Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Walther im Kloster
Untertitel:
aus: Deutsche Sagen, Band 2, S. 55-62
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Nicolai
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons,Google
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[55]
407.
Walther im Kloster.

Chronicon novaliciense Lib II. cap 7-13.[1].


Nachdem er viele Kriegsthaten in der Welt verrichtet hatte, und hochbejahrt war, dachte Held Walther seiner Sünden, und nahm sich vor, durch ein strenges, geistliches Leben die Verzeihung des Himmels zu erwerben. Sogleich sucht er sich einen schönen Stab aus, ließ oben an die Spitze mehrere [56] Ringe, und in jedem Ring eine Schelle heften; darauf zog er ein Pilgrimkleid an, und durchwanderte so fast die ganze Welt. Er wollte aber die Weise und Regel aller Mönche genau erforschen, und ging in jedes Kloster ein; wenn er aber in die Kirche getreten war, pflegte er zwei oder drei Mal mit seinem Stabe hart auf den Boden zu stoßen, daß alle Schellen klangen; hierbei prüfte er nämlich den Eifer des Gottesdienstes. Als er nun ein Mal in das Kloster Novalese gekommen war, stieß er auch hier seiner Gewohnheit nach, den Pilgerstab hart auf den Boden. Einer der Kirchenknaben drehte sich um rückwärts, um zu sehen, was so erklänge; alsbald sprang der Schulmeister zu, und gab dem Zögling eine Maulschelle. Da seufzte Walther und sprach: „nun hin ich schon lange und viele Tage durch die Welt gewandert, und habe dergleichen nicht finden können. Darauf meldete er sich bei dem Abt, bat um Aufnahme ins Kloster, und legte das Kleid dieser Mönche an; auch wurde er nach seinem Willen zum Gärtner des Klosters bestellt. Er nahm zwei lange Seile, und spannte sie durch den Garten, eins der Länge und eins der Quere nach; in der Sommerhitze hing er alles Unkraut darauf, die Wurzeln gegen die Sonne, damit sie verdörren, und nicht wieder lebendig werden sollten[2] .

Es war aber in dem Kloster ein hölzerner Wagen, überaus schön gearbeitet, auf den man nichts [57] anders legte, als eine große, oben mit einer helllautenden Schelle versehene, Stange. Diese Stange wurde zuweilen aufgesteckt, so daß sie jedermann sehen und den Klang hören konnte. Alle Höfe und Dörfer des Klosters hatten nun auch ihre Wagen, auf denen der Mönche Dienstleute Korn und Wein zufuhren; jener Wagen mit der Stange fuhr dann voraus, und hundert oder funfzig andere Wagen folgten nach, und jedermann erkannte daran, daß der Zug dem berühmten Kloster Novalese gehörte. Und da war kein Herzog, Graf, Herr oder Bauer, der gewagt hatte, ihn zu beschädigen; ja die Kaufleute auf den Jahrmärkten sollen ihren Handel nicht eher eröffnet haben, als bis sie erst den Schellenwagen heranfahren sahen. Als diese Wagen ein Mal beladen zum Kloster zurückkehrten, stießen sie auf des Königs Leute, welche die königlichen Pferde auf einer Wiese weideten. Diese sahen kaum so viel Güter ins Kloster fahren, als sie übermüthig darauf herfielen, und alles wegnahmen. Die Dienstleute widersetzten sich vergeblich, ließen aber, was geschehen war, augenblicklich dem Abt und den Brüdern kund thun. Der Abt versammelte das ganze Kloster, und berichtete die Begebenheit. Der Vorsteher der Brüderschaft war damals einer Namens Asinarius, von Herkunft ein Franke, ein tugendhafter, verständiger Mann. Dieser, auf Walthers Rath, man müsse zu den Räubern kluge Brüder absenden, und ihnen die Sache gehörig vorstellen lassen, sagte sogleich: „so sollst du Walther schnell dahin gehen,

[58] denn wir haben keinen klügeren, weiseren Bruder.“ Walther aber, der sich wohl bewußt war, er werde den Trotz und Hochmuth jener Leute nicht ertragen können, versetzte: „sie werden mir mein Mönchskleid ausziehen.“ „Wenn sie dir dein Kleid ausziehen,“ sprach Asinarius, „so gib ihnen noch die Kutte dazu und sag, also sey dirs von den Brüdern befohlen.“ Walther sagte: „wie soll ich mit dem Pelz und Unterkleid verfahren.“ „Sag, versetzte der ehrwürdige Vater, es sey von den Brüdern befohlen worden, sich auch diese Stücken nehmen zu lassen.“ Darauf setzte Walther hinzu: „zürne mir nicht, daß ich weiter frage, wenn sie auch mit den Hosen thun wollen, wie mit dem übrigen?“ „Dann, antwortete der Abt, hast du deine Demuth schon hinlänglich bewiesen; denn in Ansehung der Hosen kann ich dir nicht befehlen, daß du sie ihnen lassest.“

Hiermit war Walther zufrieden, ging hinaus und fragte die Klosterleute: „ob hier ein Pferd wäre, auf dem man im Nothfall einen Kampf wagen dürfe?“ „Es sind hier gute, starke Karrengäule, antworteten jene.“ Schnell ließ er sie herbeiführen, bestieg einen und spornte ihn, und dann einen zweiten, verwarf sie aber beide, und nannte ihre Fehler. Dann erinnerte er sich eines guten Pferdes, das er einst mit ins Kloster gebracht habe, und frug, ob es noch lebendig wäre? „Ja Herr – sagten sie – es lebt noch, ist aber ganz alt und dient bei den Bäckern, denen es täglich Korn in die Mühle trägt, und wieder holt.“ [59] Walther sprach: „führt es mir vor, damit ich es selber sehe.“ Als es herbeigebracht wurde, und er darauf gestiegen war, rief er aus: „o, dieses Roß hat die Lehren noch nicht vergessen, die ich ihm in meinen jungen Jahren gab.“ Hierauf beurlaubte sich Walther von dem Abt und den Brüdern, nahm nur zwei oder drei Knechte mit, und eilte zu den Räubern hin, die er freundlich grüßte und ermahnte, von dem Unrecht abzustehn, das sie den Dienern Gottes zugefügt hätten. Sie aber wurden desto zorniger und aufgeblasener, und zwangen Walthern, das Kleid auszuziehen, welches er trug. Geduldig litt er alles und sagte, daß ihm so befohlen worden sey. Nachdem sie ihn ausgezogen hatten, fingen sie an, auch seine Schuhe und Schienen aufzulösen; bis sie an die Hosen kamen, sprach Walther: das sey ihm nicht befohlen. Sie aber antworteten: „was die Mönche befohlen hätten, daran wäre ihnen gar nichts gelegen.“ Walther hingegen sagte: „ihm stehe das auch nicht länger an," und wie sie Gewalt brauchen wollten, machte er unvermerkt seinen Steigbügel los, und traf damit einen Kerl solcher Gestalt, daß er für todt niedersank, ergriff dessen Waffen, und schlug damit rechts und links um sich. Darnach schaute er, und sah neben sich ein Kalb auf dem Grase weiden, sprang zu, riß ihm ein Schulterblatt aus, und schlug damit auf die Feinde los, welche er durch das ganze Feld hin trieb. Einige erzählen, Walther habe demjenigen, der sich am frechsten erzeigt, und gerade gebückt habe,

[60] um ihm die Schuhe abzubinden, mit der Faust einen solchen Streich über den Hals versetzt, daß ihm das zerbrochene Halsbein sogleich in den Schlund gefallen sey. Als er nun viele erschlagen hatte, machten sich die Übrigen auf die Flucht, und ließen alles im Stich. Walther aber bemächtigte sich nicht nur des eigenen, sondern auch des fremden Gutes, und kehrte mit reicher Beute beladen ins Kloster zurück.

Der Abt empfing ihn seufzend, und schalt ihn heftig aus. Walther aber ließ sich eine Buße auflegen, damit er sich nicht leiblich über eine solche That freuen möge, die seiner Seele verderblich war. Er soll indessen, wie einige versichern, drei Mal so mit den einbrechenden Heiden gekämpft, und sie schimpflich von den Gefilden des Klosters zurückgetrieben haben.

Ein ander Mal fand er die Pferde Königs Desiderius auf der Klosterwiese, Namens Mollis (Molard) weiden, und das Gras verwüsten, verjagte die Hüter und erschlug viele derselben. Auf dem Rückwege, vor Freude über diesen Sieg, schlug er mit geballter Faust zwei Mal auf eine neben dem Weg stehende steinerne Säule, und hieb das größte Stück davon herunter, daß es zu Boden fiel. Daselbst heißt es bis auf heutigen Tag noch Walthers Schlag oder Hieb

(percussio vel ferita Waltharii).

Dieser berühmte Held Graf Walther, starb uralt im Kloster, wo er sich selbst noch sein Grab auf einem Berggipfel sorgfältig gehauen hatte. Nach seinem Ableben wurde er und Rathald, sein Enkel, hinein [61] bestattet. Dieser Rathald war der Sohn Rathers, des Sohnes Walthers und Hildgundens. Des Rathalds Haupt hatte einst eine Frau, die Betens halber zu der Grabstätte gekommen war, heimlich mitgenommen und auf ihre Burg gebracht. Als eines Tages Feuer in dieser Burg ausbrach, erinnerte sie sich des Hauptes, zog es heraus, und hielt es der Flamme entgegen. Alsobald erlosch die Feuersbrunst. Nach dem letzten Einbruch der Heiden, und bevor der heil. Ort wieder erbaut wurde, wußte niemand von den Einwohnern mehr, wo Walthers Grab war. Dazumal lebte in der Stadt Segusium eine sehr alte Wittwe, Namens Petronilla, gebückt am Stabe einhergehend, und wenig mehr sehend aus ihren Augen. Dieser hatten die Heiden ihren Sohn Maurinus gefangen weggeführt, und über dreißig Jahre mußte er bei ihnen dienen. Endlich aber erlangte er die Freiheit, und wanderte in seine Heimath zurück. Er fand seine Mutter vom Alter beinahe verzehrt; sie pflegte sich täglich auf einem Felsen bei der Stadt an der Sonne zu wärmen, und die Leute gingen oft zu ihr, und fragten nach den Alterthümern; sie wußte ihnen Mancherlei zu erzählen, zumal vom novalesischen Kloster, viele unerhörte Dinge, die sie theils noch gesehen, theils von ihren Eltern vernommen hatte. Eines Tages ließ sie sich wiederum von einigen Männern herumführen, denen wies sie Walthers Grab, das man nicht mehr kannte, so wie sie es von ihren Vorfahren gehört hatte; wiewohl ehemals keine Frau

[62] gewagt hätte, diese Stätte zu betreten. Auch verzählte sie, wie viel Brunnen ehemals hier gewesen. Die Nachbarsleute behaupteten, gedachte Frau sey beinahe zwei Hundert Jahre alt geworden.



  1. Offenbar dieselbe Sage geht von Wilhelm dem Heiligen, als Einsiedler, vergl. das dänische Volksbuch, Carl Magnus, S. 140.
  2. Vergl. Meister Stolle (hinter Tristan. S. 147. No. IX.)