an mit fast kindlicher Liebe und ergebener Treue und hoffte alle Tage meines Lebens zu ihr zu gehören. Aber der Bürger einer Republik darf sich nicht erlauben, zu vergessen, daß die Pflicht seinem Lande gegenüber ihm heiliger sein [7] muß, als alles Parteigefühl und alle Parteiverbindlichkeit und daß er kein Recht hat, sich von dieser Pflicht ableiten zu lassen, selbst von der Mahnung der Dankbarkeit. Ich weiß wohl, das Pflichbewußtsein ist verschieden und führt Menschen verschiedene Wege. Ich habe den Pfad zu gehen, den meine Ueberzeugung mich führt, obgleich er mich hinwegführt von dankbarer Anhänglichkeit und von lieben Erinnerungen. Die republikanischen Partei hat in der That eine glorreiche Vergangenheit. Sie entstand auf den Ruf des Volksgewissens, welches sich gegen die Ausbreitung der Sklaverei empörte. Dies gab ihr ihren Titel der „Partei der Freiheit und der sittlichen Ideen!“ Sie führte die Regierung während des Krieges für die Union und unter ihren Auspicien wurde das Leben der Nation gerettet. Dies machte sie zu ihrer Zeit in hervorragender Weise zu der Partei des nationalen Patriotismus. Ihre Zielpunkte waren einfach, klar und edel; ihr Geist der der patriotischen Opferwilligkeit. Aber als sie ihren ersten großen Zweck erfüllt, als der Krieg beendet war und das Werk der Reconstruction begann, da schlich sich die Machtbegierde in ihren Rath. Während das Leben der Union noch in der Waagschale der Schlachten hing, waren die Republikaner, und nicht ohne Grund, überzeugt, daß die republikanische Partei im Besitze der Macht sein müsse, um die Republik zu retten und daß, um diese Machtstellung zu erhalten, der Zweck die Mittel heiligen würde. Dieser Glaube wurzelte sich so tief bei einer großen Menge von Republikanern ein, daß, selbst als die Lebenskrisis vorüber war, sie fortfuhren, irgend einen Versuch, die republikanische Partei aus der Gewalt zu drängen, als ein schändliches Verbrechen, fast als Hochverrath anzusehen; und sie gaben ihre Zustimmung selbst zu den willkürlichsten Maßregeln, welche zu jener Zeit beschlossen wurden, um die früheren Rebellenstaaten unter Herrschaft zu halten, als Maßregeln, welche durchaus für die Beschützung der befreiten Sklaven und die Erhaltung der Union nöthig wären.

Aber die Vorurtheile und Leidenschaften des Bürgerkrieges konnten nicht für immer lebendig gehalten werden, um die Nothwendigkeit der republikanischen Herrschaft zu beweisen. Die Leute fingen zuletzt an zu denken, daß die Anti-Sklaverei und die Unionrettungsmission der republikanischen Partei nun wirklich erfüllt sei. Dann wurde die Tariffrage in den Vordergrund geschoben. Durch die Erfordernisse des Krieges, deren sich die Protectionisten mit großer Schlauheit bedienten, war die republikanische Partei in die Schutzzoll-Politik hineingezogen worden. Der Schutzzoll war jedoch zuerst dargestellt worden als eine bloße Kriegsmaßregel, als eine zeitweilige Nothwendigkeit, und nach dem Kriege war die Beibehaltung des Schutzzoll-Systems mit allerlei Entschuldigungen und mit beständigen Versprechungen einer Tarif-Revision [8] in der Richtung niedrigerer Steuersätze befürwortet worden. In den Wahlkämpfen hatte der Tarif nur an der Seite anderer Streitfragen figurirt, auf welche sich die republikanische Partei zur Erringung des Erfolges verließ. Selbst dann in solcher Ausdehnung hatte auch unsere Tarif-Politik angefangen, einen sehr schädlichen Einfluß auf die Denkweise und den Character des amerikanischen Volkes auszuüben. Die Amerikaner waren in ihrem täglichen Leben, in der Anwendung ihrer Energie, in ihren Unternehmungen, in ihren Kämpfen um Erfolg auf jedem Felde geschäftlicher Thätigkeit das unabhängigste, selbstvertrauendste, energischste Volk in der Welt gewesen. Diese Eigenschaft war die wirkliche Glorie des amerikanischen Bürgerthums. Ihr mehr als irgend etwas anderem verdankte das amerikanische Volk seine raschen Fortschritte, seine Prosperität, seine Größe, ja selbst die Erhaltung des Lebenselements seiner demokratischen Staatseinrichtungen. Aber das Schutzzollsystem in seiner jüngeren Ausdehnung über ein beständig sich erweiterndes Feld lehrt, ja, es verführt, nicht eine bloße Handvoll von Fabrikanten, sondern fast alle Klassen des Volkes in allem was sie thun, zu der Regierung um Unterstützung, Hülfe und Schutz gegen Verlust hinaufzublicken. Ich behaupte und ich kann nicht zu viel Nachdruck darauf legen: Jedes ökonomische System, welches die Wirkung hat, den Geist des Selbstvertrauens, der Selbsthülfe, der individuellen Verantwortlichkeit im Volke zu schwächen und es zu veranlassen, stets zu einer väterlichen Regierung aufzublicken für das, was es für sich selbst thun sollte, – jedes solches System wird den Nationalcharacter verschlechtern, wird im Laufe der Zeit unsere freien Institutionen untergraben und ist wesentlich ein unamerikanisches System. Dieses System bringt gerade jetzt eine sehr characteristische Frucht hervor.

Die Republikaner als Geschäftstheilhaber der Geldmacht.

Im Jahre 1884 ereignete sich etwas, was die republikanischen Politiker stets als gleichbedeutend mit der Zerstörung unseres Landes dargestellt hatten. Die Republikaner wurden in der Präsidentenwahl geschlagen. Ein demokratischer Präsident nahm das Steuerruder der Nationalregierung in seine Hand, und noch mehr, das Land wurde nicht zerstört. Die demokratische Administration erwies sich als durchaus conservativ, patriotisch und sicher. Das alte politische Kapital, mit welchem die republikanische Partei so manche Jahre erfolgreich gewirthschaftet hatte, war unwiederbringlich verloren. Etwas Verzweifeltes mußte gethan werden, um die verlorene Gewalt wieder zu gewinnen, und es wurde gethan. In ihrer National-Convention von [9] 1888 lieferte sich die republikanische Partei, Leib und Seele, der Geldmacht aus, die an dem Schutzzoll interessirt war, von ihr die nöthige Hülfe in der Wahl zu erwarten.

Ich weiß, das ist eine schwere Behauptung. Aber wenn Sie von ihrer Wahrheit noch nicht überzeugt sind, so brauchen Sie nur die Geschichte des Wahlkampfes von 1888 zu studiren und das, was folgte. Da war nicht das geringste Verlangen im Volke, daß die Zollraten erhöht werden sollten. Die Republikaner hatten bis dahin das Wünschenswerthe der Erniedrigung der Raten zugegeben und nur gefordert, daß sie als die Freunde des Systems mit den zu machenden Aenderungen betraut werden sollten. Aber im Jahre 1888 wechselte die Scene. Mit cynischem Freimuth gaben die republikanischen Führer den durch den Tarif begünstigten Fabrikanten zu verstehen, indem sie dieselben offen als die aus dem Tarif nutzenziehende Klasse anerkannten, daß, wenn sie nicht „das Fett aus sich braten ließen“ zum Nutzen der republikanischen Partei, sie keine weiteren Begünstigungen auf dem Wege des Tarifs erwarten dürften, in der That, der Tarif mochte dann auch wohl zu Grunde gehen, aber daß man für sie gut Sorge tragen werde, wenn sie ordentlich bezahlten. Die republikanische National-Convention ging in Bezug auf den Schutzzoll aufs Aeußerste. Ein Ausblick auf unbegrenzte Zollerhöhung wurde eröffnet. Der Proceß des „Fettausbratens“ ging kräftig von statten, die durch den Tarif Begünstigten machten ihre Beiträge mit Freigebigkeit. Die republikanische Kriegskasse empfing nie dagewesene Summen Geldes, um von Herrn Matt Quay verwendet zu werden. So wurde der Sieg gewonnen. Dann verlangten und empfingen die hülfreichen Begünstigten des Schutzzollsystems ihre Belohnung und diese Belohnung war der McKinley Tarif. Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, daß für nicht wenige der neuen Zollsätze kaum ein anderer Grund angegeben werden konnte, als daß sie verlangt worden waren, und das Verlangen danach war verstärkt worden durch das Argument, daß sie verdient worden seien.

Ich werde hier nicht die ökonomische, sondern nur die politische Seite des McKinley Tarifs diskutiren, welche mir bei Weitem die wichtigste scheint.

Wie schon oft gesagt worden ist, die natürlichen Hülfsquellen des Landes sind so enorm, daß in einem gewissen Sinn es auch auf lange Zeit hinaus prosperiren kann trotz einem noch so fehlerhaften ökonomischen System, oder daß, wenn es leidet, es sich schnell wieder erholen wird. Das amerikanische Volk kann es aushalten, von einigen Günstlingen geplündert zu werden in dieser oder irgend einer anderen Weise, ohne Gefahr vor unersetzlichem Schaden. Aber, ob es nun so [10] geplündert oder – wie die Protectionisten sagen – durch dieses System „bereichert“ wird, was das amerikanische Volk ohne Gefahr dauernder Schädigung nicht aushalten kann, ist die politische Demoralisation, welche diese Sorte von Schutzzollpolitik unabwendbar mit sich bringt. Das ist eine Verschlechterung des Blutes.

Untersuchen Sie den Fall mit Sorgfalt und Aufrichtigkeit. Die republikanische Partei als die Befürworterin des Hochschutzzolls nennt sich gern die Vorkämpferin der amerikanischen Arbeit. Der einzige Vorwand für diesen Anspruch liegt in der Thatsache, daß die republikanische Partei durch ihre Schutzzollpolitik gewisse Arbeitgeber reicher macht und dann die Hoffnung ausdrückt, sie werden so freundlich sein, ihren Arbeitern mehr als die Marktraten des Lohnes zu bezahlen, nach dem bekannten Plane der Wohlthätigkeit, welcher darin besteht, die Reichen noch reicher zu machen, damit sie besser für die Armen sorgen können. Thatsächlich ist die republikanische Partei die Vorkämpferin der Kapitalisten, die Nutzen ziehen aus dem Tarif, der gewisse Industrien beschützt. Das in diesen Industrien angelegte Kapital bildet eine riesige Geldmacht, welche für die Größe ihrer Profite von Vergünstigungen durch Gesetzgebung abhängt und daher darin interessirt ist, für ihren eigenen Nutzen die Gesetzgebung zu beeinflussen. Mit dieser Geldmacht zusammengeschlossen durch ein gemeinschaftliches Interesse hat die republikanische Partei eine Art Compagnie-Geschäft und nicht einmal sehr stillschweigend, in dieser Weise: Die Geldmacht soll alles thun, was sie kann, um die republikanische Kriegskasse für die Nationalwahlen zu füllen, damit die republikanische Partei im Besitze der Regierung bleibe. Die republikanische Partei ihrerseits soll alles thun, was sie kann, in Betreff der Schutzzollgesetzgebung, um die Geldmacht im Genuß größerer finanzieller Profite zu erhalten. Und je größer diese Profite sind, um so fähiger und um so williger wird die Geldmacht sein, der republikanischen Partei mit einem großen Corruptionsfond unter die Arme zu greifen, um die nächste Wahl zu kaufen, natürlich in der Erwartung, daß die Geldmacht für sich selbst reiche Rückzahlung in der Gestalt von noch profitableren Tarifgesetzen erhält.

Das alte Lied.

Zwar sagen uns die Republikaner, daß der McKinley-Tarif der Schlußact der Schutzzollpolitik sei und daß darüber hinaus nichts mehr verlangt werde. Das ist das alte Lied. Ich kenne es genau. Dieses Land hat niemals einen Schutzzoll in seiner ganzen Geschichte gehabt, von welchem, ehe man ihn zum Gesetz machte, nicht behauptet wäre, es sei das äußerste Maß desjenigen, was verlangt werden würde; und [11] doch nachdem er zum Gesetze gemacht worden war, begann sogleich wieder das Geschrei nach mehr Schutzzoll, nach höheren Zollen. Dieses ist nicht allein die Erfahrung dieses Landes, sondern der ganzen Welt. Es liegt in der Natur des Hochschutzzollsystems. So wird es auch mit ihrem McKinley-Tarif gehen, wenn die Republikaner mit der Gewalt betraut werden; man wird mehr verlangen und mehr wird von der republikanischen Partei gegeben werden, für weitere Geldunterstützung die nothwendig ist, um die Partei im Besitze der Gewalt zu erhalten. Aber selbst wenn die Zölle nicht erhöht werden, so würde das Parteigeschäft in Bezug auf die Erhaltung der jetzt bestehenden im Wesentlichen dasselbe bleiben.

Der Hase im Pfeffer

Hier höre ich Leute antworten: „Aber ist es nicht ganz natürlich, daß diejenigen, die durch den Tarif begünstigt werden, Geld zuschießen sollten für den Erfolg der Hochschutzzollpartei und daß diese Partei dann ihr Bestes für den Nutzen ihrer Unterstützer thut?“ Ganz natürlich? Ja, aber gerade da liegt der Hase im Pfeffer! Daß wir eine ökonomische Politik haben, welche Beziehungen, die den Kauf und Verkauf von Gesetzen einschließen, zwischen einem Geldinteresse und einer politischen Partei, ganz natürlich oder in der That fast unvermeidlich erscheinen macht, gerade das ist die bezeichnende, die furchtbare Thatsache! Daß wir jetzt schon so viele Leute sehen, die solch einen Handel vollkommen natürlich finden und über denselben mit der größten Kaltblütigkeit sprechen, wie von einem ganz gewöhnlichen Geschäfte, gerade das beweist, wie weit der furchtbar demoralisirende Einfluß einer solchen Politik schon sein Werk gethan hat. Wer war da im Jahre 1888, der es wagte, Col. Dudley’s berüchtigtes Cirkular in Bezug auf den Aufkauf der käuflichen Stimmgeber in Blocks of Five zu vertheidigen? Die Demokraten denuncirten es mit Entrüstung; die Republikaner suchten es beschämt zu vertuschen. Selbst Herr Harrison, der von der Arbeit seinen Nutzen gezogen hatte, welche mit dem aus den Fabrikanten gebratenen Fett gethan worden war, sah es für passend an, Col. Dudley von der Gunst seines Angesichts zu verbannen. Und doch, würde nicht das Aufkaufen der Blocks of Five und Alles, dessen Col. Dudley angeklagt war, wenn es allein stände, unverbunden mit einem weitreichenden System, blos eine Kleinigkeit gewesen sein, verglichen mit dem großen Kauf und Verkauf von Gesetzgebung für finanzielle Unterstützung zwischen der republikanischen Partei und der Geldmacht, die durch den Tarif begünstigt ist? Ein Handel, von dessen Ausführung Col. Dudley’s Plan nur ein bescheidenes, wenn auch bezeichnendes Detail war?


[12] Wir Alle stimmen überein betreffs der furchtbaren Gefahren für die Lebensfähigkeit unserer freien Staatseinrichtungen, die aus dem unrechtlichen Gebrauch von Geld in Wahlen entspringt. Aber kennen Sie unter allen Methoden des Geldgebrauchs in Wahlen eine einzige, die weitergreifender ist und auf die Dauer schlimmere Ergebnisse hervorzubringen droht, als die systematische Anlage von Geld durch eine große Geldmacht in einer politischen Partei, um durch diese Partei gesetzliche Gewinne zu erlangen, die dem Anleger des Geldes große pekuniäre Profite sichern soll? Können Sie irgend eine wirksamere Maschinerie erdenken für die Anwendung von Geld in Wahlen und Allem, was darin eingeschlossen ist, als eine große politische Partei, verschwenderisch subventionirt von reichen Leuten und Korporationen, welche durch diese Partei den Erlaß oder die Erhaltung von Gesetzen suchen, die sie noch reicher machen sollen? Ich sage Ihnen, der böse Geist in den höchsten Flügen seiner Phantasie kann nicht eine sicherere Methode erfinden, das politische Leben eines Volkes, das sich durch das allgemeine Stimmrecht selbst regiert, hoffnungslos zu demoralisiren, als eine Politik, welche in den allgemeinen Wahlen einen Preis von ungezählten Millionen Geldes aussetzt, welcher Preis von einer starken Geldmacht gewonnen werden soll durch den Sieg einer politischen Partei des Landes. Die Folgen sind unvermeidlich!

Quay's und Dudley's republikanische Nothwendigkeiten

Sie mögen sagen, daß trotz Allem es viele gute Männer unter den Führern und in den Reihen der republikanischen Partei giebt. Zweifellos giebt es viele. Verstehen Sie mich richtig. Ich meine gewiß nicht zu sagen, daß ein Mann, der der Schutzzoll-Theorie anhängt, nicht dabei ein durchaus ehrenhafter Mann sein kann, und daß die Massen der Schutzzollpartei nicht zu einem sehr großen Theile aus solchen ehrlichen und patriotischen Leuten bestehen könnten, die nur das Wohl des Landes im Auge haben. Es ist unfraglich! Ich meine nicht zu sagen, daß es nicht Corruption oder Geldgebrauch in der Wahl auf der demokratischen Seite gegeben hat, denn ich glaube, es hat solche gegeben. Ich meine nicht zu sagen, daß die Schutzpolitik die ursprüngliche Quelle der Corruption und des Gebrauchs von Geld in den Wahlen ist, denn ich weiß, daß ein gewisses Maß dieser Uebelstände existirt hat und noch existiren mag ohne dieselbe. Ebensowenig meine ich zu sagen, daß die Generalbevollmächtigten der republikanischen Partei und die Generalbevollmächtigten der vom Schutzzoll begünstigten Fabrikanten sich zusammen hingesetzt und förmlich einen Corruptions-Kontrakt [13] geschrieben, unterzeichnet, besiegelt und sich gegenseitig ausgeliefert haben. Was ich sagen will, ist, daß, nachdem die Hochschutzpolitik unter den erwähnten Umständen angenommen wurde, der Vertrag sich selbst machte und gegenseitig verstanden wurde, ohne daß er unterzeichnet und besiegelt wurde, aber gerade so gut, als ob er es gewesen; daß die Kampagnebeiträge thatsächlich von der Geldmacht der Partei übergeben wurden in der Erwartung von höheren Tarifraten, die größere Profite liefern würden; daß die höheren Tarifraten wirklich gemacht wurden in der Erwartung von weiteren und größeren Campagne-Geldbeiträgen von Seiten der Fabrikanten. Was ich sagen will, ist, selbst wenn ich einmal zugeben wollte, daß – wie die Republikaner es verstehen – das Wohl des Landes das Hauptziel und die Geldbeiträge der Begünstigten der Schutzzollpolitik eine bloße beiläufige Thatsache sei, diese beiläufige Thatsache, was die Demoralisation unseres politischen Lebens betrifft, praktisch dieselbe Wirkung haben wird, als wäre sie der Hauptzweck. Was ich sagen will, ist, daß während die Hochschutzzollpolitik nicht die einzige Quelle der politischen Korruption ist, sie in ihrer jetzigen Entwickelung doch der bösartigste und gewaltigste Beförderer derselben ist und daß sie unvermeidlich in der Natur der Dinge, wenn sie fortfährt, einen Zustand politischer Entsittlichung hervorbringen wird, welcher im höchsten Grade der Lebenskraft unserer freien Institutionen gefährlich ist. Was ich sagen will, ist, daß die republikanische Partei, wie groß auch ihre Geschichte gewesen und wie ehrlich und wohlmeinend auch viele ihrer Führer und die Massen ihrer Gefolgschaft sein mag, durch die natürliche Wirkung ihrer Hochschutzpolitik zu der mächtigsten Maschine der politischen Corruption im großen Style wird, die dieses Land jemals gesehen hat. Es ist nutzlos, auf die Thatsache hinzuweisen, daß Dudley hinter die Front geschickt wurde, und daß Quay in Folge seiner Vergangenheit den Vorsitz in dem republikanischen National-Committee aufzugeben hatte, als einen Beweis der Gewalt tugendhafter Einflüsse. Machen Sie sich keine Illusionen! So lange die republikanische Partei diesen Preis von ungezählten Millionen als Gewinn in der Nationalwahl ausgesetzt hält, um eine starke Geldmacht darum spielen zu lassen, so lange wie die republikanische Partei willens ist, sich zu ihren politischen Siegen von dieser Geldmacht helfen zu lassen und dann ihre Wünsche zu erfüllen, so lange wird sie ihre Quays und Dudleys nöthig haben für die Arbeit, die zu thun ist, und sie wird sie auch haben unter irgend welchem Namen.

Und ihre unschuldigen guten Leute werden eines schönen Tages aufwachen und sich die Augen reiben und sich wundern, bei was für einer Sorte von Arbeit sie mitgewirkt haben. Vor zwei oder [14] drei Jahren sprach der republikanische Senator Ingalls folgende politische Grundsätze aus:

„Die Reinigung unserer Partei ist eine Seifenblase. Regierung ist Gewalt. Politik ist der Kampf um den Besitz der Gewalt. Parteien sind die Armeen. Die zehn Gebote und die goldene Regel haben keinen Platz in einem politischen Wahlkampf. Der Zweck ist Erfolg. Im Kriege ist es gesetzlich, Hessen zu miethen, Söldlinge zu kaufen, zu verstümmeln, zu tödten, zu zerstören. Der General, der eine Schlacht verliert durch die Feinfühligkeit seiner moralischen Natur, wird der Spott und der Spaß der Geschichte sein. Dieses moderne Geschwätz über die Corruption der Politik ermüdet mich auf's Aeußerste.“

Als ihm die erstaunliche Natur dieser Aeußerungen vorgehalten worde, soll er geantwortet haben, daß sie nicht der Ausdruck seiner eigenen Gesinnung sei, sondern eine Beschreibung des thatsächlichen Zustandes. Sie ist auch eine wahrhaftige Beschreibung unserer politischen Kriegführung, wie die Hochschutzzollpolitik sie gemacht hat, eine politische Kriegführung mit einem hohen Geldpreise. Alles dies hat mich überzeugt, daß aus Gründen, die höher stehen als bloße ökonomische Rücksichten, die Interessen des Landes die Niederlage der republikanischen Partei und ihres Kandidaten, Herrn Harrison, verlangen, es sei denn, daß es Gründe von überwältigender Wichtigkeit gebe gegen die Wahl des Kandidaten der demokratischen Partei, Herrn Cleveland.

Die demokratische Partei.

Was die demokratische Partei betrifft, so glaube ich, mich keinen Illusionen hinzugeben. Sie hat ihren Antheil von hochsinnigen, patriotischen und fähigen Männern, und sie hat ihre schlechten Elemente. Ich übersehe die dunklen Stellen in ihrer Geschichte nicht. Sie hat ihre Perioden versumpfter Parteigängerei gehabt. Sie hat ihre Schwächen als eine Partei, die lange aus der Gewalt gewesen ist und somit wenig geübt ist in den Verantwortlichkeiten der Regierung und gewohnt ist an die Gefühle und Handlungsweisen einer Opposition. Selbst in diesem Lichte möchte sie betrachtet werden als eine handliche, vielleicht als die einzige vorhandene Keule, um damit ein gefährliches Unwesen niederzuschlagen. Aber sie ist jetzt etwas mehr als das. Sie hat nicht allein eine schlechte Sache, um dagegen, sondern auch eine gute Sache, um dafür zu kämpfen. Sie hat wieder eine lebensfähige Politik. Ihre besten Elemente sind von neuer Hoffnung beseelt. Sie zieht die junge Intelligenz des Landes zu sich heran. Denkende Männer, alt und jung, in thätiger Sympathie mit den besten Interessen des amerikanischen Volkes, geben ihr ihre Unterstützung, seitdem sie in ihr [15] große Möglichkeiten für die Sache der guten Regierung sehen. Freilich hat sie ihre inneren Kämpfe; aber mit all ihren Conflicten und Schwankungen unterscheidet sie sich von der republikanischen Partei in diesem wesentlichen Punkte: Je fester die republikanische Partei ihren Hauptprincipien und ihrer leitenden Politik anhängt, um so corrupter wird sie und um so gefährlicher in ihrem Einfluß als eine Agentur politischer Demoralisation, – während die demokratische Partei, je treuer sie ihren leitenden Grundsätzen anhängt, um so stärker wird sie werden in sittlicher Beziehung und um so gesunder ihr Einfluß auf unser politisches Leben – und nun hat sie einen Kandidaten, welcher in sich ihre besten Tendenzen repräsentirt und in seinem Charakter, seiner Aufführung und seinen bekannten Ansichten die besten Eigenschaften für ein hohes executives Amt zeigt. Mehr als das. Dieser Kandidat ist in einer Weise nominirt worden, welche eine so gesunde Reaction gegen die schlechtesten Tendenzen unserer Zeit andeutet und welcher aus diesem Grunde allein – gäbe es keinen anderen – seine Wahl in hohem Grade wünschenswerth machen sollte.

Cleveland der Volks-Candidat.

Ich sage gewiß nicht, daß Herr Cleveland der ideale Mensch oder der größte Staatsmann aller Zeiten ist. Er hat unzweifelhaft seine Beschränkungen, seine Schwächen und seine Unzulänglichkeiten, aber er besitzt in einem ungewöhnlichen Maße gerade diejenigen Dinge, die besonders wünschenswerth sind in einem Staatsdiener mit großen Verantwortlichkeiten. Er hat ein Gewissen. Er hat einen Willen. Er hat ein patriotisches Herz. Er hat einen klaren Kopf. Er hat einen starken Rechtssinn. Er hat eine gute Kenntniß der Staatsgeschäfte. Er ist ein Parteimann, aber nicht ein Parteisklave. Er ist seiner Pflicht getreu, ohne Rücksicht auf sein persönliches Interesse. Dies ist nicht allein das Urtheil seiner Freunde, sondern auch seiner Gegner, die in dieser Kampagne wünschen mögen, sie hätten dies nicht zugegeben.

Es giebt heute keinen öffentlichen Charakter in Amerika, so allgemein und so gut bekannt und so allgemein und so aufrichtig geachtet wie Herr Cleveland. Selbst diejenigen Politiker seiner eigenen Partei, welche sich seiner Nomination widersetzten, mußten ihn achten gerade wegen derjenigen Eigenschaften, um derentwillen Einige von ihnen ihn für einen nicht wünschenswerthen Präsidenten halten.

Ich will nicht sagen, daß die „praktischen Politiker“ einen Präsidenten wünschen, der kein Gewissen hat, aber sie wünschen, daß er nicht zu viel Gewissen habe, so daß es ihnen im Weg stehe. Sie wünschen [16] nicht, daß ein Präsident keinen Willen habe. Sie wünschen aber nicht, daß er einen Willen habe stärker als der ihrige. Sie wünschen nicht, daß ein Präsident keinen klaren Verstand habe, aber sie wünschen nicht, daß sein Verstand so klar sein solle, daß er alle ihre Pläne und ihre Beweggründe durchschaut. Sie ziehen einen guten, behaglichen, liebenswürdigen, biegsamen Präsident vor, der ohne Schwierigkeiten ihre Ansichten von dem, was sich schickt, annimmt, der sich als ihr Agent ansieht, und der leicht versteht, daß für das Land sorgen nichts anders meint, als für sie sorgen. In dieser Beziehung sind die demokratischen Politiker nicht eigenthümlich. Der „praktische“ Politiker ist derselbe in allen Parteien.

Da nun Herr Cleveland die wichtigsten Eigenschaften eines guten Präsidenten in einem ihnen nicht angenehmen Maße und die Eigenschaften, die sie am Liebsten haben wollen, in einem geringen Maße besitzt, so waren viele der „praktischen Politiker“ in der demokratischen Partei, hohe und niedrige, Herrn Cleveland entgegen; und manche andere, durch diese Opposition in Furcht gesetzt, wurden zweifelhaft in Bezug auf Herrn Cleveland's Brauchbarkeit, obgleich sie seine eminenten Qualifikationen auf's Höchste schätzten. Wie dann wurde seine Nomination bewirkt? Durch eine durchaus freie Bewegung der großen Masse der Partei gegen diese Opposition; durch eine Kundgebung der öffentlichen Meinung innerhalb der Partei, so stark, so klar, so gebieterisch, daß die opponirenden Politiker ihr nicht widerstehen konnten. Was man wohl das Volk in der Partei nennen konnte, im Norden und Süden, im Osten und Westen, befahl die Nomination von Cleveland und drang damit durch. Hinter dieser Bewegung war keine Maschinerie, es war keine Arbeit darin; was immer es von Maschine und Arbeit gab, war gegen ihn. So erklärten sich die Distrikte und Staats-Conventionen zu Cleveland's Gunsten und so die National-Convention. Wie ein demokratischer Führer, welcher den besten Observationsplatz dort einnahm, mir über die Convention in Chicago schrieb: „Es war gar kein Kampf; es war nicht nöthig, daß wir einander Treue schworen: es war ein großartiger, enthusiastischer Ansturm über das ganze Feld. Sie haben nie ähnliches gesehen.“

Was war es denn, das unter dem Volke ein so stürmisches Gefühl für Cleveland hervorbrachte? Kein sogenannter Magnetismus der Persönlichkeit, denn man kann nicht sagen, daß er ein magnetischer Mann ist. Keine brillianten Fähigkeiten, denn er ist mehr ein solider Denker und Arbeiter als ein brillianter Mann; nichts in seinem vergangenen Leben, das die Einbildungskraft des Volkes erregt; den sein vergangenes Leben war eher prosaisch als interessant im romantischen Sinne. Ebenso wenig kann gesagt werden, daß vollkommene Uebereinstimmung [17] in Bezug auf alle politischen und ökonomischen Fragen zwischen ihm und der Masse bestand, die hätte eine Flamme des Enthusiasmus für seine Person entzünden können. Es ist wahr, man sah in ihm den natürlichen Bannerträger in dem Kampfe gegen die Hochschutzzollpolitik, aber es war auch zwischen ihm und vielen Demokraten, besonders im Süden, eine entschiedene Uneinigkeit in Bezug auf die Silberfrage, und diese Frage, glaubten sie, berühre ihre Interessen näher als der Tarif. Und doch, während sie wußten, daß er gewissenhaft und unbeugsam ihren Wünschen und Ansichten entgegen war, schlossen sie sich mit Wärme der Forderung seiner Nomination an.

Ebenso wenig war es bloßer Parteigeist, angefeuert von einem allgemeinen Glauben, daß von allen möglichen demokratischen Kandidaten Herr Cleveland die Wahl am Leichtesten gewinnen würde, denn die regelmäßige Delegation von seinem eigenen Staate erklärte laut, daß er wahrscheinlich am Leichtesten zu schlagen sei. Kurz, jene Einflüsse, welche in dieser Hinsicht gewöhnlich das Urtheil von Parteien und Conventionen bestimmen, waren so kräftig gegen ihn in Bewegung gesetzt worden, daß die Chancen seines Erfolges selbst von seinen ergebensten Freunden hätten bezweifelt werden können.

Was war es denn, das Herrn Cleveland diese wunderbare Unterstützung Seitens des Volkes gab? Mehr als irgend etwas Anderes, der Eindruck, welchen die sittlichen Eigenschaften des Herrn Cleveland auf den Geist und das Herz des Volkes hervorgebracht hatten. Die Leute sagten zu einander: „Hier ist ein ehrlicher Patriot. Er studirt gewissenhaft seine Pflicht und er hat den Muth, sie zu thun, ohne Furcht, ohne Gunst, ohne Rücksicht auf sein eigenes Interesse. Er fürchtet weder seine Feinde noch seine Freunde. Er ist kein Demagoge. In seiner Hand ist ein öffentliches Amt wirklich eine öffentliche Vertrauenssache. Es kümmert uns wenig, ob er in allen Punkten mit uns übereinstimmt. Man kann sich auf ihn verlassen, daß er das sagen wird, was er für wahr hält und daß er das thun wird, was ihm recht und zum Wohle seines Landes erscheint, einerlei, ob er mehr Stimmen bekommen kann als ein anderer Kandidat; und wir wollten eher mit ihm geschlagen werden, als einen anderen, weniger würdigen Mann nominiren.“ Das war das Gefühl, welches Cleveland nominirte, ja, welches mit unwiderstehlicher Gewalt etwas zu Stande brachte, das bis dahin unerhört gewesen und für gänzlich unmöglich gehalten wurde: die Nomination eines Kandidaten für die Präsidentschaft, nicht allein ohne die Unterstützung, sondern gegen den ausdrücklichen Protest der regelmäßigen Delegaten seines eigenen Staates. Er wurde von dem Volke über die Köpfe der Politiker hinaus nominirt und gegen eine Sorte von Opposition, die bis jetzt für unüberwindlich gehalten wurde; [18] und zwar genau um derjenigen Eigenschaften willen, welche manche Politiker in einem Präsidenten als wünschenswerth erachten. Ich sehe Cleveland's Nomination unter diesen Umständen als eines der ermuthigendsten politischen Ereignisse, ja, als das am meisten ermuthigende Ereigniß seit dem Ende des Bürgerkrieges an. Es bedeutet ein kräftiges Hervortreten der öffentlichen Meinung zu Gunsten von gewissenhafter, reinlicher Politik im größten Umfange. Es bedeutet eine entschiedene Reaction gegen Maschinen-Methoden in der Führung von politischen Parteien. Es bedeutet, daß das Volk wirklich wünscht, den besten Mann, den es kennt, an der Spitze der Angelegenheiten zu haben und daß es auch einen Weg finden kann, diesen Willen gegen noch so stark entgegengesetzte Einflüsse durchzusetzen.

Die Lehre.

Bedenken Sie, was für eine Lehre dieses Ereigniß den jungen Männern des Landes giebt. Was sagt es ihnen? „Es ist nicht wahr, was man Euch hat glauben machen wollen, daß um Erfolg im politischen Leben zu gewinnen, ihr reich genug sein müßt, um Leute zu bestechen, oder demagogisch genug, um Leuten zu schmeicheln, oder gewissenlos genug, euch für das auszugeben, was ihr nicht seid, und immer Eure Segel nach dem Winde zu drehen, oder gemein genug, um Euch zum Werkzeug von Beutejägern und Drahtziehern zu machen. Es ist nicht wahr, daß, um euch die Unterstützung des Volkes und eure Chancen in öffentlichen Leben zu bewahren, ihr bereit sein müßt, euer Pflichtgefühl, euren Ehrbegriff und euren Mannesstolz zu opfern. Hier haben wir den lebendigen Beweis, daß ein Mann im öffentlichen Leben muthig und unbeugsam bei seinen Ueberzeugungen stehen; daß er seine ehrliche Meinung über Dinge des öffentlichen Interesses mit herausfordernder Offenheit aussprechen kann, gleichviel ob sie von Anderen getheilt werden oder nicht; daß er sich weigern mag, zu den niedrigen Künsten herabzusteigen, durch welche nach dem laufenden Zeitbegriff eine Gefolgschaft organisirt und wodurch Unterstützung gewonnen werden muß; daß er nicht Allen alles zu sein braucht, sondern sein besseres Selbst im höchsten Sinne des Wortes behalten kann und daß gerade, weil er dies thut, er allen anderen vorgezogen und auf Befehl einer überwältigenden öffentlichen Meinung für die höchste Ehre, die eine Partei geben kann, gewählt werden mag. Hier ist Euer Beispiel! Hier ist der Weg zur öffentlichen Nützlichkeit und Auszeichnung und Erfolg mit Ehre!“

Das ist die wahre bedeutung der Nomination Cleveland’s und das wird die höchste Bedeutung seiner Wahl durch das Volk sein. Denken Sie nach, was solch eine praktische Lehre für die Zukunft dieser Republik [19] werth sein wird; was für neuen Muth sie unserm politischen Leben einflößen wird; wie das Miasma von unsittlichen Beispielen, Eindrücken und Erfahrungen hinweggefegt werden wird; wie sie jenen Kleinmuth, jenen öden Pessimismus beschämen wird, der immer an der Republik verzweifelt und vielen nützlichen Bestrebungen hindernd im Wege steht; wie sie das Vertrauen des Volkes in seine eigene Macht, für sein eigenes Wohl stärken wird; wie es den Geist des Zweiflers aufrichten und den Ehrgeiz der Strebsamen veredeln wird; wie es die Ideale unserer jungen Generation heben und dem politischen Leben so manche hinzuführen wird, die dem öffentlichen Wohle hätten höchst nützlich sein können, aber sich mit Ekel fortwandten!

Ich wiederhole, seit dem Ende des Bürgerkrieges hat es in unserer politischen Geschichte kein Ereigniß gegeben, so vielversprechend, so voll von Hoffnung und Ermuthigung, wie Cleveland’s Nomination, und so wird sie in den Annalen der Republik stehen, wenn durch das Volk in der Wahl bestätigt. Daß es so bestätigt werde, ist in der That eine wesentliche Bedingung ihrer Wirkung, denn wenn gesagt werden könnte, daß eine solche Erhebung unserer gesunden öffentlichen Meinung vielleicht stark genug sein mag, um die Nomination eines Mannes wegen seines Charakters zu bewirken, aber daß solch’ ein Mann immerhin doch nicht erwählt werden könnte, so würde das nicht allein der Verlust einer großen Gelegenheit bedeuten, sondern die neue Hoffnung könnte in tiefere Entmuthigung verwandelt werden. Seine Niederlage könnte die üblen Einflüsse in unserer Politik unternehmender und mächtiger machen, als sie jemals zuvor gewesen sind.

Ich muß gestehen, von diesem Gesichtspunkte sehe ich die Wahl des Herrn Cleveland als so wichtig für die Zukunft der Republik an, daß, wenn ich auch mit ihm in Bezug auf noch so viele Fragen der Politik auseinandergehe, ich geneigt sein würde, alle Rücksichten zu opfern und für ihn zu stimmen; und ich hoffe zuversichtlich, manche patriotische und weise Bürger, obgleich bis jetzt zur republikanischen Partei gehörend, werden dennoch die große Wichtigkeit erkennen, dem Lande den unberechenbaren Vortheil dieser Erwählung zuzuwenden, die Bande ihrer Partei zu durchbrechen und Grover Cleveland ihre Stimme zu geben.

Harrison, Geldmacht und Maschine.

Ich weiß, einige Republikaner werden dagegen sagen: „Nun, ist nicht auch Herr Harrison von seiner Partei in Folge des Verlangens einer gesunden öffentlichen Meinung, wegen seiner höheren sittlichen Eigenschaften nominirt worden und wird nicht seine Wahl denselben Dienst thun?“ Ich würde mich aufrichtig freuen, könnte ich Ja! antworten. [20] Aber ich kann es nicht. Ich muß im Gegentheil jene Behauptungen entschieden verneinen. In erster Linie repräsentirt Herr Harrison die Partei der beschützten Interessen, die durch die Geldmacht subventionirt ist in Zahlung für gesetzgeberische Vergünstigungen, die Partei, welche am stärksten die demoralisirenden Tendenzen unserer Zeit in sich verkörpert. Zweitens, die Umstände der Nomination des Herrn Harrison unterscheiden sich sehr wesentlich von denen, welche die Nomination des Herrn Cleveland umgaben. Wir Alle erkennen gerne an, daß Herrn Harrison’s Privatcharakter vortrefflich ist und ich würde der Letzte sein, ihn anzugreifen. Nichtsdestoweniger war er kein populärer Mann in seiner eigenen Partei, als seine Wiederwahl in Aussicht genommen wurde. Es war lange schon offenbar, daß, wenn er wieder nominirt werden wollte, dafür gearbeitet werden müsse. Und so geschah es. Die ganze Maschinerie des öffentlichen Dienstes im ganzen Lande wurde für ihn in Bewegung gesetzt. Ich weiß von keinem Falle in der Geschichte der Republik, wo die Lokalkaukusse und Conventionen in Städten, Landdistrikten und Staaten, welche Delegaten zu der National-Convention zu wählen hatten, so allgemein und rücksichtslos in Besitz genommen wurden von Postmeistern, Steuerbeamten, Distrikts-Anwälten und -Marschällen, wie sie es dieses Jahr zu Gunsten des Präsidenten Harrison waren. Von jedem Kabinetsminister erwartete man, daß er sein Aeußerstes thun würde, um dem Präsidenten die Delegation seines Staates mit seinem Komplimente zu präsentiren. Dieser Mißbrauch des öffentlichen Einflusses würde jedoch nicht genügt haben, um Herrn Harrison’s Nomination zu bewerkstelligen, wären andere republikanische Staatsmänner von hohem Charakter und Einfluß als Konkurrenten im Felde gegen ihn erschienen. Herrn Harrison ging’s glücklich. Die Führerschaft der Opposition gegen ihn wurde usurpirt von einigen der unsaubersten Maschinenpolitikern im Lande und diese schoben als ihren Kandidaten einen Mann vor, welcher, abgesehen von anderen übeln Umständen, die Nomination kaum ohne einen Treubruch angenommen haben könnte. Gegen diese Schaar erschien Herrn Harrison’s Gefolge in der National-Convention als sehr respektabel, was nicht schwer war, und seine Nomination sah aus wie der Sieg des konservativen und anständigen Elementes seiner Partei über eine Horde von verächtlichen Freibeutern.

Aber nichtsdestoweniger ist es wahr, daß Herrn Harrison’s Majorität in der Convention in Minneapolis zusammengebracht wurde durch die rücksichtsloseste Ausübung des officiellen Einflusses in der Wahl der Delegaten; daß sie, mit nicht vielen Ausnahmen, aus Aemterinhabern und aus Delegaten, die von Aemterinhabern erwählt worden waren, bestand; [21] daß unser General-Consul in London, bekannt als ein schlauer, politischer Macher, von dem Posten seiner Pflicht abgerufen wurde, um in Minneapolis das Commando über die Harrison-Gefolgschaft zu übernehmen; daß eine Menge von Bundesbeamten von hoher Stellung dort zusammengeströmt waren, um unter diesem zu arbeiten und Stimmen für ihren Chef zu gewinnen, und daß – wie der Fall von Crum von Süd-Carolina und andere Anzeichen beweisen – die Patronage der Regierung auf die schamloseste Weise verwandt wurde wie ein Bestechungsfond, um die Harrisonstimmen zu vermehren. Herrn Harrison's Nomination war daher nicht, wie genannt worden ist, ein Sieg der öffentlichen Meinung über die Maschine. Sie war der Sieg einer Maschine über die andere, der Sieg der Beamtenmaschine über die der unzufriedenen Aemterjäger. Ziehen wir in Betracht, daß jeder von den zahllosen Beamten, die an den localen Kaukusen und Conventionen Theil genommen hatten und die sich in der National-Convention oder um sie her zu schaffen machten, um sich den Besitz ihrer Aemter zu sichern, von dem Belieben des Mannes abhing, für dessen Verbleiben im Amte er zu stimmen und zu arbeiten hatte, so ist die Renomination des Herrn Harrison eine der skandalösesten Darstellungen des Mißbrauches von öffentlicher Gewalt gewesen, die wir jemals in diesem Lande gesehen – der höchste Triumph eines Systems, corrupt in sich selbst und geeignet, den ganzen politischen Körper zu demoralisiren.

Die Republikaner sind sich des schmachvollen Charakters dieser Sache selbst bewußt. Sie versuchen nicht einmal, dieselbe zu verneinen oder zu rechtfertigen. Zu ihrer Verlegenheit sind sie auf das kindische Mittel verfallen, der Anklage zu begegnen mit der Gegenanklage, daß einige von Herrn Cleveland’s früheren Kabinetsmitgliedern ein thätiges Interesse an der Förderung seiner Nomination genommen haben. Nun, warum sollten sie nicht? Vier Jahre lang waren sie Privatleute gewesen, ebenso wie Herr Cleveland. Es bestanden zwischen ihnen keine amtlichen Beziehungen und es giebt jetzt keine. Vier Jahre lang hatten sie keinen officiellen Einfluß ausgeübt. Sie haben weder die Macht, irgend Jemand zu einem Amte zu ernennen, noch irgend Jemand davon abzusetzen. Sie haben absolut nichts mit dem Regierungsdienste zu thun. War selbst der schwächste Schatten einer Unzulänglichkeit in dem zu erblicken, was sie als unabhängige Privatleute thaten? Nein, wenn es jemals eine Entschuldigung gegeben hat, die in sich ein zugestandenes Schuldbewusßtsein enthält, so ist es dieses bemitleidenswerthe Geschwätz über Männer, welche vor einigen Jahren in Herrn Cleveland’s Kabinet gewesen waren, um damit die skandalöse Prostitution des öffentlichen Dienstes, den schamlosen Mißbrauch officiellen Einflusses zu Gunsten von Herrn Harrison zu verdecken, [22] und wenn die Art und Weise der Nomination Harrison’s irgend etwas beweist, so ist es, daß selbst auf Gründe hin außerhalb seines eigenen Verdienstes Herr Cleveland gewählt werden sollte.

Die „Freihandel“-Popanz.

„Alles dieses zugestanden,“ höre ich einen ängstlichen Geschäftsmann sagen, „aber wenn die Demokraten mit ihren extremen Grundsätzen in Bezug auf den Tarif zur Gewalt kommen, werden sie nicht unsere Industrien schädigen und unglückliche Geschäftsverwirrungen herbeiführen? Verlangen Sie nicht von uns ein zu großes Opfer für die allgemeine Wohlfahrt der Republik?“ Nein. Erstens, es giebt kein zu großes Opfer für die allgemeine Wohlfahrt der Republik. Dieses ist nicht die Sprache eines Idealisten, eines Träumers. Ich denke nur nicht geringe von dem amerikanischen Volke. Ich erinnere mich der Zeit des Bürgerkriegs, als die Amerikaner sich bereit zeigten, alles zu opfern, ihr Behagen, ihren Wohlstand, ihr Leben, für das allgemeine Wohl der Republik, und ich glaube nicht, wir sind so entartet, daß der Geist der Selbstaufopferung für das allgemeine Wohl todt ist.

Aber ich verlange kein Opfer. Sie mögen es vielleicht natürlich finden, daß ich so denken sollte, da ich bekanntlich glaube, daß das Aufgeben des Hochschutzzollsystems für das Land ein großer Vortheil sein würde, moralisch sowohl wie ökonomisch–moralisch, weil es die gefährlichste Quelle der Corruption verstopfen und bei unserem Volke den alten Gest des Selbstvertrauens wieder erwecken würde, und ökonomisch weil es statt unsere Industrien zu zerstören, diese nur auf einen gesunderen Fuß setzen würde, indem es ihnen wohlfeileres Rohmaterial gäbe und sie in den Stande setzte die Märkte der Welt zu gewinnen; statt den Arbeitslohn herunterzusetzen, ihn nur erhöhen und stetiger machen würde, durch stetigere Beschäftigung, statt das Geschäft zu verwirren, es nur befreien würde von den beständigen Aenderungen welche jede Hochschutzzoll-Politik mit sich bringt, und ihr die Festigkeit geben würde, die nur mit einem auf gerechte und rationelle Grundsätze gegründetes ökonomisches System möglich ist. Aus diesen Gründen wünsche ich freilich kein plötzliches, sondern ein systematisches und stetiges Vorgehen in der Richtung eines bloßen Einkommenzolls. Aber ich will Ihnen offen sagen, was, wie ich denke, geschehen wird, wenn die Demokraten in dieser Nationalwahl gewinnen. Ich fürchte einmal, wenn die Hochschutzzöllner zum Aeußersten gingen, wie sie es in dem McKinley Tarif gethan haben, daraus die Gefahr einer schnellen, heftigen radikalen Revolution entstehen könnte, die das ganze System mit einer unglückdrohenden Plötzlichkeit wegfegen würde. Die Congreßwahl von 1890 deutete darauf hin. Aber ich muß gestehen, daß [23] die Haltung der demokratischen Majorität, die durch diese Wahl in das Repräsentantenhaus gebracht wurde, mich von dieser Besorgniß gänzlich kurirt hat, wenigstens auf längere Zeit hinaus. Statt der Gefahr, daß die Demokraten, im Besitz der Gewalt, zu radikal und energisch sein könnten, sehe ich mehr Gefahr, daß sie nicht radikal und energisch genug sein werden. In der Theorie sind sie gesund genug und zuweilen auch tapfer genug, in dem, was sie sagen, wie zum Beispiel in der letzten Platform; aber wenns zum Handeln kommt, so sehe ich die größte Gefahr welche die Industrien des Landes von einem demokratischen Siege zu fürchten haben, nicht darin, daß die Demokraten, im Besitze der Gewalt, irgend welche von ihnen durch heftige, radikale, plötzliche Aenderungen in den Tarifgesetzen ruiniren würden, sondern, daß die Aenderungen welche unseren Industrien sehr zum Nutzen gereichen würden, zu ängstlich geplant, zu enge umschrieben und zu langsam ausgeführt werden, um all das Gute zu thun, das gethan werden könnte.

Wenn die Republikaner die Wahl gewinnen, so wird es beständige Aenderungen in der Richtung von höheren Zöllen und einen unruhigen ökonomischen Zustand in Folge dessen geben, denn kein hoher Schutzzoll hat jemals die begünstigten Interessenten lange befriedigt. Wenn die Demokraten gewinnen, so ist das Aeußerste, was wir zu erwarten haben, die Abschaffung der Zölle auf diejenigen Artikel, die gewöhnlich als Rohmaterial bezeichnet werden und eine correspondirende Minderung von Zöllen auf das fabricirte Produkt, und vielleicht einige Minderungen, um die Bildung von Trusts und Monopolen zu verhindern. Dies wird eine Bewegung in der richtigen Direktion sein, aber durchaus keine plötzliche und heftige Revolution. Dies ist meine ehrliche Meinung, und ich glaube die Geschichte der demokratischen Majorität in dem Repräsentantenhause bestätigt sie. Von der ökonomischen Seite unseres Tarifs möchte ich gerne ausführlich sprechen, muß mir aber das Vergnügen auf eine andere Zeit ersparen.

Ehrlich Geld.

„Aber wie stehts mit der Freisilberprägung und der darauf zu befürchtenden Finanzkrisis?“ höre ich einen anderen Geschäftsmann sagen. Niemand kann besorgter sein, dem Lande ein gesundes Geldsystem zu verschaffen und zu erhalten, als ich bin; und es ist meine ehrliche Ueberzeugung, daß die Wahl des Herrn Cleveland diesen Zweck nicht allein nicht gefährden, sondern bedeutend verbessern wird. Die Freiprägungsbewegung ist wesentlich nicht eine Partei-, sondern eine geographische Bewegung. In den Silberminenstaaten und einigen der westlichen Agriculturstaaten und in den südlichen Staaten zog sie [24] Republikaner und Demokraten zugleich mit sich. In den anderen Theilen des Landes waren Republikaner und Demokraten zugleich dagegen. In dem Republikanischen Senat der Vereinigten Staaten nahmen republikanische Freiprägungsleute die Führung in die Hand und brachten zweimal eine Freiprägungs-Bill durch. Aber Freiprägung war, was die Zahl betrifft, am stärksten in der demokratischen Partei, einfach weil eine so große Zahl der demokratischen Senatoren und Repräsentanten vom Süden herkamen. Jedoch der energischen Opposition der Demokraten aus dem Norden und Osten vereinigt mit den Republikanern aus denselben Landestheilen gelang es, die Freiprägung im demokratischen Repräsentantenhause zu schlagen. Die Thatsache ist, daß die republikanische Partei den gefährlichsten politischen Gebrauch von der Silberfrage gemacht hat. Es war die republikanische Partei, die jene leidige Politik der Zugeständnisse an das Mineninteresse begann, welche immer größere und größere Forderungen dieses Interesses zur Folge hatte und uns auf den gefährlichen Abhang führte. Es war die republikanische Partei, die, nachdem sie auf diese Weise die Gier des Mineninteresses angeregt und seine Erwartungen erhöht hatte, ohne Nothwendigkeit das Gesetz von 1890 machte, welches selbst ohne Freiprägung uns schließlich in den Abgrund zu stürzen droht.

Auf der anderen Seite, in Erwägung der Thatsache, daß im Punkte der Zahl die Freiprägungsbewegung am stärksten unter den Demokraten war, hat nichts so viel dazu beigetragen dieselbe zu schwächen und praktisch aus dem Felde zu schlagen, als Herrn Cleveland’s Einfluß bei seiner Partei. Als er, wohlwissend, daß ein großer Theil seiner Partei nach Freiprägung strebte, dennoch kühn seine Stimme dagegen erhob und das Schauspiel eines Mannes bot, dem damals die Nomination für die Präsidentschaft sicher zu sein schien, wenn er sich nur stille verhalten wollte, der aber dann seine Chancen für den höchsten Platz in der Republik in den Wind schlug, indem er der eigenen Ueberzeugung gehorchend einem so mächtigen Elemente entgegentrat – war dies Schauspiel so neu und so eindrucksvoll, daß es Massen von Freiprägungs-Demokraten mächtig erschütterte, die sich sagten, ein Mann, der so handelte, müsse sich sehr im Recht fühlen. Von jener Zeit an begann die Reaktion, und die Freiprägungsbewegung unter den Demokraten und besonders im Süden verlor nicht nur an Anhängern, sondern auch an Muth. Ihre Angriffskraft war dahin. Sie machte auf der demokratischen Seite nur noch kleinmüthige Versuche im Congreß und nahm ihre Niederlage mit vollkommener Demuth hin. Sie konnte in der demokratischen National-Convention die Annahme eines Beschlusses gegen die Freiprägung, der viel stärker war als der der republikanischen [25] Platform, nicht verhindern, und sie wollte der Ernennung eines Antifreiprägungs-Candidaten nich widerstehen. Und mehr als irgend etwas anderem verdanken wir dies Herrn Cleveland’s moralischem Einfluß bei seiner Partei.

Ich halte die Freiprägungsbewegung für eine allmälig absterbende, unter einer Bedingung. Wenn Herr Cleveland wieder zum Präsidenten gewählt wird, so wird er bei seiner Partei sowohl als beim Congresse eine größere Autorität haben, als während seines ersten Termins; in der That eine größere, als irgend ein Präsident in den letzten zwanzig Jahren gehabt hat. Und diese ganze Autorität wird ihren Einfluß ausüben zu Gunsten eines gesunden Finanzsystems. Er kann dieser Sache einen Dienst erweisen, den Herr Harrison, wenn auch seine finanziellen Grundsätze und Zwecke immer so korrekt sein mögen, zu erweisen nicht im Stande sein wird. Unter Herrn Cleveland’s Führung wird die Freiprägungsbewegung ihren Boden verlieren in der Partei, in der sie der Zahl nach am stärksten war, und dann wird dieser Kampf entscheidend gewonnen und geendet sein.

Es giebt eines jedoch, das der Freiprägungs-Bewegung neue Hoffnungen, neues Leben und neue Stärke geben kann. Dies ist die Entfernung des Herrn Cleveland von der Führerschaft der demokratischen Partei durch seine Niederlage in der Wahl. Wenn er stürbe, so würde der sittliche Einfluß seiner Lehren und seines Beispieles nach ihm leben. Würde er aber geschlagen, so würde er auch hinter die Front geschickt, und dann würde jener mächtige, sittliche Einfluß, den er ausüben konnte, ein Ding der Vergangenheit sein. Denn es gibt zu dieser Zeit keinen anderen demokratischen Führer, der seinen Platz füllen könnte, wie es in der That jetzt keinen öffentlichen Charakter giebt der solchen Einfluß ausüben könnte in irgend einer Partei. Ich kann es Ihnen daher nicht dringend genug zu bedenken geben, daß der Sache einer gesunden Finanzpolitik nicht besser gedient werden kann, als durch die Erhaltung des Herrn Cleveland, unter dessen erster Administration keine einzige bedenkliche Maßregel zum Gesetz wurde, in der Führerschaft der demokratischen Partei; und das kann nur durch seine Wahl zur Präsidentschaft geschehen.

Die Gewalts-Bill.

Oder würde irgend Jemand davon abgeschreckt werden, für Herrn Cleveland zu stimmen, durch die republikanische Klage betreffend die Unterdrückung des Negerstimmrechtes in einigen der Südstaaten? Hier wiederum ist jede Erwägung gesunder Staatsweisheit zu Herrn Cleveland’s Gunsten. Daß die Gewaltmittel, sowohl wie die Anderen Umtriebe, durch die die Neger in gewissen Staaten vom Stimmen abgehalten [26] wurden, an und für sich ein Uebel waren, bedarf keines Beweises – wie sehr auch solche Praktiken durch Umstände entschuldigt werden mochten. Aber die Schwierigkeit löst sich jetzt selbst so gut, wie sie gelöst werden kann, und das Einzige nun noch erforderliche ist, daß man die Sache sich selbst überläßt. Jeder wohlunterrichtete und rechtdenkende Mensch wird drei Dinge zugeben: 1. Daß die Anstrengungen, das Negervotum zu unterdrücken, hauptsächlich der Furcht vor Negerherrschaft entsprangen; 2. Daß diese Furcht angeregt und in einem gewissen Sinne gerechtfertigt war durch die beispiellose Lüderlichkeit der meisten der sogenannten Schnappsäckler-Regierungen während der Rekonstruktions-Periode; 3. Daß die Furcht vor Negerherrschaft aufhört, sobald die Neger aufhören, als eine geschlossene Masse auf der Seite einer Partei zu stimmen und ihre Stimmen zwischen den verschiedenen Parteien theilen. Sobald dies geschieht, bieten die verschiedenen Parteien für das Negervotum, wie sie für die Stimmen anderer Leute bieten, und so wetteifert eine mit der anderen, den Neger in der Ausübung seiner Rechte zu beschützen. Der Proceß geht jetzt vor sich und wird bald die ganze Schwierigkeit in einer vollkommen friedlichen und ordentlichen Weise aus dem Wege räumen.

Das Einzige, was die Erfüllung dieser heilsamen Entwickelung bedroht, ist der Wunsch republikanischer Politiker, die sämmtlichen Negerstimmen wider zu vereinigen und sie für die republikanische Partei zu sichern, um dadurch einige südliche Staaten zu gewinnen. Dies soll zu Stande gebracht werden durch die sogenannte „Gewaltbill“. Obgleich diese Maßregel scheinbar nur eine Maschinerie für die Controlle der Congreßwahlen beschaffen soll, wird sie doch nicht ungerechtfertigter Weise als ein neuer Versuch angesehen, mit Hülfe der nationalen Gewalt die Neger wieder als eine geschlossene und gehorsame Maschine für allgemeine Parteizwecke zu organisiren. Die unvermeidliche Wirkung der Passirung eines solchen Gesetzes würde die Wiederbelebung der Furcht vor Neger-Herrschaft im Süden sein und mit ihr eine heftige und Unglück bringende Störung des Verhältnisses zwischen den zwei Rassen, welches im Laufe der Zeit sich freundlich und der allgemeinen Prosperität dienlich gestaltet hatte.

Bedenken Sie, was dies bedeutet. Der Süden kam aus dem Bürgerkriege verarmt und verwüstet hervor. Die plötzliche Abschaffung der Sklaverei unterwarf ihm allen Zuckungen einer ungeheuren sozialen Revolution. Da stand der geschlagene und gedemüthigte weiße Mann des Südens, nicht wissend, was er mit dem neuen ungewonhten Arbeitssystem thun sollte, dem befreiten Sklaven gegenüber, der nicht wußte, was er mit seiner neugebackenen Freiheit thun sollte. Es war eine furchtbare Situation, überall Noth, Verwirrung, krampfhafte Anstrengungen [27] und Zusammenstöße; die Gesellschaft gänzlich desorganisirt, am Rande eines blutigen Rassenkrieges daherschwankend. Die Armee, noch gegenwärtig, hielt einigermaßen die Ordnung aufrecht, aber unter ihrem Schutz setzten sich weiße Abenteurer an die Spitze der unwissenden Negerstimmgeber und bildeten jene Schnappsäcklerregierungen, von welchen die südlichen Staaten fast noch mehr Plünderungen litten, als vom Kriege selbst. Nun ging ein Strahl der Hoffnung auf. Präsident Hayes zog die Truppen aus dem Süden zurück. Die südlichen Weißen überwanden die Negermajoritäten – theilweise mit Gewalt, theilweise durch Kunstgriffe – immer noch ein schlimmer und beklagenswerther Zustand der Dinge, unter dem aber die Energie der Gesellschaft wieder erwachte und die Arbeitskräfte sich zu fruchtbarerer Thatigkeit erhoben. Der Unternehmungsgeist kam zurück und neue Prosperität folgte.

Die Verhältnisse zwischen den Weißen und den Schwarzen wurden stetig friedlicher und ersprießlichem Zusammenwirken günstiger. Aber die Furcht vor einer Wiederkehr der Negerherrschaft, unter welcher der Süden so furchtbar gelitten hatte während der Schnappsäckler-Regierung, hing noch wie eine dunkel drohende Wolke über dem Volke, so lange die Schwarzen ihre Stimmen in Masse einer Partei geben. Und dieser Furcht entsprangen alle möglichen verdächtigen Anstrengungen, die Gefahr abzuwenden. Endlich ist auch diese Wolke verscheucht. Die Neger haben wirklich angefangen, ihre Stimmen zu vertheilen. Wenn der jetzt begonnene Proceß fortdauert, so wird die Furcht vor Negerherrschaft und mit ihr das größte Hinderniß eines harmonischen Zusammenwirkens der zwei Rassen auf dem politischen sowohl wie auf dem Arbeitsfelde für immer verschwunden sein. Kein treuer Freund der schwarzen Rasse kann eine glücklichere Lösung dieser Schwierigkeit wünschen, denn die politischen Rechte des Negers werden dann unter der thätigen Protection aller politischen Parteien stehen. Kein treuer Freund des südlichen Volkes wird verfehlen, sie als ein höchst segensreiches Ereigniß zu begrüßen, denn sie wird eine Last von Sorgen von dem südlichen Weißen nehmen und mächtig den Frieden und guten Willen zwischen den verschiedenen Elementen der südlichen Bevölkerung befördern; sie wird dem südlichen Volke verstärktes Vertrauen geben in seine Zukunft und es mit frischem Muth und neuer Energie in der Entwicklung seiner Prosperität anfeuern.

Kein guter Bürger, der die gemeinsamen Interessen des ganzen Landes, Nord und Süd, am Herzen hat, wird verfehlen, diese Lösung freudig willkommen zu heißen, als die Wegräummung einer Quelle der Zwietracht zwischen den zwei Landestheilen, als ein neues Band herzlicher Brüderschaft und als eine neue Garantie materiellen Fortschritts [28] im Süden und desjenigen Nutzens, welchen jeder einzelne Theil des Landes hat durch die wachsende Prosperität eines jeden anderen Theiles.

In diese hoffnungsvolle Situation wird nun die Gewalt-Bill geworfen, als ein neuer Brand des Unfriedens. Gleichviel ob diese Maßregel befürwortet wird von dem bloßen Machtgeber des Parteigängers, oder von dem irregeführten Eifer zu Gunsten eines Prinzips – ihre Wirkung wird, wenn man sie zum Gesetz macht, dieselbe sein: eine gefährliche Gewalt-Anmaßung der Regierung; die Anregung unter den Negern des Südens von unheilvollem politischem Ehrgeize und großen Erwartungen hervorgerufen durch das Widererscheinen der Föderal-Regierung in der Controlle der Wahlen; die Unterbrechung der heilsamen Theilung der Negerstimmen zwischen den politischen Parteien; die Wiederbelebung der alten Furcht vor Negerherrschaft unter den südlichen Weißen; neues Mißtrauen und neue Zwietracht zwischen den zwei Rassen; der arme und unwissende Neger, für den der republikanische Politiker so besorgt zu sein vorgiebt, in einen hoffnungslosen Streit mit dem zahlreichen, intelligenten und reichen Weißen gezwungen; das fruchtbare Zusammenwirken der beiden Rassen im Süden wieder gewaltthätig gestört; der Frieden der Gesellschaft wieder gefährdet; der Unternehmungsgeist wieder entmuthigt; die gesellschaftliche Energie wieder gelähmt; der Fortschritt der Prosperität wieder unterbrochen durch die Aussicht auf unberechenbare Verwirrung; und alles dieses zu einer Zeit, wenn nach langen Jahren von Convulsionen und von unsagbaren Leiden die drohendsten Schwierigkeiten endlich auf sicherem Wege sind, sich selbst zu lösen, wenn man sie nur gewähren läßt.

In Erwägung all’ dieses muß ich gestehen, daß, wie man auch den Zweck dieser Maßregeln beschönigen mag, ich dieselben erachten muß als eine der leichtsinnigsten, grausamsten, empörendsten Parteimanöver, die jemals ersonnen wurden. – Ich weiß, die Republikaner geben vor, daß die Gewalt-Bill keine Streitfrage in dieser Kampagne sei. Herr Harrison versucht in seinem Annahmebrief ihr durch die schlau-sanfte Empfehlung einer Untersuchungs-Kommission aus dem Wege zu gehen. Aber kein gut unterrichteter Mensch wird sich davon täuschen lassen. Die republikanische Platform spricht sich dem Wesen nach dafür aus. Beinahe jeder hervorragende Republikaner von Einfluß ist ein lauter Befürworter davon gewesen, unter den lautesten Präsident Harrison selbst. Sie sind vorsichtig gemacht worden durch die offenbare Strömung der öffentlichen Meinung dagegen, aber kein einziger von ihnen hat offen und unzweideutig erklärt, daß er sie nicht weiter begünstigen wird. Nein, Sie mögen dessen sicher sein, die Partei, wie sie jetzt geführt [29] wird, wird vor nichts zurückschrecken, um sich in der Gewalt zu erhalten. Ich hege nicht den geringsten Zweifel daran, daß die republikanische Partei, wenn sie die Präsidentschaft behält, und genügende Stärke in den beiden Häusern des Kongresses gewinnt, die Gewalt-Bill zum Gesetze des Landes machen wird, was auch immer die Konsequenzen sein mögen. Nur ihre Niederlage kann uns vor diesem Schicksal bewahren.

Harrison, der Demagoge.

Ich kann hier nicht, ohne Ihrer Geduld zu viel zuzumuthen, die Treulosigkeit des Herrn Harrison besprechen, mit der er seine Verheißungen in Bezug auf die Reform des Civildienstes behandelt hat. Unser betrauter Freund George William Curtis gab darüber sein Urtheil ab in seiner letzten Rede vor der Civildienst Reform League, einer Rede, die kein aufrichtiger Mensch ohne Bewunderung und Nutzen lesen kann. Und Herr Curtis wußte damals noch nichts von dem schamlosen Mißbrauch officiellen Einflusses in der Minneapolis Convention zu Gunsten desjenigen, der die Patronage zu vertheilen hatte. Ebenso wenig kann ich mir erlauben, hier Präsident Harrison’s Führung unserer auswärtigen Angelegenheiten ausführlich zu erörtern, deren sorgfältiges Studium mich zu dem Entscheide gebracht hat, daß in mehreren der wichtigsten Fällen, von denen Präsident Harrison selbst mit der größten Selbstwürdigung spricht, lang anerkannte Grundsätze des Völker-Rechtes, sowohl wie die guten Ueberlieferungen unserer eigenen diplomatischen Geschichte schnöde bei Seite gesetzt worden sind, mit einem – um die Dinge bei dem rechten Namen zu nennen – demagogischen Leichtsinn, der sich weder mit der Würde noch mit der Sicherheit der Republik verträgt.

Cleveland der Mann.

Ich habe genug gesagt, um zu zeigen, daß ich meinestheils es für meine Pflicht erachte, als ein amerikanischer Bürger, der die gegenwärtige und zukünftige Wohlfahrt der Republik am Herzen hat, Cleveland’s Candidatur in dieser Wahl zu unterstützen und meinen Mitbürgern zu rathen, dasselbe zu thun. Ich weiß, wir wagen immer etwas, wenn wir unseren Stimmzettel abgeben. Wir können uns nur unser Urtheil gewissenhaft darüber bilden, wo die Möglichkeiten des Guten am stärksten sind; und vor allem sollen wir Sorge tragen, Dinge von geringerer Bedeutung denen von höherer Wichtigkeit unterzuordnen. Indem wir dies thun, werden wir, wie ich hoffe, in der zuversichtlichen Erwartung vereinigt sein, daß durch die Wahl Herrn Clevelands zur Präsidentschaft der Vereinigten Staaten dem Lande eine ehrliche, [30] weise, conservative und solide Administration des öffentlichen Wesens gesichert wird; daß die materiellen Interessen gefördert werden durch eine vernünftige, ökonomische Politik; daß, was von größerer Tragweite ist, das Wachsthum der demoralisirenden Einflüsse in unserem politischen Treiben aufgehalten, und daß unsere Jugend mit edlerem Ehrgeiz und höheren Begriffen von Pflicht, Nützlichkeit, Erfolg und Selbstachtung im öffentlichen Leben ausgerüstet werden wird.

Ich verbleibe, meine Herren,
Ihr sehr ergebener,
Carl Schurz.

Bolton, Lake George,

8. September 1892.