Wahrnehmungen auf einer Fahrt von Chartūm nach dem Gazellen-Fluß
5. Januar 1869. Gegen Mittag verläßt die Barke die Stadt Chartūm und segelt ohne Aufenthalt den Weißen Nil hinauf.
6. Januar 1869. Nachdem die Nacht hindurch gesegelt worden, hat man früh Morgens den Gebel Mandera in Sicht und kommt gegen 10 Uhr Vormittags beim Gebel Berēma vorbei. Die Uferlandschaft bleibt sich gleich. Der Wüstenrand fällt dünenartig ab und ist mit schmalen Baumstreifen, oft licht, oft dichter, zu beiden Seiten des Flusses bestanden, gebildet von Harrās-Acacien (A. albida D.) und der großen Form der Schirm-Acacie (A. spirocarpa H.), welche Ssāmmor in den nördlichen Wüsten Nubiens, hier Sejāl genannt wird. Die Vegetation bewahrt den vollen Wüsten-Charakter Nubiens; Panicum turgidum F., das als Kameelweide allverbreitete Schūsch-Gras, ist hier noch in Massen vertreten.
7. Januar 1869. In der Frühe wird Getēna am rechten Ufer erreicht, woselbst ausgedehnte Culturen in der Nähe des Dorfes liegen. Auf den benachbarten weiten, nackten Uferflächen bieten frisch-sprossende Cyperus-Rasen erwünschte Weide für Tausende zusammengeschaarter Gänse. Das rechte Ufer wird theils von nackten, bis 30 Fuß hohen Sanddünen, theils von großen Uscher-Gebüschen (Calotropis) begrenzt, das linke, unabsehbar flache, mit spärlichen Baumreihen, scheint zahlreiche Durra-Culturen aufzuweisen.
Dieser Contrast im Charakter der Uferlandschaft hat seinen Grund in einem hydrographischen Gesetze, welches der untere Lauf des Weißen Nils in auffallender Weise zur Schau trägt. Daß von S. nach N. strömende Flüsse (vermöge der aus südlicheren Breiten in nördliche übertragenen größeren Rotations-Geschwindigkeit ihrer Wassertheile) stets das rechte Ufer abzuspülen pflegen, während sie ihre Deposita am linken ablagern, tritt hier deutlich dem Reisenden vor Augen. Daher sind denn auch die Felder hauptsächlich am westlichen Ufer, während das östliche wiederum mehr Ortschaften und ein tieferes Fahrwasser aufweist. Alle Barken segeln daher nur auf dieser Seite und halten nie auf der westlichen, wo sie in weitem Abstande vom Lande keine hinreichende Tiefe mehr finden. Der Reisende, welcher nun [30] nach den winzigen, sandreichen Culturen am rechten Ufer die Productivität des Landes beurtheilen wollte[1], würde daher in großen Irrthum gerathen. In der That hat auch der Weiße Nil ebenso fruchtbare Alluvionen wie der Blaue; wennschon ihm das Augit-reiche Verwitterungs-Produkt der vulkanischen Gebirge Abyssiniens mangelt, so ist doch sein Humus-Reichthum um so bedeutender, und der schwarz-graue Nilthon hier von einer Feinheit und Dichtigkeit des Korns, wie er in Nubien und Aegypten nirgends mehr angetroffen wird.
Um 5 Uhr Nachm. haben wir zur Linken die Insel Magauīr mit prächtigen schwarzerdigen, anscheinend gut bestellten Aeckern, auf welchen Weizen gebaut wird; um 6 Uhr passiren wir das durch drei schöne Harrās-Acacien, wie mit einer weithin sichtbaren Landmarke versehene Dorf Salehīēh und halten um 8 Uhr bei den Wod-Schēllaï genannten Dörfern, dem gewöhnlichen Halteplatze aller Nilbarken, wo man Rinder schlachtet und mit Merissa-Bier den Abschied von der Mahomedanischen Cultur zu feiern pflegt. Ein Ausflug zum gegenüberliegenden westlichen Ufer führte zum ersten Male in die Ssūntwälder, welche von nun an tonangebend den Vegetationscharakter der Nilufer bezeichnen. Vor 30 Jahren noch dichte von Meerkatzen belebte Urwälder, sind diese Waldungen nunmehr durch die fortgesetzte Ausbeutung für den Schiffsbaubedarf von Chartūm zu völlig gelichteten Hainen ausgehauen. Seit vielen Jahren bereits sind die Regierungs-Werfte weiter oberhalb auf den Schilluk-Inseln etablirt. Was man hier Ssūnt nennt (Ssunnut oder Ssant) sind zwei Acacien-Arten, welche im Habitus, Wuchs und Holz völlig übereinstimmend, aber dennoch, durch die Behaarung der Hülsen und Zweige bei der einen constant verschieden, in fortwährendem Gemenge unter einander angetroffen werden. Die kahle Art ist die nämliche, welche Aegyptens Dörfer umschattet und den Landstraßen daselbst ein so liebliches Aussehen verleiht (Acacia nilotica D.), aber wildwachsend in diesem übervölkerten Lande nicht mehr angetroffen wird; diejenige, welche auf den Zweigen und Paternosterschnurartigen Hülsen einen feinen, weißgrauen Filz aufweist, ist die in Indien und am Senegal verbreitete Art (A. arabica W.). Hinter dem hier an 1000 Schritt breiten Waldstreifen dehnen sich unabsehbare Durrafelder aus. Eine große und gelbkernige Varietät (Ssōfra genannt) dieses weit verbreiteten Culturgewächses (Sorghum vulgare Pers.) gedeiht hier in solcher Ueppigkeit, daß mir nur wenige Kolben zu Gesichte kamen, welche nicht wenigstens ¾ Fuß lang und 5 Zoll dick waren, Proben, die man Herrn Samuel Baker hätte überreichen [31] müssen, als er seinen Passus von der Unfruchtbarkeit des Weißen Nils niederschrieb.
9. Januar 1869. Wod Schēllai wird Abends verlassen, die Nacht hindurch fortgesegelt und früh Morgens, angesichts des Geb. Araschkol, auf der Kordofanischen Seite bei der Viehtränke des Dorfes Turra gehalten.
10. Januar 1869. Ein zweistündiger starker Marsch führte zu diesem Dorfe. Auf dem Wege dahin passirte man zunächst den Streifen des aus den beiden Ssūnt-Acacien gebildeten Uferwaldes, dann folgte lichteres Gehölz von Talch-Acacien (A. Sejal Del.); auffallend durch die zimmtbraune Rinde der Stämme liefert diese Art die geringere Sorte des Gummi, welcher von Chartūm unter obigem Namen in den Handel kommt. Aus dem Talch-Haine gelangte man in eine völlig verdorrte, mit niederem Gestrüpp der Laūd-Acacie (A. nubica Bth.) bestandene Steppenfläche, wo die Landplage Kordofans, das abscheuliche Stachelgras Askanīt (Cenchrus niloticus) bereits die Oberhand über den Schusch der nördlichen Steppen gewonnen hatte. Nirgends in der Welt kann man prächtigere Rinderheerden sehen, als diejenigen, welche hier die Hassanīeh-Araber zum Flusse trieben. Das Höckerrind, eine mit dem indischen Zebu fast identische Race, mit langen Hörnern und hakigem Rücken-Fetthöcker, spielt hier unter Tausenden die Hauptrolle, während das kurzhörnige, höckerlose ägyptische Rind, wie es die alten Denkmäler darstellen, und das durch die große Seuche in den Jahren 1863 und 64 in Aegypten völlig ausgerottet wurde, in Ober-Nubien jedoch noch vorwaltet, nur ganz vereinzelt auftrat. Die Zeichnung des Fells besteht der Mehrzahl nach in einer leopardenartigen Fleckung von kohlschwarzen Punkten auf weißem Grunde; indeß sind weißbraun gescheckte und rothbraun einfarbige auch häufig. An Körperumfang und Höhe übertreffen alle Rinder, sowohl der Hassanīeh- als auch der Baggāra-Araber, die von den Bewohnern des oberen Weißen Nils gepflegten Racen. Am rechten Nilufer walten dichtverschlungene Massen der Ipomoea asarifolia R. S. seit Wod-Schellai noch vor und scheinen jede andere Vegetation ausschließen zu wollen. Die großen Bäume der Schirm-Acacie treten hier noch einmal in den Vordergrund, um jenseits der Grenze der Wüsten-Region bald für immer aus den Beständen des Uferwaldes ausgeschlossen zu werden.
11. Januar 1869. Nachdem die Nacht hindurch wieder gesegelt worden, erreicht man des Morgens das große Dorf Duēme. Ipomoea asarifolia spielt immer noch die Hauptrolle in der Ufervegetation. Oberhalb der Insel Hassanīeh treten kleine Eilande auf, welche zum ersten Male die Mimosa asperata W. (Habbas in Aegypten, hier Mandēb genannt) in dichten Beständen darbieten. Dieses stachelreiche Strauchwerk [32] bildet von nun an die Einfriedigung aller Inseln der Schillukregion, welche mit diesen Dickichten wie mit einem natürlichen Dornverhaue (Seriba) umgeben sind. Nur eine Pflanze in den benachbarten Ländern wetteifert mit der Habbas-Mimose an Gefährlichkeit für Haut und Kleider des Reisenden, es ist die abyssinische Kautuffa (Pterolobium), welche vor jener das voraus hat, daß ihre Stacheln gekrümmt sind und förmliche Widerhaken bilden. Der im gesammten mittleren und oberen Nil-Gebiete weitverbreiteten Kittr-Acacie (A. mellifera Bth.) sei hierbei nicht gedacht, denn ihre gefährlichen Bosquets kann der Reisende leicht umgehen und vermeiden. Die Durracultur scheint in den letzten Jahren in dieser Gegend bedeutende Ausdehnung gewonnen zu haben, und es ist ein erfreuliches Zeichen des fortschreitenden Bodenbaus, den Fellachen Nubiens immer weiter und weiter die Ufer des Weißen Nils hinaufwandern und die passiven Völker der schwarzen Race theils verdrängen, theils zu größerer Energie anspornen zu sehen.
Der Viehreichthum dieser Gegend ist enorm. Fortwährend fährt man an Tränkeplätzen vorüber, wo Heerden von nicht unter 1000, ja bis 3000 Stück Rinder versammelt sind. Nachmittags wurde Kaua, auch el Ēs genannt, erreicht, einstmals die Südgrenze der ägyptischen Herrschaft bildend und auch jetzt noch der am weitesten nach Süden vorgeschobene Platz, bis wohin das Land (die Mudirīeh von Chartūm) regelrecht administrirt wird.
12. Januar 1869. Unmittelbar oberhalb Kaua beginnt die Region der Schilluk-Inseln, welche noch reiche von der Axt wenig gelichtete Bestände riesengroßer Ssūnt-Acacien aufweisen. Bei einem dieser zahllosen kleinen Waldinseln, Namens Om-Mandēb (Mutter der Mandēb-Mimosa) wurde gehalten. Oxystelma und Coccinia wuchern in Massen mitten unter den Mimosen-Dickichten. Eine interessante Erscheinung bildet das völlig wilde Auftreten der Wassermelone (Citrullus vulgaris Schrad.), welche gegenwärtig ihr Culturcentrum zweifellos in Centralasien habend, offenbar afrikanischen Ursprungs ist. Bereits Reisende in Kordofan sammelten wilde Exemplare dieser Art. Die Früchte sehen täuschend aus wie Coloquinthen, haben ein weißes Fleisch, sind jedoch frei von jeder Bitterkeit. Wassermelonen in dürren Wüsten-Oasen ausgesäet, degeneriren bald und werden dieser Stammform ähnlich; so sah ich bei Durrur und Suakin am Rothen Meere gleichfalls ganz weiße, coloquinthengroße Früchte, welche die Beduinen in der Nähe der brackigen Brunnen ausgesäet hatten. – Bei Sonnenuntergang fährt man am Westufer der sehr lang hingestreckten Insel Aba entlang, wo die Ssūnt-Acacien eine bisher nicht wahrgenommene Größe entwickeln. Wie stolze Eichen mit weitverzweigtem Astwerk ragen [33] sie im Uferwalde empor. Bei einer kleineren an die vorige angenäherten Insel wurde die erste Ambatsch-Vegetation bemerkt (Herminiera Elaphroxylon G. P.), welche von hier an eine so hervorragende Rolle unter der Ufervegetation spielt und überhaupt als das merkwürdigste Gewächs der Flora des obern Nils bezeichnet werden kann. Sie kommt auch im Senegal vor und ist durch die beispiellose Leichtigkeit ihres Holzes, das rapide Wachsthum des schwammigen Holzkörpers und eine 5–6jährige Vegetationsepoche ausgezeichnet, welche dadurch entsteht, daß nach Verlauf dieser Zeit, wenn die bis zu 15 and 20 Fuß Höhe aufgeschossenen und an der Basis mannsstarken Stämme ihre Verholzung vollendet haben, Sumpfameisen und Gewürm die festeren Theile unten am Boden zerstören, so daß die ganze Masse umstürzt und schnell faulend den Strom hinabtreibt. Zahllose Sämlinge gewinnen nun Platz zur Entwickelung, erreichen indeß im ersten Jahre nicht diejenige Größe, welche der Schifffahrt Hindernisse bereiten könnte. Hieraus erklärt sich die seltsame Erscheinung, daß an Stellen, wo vor einigen Jahren Ambatschmassen ein undurchdringliches Dickicht auf der Oberfläche des trägefließenden Stromes bildeten, jetzt weites klares Fahrwasser sich dem Reisenden darbietet, wo man nur an den Ufern die 1–2 Fuß hohen frisch sprossenden und einjährigen Ambatschpflanzen wahrnimmt. Der letztere Fall begünstigte, wie man aus dem Folgenden ersehen wird, außerordentlich die Fahrt in den Gewässern des Gazellenstromes.
13. Januar 1869. Man hält wieder bei einer Insel mit Hochwald, immer noch im westlich von der Insel Aba gelegenen Canale steuernd. Grüngraue Meerkatzen und Marabut-Störche treten hier zum ersten Male in größerer Menge vor die Augen des Fremdlings und vermehren den romantischen Zauber dieser Waldeinsamkeit. Auch fand hierselbst das erste Zusammentreffen mit Schilluk-Negern statt, welche ehedem auf allen diesen Inseln ansässig, jetzt nur ausnahmsweise bis in diese Breite (12° 30′) auf ihren Kähnen von ausgehöhlten Tamarindenstämmen vordringen, während die Baggāra-Araber immer mehr festen Fuß an den Flußufern fassen und sich bereits mit ihren Heerden weit in das Innere an der östlichen Seite des Stromes hineinwagen.
Nachmittags passirt man, eine seltene Erscheinung im Fahrwasser des Weißen Nil, lange, streifenförmige Sandbänke, welche mit unabsehbaren Schaaren des Kronenkranichs bedeckt erscheinen, den man nicht selten auch an den Küsten Siciliens antrifft und der einer der in größten Massen diese Gewässer bewohnenden Vögel ist. In 4 bis 5 Reihen aufgestellt, wie ein Regiment Soldaten, machen sie alle nach Norden zu Front. Am westlichen Ufer gewahrt man auch große [34] Truppen einer großen, langhörnigen Antilopenart, ungestört im lichten Gehölze weidend.
14. Januar 1869. Bei einer kleinen Insel Om-Mussot wird gehalten. Eine nordwärts noch nicht gesehene Acacienart, Schubahi genannt und von mir vor 4 Jahren bei Kassala zuerst gefunden (Acacia verugera Schwf.) bildet hier den Wald. Sie ist der senegambischen Acacia Adansonii verwandt und durch die ungewöhnliche Länge ihrer Dornen und den lieblichen Duft der weissen, kugelförmigen Blüthenstände ausgezeichnet. Das Gummi derselben hat keinen Werth, gelangt wenigstens nicht in den Handel. An den Ufern des obern Weißen Nil, des Bahr el Gebel und des Bahr el Ghasāl ist diese Art eine der häufigsten Waldbäume und vertritt von nun ab die Stelle der verschwundenen Ssūntbäume. Es war für meine Begleitung ein Unglückstag, denn als ich eine Rundtour durch die Insel machte, wurde einer meiner Diener, hart an meiner Seite, im hohen Ufergrase von einem wüthenden Büffel überrannt, der ihm den Oberkiefer spaltete, 4 Zähne ausstieß und ihn kopfüber hoch in die Luft schleuderte, sodaß wir Andern bereits glaubten, des Unglücklieben letzte Stunde sei gekommen (vgl. diese Zeitschr. 1869. S. 322). Indeß erholte sich der Schwerverletzte und war nach 3 Wochen völlig wiederhergestellt. Angesichts der zwei gewaltigen Granitmassen des Berges Njemati wurde gegen Abend am Ostufer der Insel Om-Ssongūr gelandet, woselbst eine große Menge Baggāra-Araber ihre Zeltlager errichtet hatte.
15. Januar 1869. Wir fahren zum rechten Ufer hinüber und ich besuche den Gebel Njemati, welcher nur wenige Minuten Weges vom Ufer entfernt liegt. Im schönen Uferwalde überragen die ersten Tamarinden, die auf dieser Fahrt angetroffen wurden, stolz alles übrige Busch- und Strauchwerk. Während letzteres größtentheils seines Laubes in dieser dürren Jahreszeit beraubt ist, erfreut die Tamarinde den Wanderer durch den stets dichten Schatten, welchen ihre dunkle Krone gewährt. Bestandbildend ist dieser für die Waldregion des Sudans charakteristische Baum nirgends, er findet sich immer nur vereinzelt unter den Acacien, Cordia, Balanites und Zizyphus, welche hier die Hauptmasse des Gehölzes bilden. Von Acacien sind hier die häufigsten der Talch, der Laūd und der Kitr (A. mellifera). Cordia subopposita DC. (Omderāb) ist jetzt überall voller rother schleimiger Beeren, desgleichen der Nebak (Ziz. Spina Christi), dessen Früchte ein apfelartiges Arom besitzen; am wohlschmeckendsten jedoch sind die in ungeheurer Menge überall am Boden liegenden pflaumenartigen Hegelig-Früchte, Lalōb genannt, welche Balanites aegyptiaca, ein von Oberägypten bis Gondokoro allenthalben verbreiteter Baum, liefert. Wie [35] fast alle Früchte dieser Länder sind sie wenig saftig und enthalten einen süßlichen, nach Lebkuchen schmeckenden Brei, der einen bitterlichen Nachgeschmack besitzt und purgirend wirkt. Ein in diesen buschreichen Dickichten sehr häufig anzutreffendes und überall im Gebiet des Weißen Nil verbreitetes großes Blattwerk, welches lebhaft an Dracaenen, die Modepflanze unserer Blumentische, erinnert, ist die Sanseviere guineensis. Aus dem festen Baste der rothgesäumten Blätter lassen sich vortreffliche Stricke gewinnen, sowie im frischen Zustande auch die einzelnen Fasern als Packmaterial verwerthen. Der aus wild durcheinander gewürfelten Granitblöcken bestehende Njemati-Berg ist mit Bäumen und Gesträuch bestanden, unter welchen Combretum Hartmannianum Schf. (der Ssabāh), Ficus populifolia Vahl (der Terter), Sterculia Hartmanniana Schf. Dalbergia, (das Babanuß genannte schwarzbraune Ebenbolz des Sudan), und eine neue Art Stereospermum, voller schön rosenrother Blüthen, erwähnt zu werden verdienen. Hundert Fuß lange Granitblöcke, aus einem Stück bestehend und ohne Riß, ziehen sich bis an das Nilufer hin, wo sie wie versenkte Kuppeln erscheinen und weite Platten bilden. Eine eigene Art Vallisneria (V. aethiopica Fenzl) wuchert, ausgedehnte Rasen auf dem Grunde des Wassers bildend, in geringer Tiefe am Ufer, gerade wie ihre nordische Schwester in den Fluthen der Rhone.
16. Januar 1869. Auf einer benachbarten Insel weiden prächtige Rinder der Baggāra, und ein fetter großer Bulle wird für den Preis von nur 3 Marien-Theresien-Thalern erstanden. In Wod Schellai gab es deren zwei für 5 Thaler; dagegen ist der Kaufpreis der Rinder in dem Gebiete der Neger, nach Kupferringen gerechnet, mit denen sie bezahlt werden, ein weit höherer, und in Faschōda kann man 15 Thlr. für das Stück rechnen.
17. Januar 1869. An einer dicht bewaldeten Stelle des linken Ufers wurde gehalten. Die Ssuntacacien sind bereits spurlos verschwunden. Die Ambatschvegetation hat sich hier bedeutend verringert, um (wenigstens für dieses Jahr) erst wieder an der Vereinigung der den Bachr el Abiad bildenden Flüsse in den Vordergrund zu treten. Die Canäle zwischen den Strominseln verengen sich indeß immer mehr und mehr, und letztere sind von undurchdringlichen Grasmassen breit umgürtet. In dem größtentheils entlaubten Buschwerk und den Hegelig-Bäumen zeigten sich hier zuerst die weiterhin oberhalb allenthalben in Menge anzutreffenden ockergelben Fledermäuse, welche in hellen Sonnenschein mit schwalbengleicher Gewandtheit von Ast zu Ast fliegen (nicht flattern). Sie wurden Abu-Rugēh genannt; ich konnte aber nicht ausfindig machen, ob dies eine allgemeine Bezeichnung [36] für Fledermäuse im Sudan-Arabischen oder speciell für diese Art angewandt sei.
18. Januar 1869. Am linken Stromufer bei Om-Delgāl wurde gehalten und mit vielen Baggāra fraternisirt. Die großen Entenschaaren am Ufer (die schwarzbraune Art, mit hellem Scheitel) gewährten reiche Jagdausbeute, auch mehrere Gänse wurden erlegt. Sobald die Leute auf der Barke der Baggāra ansichtig wurden, ertönte ein vielstimmiges Habābkum, Habābkum als Gruß; jeder Schillukneger wird Wode-Mek (Königssohn!) angeschrieen; wo kommst du her? – was willst du? so schreit man ihn alsdann an. Im Gebiete der Dinka schließlich wird jeder Schwarze „Agiū, Agiū“ angeschrieen; so will es der Brauch auf allen Schiffen.
19. Januar 1869. Am westlichen Ufer, das hier von einer fast undurchdringlich dichten Buschwaldung bestanden ist, in welche nur enge Pfade, von Büffeln gebahnt, die zur Tränke kommen, Eingang verschaffen, wurde an Land gegangen. Luffa acutangula, ein in üppigster Fülle die Gebüsche überwucherndes Schlinggewächs der Cucurbitaceen, deren trocken gewordene Früchte ein Skelet zur Schau tragen, das sich vorzüglich als Badeschwamm gebrauchen läßt und welches deshalb in Aegypten häufig gebaut wird, wurde hier zuerst gefunden. Sie gehört nebst zahlreichen anderen Pflanzenarten [ich erwähne nur folgende als auffälligste Beispiele: Abelmoschus esculentus (die Bamia), Corchorus (die Melochia), Sesbania, Zizyphus (der Nebak), Cucumis Chate (Chatta, Adjur, Abdelaui etc. genannt), Acacia nilotica D. (Saunt)] zu der primitiven Flora Aegyptens, wenn man aus den vielen Gewächsen, die in diesem Lande gegenwärtig nur in Cultur, in den Gebieten des Sudan aber noch völlig wildwachsend angetroffen werden, den Schluß zieht, daß vor undenklicher Zeit das gesammte Nilthal einen mehr übereinstimmenden Vegetationscharakter besaß als gegenwärtig und daß erst die Ausbreitung des alten Culturvolks eine Flora von seinen nördlichen Ufern verdrängte, welche wir heut zu Tage nur erst viele hundert Meilen weiter oberhalb wiederfinden. Auch die historischen Ueberlieferungen namentlich in Bezug auf die nördliche Verbreitung von Thieren (z. B. Ibis, Hippopotamus, Crocodil etc.) und hinsichtlich des Papyrus sprechen für diese Annahme, sobald man nach Analogieen urtheilen will, aus denen sich ja jede Theorie aufbaut.
20. Januar 1869. Nachmittags taucht der Defafang am südlichen Horizonte auf, eine bedeutendere Bergmasse als alle übrigen in der Nachbarschaft des Flusses wahrgenommenen. Am rechten Ufer wurde gelandet, wo zahlreiche neue Vegetationstypen, unter denen die Kakamut-Acacia (A. Catechu W.), welche von hier an einen bedeutenden Antheil an der Bestandbildung der Waldungen der oberen Regionen [37] nimmt, den Besucher interessirten. Reich mit duftenden Blüthen bedeckt, aber in dieser Jahreszeit noch völlig laublos, erschien die bereits in den Gebirgen von Takkele im Süden Kordofan’s, sowie in Abyssinien, wo sie Mesenna genannt wird, gefundene Albizzia (A. authelminnica Brgth.), die in neuerer Zeit eine gewisse Bedeutung dadurch gewonnen hat, daß man an ihrer Rinde taenifuge Eigenschaften wahrgenommen hat, welche ihr unter allen Bandwurm-Mitteln den ersten Platz einräumen müssen.
21. Januar 1869. Die Nacht hindurch wurde die Fahrt fortgesetzt und der Defafang passirt, welcher gegenwärtig als die Nordgrenze des Negergebiets am Weißen Nil bezeichnet werden kann, da südlich von demselben die Baggāra nicht mehr an seinen Ufern anzutreffen sind. Indeß segelte die Barke am Vormittage noch bei einem großen Lager dieser Hirten am linken Ufer vorbei; die ganze Bevölkerung war daselbst im höchsten Grade durch eine Attaque seitens wilder Büffel auf einige Viehhüter in der Nachbarschaft allarmirt, und hunderte Bewaffneter sah man nach der Unglücksstätte eilen, begleitet von dem Wehklagen zahlloser Weiberstimmen. Hart am Ufergrase streifend hatte unsere Barke jene Büffel aufgescheucht, welche sich alsdann, in Wuth gerathen, auf die bei den Heerden befindlichen Baggāra gestürzt hatten. Ohne Näheres über den Ausgang dieser Begebenheit zu erfahren, segeln wir weiter. Der Ambatsch ist nun spurlos verschwunden, und nichts als endlose Grasmassen begrenzen die Ufer, dahinter der Hochwald, gebildet von Acacia verugera mit Unterholz von Talch- und Kittr-Acacien, Cadaba, Maerua und Cordia. Ab und zu wie gewöhnlich überragen die gesammte Waldmasse majestätische Kronen dunkelgrüner Tamarinden, eine Lieblingsstätte der sich in ihren Zweigen tummelnden Meerkatzen.
Nachmittags segelt die Barke bei gutem Winde mit einer Flottille weiß-grauer Pelekane um die Wette; wiederholte Schrotschüsse vermögen sie nicht zum Auffliegen zu bringen, bis sie endlich von der Barke überholt und einige aus ihrer Mitte erlegt worden waren. Am linken Ufer wurden zahlreiche Spuren einer großen Elephantenheerde und frische Losung dieser Thiere angetroffen. Nach den Berichten der Baggāra, welche als kühne und gewandte Handhaber dieser großartigen Jagd bekannt sind, die sie nur mit Lanze und Schwert bewaffnet betreiben, wäre diese Gegend eine der ergiebigsten zum Betriebe der Jagd. Dagegen muß man weit oberhalb den Ufern des großen Flusses folgen, bis man wieder Localitäten antrifft, wo sich derartige Gelegenheit darböte. Die außerordentlich dichte Bevölkerung des Schillukgebiets ist wohl die Veranlassung dieser eigenthümlichen Lücke. Bei untergehender Sonne wurde der Platz am linken [38] Ufer erreicht, welcher als ehemaliges Hauptquartier des berühmten Räuberchefs Mohammed Cher stets eine gewisse Bedeutung in der Geschichte des Weißen Nils behalten wird. Wallartige Erdaufwürfe, umgeben von tiefen Gräben, im Innern einige Spuren von verfallenem Erdgemäuer, bezeichnen die Stätte von Mohammed Cher’s Seriba. Wahrhaft erstaunlich sind die colossalen Knochenmassen, hauptsächlich von den hierselbst geschlachteten und verschmausten Rindern herrührend, welche von weit und breit im großartigen Maßstabe zusammengeraubt worden waren und die nun theils in großen Haufen, theils endlos über die Steppe gesäet den Platz umgeben. Auch menschliche Gebeine in Menge, nebst Schädeln von Eseln und Pferden, halbverkohlt in Folge des Steppenbrandes, trifft man aller Orten an; indeß werden bei dem rapiden Stoffwechsel dieser üppigen Tropennatur wenige Jahre genügen, um auch diese letzten Reste ehemaliger Herrlichkeit spurlos verschwinden zu lassen. Die Verwitterung der Knochen im hohen Grase, bei der Heftigkeit der Regengüsse in Charif und der verzehrenden Gluth der Sonnenstrahlen während der Dürre, die durch den alljährlich wiederkehrenden Steppenbrand angerichtete Zerstörung schließlich nicht zu vergessen, ist eine derartige, daß die Schädel im dritten Jahre bereits in ihre Theile zerfallen und schon nach der zweiten Regenzeit unbrauchbar für die Sammlungen werden.
22. Januar 1869. Der Morgen wird in Hellet Kaka am rechten Ufer verbracht, woselbst die ersten festen Wohnplätze von Schilluk-Negern auf dieser Fahrt berührt werden. Die ägyptische Regierung unterhält hier eine Art Getreidemagazin, d. h. einen Stapelplatz zur Anhäufung von Durrakorn, welches von den Negern als Abgabe eingeliefert werden muß. Oberhalb dieses aus zahlreichen Hüttengruppen gebildeten Dorfes stieß die Barke mehrmals heftig auf die im Fahrwasser des Weißen Nil so häufigen Muschelbänke auf, die von einer austerartigen Muschel[2], gebildet werden und an vielen Stellen eine ungeheure Ausdehnung besitzen. Indess die ohne Gleichen solide Bauart der Chartumer Barken spottet aller Stöße und nur selten hört man von völligem Scheitern auf diesem Fluß, wo Böte von Tannenholz beim ersten Aufstoßen unfehlbar bersten würden. Die Construction aller Barken des oberen Nil ist eine höchst eigenthümliche, und ich bezweifle, ob in der Welt eine ähnliche in anderen Ländern bekannt ist. Ausschließlich das Holz der Acacia nilotica (welches weit schwerer und härter als Eichenholz ist) kommt hier beim Schiffsbau zur Verwendung, und obgleich es unter allen Hölzern der Uferwälder des Sudan das zu diesem Zwecke geeignetste zu sein scheint, so lassen sich aus den Stämmen doch nur selten Planken von [39] über 10 Fuß Länge schneiden; gerade Stücke sind bei der knorrigen und vielfach gewundenen Textur des unregelmäßig verzweigten Holzes überhaupt nicht aufzutreiben. Mastbäume und Segelstangen (solche von Tannenholz gelangen nur selten nach Chartūm) müssen durch Zusammenflicken zahlreicher, durch frisch umgewickelte Rindshäute befestigter Stücke hergestellt werden, daher die ewige Calamität des Brechens bei heftigen Windstößen, wodurch die Fahrten sich häufig sehr verzögern. Zu all diesen Uebelständen gesellt sich noch die äußerst harte und zähe Textur des Holzes. Nägel vermag man in dasselbe nur durch Vorbohren zu treiben, die Unregelmäßigkeiten der Textur und des Faserverlaufs muß die Axt mühsam ausgleichen, auch die Säge, bei der ungeschickten Handhabung der dortigen Zimmerleute, vermag nicht völlig regelmäßige Planken herzustellen. Nachdem diese Umstände erwähnt wurden, die den Schiffsbau so außerordentlich erschweren, wird es um so mehr auffallen zu erfahren, daß man hier bei der Mehrzahl der Barken ganz ohne Anwendung von Rippen verfährt, welche die bis 1 Fuß dicken Schiffswände zusammenhalten, die aus unzähligen kleineren und größeren Plankenstücken zusammengefügt sind. Eine leere Barke erscheint daher von innen gesehen bei ihrer großen Breite und Tiefe völlig der halben Schale einer Haselnuß gleich. Die Wölbung der Schiffswände erzeugt man dadurch, daß man die aufeinander gestellten Planken durch senkrecht eingetriebene Nägel verbindet, und zwar dergestalt, daß man die dazu erforderlichen Bohrlöcher seitlich von oben nach unten in die obere Planke treibt und an der nächst folgenden unteren auf der anderen Seite hervortreten läßt. Auf diese Weise vereinigt ein jeder Nagel je 7 Planken miteinander. Die große Mühe, welche diese Art Schiffsbau erfordert, die vielen verbrauchten großen Eisennägel und die schnelle Abnutzung von Beil und Säge bei der Bearbeitung des harten Holzes vertheuern die Herstellungskosten einer solchen Barke außerordentlich, so daß sie 5–6 mal theurer zu stehen kommt als das schönste Eichenboot von gleicher Größe in Europa. Ich bin überzeugt, daß eine solche Sudan-Barke auf jeder maritimen Ausstellung die größte Bewunderung der Sachverständigen erzielen würde und habe ihre Construction aus dem Grunde genauer besprochen, weil ich in keiner Reisebeschreibung etwas über diesen Gegenstand gelesen habe.
Eine kurze Strecke oberhalb Hellet Kaka, wo die Ufer, so weit das Auge reicht, eine baumleere Steppe bilden, umgürtet sich wieder der Fluß mit dichtem Waldsaume, zahlreiche Tamarinden und grünende Schubahi-Acacien beleben aufs Neue die Uferlandschaft. Bald war die Djurāb-el-Esch genannte Stelle erreicht, wo der Nil auf zwei Meilen eine ausnahmsweise südöstliche Richtung der stromaufwärts segelnden Barke darbot, welche, da der N.-O.-Wind hierzu nicht [40] stimmte, von den Leuten am Ufer gezogen werden mußte. Als das Seil durch das hohe Grasdickicht des Ufers streifte, geschah es, daß dasselbe einem Bienenschwarme in den Weg kam, welcher einer großen Wolke gleich sich in demselben Moment über die Ziehenden und die Barke stürzte. Die Folge hiervon war ein Bild der Verwirrung, welches sich schwer beschreiben läßt. Kein Platz an Bord oder am Ufer war aufzutreiben, an welchem man sich dieser schrecklichen Plage, welche uns 2 Stunden lang heimsuchte, hätte entziehen können. Die Qualen, denen wir nun ausgesetzt waren, werden mir stets unvergeßlich bleiben. Bis man Zeit gewann, sich in Tucher gehörig einzuhüllen, regnete es förmlich Stich auf Stich an allen unbekleideten Körpertheilen, an deren Folgen man zwei volle Tage zu leiden hatte. Von der Wuth der Verzweiflung bis zur stummen Resignation unthätiger Ruhe in krampfhafter Einwickelung der Tücher hatte die Bevölkerung der Barke alle Phasen dieser Katastrophe durchzumachen, bis sich endlich Etliche dazu entschlossen, ans Ufer zu springen und das dürre Gras in Brand zu stecken, in Folge dessen sich der Riesenschwarm einigermaßen verzog und die Schiffsmannschaft zu den Stangen greifen konnte, um das gegenüberliegende Ufer zu gewinnen. Niemand von der ganzen Gesellschaft wollte etwas Aehnliches je erlebt haben, und auffallend war dabei der Umstand, daß gerade diese Uferstrecke allein eine solche Plage darbot. Alle Barken nämlich (15 an Zahl), welche in unserem Kielwasser steuerten und in den folgenden Tagen hier vorbeikamen, hatten das gleiche Ungemach zu bestehen und wegen größerer Ueberfüllung mit Menschen noch mehr zu leiden als wir. Auf einer derselben starben sogar zwei Fieberkranke, welche wahrscheinlich zu schwach waren, um sich gehörig schützen zu können, an den zahllosen Bienenstichen.
23. Januar 1869. Seit drei Tagen hat sich auch die Tsetse-Fliege eingestellt und ertheilt ab und zu den Reisenden empfindliche, aber nicht von unangenehmen Folgen begleitete Stiche. In den Morgenstunden zwischen waldlosen Ufern fahrend, wurde gegen Mittag auf der rechten Seite bei einer reizenden Buschwaldung gehalten. Blühende Leptadenien und Capparis bilden hier hochschlingende Lianen und verbinden nicht selten senkrechten Stricken gleich die weit ausgebreiteten Aeste der Schubahi-Acacien mit dem Boden, solchergestalt erwünschten Turnapparat für das Gaukelspiel der kleinen Affen darbietend. Hier ist wirklich Wildniß. Ueberall, wo man in die Dickichte eindringt, stößt der Fuß des Fremdlings auf zahllose Spuren des reichsten animalischen Lebens, Schlangenhäute und Federn aller Art, Schildkrötenpanzer und Fischgräten als Reste von Adler-Mahlzeiten, Thiergebeine, ab und zu auch vollständige Menschenskelete, sind über den Boden gesäet, dazu die vom Hochwasser allenthalben zurückgelassenen [41] Conchylienreste, namentlich die faustgroßen Gehäuse der Ampullaria[3], welche, in ihrer Art ein Riese, ebenbürtig den gewaltigen Bewohnern des großen Flusses erscheint. Am linken Ufer trafen wir viele Schilluk-Fischer an, die auf Kähnen von Ambatschbolz entenartig über den Strom gewatschelt kamen. Aus 2–3 Dutzend mittelgroßer 3jähriger Ambatsch-Trieben läßt sich sehr leicht ein solcher Kahn herstellen, denn da sich der Stamm der Herminiera von 6 Fuß Höhe über dem Wasser an schnell verjüngt, so braucht man nur ein Bündel derselben zusammen zu thun, um Gestalt und Wölbung einer zierlichen Gondel zu erhalten. Der Gebrauch derselben aber erfordert viel Uebung, da bei der geringsten Verlegung des Schwerpunkts ein Umschlagen zu befürchten ist. Hat der Schilluk eine Wasserparthie beendet, so greift er nach seiner Gondel, wie ein Hoplit nach dem langen Schilde, und trägt sie landeinwärts, theils um sich ihren Besitz zu sichern, theils um derselben durch Austrocknen eine vermehrte Tragkraft zu ertheilen. Das Gewicht eines trockenen Ambatschkahns beträgt höchstens 40 Pfund.
Die fieberhafte Furcht vor erneuter Bienenplage hält die Schiffsmannschaft nicht davon ab, einen leidlich geraden, aber sehr knorrigen Balanitee-Stamm von nur 10 Fuß Länge für das geknickte Centrum der großen Segelstange zu verwerthen. Ein altes Stück nordischen Tannenholzes, hat es nun nach Jahre langen Diensten auf wer weiß wie vielen Barken und in wie vielen Breiten das Ziel seiner Geschicke hier auf dem Weißen Nil erreicht, verfällt wegen unzähliger Risse, die keine Rindshaut mehr zusammenhalten will, der Axt, und muß brennen.
24. Januar 1869. Endlich hat man Faschōda (früher auch Denāb genannt) erreicht, den Sitz eines Mudirs für den Weißen Nil und Hauptwaffenplatz der Aegypter für die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft in diesen entlegenen Gebieten. Hier pflegen alle stromaufwärts fahrenden Barken einige Tage zu verweilen, theils um die Kornvorräthe zu completiren, theils um ihre Papiere, welche die Liste der Schiffsmannschaft und der Privatsoldaten enthält, der Kopfsteuer wegen revidiren zu lassen.
Wegen der geringen Tiefe auf der westlichen Seite, auf welcher die Stadt errichtet ist und dem in dieser Jahreszeit schnell zurücktretenden Strome halten die Barken an einer schmalen Insel, welche durch eine Art Knüppelweg mit dem Festlande verbunden ist. Faschōda selbst besteht aus einem großen Complex Tokkul-Hütten mit Kegeldach von Stroh und unregelmäßigem Erdgemäuer ägyptischer Art. Das Ganze wird von einer hohen Erdmauer umgeben, deren [42] unzählige Wasserrinnen aus der Ferne wie ebensoviele Kanonen, mit denen die Zinnen gekrönt sind, erscheinen. Wirkliche Kanonen besitzt indeß dieser befestigte Platz nur 4, während 2 andere Feldgeschütze im Lager des Mudirs sich befinden. Da der Gouverneur (Mudir) seit längerer Zeit 6 Stunden oberhalb am linken Ufer mit 500 schwarzen Soldaten (Nizzam) im Feldlager stand, um auch den südlichen, noch höchst ungebührlich sich betragenden Schilluks Raison beizubringen, bestand die ganze bewaffnete Macht von Faschōda aus nur 200 Mann. Seit 3 Jahren, so hieß es, sei hier (in der Umgegend von Faschōda nämlich) voller Landfriede; bis dahin seien kleine und größere Attaquen seitens der Neger an der Tagesordnung gewesen. Bei einer verdorrten Adansonia, welche sich 1000 Schritt von der Mauer befindet, wies man mir den Platz, wo zuletzt die Kanonen der Festung ihre Tragweite erprobt hätten; an dieser Stelle seien 15 Neger auf einen Schuß niedergestreckt worden, in Folge dessen der Angriff, welcher im Hochgrase während der Regenzeit erfolgte, sein Ende erreicht hätte. In einer benachbarten Grube lese ich unter den Gebeinen der an diesem Tage getödteten Schilluk noch 9 gut erhaltene Schädel auf. Ueberhaupt war die Ausbeute an letzteren in der Umgebung des Platzes eine sehr befriedigende, da ich deren 18 mit Hülfe meiner eifrigst nachspürenden Leute auftreiben konnte.
Vor der Stadtmauer auf etwas abschüssigem, weil vom zurücktretenden Strom trockengelegten Terrain, dehnen sich die Weizenfelder und Gemüsegärten aus, welche der Gouverneur anlegen ließ. Die ersteren werden durch 7 Schöpfräder (Ssagien) ägyptischer Art bewässert. Außerdem befinden sich auch auf einer kleinen Strominsel vor der Stadt nicht unbedeutende Felder und bilden somit die Südgrenze des Weizenbaues im östlichen Sudan. Die nächste Umgebung der Stadt besteht aus Steppenlandschaft, in welcher, wohin das Auge nur blicken mag, kleinere und größere Hüttengruppen der Schilluk aus dem jetzt dürren Grase hervorragen. Der Holzbedarf der hier stationirten Truppen hat weit und breit die größeren Bäume arg verstümmelt; die wenigen Böte, welche der Regierung an diesem Platze zur Verfügung stehen, haben vollauf zu thun, um das Holz für die Heizung des hier stationirten Dampfers herbeizuschaffen; daher wird jeder neue Trieb sofort abgehauen, und nur die nackten Stämme ehemals majestätischer Acacien trotzen durch ihre Massivität den erbärmlichen Werkzeugen der Bewohner Faschōda’s. Das rechte Nilufer dagegen bietet noch ausgedehnte Buschwaldungen mit großen Acacia verugera, Talch und Kakamut. Ein häufiges strauchartiges Unterholz daselbst bildet die vom Strome bis nach Nubien hinunter verbreitete Volkameria Acerbiana. Auf einem dahin unternommenen Ausfluge [43] erlegte ich eine Python-Schlange von 15 Fuß Länge. Auffallend dabei erschien die schnelle Tödtung des Ungethüms durch einen Schuß mit 4 groben Schroten. Die rechte Seite des Hauptstromes wird übrigens hier nicht vom Festlande, sondern von einer durch den langen Arm gebildeten Insel eingenommen, die sich mehrere Stunden weit ober- und unterhalb Faschōda’s erstreckt. Dahinter sollen die hier noch unbelästigten Dinka in ausgedehnten Ortschaften seßhaft sein.
27. Januar 1869. Von Soldaten der Regierung begleitet unternahm ich eine Rundtour durch die Umgegend Faschōda’s, auf welcher mehrere Dörfer der Schilluk visitirt wurden. Nach außen nicht umfriedigt bestehen dieselben aus ziemlich eng zusammengehäuften Hütten, an welche sich Strohmatten-Zäune anschließen, die in sich den Viehbestand eines jeden Familienvaters beherbergen. Die Hütten selbst bestehen aus einer runden Erdmauer, welche das etwas gewölbte, kuppelförmige Strohdach trägt. Eine kreisrunde Oeffnung im Innern der Umzäunung, die von jeder Hütte ausgeht, führt in den runden, reinlich mit neuen Strohmatten ausgelegten Raum. In der Mitte eines jeden Hüttencomplexes (von Dörfern kann eigentlich keine Rede sein, da das ganze westliche Nilufer 50 Meilen weit wie ein einziges Dorf erscheint, indem die einzelnen Weiler höchstens 500 bis 1000 Schritt auseinander liegen) befindet sich eine Art Marktplatz von rundlicher Gestalt, wo man Abends zusammenkommt und auf Thierhäuten oder Stücken von Ambatschholz am Boden niederkauernd das mückenfeindliche Arom der unablässig angefeuerten Haufen trockenen Kuhmists einathmet oder aus riesigen Pfeifen von ungebranntem Nilthon den keineswegs zu verachtenden Tabak des Landes raucht. Auf solchen Plätzen steht gewöhnlich ein großer Baumstamm eingegraben, an welchem große mit Ziegenhäuten überspannte Kürbisschalen (s. g. Nogara) befestigt sind, um bei herannahender Gefahr die ganze Ortschaft zu alarmiren und die Kunde davon den Nachbarn mitzutheilen.
Die äußere Erscheinung der Schilluk ist keineswegs einnehmend. Zunächst mißfällt dem Beschauer der fast allen Negerstämmen des oberen Nilgebiets eigene Mangel der unteren Schneidezähne, die frühzeitig ausgebrochen werden. Ihre an und für sich unästhetisch gestalteten Körper, jeder Bekleidung baar, erhalten durch die beständige Tünchung mit Asche einen wahrhaft diabolischen Ausdruck. Die knochigen, äußerst dürren Gliedmaßen, fast vollständiger Mangel an äußerer Fettbildung und schließlich die Passivität aller ihrer Attituden verleihen dem Schilluk nicht selten ein mumienhaftes Aussehen; der an ihren Anblick noch nicht gewöhnte Neuling kann sich kaum der Täuschung erwehren, in diesen aschgrauen Gestalten eher verschimmelte [44] Cadaver als lebende Wesen zu erblicken. Die Statur der Schilluk ist eine mittlere und bleibt weit hinter den mit langem Unterkörper hochaufgeschossenen Dinkanegern zurück. Wie die große Mehrzahl der nackten oder fast nackt einhergehenden Afrikaner verwenden sie viel Sorgfalt auf das Arrangement ihres Haupthaars. Aller übrige Haarwuchs wird durch frühzeitiges Ausreißen sorgfältigst entfernt, an Backen, Lippen etc. Das Haupthaar nun wird (bei den Mannern) vermittelst Thon, Gummi oder Mist so lange in der erwünschten Richtung zusammengekittet, bis es eine helm-, schirm- oder kammartige Gestalt annimmt. In dieser Hinsicht nämlich bietet eine größere Anzahl Schilluk-Männer große Mannigfaltigkeit dar. Die große Mehrzahl (immensus numerus) trägt quer über den Scheitel einen handbreiten Kamm, welcher völlig einem massiven Heiligenscheine von Blech gleichend, von einem Ohr zum andern reicht und hinten in zwei (nach botanischem Auadrucke auriculirte) Lappen endet. Indeß nicht immer auf Schläfen und Scheitel gestellt, verläuft dieser Haarkamm häufig auch über die vordere oder hintere Schädelparthie von der Kronen- bis zur Lamda-Nath. Am seltsamsten nehmen sich aber solche Köpfe aus, die, nicht genug an einem Haarkamm habend, deren zahlreiche aufweisen, welche parallel zu einander in geringen Abständen lamellenartig quer über den Kopf verlaufen und in der Schläfen- oder Ohrgegend miteinander zusammentreffen. Sehr drollig erscheint eine dritte nicht seltene Form des Haarkamms, die man am passendsten mit dem Helme eines Perlhuhns vergleichen kann, von welchem sie offenbar eine Nachahmung zu sein scheint (wie jede Haarmode sich thierische Ideale zum Vorbilde zu nehmen pflegt). Am Hinterhaupte beginnend erhebt sich hier der fingerdicke Kamm zu einem Bogen, welcher über der Stirn seine größte Höhe erreicht. Seltener wird das Haar vermittelst Fett und Asche in zahllose pudelartige Troddeln getheilt und mit halb verbranntem Mist braunroth gefärbt. Auch ganz kurzhaarige, geschorene Köpfe, die angetroffen werden, dürfen hierbei nicht unerwähnt gelassen werden. War eine Krankheit, ein Mißglücken der Haarkünstelung oder vielleicht ein jäher Sturz und in Folge dessen ein Abbrechen des massiven Kamms die Ursache, ich weiß es nicht; genug, solche Köpfe schienen es zu fühlen, daß ihnen etwas mangele und zeigten sich selten anders als mit einer höchst drollig sich ausnehmenden, völlig einem Augenschirme gleich angebrachten Binde um die Stirn, bestehend aus einer Giraffenmähne, welche gestutzt wie die der Pony’s, fuchsrothe Färbung besitzt. Oft vertritt die letztere eine Binde von Mattenflechtwerk. Soviel von den Männern; was die Frauen anlangt, so kamen mir nur solche zu Gesicht, deren Haar kurz geschoren, wie das Fell neugeborner Lämmlein erschien. Sie [45] pflegen nicht völlig nackt einherzugehen wie die Männer, sondern haben fast immer einen aus Kalbsfell bestehenden Schurz um die Lenden geschlagen, der nach hinten bis an das Kniegelenk reicht. Für gewöhnlich führt jeder Schilluk einen 2½ Fuß langen keulenförmigen Krückstock von Balanites-Holz bei sich, welcher einen rundlichen massiven Knopf am oberen Ende besitzt, nach unten zu aber spitz zuläuft, so daß er wie ein riesiger Nagel erscheint. Wo er sich nicht sicher fühlt oder im Kriege trägt er seine einzige Waffe, einen Bündel lang- und breitspitziger Lanzen, in der Hand, um eine nach der andern auf den Feind zu schleudern. Bogen und Pfeile sind ihm sowohl als den Dinka-Nachbarn unbekannt, dagegen bei den Nuēr allgemein in Gebrauch.
Von Hausthieren halten die Schilluk Rinder, Schafe, Ziegen und Hunde; alle übrigen sind ihnen unbekannt, vertragen hier auch nicht das Klima. Die Rinder gehören, wie bereits erwähnt, der Zebu-Race an, sind von kleinerer Statur als die der Baggāra, hochgestellt, lang- und schlankhörnig, der großen Mehrzahl nach mit weißlichem Fell und deutlicher Entwickelung des Fetthöckers. Die kleinen Schafe, verschieden gefärbt, theils ganz weiß, theils braunweiße oder schwarzweiße Schecken, oft auch einfarbig rothbraun, bilden eine eigentümliche, nordwärts nicht anzutreffende Race, welche bei plumpem Leibe und kurzen Beinen hauptsächlich durch einen mähnenartigen Bart unten am Halse und sehr oft noch durch einen lockigen Haarmantel auf den Schultern, der ihnen nicht selten das Aussehen kleiner Büffel verleiht, ausgezeichnet ist. Die breite Stirn fällt gerade, weder gewölbt noch geknickt zur Schnauze ab und trägt kleine conische Hörner. Der Schwanz bleibt kurz und zeigt einige Fettverdickung. Die Ziegen sind die äthiopischen, von denen der Beduinen aethiopischer Race nicht verschieden, außer höchstens durch etwas größere Statur. Sie zeigen jede Färbung, jedoch vorwaltend das Grau eines Pferdeschimmels. Ohren und Schwanz werden stets aufrecht getragen, an der Kehle fehlt nie ein stark prononcirter Bart.
Die Hunde schließlich, welche bei jeder Hütte angetroffen werden, bilden eine eigene Race, welche sich jedoch von denen der am unteren Nil wohnhaften Beduinen wenig unterscheiden. Auch in Chartūm unter dem Namen Schillukhunde sehr bekannt, sind sie vielleicht alle ursprünglich von den Negerländern eingeführt worden. An Gestalt einem etwas robusten Windspiele gleich, erreichen sie nur selten die Größe des Hühnerhundes, sind fast ausnahmslos von fuchsrother Färbung und haben stets eine schwarze stark verlängerte Schnauze. Das Fell ist kurz und glatthaarig wie der lange rattenartige Schwanz. Die ziemlich langen Ohren sind an der oberen Hälfte lappig weich [46] und werden in Folge dessen halb umgeschlagen getragen. Ihre Gewandtheit im Springen und Laufen ist beispiellos. Sie überholen die Gazelle mit Leichtigkeit und werden daher zur Jagd häufig verwandt. Auf 10 Fuß hohe Erdmauern oder Termitenhügel schwingen sie mit der Gewandtheit von Katzen ihre schlanken Leiber, Distanzen vom Drei- bis Vierfachen ihrer Länge überwindend. Wie allen Hunden des Nilgebiets vom ägyptischen Paria bis zum Dorfköter des Sudan fehlt auch dieser Race die Afterklaue an den Hinterfüßen, welche unsere Hunde zur Schau tragen.
Die Witterung in den letzten Tagen des Januar war hier bei dem oft wüthenden Nordwinde sehr kühl, und das Thermometer zeigte bei Sonnenaufgang mehrmals nur + 16 oder + 17° C. Der Himmel, aschgrau bezogen, ließ nicht selten erst um 10 Uhr Vormittags die Sonne hervortreten. Die Barometer hatten einen vom December in Chartūm nur wenig merklich verschiedenen Stand.
Unter den zahlreichen Arten von Wasservögeln, welche hier die Stromufer belebten, erschienen Enten und Gänse nicht mehr dermaßen vorwaltend wie in den nördlicheren Gegenden. Unter allen war der Kronenkranich (Gornūg) der am massenhaftesten vertretene Vogel. Zu Tausenden in dichten Schaaren an flachen Uferstellen geschaart, erfordert das Beschleichen derselben indeß viel Vorsicht und ist nur im Schutze des benachbarten Steppengrases möglich. Sein Fleisch ist ebenso wohlschmeckend und zart wie das des grauen Kranichs. Außer schwarzen und rosenrothen Störchen (Badjbar und Om-Kadjbar) zeigte sich an mehreren Stellen auch der Storch unserer Heimath. Die von vielem kleinen Buschwerk, bestehend ans Laūd-Acacien, kleinen Ssoffār (A. fistula Sf.), Zizyphus-Gestrüpp etc. unterbrochene und neben dem Hochgrase auf weite Strecken mit wilden Bamien wie Feldern des Abelmoschus esculentus bestandene Steppe bietet trotz der zahlreichen Bevölkerung dieser Gegend dennoch passende Localitäten genug, um große Schaaren von Perlhühnern beherbergen zu können. Unter den Vögeln, welche die Nähe bewohnter Plätze lieben, ist hier der weißbärtige Rabe Abyssiniens der häufigste, und alle Baumstämme in der Umgegend der Stadt sind dicht mit paarweise auf ihnen hockenden Massen dieser und der reinschwarzen Art besetzt. Der in Chartūm noch in so zahlloser Menge die Straßenpolizei besorgende Schmutzgeier (Neophron) wurde hier nirgends mehr angetroffen und seine Stelle erschien ausschließlich vom kleinen Aasgeier (Nisr) eingenommen. Außer den allverbreiteten, äußerst frechen Milanen und zierlichen grauen Falken ist auch ein größerer Raubvogel, der von Fischen und kleinen Fluß-Schildkröten lebende weiß-braune Adler, Sssūggur el gan, auch Abu-Tok genannt, eine der häufigsten Erscheinungen auf allen Bäumen der benachbarten Talch-Waldung.
[47] Erst in der Nacht des 2. Februar verließen wir Faschōda und erreichten früh Morgens das Lager des Mudirs. Von letzterem aufs Liebenswürdigste empfangen und mit militärischem Hörnerklange begrüßt, nahm ich hier einen Aufenthalt von 3 Tagen, um Briefe und Packete zu besorgen[4]. Schöne Waldungen von Gummi-Acacien umgeben den Platz, und endlos nach allen Richtungen dehnen sich die Schillukdörfer aus (daher der arabische Name Denab, Schweif). Der Mudir, welcher weite Streifzüge nach allen Richtungen unternommen hat, versicherte mich, auf 6 Stunden Distanz landeinwärts sei keine Abnahme in Hinsicht der Dorfmengen zu bemerken, und beantwortete meine Frage, nach wie viel Seelen er das Schillukvolk schätze, damit, daß er die Meinung äußerte, sie müßten wenigstens eine Million betragen. Da die einzelnen Tokkulgruppen zwar klein sind, aber in Abständen von nur wenig hundert Schritten von einander liegen, indeß größere Ortschaften ganz zu fehlen scheinen, so läßt sich zur Taxirung der Bevölkerungsdichtigkeit ein Vergleich mit europäischen Ländern schwerlich anstellen. Selbst Flandern und Brabant würden im Vergleich mit dem Schilluklande weit minder mit Hütten und Häusern belebt erscheinen, allein diese Provinzen sind voll volkreicher Flecken und Städte. Dessenungeachtet muß man hier doch mindestens 6000 Seelen auf die deutsche Quadratmeile rechnen, und wenn man die Ausdehnung des Gebiets am linken Nilufer auf 50 deutsche Meilen und die Breite des dichtbevölkerten Landes auf 3 d. Meilen rechnet, mithin 150 Quadratmeilen erhält, so würde die Schätzung des Mudirs auf 1 Million Schilluk von der Wirklichkeit nicht viel abzuweichen scheinen, da bei dieser Berechnung die weithinein in den Steppenländern mit den Viehheerden verbreiteten oder an den zahlreichen von NW. in den Nil fallenden Chor’s entlang wohnenden Schilluk, und schließlich diejenigen nicht berücksichtigt wurden, welche am unteren Sobāt seßhaft sind.
Sehr mußte ich bedauern, nicht mehr Zeit gewinnen zu können, um den interessanten Mittheilungen zuzuhören, welche mir der Gouverneur, ein intelligenter Kurde, über das Leben der Schilluk machte. Die einzige Vorstellung, welche dieselben von einem höchsten Wesen besitzen, beschränkt sich bei ihnen auf die Verehrung eines gewissen Heros, den sie ihren Stammvater nennen, der sie in das jetzt von ihnen bewohnte Land geführt hat und der von ihnen im Falle der Noth oder um Regen und gute Erndte zu erzielen angerufen wird. Von den Verstorbenen nehmen sie an, daß sie unsichtbar stets in der Nähe der Lebenden weilen und sie begleiten. Wandersagen [48] und Ahnencultus mögen auch bei ihnen, wie bei allen niederen Menschenracen, die Stelle religiöser Mythen und Moral vertreten.
Das Lager des Mudirs bestand aus einigen sehr leichtfertig erbauten Strohhütten, Zelten und Schilf-Veranda’s; eine ganz gewöhnliche Dornhecke, von zwei Oeffnungen unterbrochen, in welchen je eine Kanone postirt war, umgab den hart am linken Flußufer in der Ebene befindlichen Platz.
In der Rokuba des Mudirs lernte ich auch den Häuptling der Schilluk kennen, welcher zu der ägyptischen Regierung in ein abhängiges Verhältniß getreten ist und nun, wie der Gouverneur sich ausdrückte, lernt vernünftig zu werden. Se. adamitische Majestät war ohne jedwede Auszeichnung, wenn man dazu nicht den elenden Lappen um die Lenden und die ordinairen Sandalen rechnen will, die er trug, kurzgeschorenes Haar ohne Kopfbedeckung, sowie ein großperliges Halsband (von der Berred genannten Sorte), wie es jedes Familienoberhaupt zu tragen pflegt, war alles, was er von Schmuck an sich trug. Obgleich auch hier in der nächsten Umgegend allgemeiner Landfriede herrschte und die Schilluk sich daran gewöhnen, einer Regierung zu gehorchen, welche statt schwerer Frohndienste, wie sie es verdienten, um der Cultur Eingang zu schaffen, von ihnen als Abgabe nur einige Rinder und die für den Unterhalt der Truppen erforderliche Quantität Durrakorn verlangt, so steht dennoch der Gouverneur mit allen südlichen Schilluk in offener Fehde. Wird ein Kriegszug unternommen, so kommt es nie zu einer eigentlichen Schlacht, da die Neger, auch wenn sie zu 20–30,000 Bewaffneten zusammen sind, nach dem zweiten Kanonenschusse auseinanderlaufen und ihre Heerden im Stiche lassen, die alsdann von berittenen Baggāra-Arabern im Dienste der Regierung, welche im Viehfange große Gewandtheit entwickeln und von Alters her eine besondere Vorliebe für diese Art Beschäftigung an den Tag gelegt haben, regelrecht mit Beschlag belegt werden. Die Stellung der Regierung ist in diesem Gebiete insofern keine leichte, weil sie sowohl die Schilluk, als auch die den Fluß hinauffahrenden Handelsgesellschaften zu Feinden hat. Nichts bezeichnet dieselbe besser als die Aeußerung eines der letztgenannten Parthei Angehörigen. „Der Mudir“, sagte dieser, „will den Schilluk nicht gehörig zu Leibe gehen, er schont sie und verlangt nur einiges Rindvieh; wir aber wollen sie ganz und gar vernichten, die Satansbrut.“ In der That will der Mudir nur das Beste der Schilluk; letztere aber, in der Meinung, es seien dies ihre Rinder, wollen es nicht hergeben und trotzen so lange, bis ihnen die Granaten und Raketen auf den Pelz brennen.
5. Februar. Wir verlassen Nachts den Lagerplatz des Mudir und segeln die ganze Nacht hindurch bis früh Morgens kurz unterhalb der [49] Sobāt-Mündung am rechten Ufer bei einer Waldstelle gehalten wird, um für die nächsten Tage, die durch unsicheres Gebiet führen, den Holzbedarf zu decken, da die Feindseligkeit der Schilluk an den meisten Stellen ein Landen unrathsam erscheinen läßt. Wir sind auf unserer Barke im Ganzen nur 40 waffenfähige Leute; im Anschlusse an die unsrige segelt die einem gewissen Abu-Ssamāt gehörige Barke, die deren 60 an Bord hat; allein diese vereinigte Streitkraft erscheint nicht ausreichend um gegen Tausende von Schilluk, welche hier im Bevölkerungs-Centrum des Landes an jeder beliebigen Stelle sofort sich versammeln können, Stand zu halten, und man geht daher sehr behutsam zu Werke. Die Dom-Palme (Cucifera), bisher nur als unentwickeltes Gestrüpp im Uferwalde wahrgenommen, ist hier in einigen großen Exemplaren vertreten, welche unter Talch- und Schubahi-Acacien, welche den Bestand bilden, hervorragen. Die weit verbreitete Caillea mit zierlichen halb gelben, halb röthlichen Blüthenköpfchen, bildet neben Massen in einander verwachsener Capparis persicifolia und Maerua oblongifolia das Unterholz. Der hier häufige Zizyphus gehört der abyssinischen Art an und ist charakteristisch für die Waldregion. Deleb-Palmen[5] (Borassus) werden nur vereinzelt bei den Dörfern um Faschōda, auch weiter unterhalb am Nilufer wahrgenommen, gehörten aber nie zu den tonangebenden Gewächsen der Landschaft und wurden oberhalb der Sobāt-Mündung, wo die Schillukdörfer von endlosen Reihen stolzer Dompalmen beschattet erschienen, auf dieser Fahrt nirgend mehr angetroffen. Der Sobāt ergießt sich in flachen, so weit das Auge reicht von endlosen Steppenflächen umgebenen Ufern in den Nil, hat an der Mündungsstelle etwa die halbe Breite des Hauptstromes und erscheint durch die trübere Färbung seines Wassers noch eine weite Strecke weit unterhalb der Vereinigung von letzterem getrennt; weißlich von dem Tiefschwarz des weißen Nils abstechend, wird das Sobātwasser demnach dem letzteren weit vorgezogen, welches trotz seiner Klarheit einen faden sumpfigen Nachgeschmack besitzt, der empfindlich auf den Gaumen wirkt, wenn man Chartūm verlassen und sich längere Zeit an das Wasser des blauen Nils gewöhnt hat. Wie letzterer, ist auch der Sobāt ein echter Gebirgsfluß und sein Wasser daher demselben ziemlich ähnlich. Der Einfluss dieser Mischung beider Gewässer läßt sich deutlich bis Faschōda hinab bemerken, auch erscheint die Strömung auf dieser Strecke weit bedeutender als oberhalb. Das Unglück wollte, dass gerade vis-à-vis des gefürchtetsten der Schilluk-Stämme die Segelstange brechen mußte und wir in Folge davon genöthigt waren am rechten Ufer zu landen, um [50] die Reparatur vorzunehmen. Seit den letzten 3 Jahren nämlich pflegen die Barken an dieser Stelle nur ungern und nur wenn ihrer mehrere zusammen sind, an Land zu gehen, denn hier war es, wo in einem Jahre 5, Chartūmer Kaufleuten gehörige Schiffe, als sie mit Elfenbein beladen von oben herabkamen, hinterlistigerweise eines nach dem anderen von den Schilluk überfallen wurden, welche, anfangs einen grossartigen Markt eröffnend, auf ein gegebenes Zeichen über die nichts Schlimmes Ahnenden herfielen, sie alle niedermetzelten, Pulver, Gewehre und Elfenbein erbeuteten und die Barken in Brand steckten. Ghattās selbst, der Kaufmann, auf dessen Barke ich fahre, hatte damals auf diese Art eine Ladung eingebüsst. 25 Mann fanden bei dieser Gelegenheit den Tod, und nur der Reis und eine Sklavin konnten sich schwimmend nach Faschōda flüchten, indem sie geschickt einige Haufen Wasserpflanzen benutzten, um darin ihre Köpfe zu verbergen. Es währt denn auch heute nicht lange, bis der Ruf ertönt „sie kommen, sie kommen.“ Und in der That sah man mit unglaublicher Geschwindigkeit sich das Volk am gegenüber liegenden Ufer zusammenschaaren und sofort Tausende kleiner Ambatschkähne die Fluthen durchschneiden. Kaum hatten wir wieder die Barken gewonnen und Alles hergerichtet zur Abwehr eines Angriffs, als auch bereits die ersten Schilluk in voller Rüstung, d. h. mit großen Lanzenbüscheln in der Rechten, hart am eben verlassenen Ufer sich präsentirten. Sie kamen offenbar in der Absicht einen Markt zu eröffnen; wir aber, bei der schlimmen Lage, in welcher wir uns befunden hätten, sobald der heftige NO. nachließ, mit Hülfe dessen die Barken auch ohne Segel flott den Strom hinauftreiben konnten, befürchteten, die Wilden könnten sich dieselbe bei unserer ungenügenden Streitmacht leicht zu Nutze machen und stiessen ab.
In der That war diese Furcht keine unbegründete, denn nach einer ganz oberflächlichen Schätzung waren hier mindestens 10,000 Schilluk auf den Beinen und nicht unter 1000 Ambatschkähne auf dem Flusse in Bewegung. Ich hatte nun Gelegenheit, gemüthlich aus sicherer Nähe mit dem Fernrohr die Schilluk zu beobachten. Da gewahrte ich Haufen unter einander streitender Männer heftig gesticulirend und durcheinanderschreiend. Die Neger setzten sich vom verlassenen Ufer aus enttäuscht wieder in Bewegung und der Strom erschien aus der Ferne gesehen, wie die Passage einer förmlichen Völkerwanderung. In einer Entfernung von 1000 Schritt vom Wasser gleicht das ganze linke Ufer einer ununterbrochenen Reihe von Hütten, Viehheerden und Feuerstellen, die einzelnen Weiler und Dörfer sind nur schwer von einander zu trennen; das rechte dagegen weist nirgends feste Wohnsitze auf. Dergestalt ist der Anblick der [51] Landschaft bis zur Vereinigung der Flüsse im No-See. Ununterbrochen den Strom aufwärts treibend, kamen wir in der Nacht bei einem zweiten Bevölkerungscentrum, Abu-Uscher von den Schiffsleuten genannt, vorüber, wo der Sitz des Stammoberhaupts sein soll und zahllose Feuer die Menge der Hütten verriethen.
6. Februar. Heute gewinnen wir eine sichere Stelle am rechten Ufer, indem das linke, allerdings noch in der Ferne von einer ununterbrochenen Hüttenreihe begrenzt, vom Fahrwasser durch ausgedehnte Flächen hohen Sumpfgrases geschieden erscheint, welche ein plötzliches Herüberkommen der Schilluk (in wenigen Minuten wie gestern) nicht befürchten liessen. Das rechte Ufer ist hier bedeutend höher als das gegenüber liegende,[6] das Land steigt schnell an und gewährt eine weite Fernsicht über das feindliche vis-à-vis, wo Gruppen von Negern am Ufer hin- und herziehen, um unsern Bewegungen zu folgen. Die Gegend hier ist ausgedehnte, endlose Steppe, nur von niederem Buschwerk und kleinen dichtgestellten Acacien unterbrochen. Ein 4–6 Fuß hoher Boswellia-Strauch ist sehr verbreitet, er liefert wahrscheinlich das Material zu den großen tütenförmigen Pechfackeln, deren sich die Neger in den oberhalb gelegenen Gegenden bedienen. Am Uferrande selbst, zwischen dem alles erfüllenden Om-Ssuf-Grase finden sich an Stellen, wo die Strömung gänzlich in Stocken geräth, massenhaft zusammengehäufte kleinere Wassergewächse angesiedelt, unter ihnen die Pistia, die zierlichen Azolla-, Lemma-, Jussieua- und Cyperus-Arten. Polygonum tomentosum W. ist nächst P. glabrum eine der häufigsten Erscheinungen im hohen Sumpfgrase. Von den Jussieuen sind J. repens und J. villosa die häufigsten. Letzgenannte Art bildet oft fast verholzende Halbsträucher von 6–7 Fuß Höhe, und ziert durch die Menge ihrer gelben Blüthen diese unabsehbaren Massen des freudigsten Grüns. In einiger Entfernung wurden Giraffen wahrgenommen und vergeblich verfolgt. Als der Abend herankam, stiessen nun zu uns noch 6 andere mit Bewaffneten überfüllte Barken, und wir waren nun zusammen an die 450 Mann.
7. Februar. Vor Sonnenaufgang wird die Serāf-Mündung passirt und um 8. Uhr haben wir den sog. Gebel-Serāf, den ersten Hügel seit dem Defafang-Berge, genau im S. der Nadel. Gegen 10 Vm. wird am linken Festlandufer, angesichts im Abstande von 1 Seemeile sich ausdehnender Dorfreihen gehalten, und in kurzer Zeit eröffnet sich ein grossartiges Bild des regsten Marktgewirres. Es waren in Zeit von ½ Stunde wieder einige Tausend Schilluk beisammen; allein diesmal war das Fürchten ganz auf Seite der Letzteren. Nach Verlauf [52] von 2 Stunden, als Kornvorräthe, Hühner, Eier, Butter etc. in Menge für geringe Preise von Perlen erstanden worden, ertönte der Signalschuss zum allgemeinen Aufbruch und verursachte den grössten Schrecken unter den Negern, welche den Ausbruch von Feindseligkeiten befürchtend, mit Blitzesschnelle nach allen Seiten auseinander stoben. Bei Fortsetzung der Fahrt, wurden ganz in der Nähe derjenigen Ortschaften, wo sich der Markt eröffnete, einige Schafe und Ziegen, sowie eine Kuh, welche von den überraschten Hirten vergeblich im Hochgrase der Steppe geborgen ward, erbeutet, d. h. geraubt. Es ist allgemeiner Gebrauch in den Negerländern des oberen Nilgebiets nie ein Rind zu schlachten und nur die natürlichen Todes sterbenden zu verzehren; der Nubier nun, keineswegs diese Begriffe von dem Nutzen eines todtliegenden Capitals theilend, hält es den Ungläubigen gegenüber für völlig erlaubt und selbstverständlich, wenn er, um seinen Appetit zu befriedigen, einen derartigen Raub begeht. Nachmittags wird der erste Papyrus-Busch gesehen (arab. Dihss genannt), welcher nach kurzer Strecke eine so hervorragende Rolle in der Ufer-Vegetation spielt. Auch junge zweijährige Ambatsch-Colonien wurden hier nach längerer Zeit wieder wahrgenommen. Die eigentlichen Ufer des Stromes, markirt durch den beiderseitigen Waldstreifen hochstämmiger Aca. verugera, bleiben überall durch ein Gewirr von grasbewachsenen Canälen und Strominseln in bedeutendem Abstande vom Fahrwasser der Barken. Pistien, kleinen Kohlköpfen gleich in dichtgedrängten Schaaren die Wasserfläche bedeckend (von den W.-Nilfahrern Tabak der Neger genannt) und noch fester miteinander verkittet durch das feine Wassermoos der Azolla, füllen aller Orten die Hinterwasser oder stehenden Stromstellen am Ufer aus. Bei einbrechender Nacht erscheinen zum ersten Male die hochbegrasten Ufer vom Glanze unzähliger Johanniswürmchen erleuchtet.
8. Februar. Den ganzen Tag verbringen wir in mühsamem Durchzwängen der Barken durch die Grasmassen der fast zugewachsenen Stromarme. Die Schiffsführer sind in Zweifel, welchen Canälen sie folgen sollen, und 2 Barken versuchen es auf einer nördlich von der unsrigen gelegenen Straße durchzukommen. 200 Bootsleute und Soldaten müssen den ganzen Tag im Wasser an den Seilen ziehen, um mit vereinigten Kräften die einzelnen Barken um so leichter durchbringen zu können. In dieser Gegend hatte sich im Jahre der Tinneschen Expedition die merkwürdige Barre gebildet, welche, bestehend aus einem halbschwimmenden Damm angehäufter Wassergewächse, beide Ufer des Festlandes mit einander verband und Monate lang den Barken jede Passage verwehrte. Wir sind nun glücklicher daran, da unsere Fahrt in eine Stillstandsperiode der Ambatschvegetation fällt, [53] und nur die dichten Grasmassen und Papyrus-Horste zu überwinden bleiben, während das sonst weit ausgebreitete Wurzelgeflecht der Herminiera der jungen Brut kleinerer Wasserflora, die günstigste Gelegenheit darbietet, sich mit rapider Schnelligkeit zu vermehren und zu einem wachsenden Kitte dieses großartigen auf der Wasserfläche schwimmenden Baues zu gestalten, welcher eine Stauung des großen Stromes zur Folge haben kann, die ohne Gleichen in der Welt erscheint.
Nymphaeen, von dem zurücktretenden Strom, dessen Wasserstand in diesem Jahre überhaupt sehr niedrig blieb, an seinen nördlichen Ufern längst trocken gelegt, treten hier zum ersten Male vor die Augen des Reisenden, begleitet von anderen interessanten Wassergewächsen unbekannter Art, namentlich einer großen weißblütigen Ottelia mit 4 Fuß langen Blättern. Die dem Sesam ziemlich gleichenden Samen der letzteren, ähnlich deren der Nymphaeen in eine schleimig gelatinöse Masse gebettet, werden wie diese von den Uferbewohnern gesammelt, getrocknet und zu einer Art Brodteig gestampft, dessen Geschmack und Heilkraft für den kranken Magen mir von den weißen Nil-Fahrern ganz besonders gerühmt wurde. Nach den großen Anstrengungen dieses Tages gewinnen wir endlich bei dunkelnder Nacht das feste Ufer der rechten südlichen Seite, wo ein neues Schauspiel in seiner Art, ein prachtvoller Wald von 60–70 Fuß hohen völlig Pinien gleich gestalteter Acacia verugera, beleuchtet von dem tageshellen Scheine riesiger Warnungsfeuer der Schilluk am gegenüberliegenden Ufer ein unbeschreibliches Bild bizarrster Scenerie bildet. –
9. Februar. Es wird an diesem Halteplatze den Tag über verweilt, um von Neuem gebrochene Seegelstangen zu flicken und zusammenzunähen (sic!). Der etwa 500 Schritte breite Uferwald (dahinter die Steppe und das Gebiet der Nuēr, welche sich zwar in Schaaren, aber in respectvoller Entfernung zeigen) besteht vorzugsweise, wie erwähnt, aus Schubahi-Acacien, nächst diesen aber ist auch der Kakamut sehr häufig; nur Talch und Ssoffār finden sich selten. Alle diese Arten zeigten an ihren älteren Zweigen reichliche Gummi-Secrete, in oft faustgroßen Ballen. Die W.-Nilfahrer aber haben wichtigere Beschäftigungen in Aussicht, als sich mit solchen Kleinigkeiten abzugeben, und die Neger sind zu faul, um das Einsammeln dieser gangbaren Handelsprodukte im Großen zu betreiben. Thierfährten und Losung verschiedener Art bewiesen, dass diese Gegend häufig der Tummelplatz von Elephanten, Giraffen, Büffeln und Hyänen sei. Marabuts waren häufig zu sehen und wagten sich nahe heran an das lebhafte Menschengewühl am Ufer. Ein auffallend lang geschwänzter Ziegenmelker, ein Zwerg unter den Vögeln, weniger seiner geringen Größe wegen als durch das Unproportionirte seiner Federmassen, die Größe des Kopfes und die [54] den größten Theil desselben einnehmenden Augen, flattert gespentisch am Boden hin und her, kaum wahrnehmbar bei seiner mit dem dürren Grase und schwarzen Erdthone übereinstimmenden Färbung. Auch ein kleiner brauner Reiher, der auf dem Scheitel eine Federtolle trägt, gehörte zu den auffallenden Erscheinungen in der bisherigen Vogelwelt. Die Nächte der letzten Tage waren auffallend frisch und wohl in Folge dessen auch die Mückenplage, von welcher frühere Reisende häufig an dieser Stelle berichtet haben, kaum wahrnehmbar.
10. Februar. Der ganze Tag vergeht wieder in Anstrengungen um in grasverengten Canälen durchzukommen. Große Papyrus-Massen treten nun auf und nach langer Unterbrechung auch wieder einmal wirkliches Nilschilf, das Ssūf der Alten. Merkwürdigerweise wird das allverbreitete Sumpfgras der Ufer des weißen Nils und des Gazellenflusses von den heutigen Befahrern dieser Ströme Om-Ssūf oder Om-Ssōfa, (d. h. Mutter der Wolle) genannt, wegen der eigenthümlichen Behaarung der langen Blattscheiden, welche dieser Grasart die unangenehme Eigenschaft ertheilen, die Körper der in ihren Massen sich durcharbeitenden Leute, wie mit einem dichten feinen Flaume zahlloser stechender Borsten zu bekleiden. Auch die Schärfe der Blattränder und die häufigen Schnittwunden, welche die Haut erleidet, vermehren die Unannehmlichkeiten dieses tagtäglichen Kampfes gegen eine Welt von Gras, und dennoch ist dieses endlose Grasmeer nichts anders als eine unerschöpfliche Wiese, welche Rindern, Schafen und Pferden die beste Weide darbieten könnte; denn der Om-Ssūf-Graswald wird von allen gern gefressen. Abends wird offenes Fahrwasser gewonnen, und die Barken halten am linken Ufer, welches von baumloser Steppe gebildet wird.
11. Februar. In der Frühe geht es endlich mit Segeln bei mäßigem Winde und offenem Wasser glücklich weiter, allein dieser Vortheil währt nicht lange, denn bald verzweigt sich der Hauptarm wieder zu einem Gewirre zahlloser Grascanäle, in welchen hin und her steuernd, kein Schiffer im Stande wäre, eine richtige Vorstellung von der eigentlichen Richtung des Stromes zu gewinnen. Die Spitzen und Nasen der einzelnen Grasinseln erscheinen stets von riesigen Papyrusgebüschen gekrönt. Immer nur in gesonderten Massen auftretend bildet er hier nicht den zusammenhängenden imposanten Ufersaum, wie an den oberen Ufern des Gazellenflusses, wahrscheinlich weil er ruhigen Wassers bedarf und an dieser Stelle, wo der Strom der zahlreichen Grasverstopfungen wegen mit großer Gewalt aus den verengten Canälen hervorquillt, solches vermißt. Dieser Umstand macht nun auch öfter das Seilziehen unmöglich, und die Mannschaft hat Mühe genug, um schwimmend die größeren Papyrus-Massen zu gewinnen, und an [55] deren solide Rhizome die Taue zu befestigen, welche alsdann von den Barken aus angezogen werden. Mit genauer Noth bewältigt man solchergestalt die starke Strömung; die Wassertiefe ist hinreichend, allein die Enge der Fahrstraßen nimmt immer mehr zu, bis man bei Sonnenuntergang an Papyrus befestigt vor Anker geht, ohne Aussicht auf ein Durchdringen in der versuchten Richtung. Umgeben von dem lebhaften Funkeln zahlloser Lampyri (Joharras genannt) und dem gewaltigen Geplätscher unmittelbar in unserer Nähe auftauchender Nilpferde, welche von den vielen Schiffen in die Enge getrieben, weder ein noch aus wissen, wie wir selbst, bleibe ich ganz versunken in andächtiger Betrachtung dieser vom Papyrus dargebotenen großartigen Gemälde der Wasserflora. Er hat wirklich ungemein viel zur Verehrung der unsichtbaren Mächte Aufforderndes an sich und als ein Gebilde von einer anderen Welt erscheinend wirkt er magisch auf die Phantasie des Beschauers. Tage und Wochen vergingen in der Folge bei vertrautem Umgange mit dieser wunderbaren Erscheinung der Nilflora, aber sich sattzusehen an den göttlichen Formen vermochte mein Auge nicht.
Seit den letzten Tagen erschienen, sobald die Sonne ihrem Untergange nahe war, Massen winzig kleiner grüner mit dicken Federfühlern bewehrter Mücken, welche unschädlich dem Menschen und nur durch das laute Gesumme unangenehm, kurz nach Einbruch völliger Dunkelheit zu verschwinden pflegten, um in den frühen Morgenstunden wiederzukehren. Länger hielten die punktirtbeinigen Mücken an, wurden jedoch auch bald durch die Kühle der Nacht verscheucht. Durch geringeres Gesumme um so gefährlicher sind ihre Stiche nicht von so langwährendem Jucken begleitet, wie die ihrer nordischen Schwestern, dagegen erscheint die Leichtigkeit, mit welcher sie ihre Rüssel durch die dicksten Baumwollenstoffe hindurchsenken, als ein Uebel, gegen welches nur Mosquitonetze zu schützen vermögen.
12. Februar. Nach erneuten nutzlosen Versuchen auf der angebahnten Straße, machen schließlich alle Barken Kehrt, und treten, alle Anstrengungen des gestrigen Tages rückgängig machend, in ein anderes nach nordwärts sich öffnendes Canalsystem ein. Alte sechsjährige Ambatschstämme, nicht stangenförmig aufgeschossen wie die jüngeren sondern vollkommen baumartig verästet und von 20 Fuß Höhe bergen an ihrer mannstarken völlig verholzten Stammbasis, welche breite Markstrahlen zeigt, ein Gewimmel kleiner Ameisen, welche auch diesem Reste kurzlebiger vegetabilischer Ueppigkeit bald den Garaus machen werden.
An dem Grasgeflecht dieser halbschwimmenden Pflanzendecke betheiligten sich an jener Stelle außer dem Papyrus in erster Reihe, auch Cissus digitata, Ipomaea reptans, Vigua nilotica, Calonyction acanthocarpum [56] von schlingenden Gewächsen und Jussieua repens u. villosa, Polygonum tomentosum, Cyperus Colymbetes, C. Eragrostidi affinis und eine blaublühende Cyanotis von größeren Kräutern außer den feineren Bindemitteln der Pistia, Azolla, Neptunia etc.
13. Februar. Schließlich erreichen wir ein großes offenes Bassin des gestaueten Stromes und nur noch eine Strecke von etwa 200 Fuß blieb zu überwinden, um den Sammelplatz sämmtlicher Gewässer des oberen Nils in den No-See zu gewinnen, von wo aus die Fahrt bis ans Ziel unserer Reise unbehelligt ihren Fortgang nehmen sollte. Es war aber auch das böseste aller Hindernisse, welches uns die Graswelt entgegenstellte an dieser Stelle, denn die breiten Bäuche der schwer mit Korn belasteten und außerdem so ungemein massiv von der schwersten Holzart gezimmerten Barken (von 3 Fuß Tiefgang), mußten buchstäblich über das von zuvor hier passirten Böten plattgedrückte Gras geschleift werden. Indeß gelang es den vereinigten Anstrengungen Aller (ich blieb der Einzige, der nicht in’s Wasser sprang) durch Heben und Schieben der Grasmasse einerseits und durch Anstemmen mit dem Rücken an die Wände der Barken andererseits die Passage zu erzwingen. Beim Eintritt in den See der vereinigten Mündung der beiden Hauptarme des weißen Nils, (bei deren gegenseitigem Verhältniß in Bezug auf Wassermenge schwer zu entscheiden bleibt, welcher von beiden als Hauptstrom zu betrachten wäre, da die Analogie des blauen Nils mit dem Sobāt auch den Bachr el Gebel in ein ähnliches Verhältniß zum Bachr el Abiād zu drängen scheint, wie diese beiden Gebirgsflüsse) gewahrt man nach längerer Zeit wieder Berge, und zwar in einer Entfernung von etwa 10 Stunden in NNO.[7] die Om-Baām (Mutter des Schimpanze) genannte Berggruppe, welche den Abfall des Berglandes Tokkele zum Nilbassin bezeichnet.
14. Februar. Das Seebecken verengt sich gen W. ganz allmählig zu einem breiten Strom, dessen Bewegung kaum wahrnehmbar erscheint. Mit gutem Winde geht es nun rasch vorwärts, so lange die nordwestliche Richtung des Fahrwassers anhält, allein der immer schmäler werdende Fluß, der nördlich offenbar noch zahlreiche nicht befahrbare Hintergewäsaer besitzt, macht außerordentlich häufige und kurzabgebrochene Windungen, welche durch Stoßen und Schieben vermittelst der Stangen überwunden werden müssen. Die Vegetation hat sich bedeutend verändert. Das Om-Ssūf-Gras, immer noch die vorwaltende Masse, bildet niedere Rasen, während die Papyrus-Horste nur wie Krüppelgestrüppe im Vergleich zu den 15 Fuß hohen Schäften desselben unterhalb der Flußvereinigung erscheinen. Beide Erscheinungen [57] betrachten die Befahrer des Gazellenflusses als Folge des hier länger anhaltenden Hochwassers, welches ein Absterben der vom Wasser überflutheten Triebe bedingt. Auch hier sieht man deutlich, dass die Grasmaße eine schwimmende Decke darstellt, wie die Wiesenufer unserer beschilften Landseen, denn zahlreiche Löcher in diesem Rasen beherbergen weiße und blaue Teichrosen (Nymphaea Lotus u. N. stellata), welche in großer Tiefe wurzelnd ihre langgestielten Blüthen, gleichsam um Luft zu schöpfen, hervortreten lassen. Hascht man nun nach einer solchen und packt nicht sicher zu, so geschieht es häufig, daß die ganze Pflanze elastisch zurückschnellend unter der Grasdecke verschwindet und erst nach längerer Zeit wieder zum Vorschein kommt. Unter den übrigen zahlreichen Pflanzen-Arten, welche die Wasserflora des Gazellenflußes an dieser Stelle charakterisiren, erwähne ich nur die Ramphicarpa fistulosa Bnth., deren weiße Blüthen sich gegen Abend mit herrlichem Dufte erschließen, die winzig kleinen Utricularia tribracteata H. und zwei unbekannte Arten von Erigeron u. Senecio, Ceratophyllum demersum, Najas muricata u. Utricularia stellaris bilden überall fluthende Massen ohne Ende in der Tiefe des Fahrwassers. Nachmittags war der Cours NW. und WNW. Der Strom ist breit, aber die Ufer bilden ein unbegrenztes Grasmeer. Ein schwarzbrauner Plotus tritt jetzt in großen Schaaren an den Ufern auf, wo er der Jagd auf kleine Fische obliegt.
15. Februar. Heute erscheint der Fluß arg eingezwängt und hat eher das Aussehen eines Havelarmes in der Gegend von Potsdam als eines centralafrikanischen Stromes. Sehr häufig beträgt das offene Wasser nur die Breite einer Barkenlänge, die große von den längsten Stangen nicht erreichte Tiefe indeß verräth den unsichtbaren Wasserreichthum. Zur Zeit des Hochwassers dagegen ist Alles, was jetzt als Land erscheint, so weit das Auge reicht, ein unermeßlicher See. Krokodile und Hipopotami werden nirgends wahrgenommen, erstere sind in diesen Gewässern überhaupt sehr selten und die letzteren treten erst am oberen Theile des Gazellenflusses wieder in gewohnter Menge auf. Bei vorwiegend nordwestlicher Richtung kommen wir rasch vorwärts und erreichen am Nachmittag eine von vielen Nūer bewohnte Gegend. Letztere legten keine besondere Furcht an den Tag, denn ihre Rinder und Schafe weideten ungestört in der Nähe der am Fluß erbauten Hütten. Sie wurden mir überhaupt als verständige Leute geschildert, welche wohl wissend, was sie zu gewinnen und was zu befürchten hätten, einen friedlichen Verkehr mit den Handelsleuten vorziehen, welche unter ihnen zum Elfenbeinaufkaufe Agenten stationiren und sich aus diesem Grunde wiederum jeder Gewaltthat in ihrem Gebiete enthalten.
[58] Hier wurde ich durch den unerwarteten Anblick mehrerer Balaeniceps die am Ufer einherstolzirten, um mit ihrem breiten Schnabel im Schlamme des Ufersaumes zu fischen, überrascht und war so glücklich ein schönes Exemplar nur wenig verletzt durch einen Kugelschuß in den Rücken zu erlangen, ein zweiter, gleichfalls angeschossener Abu-Markub (dies ist der arabische Name, welcher den Vogel sehr passend seiner seltsamen Schnabelform halber, als Urbild des Pantoffels bezeichnet) konnte von den zu ihrer Verfolgung ans Land springenden Nubiern nicht erwischt werden.[8] Bei einer benachbarten Gruppe von Hütten wurde gehalten und Tauschverkehr mit den Nūer eingeleitet, welche Schafe und Ziegen zum Kauf anboten. Darunter befand sich eine der Schillukrace völlig entsprechende, aber sehr große und fette schwarze Ziege, welche in auffallendster Weise eine fast vollständige Zwitterbildung zur Schau trug.[9] Eine gelbblühende Ottelia-Art mit 1–2 Fuß langen Blättern trat bis an seichteren Uferketten zum ersten Male auf, um in der Folge in den oberen Gewässern dieses Flußes eine große Rolle in der Wasserflora zu spielen.
16. Februar. Den Tag über wird im Mittelpunkte der Nūer-Bevölkerung bei den Niēng genannten Dörfern gehalten. Ich benutze diesen Aufenthalt, um den ganzen Tag auf meinem Ambatschkahne am Ufer umherzufahren und die Gewächse des Wassers zu sammeln.
17. Februar. Nach kurzem Segeln erreichten die Barken die erste Waldstelle, welche an dem Ufer des Gazellenflusses wahrgenommen wird. Talch-Acacien sind hier noch sehr häufig, während in grösserem Abstand vom Ufer Tamarinden und gleich dicht belaubte Kigelien auftreten. Termitenhaufen, bei 10 Fuß hoch, sind, soweit sich blicken läßt, überall zerstreut, und bilden die einzigen Unebenheiten des unbegrenzt flachen Landes. Größer und dichter sich gestaltende Papyrus-Massen zeigen sich nun zu beiden Seiten des Flusses, welcher sich bei stellenweis reizender Waldscenerie in steten Mäandrinen durch die dicht herantretenden und mit den rothen Winden der Calonyction reichbeflorten Gesträuche hindurchschlängelt. In dieser Gegend trat auch die erste baumartige Euphorbia auf, ein neues Charaktergewächs der Flora des oberen Nilgebiets, welches naheverwandt der officinellen [59] Art, wegen seiner regelmäßigen Verzweigung unter dem Namen E. Candelabrum zuerst in Trémaux’s schönen Landschaftsbildern aus dem oberen Sennaar bekannt wurde. Große Massen der Wassernuß wuchsen hier in der Tiefe des Flusses, allein die Eßbarkeit ihrer mehlreichen Früchte scheint allen Bahr-el-Ghasal-Fahrern unbekannt zu sein. Auch die Jagdausbeute war hier ergiebig, da Riesenschwärme schwarzbrauner Enten sich in den Gras- und Papyrusbuchten zusammengeschaart fanden, welche die Barke passirte, und wo auf jeden Schrotschuß stets eine ganze Anzahl derselben für die Küche erworben wurden.
18. Februar. Wegen unpassender Windrichtung in ein Grasgewirre am Ufer verstrickt, erleiden die Barken einigen Aufenthalt in ihrer Fahrt; ich finde Gelegenheit, gemächliche Ausbeute unter den Wasserpflanzen zu machen. Die in Menge blühenden, bald schneeweißen, bald himmelblauen oder carminrothen Teichrosen, welche die ruhige Wasserfläche bedeckten, erinnerten mich lebhaft an die Blüthenpracht des dieser Cultur eigens gewidmeten schönen Gewächshauses des Professor Caspary in Königsberg, und ich unterließ nicht, Samen der vielen hier angetroffenen Spielarten und Bastardbildungen dieser echten Lotusgewächse für den gedachten botanischen Garten einzusammeln. Der Fluss, hier nur 150 Schritt breit, war ausserdem von dicht fluthenden Massen von Potamogetonen und der mit zahlreichen weißen Blüthen an der Oberfläche wie überschneiten Dopatrien erfüllt. Dicht unterhalb der Mündung des Bahr-el-Arab wurde Abends am linken Ufer, das von hochstämmigem Walde eingenommen wurde, gehalten. Die westafrikanische Stephegyne (Lisi am obern Bahr-el-Gebel genannt), findet hier ihre östliche Verbreitungsgrenze und nimmt den Hauptantheil an der Formirung des großen Waldbestandes. Ihr Holz ist eine Seltenheit unter den Baumaterialien des Sudan, weich und leicht, und ihre Zweige liefern Stangen von einer Geradheit und Länge, wie kein zweites Gewächs dieser an Zimmerhölzern armen Länder. Als seltener Fund wurde ein Kakamutstamm betrachtet, dessen Stamm bis 15 Fuß Höhe vom Boden gerade aufgewachsen erschien, er wurde daher sofort von den Schiffsleuten gefällt, um an Stelle des erbärmlichen, wiederum geknickten Centrums der Segelstange von Hegelig verwandt zu werden. Von kleinen Holzarten, die mehr gebüschartig in dieser Waldung auftraten, nenne ich Gardenia lutea Fras., Crataeva Adansonii, welche allenthalben im prachtvollsten Schmucke ihrer großen weißen Blüthensträuße voll purpurrother langer Staubfäden angetroffen wurde, Caillea, Zizyphus Baclei und Sanseviera guineensis fehlt nirgends im schattigen Buschwerk oder an baumumstandenen Termitenhügeln. Von Ipomoeen waren I. asarifolia, capitata, chryseides (eine der häufigsten Pflanzen am [60] Weissen Nil), und pterygocaulos vertreten, von Malvaceen die wilde Bamie und Pavonia insignis Fzl.
19. Februar. Da, wo der Bahr-el-Arab mündet, zeigt der Fluss eine bisher nicht bemerkte Breite (gegen 500 Schritte), und gleich oberhalb desselben erweitert er sich seeartig, ohne in der Mitte seine bedeutende Tiefe einzubüßen. Die nun folgende Strecke bekundet der Gazellenfluss überhaupt weniger den Charakter eines Stromes, als vielmehr einer ununterbrochenen Seenkette mit unmerklicher Strömung und voller Hinterwasser auch in dieser Jahreszeit seines tiefsten Standes. Die Analogie mit der Havel auf der Strecke von Spandau bis Brandenburg ist wirklich frappant, und wird durch eine ganze Anzahl theils identischer, theils verwandter Wassergewächse[10] noch erhöht.
Dieser Wasserreichthum, gerade oberhalb der Mündung eines Nebenflusses, welcher bei seinem Eintritt fast die gleiche Breite des Hauptstromes zeigt, bestätigt meine Annahme, daß das enge Fahrwasser, welches wir im Gebiete des Nūer beschifften, unmöglich der ganze Gazellenfluß sein kann; es müssen nördlich desselben noch beträchtliche Arme existiren, welche wahrscheinlich der dichten Grasvegetation wegen nicht zugänglich sind. Ist dies erwiesen, dann wäre dem Gazellenfluß der erste Rang unter den Quellflüssen des Nils gesichert. So weit mit Sicherheit (!) unsere gegenwärtige geographische Kenntniß seines Stromsystems reicht, wäre überhaupt dasjenige des Bahr-el-Gebel weit minder differenzirt, als das des Gazellenflusses; ob auch die Entfernung der Quelle von der Mündung den Vorrang erwerben wird, mögen künftige Forschungen feststellen. Die Waldregion scheint sich weit und breit gen Norden hin auszudehnen, auch nach Süden hin gewahrt man viel Buschwerk. Vallisnerien walten neben Ceratophyllen und Najas unter den fluthenden Gewächsen der Stromtiefe vor, welche wie eine ununterbrochene unterseeische Wiese erscheint. Auf dem Wasserspiegel wiegen sich die weiblichen Blüthen dieser Wunderblume aus großer Tiefe an schraubenförmig sich aufringelnden Stielen befestigt, wodurch die Fluthen wie mit unzähligen Fäden durchzogen erscheinen.
20. Februar. Beiderseits im Abstande von 1–2 Stunden zeigen sich ausgedehnte, scheinbar zusammenhängende Waldungen, weit ausserhalb der Grenze des graserfüllten Flußbettes, aber offenbar noch innerhalb seines Inundationsgebietes. Auffallend ist das beständige [61] Fehlen der Pistia seit dem Eintritt in diesen Fluss, und noch merkwürdiger der gänzliche Mangel an Ambatsch, welcher in Gestalt neu entstehender Colonieen erst eine Strecke weiter oberhalb wieder angetroffen wird. Man passirt einige Grasverstopfungen, wo in engen Canälen das Wasser deutlich zu erkennen giebt, daß es sich bewegt. Eine neue zierliche Wasserpflanze, welche inmitten des wiederum erweiterten Fahrwassers auf der Oberfläche schwimmt, tritt in Gestalt blaublühender Monochoria auf, und im Grase ein schöner Farren.
21. Februar. Der Fluss, den wir bei günstigem Winde mit großer Schnelligkeit befahren, wird kolossal, und die Ufer scheinen, je mehr man sich seiner Quelle nähert, immer mehr auseinander zu rücken. Fischer auf Kähnen von ausgehöhlten Baumstämmen werden sichtbar und bringen kleine, glänzend kastanienbraune Schildkröten, Aroo genannt. Große Rinderhürden umgeben von niederen Strohhütten zeigen sich an den Ufern. Wir segeln nun stets S. und SSO., und nähern uns mit Windeseile dem Ziele unserer Fahrt. Hier, wo vor Jahren ein undurchdringliches Gewirre von Ambatsch die Schifffahrt aufhielt, eröffnen sich nun jetzt endlose Seen und breite majestätische Stromarme. Ein furchtbares Krachen über uns in den Lüften giebt Kunde von einem nochmaligen aber nun letzten Brechen der Segelstange. Mit Schieben und Stoßen erreichen wir ein großes Dorf der Djanghé (welche zur Dinka-Race gehörig, mit diesen Sprache und Sitten theilen), nahe dem rechten westlichen Ufer bei Sonnenuntergang, und in der Freude, so schnell und leicht die Reise beendet zu haben, wird die Nacht mit Schlachten und Schmausen verbracht
22. Februar. Der letzte Rest der Fahrt war bald überwunden, und wir langen in den Morgenstunden bereits bei dem Ankerplatz der Bahr-el-Ghasal-Fahrer, der sogen. Meschera (Hafen) an, wo nun 15 Barken, den Chartūmer Kaufleuten Agāt, Kurschuk Ali, Ghattas, Sibēr, Abu Ssāmat und Biselli gehörig, versammelt sind. Auf der östlichen Seite hat man das Ufer des festen Landes, und hier wurden Truppen und Ladung, welche nach den Niederlagen im Innern abgehen, ausgeschifft, während auf der Westseite sich ein Labyrinth von Canälen und bewaldeten Strominseln ausdehnt. Bei einer derselben pflegen jetzt alle Barken Station zu nehmen, um die Rückkunft der Leute aus dem Innern abzuwarten, was im Anfang der Regenzeit geschieht. Die von früheren Reisenden häufig erwähnte sogen. Meschera el-Rek (so benannt, weil der nahebei wohnende Negerstamm im Innern Rek heißt), durch einen jetzt von Papyrus fast völlig zugewachsenen Stromarm von unserem Hafen getrennt, liegt westlich eine Stunde von letzterem entfernt, und wird von den Barken nicht mehr besucht.
Es hatte also unsere Barke, diejenigen Tage abgerechnet, an [62] welchen überhaupt nicht gefahren ward, blos 30 Tage gebraucht, um von Chartūm nach der Meschera zu gelangen, und unterwegs alle Hindernisse, welche Wind, Untiefen und die Pflanzenwelt entgegenstellten, glücklich und leicht überwunden. Dabei wurde an mehreren Tagen längerer Aufenthalt am Lande genommen, so daß wir auch in 20 Tagen sehr gut die Strecke hätten zurücklegen können, wenn es nicht in meinem Interesse gewesen wäre, häufig die Uferlandgegend in Augenschein zu nehmen. Mein Aufenthalt in der Meschera währte fast einen vollen Monat, da derjenige Agent der Ghattas, welcher die zu meinem Fortkommen erforderlichen Träger aus dem Innern herbeischaffen sollte, erst 18 Tage nach meiner Ankunft von Chartūm anlangte. In Zeit von 11 Tagen war er indeß mit 70 Trägern zu meiner Verfügung, und ich konnte von Glück sagen, noch zeitig genug und vor Einbruch der Regenzeit nach der Seriba der Ghattas aufbrechen zu können.
(Die zu diesem und zur Fortsetzung dieses Aufsatzes gehörige Karte wird dem zweiten Hefte unserer Zeitschrift beigefügt werden.)
Anmerkungen
- ↑ Wie Baker gethan.
- ↑ Nach Dr. v. Martens Bestimmung Aetheria Caillaudi Fér.
- ↑ Nach Dr. v. Martens A. Wernei Philippi.
- ↑ Die von dort abgesandten drei Kisten mit Naturalien sind im December 1869 in Berlin angelangt.
- ↑ Bekanntlich einer der auffallendsten Baumtypen des oberen Sennar.
- ↑ Wie Werne so häufig in seiner Reisebeschreibung betont.
- ↑ 28° östl. von N. der Nadel.
- ↑ Beim erlegten Exemplar betrug der directe Abstand beider Flügelspitzen von einander Meter 2,62, über die Brust gemessen; die Länge des Laufs M. 0,25; der Brustumfang unter den Achseln M. 0,51.
- ↑ Die äußeren Geschlechtsorgane waren fast vollständig in beiden Formen entwickelt. Unter dem After die große regelrechtgestaltete Vulva, aus welcher clitorisartig ein 2 Zoll langer Penis mit weiter Oeffnung an der Spitze, welche offenbar zum Harngange führte, hervortrat; vor diesem complicirten Apparat hing an der gewöhnlichen Stelle der in einer Länge von 8 Zoll entwickelte Hodensack.
- ↑ Ich erwähne der Seltenheit halber nur folgende: Potumogeton gramineus, natans, Ceratophyllum demiersum, Trapa natans, Najas, Nymphaea, Lemna, Utricularia, Hydrocharitaceae und Alismaceae.