Wahl der Kammerabgeordneten (Großh. Hessen)(1820)

Gesetzestext
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Titel: Verordnung, wie die Wahlen zur Kammer der Abgeordneten erfolgen sollen.
Abkürzung:
Art:
Geltungsbereich: Großherzogtum Hessen
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1820 Nr. 14 S. 113-116.
Fassung vom: 18. März 1820
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 22. März 1820
Inkrafttreten:
Anmerkungen:
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[113] LUDEWIG von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein etc. etc.

In Unserem Edict über die landständische Verfassung des Großherzogthums haben Wir eine besondere Verordnung über die Art und Weise vorbehalten, wie die Wahlen zur Kammer der Abgeordneten erfolgen sollen. Wir verordnen daher, wie folgt :

Artikel 1.

Die Abgeordneten zur zweiten Kammer werden, nach dem Artikel 3. der landständischen Verfassungs-Urkunde, vom angesessenem Adel, von Wahlbezirken und von Städten gewählt.

A. Von den Abgeordneten des angesessenen Adels.

Artikel 2.

Diejenigen adlichen Grundeigenthümer, welche Staatsbürger und wenigstens 30 Jahre alt sind, auch 300 fl. directe Steuern für eigenthümliches oder nutznießliches Vermögen jährlich entrichten, nehmen Theil an der Wahl der Abgeordneten des angesessenen Adels aus ihrer Mitte und aus denjenigen, welche wenigstens 36 Jahre alt sind. Wir ernennen eine Commission, bei welcher diejenigen, welche hiernach stimmfähig oder wählbar zu seyn glauben, sich zu melden und ihre Stimmfähigkeit oder Wählbarkeit nachzuweisen haben. Das Verzeichniß der Stimmfähigen oder Wählbaren wird vor jeder Wahl öffentlich bekannt gemacht.

Artikel 3.

Die Commission erläßt an jeden dieser Grundeigenthümer in einem besondern Ausschreiben die Aufforderung zur Einsendung der Abstimmung für 6 Abgeordnete und zur Bezeichnung des Wahlzettels mit einer bestimmten Zahl.

Artikel 4.

Die Commission eröffnet die Abstimmungen an dem in dem Ausschreiben zum Voraus bestimmten Tage. Jeder Wähler darf der Eröffnung beiwohnen, und 3 der zunächst wohnenden werden ausdrücklich dazu eingeladen. Die Commission verschweigt die Namen der Abstimmenden. Das Wahlprotokoll enthält jede Stimme mit der den Wahlzettel bezeichnenden Zahl,

[114] und das Resultat der Wahl nach Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Commission mit den anwesenden Wählern durch das Loos. Das von sämmtlichen Anwesenden unterschriebene Protokoll wird an das Geheime Ministerium eingesendet.

B. Von den Abgeordneten der Wahlbezirke.

Artikel 5.

Die Ernennung der Abgeordneten aus den Wahlbezirken besteht aus 3 Wahlen, welche unter Aufsicht der Provinzial-Regierungen und der von diesen ernannten Commissäre erfolgen.

Artikel 6.

Die erste Wahl bestimmt die Bevollmächtigten zur Ernennung der Wahlmänner.
Jede Gemeinde, welche 250 bis 500 Seelen zählt, hat Einen Bevollmächtigten, und für jede weiteren 500 Seelen einen Bevollmächtigten zu wählen. Gemeinden unter 250 Seelen werden zu diesem Zweck mit anderen Gemeinden desselben Bezirks vereiniget.
Die Gemeinde versammelt sich hierzu unter Leitung der ersten Orts-Vorstands-Person, welche zwei andere Vorstands-Personen zuzieht. Kann die Abstimmung nicht an einem Vormittag beendigt werden, so hat der Vorstand die Gemeinde in mehrere Abtheilungen zu sondern und für jede einen Vormittag zu bestimmen.
Stimmfähig ist jeder in der Gemeinde wohnende Staatsbürger. Wählbar ist jeder in der Gemeinde wohnende Staatsbürger, der wenigstens 25 Jahre alt ist, und wenigstens 20 fl. directe Steuern für eigenthümliches oder nutznießliches Vermögen jährlich entrichtet.
Zur Gültigkeit der Wahl gehört Abstimmung von wenigstens 2/3 der Stimmfähigen. Jeder Stimmende legt seine Stimme einzeln ab; das Protokoll wird mit dem nach Stimmenmehrheit und, bei einer Stimmengleichheit, durchs Loos gezogenen Resultate von dem ersten Orts-Vorstand und zwei anderen Vorstands-Personen unterschrieben, und sogleich an den Regierungs-Commissär eingesendet.

Artikel 7.

Die zweite Wahl ernennt die Wahlmänner.
Die Bevollmächtigten eines jeden Bezirks wählen 10 Wahlmänner, und, auf den Fall der Verhinderung eines oder des anderen derselben, zwei Ersatzmänner. Sie versammeln sich hierzu in dem Bezirke bei dem Regierungs-Commissär, welcher, zur Leitung des Geschäfts, eine aus ihrer Mitte durch’s Loos gebildete Wahl-Commission von 4 Personen zuzieht.
Wählbar sind die 60 in dem Bezirke wohnenden und höchstbesteuerten Staatsbürger welche wenigstens 30 Jahre alt sind. Das Verzeichniß derselben wird vorher bekannt gemacht. Zur Gültigkeit der Wahl gehört Abstimmung von wenigstens ¾ der Bevollmächtigten.
Die Stimmen werden durch Stimmzettel, welche mit fortlaufenden Zahlen bezeichnet sind, abgelegt; sodann der ganzen Versammlung nach Ordnung dieser Zahlen eröffnet. Das Resultat wird nach Stimmenmehrheit gezogen, bei Stimmengleichheit, nach dem Loos, und das Protokoll wird von dem Regierungs-Commissär und der Wahl-Commission unterschrieben.

[115]

Artikel 8.

Die dritte Wahl ernennt die Abgeordneten.
Die Wahlmänner eines jeden Bezirks wählen einen Abgeordneten zur zweiten Kammer. Sie versammeln sich hierzu innerhalb des Bezirks auf besondere Einladung des Regierungs-Commissärs, welcher, zur Leitung des Geschäfts, die 3 ältesten Wahlmänner zuzieht.
Wählbar ist, wer in dem Großherzogthum entweder 100 fl. directe Steuern jährlich entrichtet, oder als Staatsdiener einen ständigen Gehalt von wenigstens 1000 fl. jährlich bezieht. Das Verzeichniß der erwähnten Besteuerten wird öffentlich bekannt gemacht.
Zur Gültigkeit einer Wahl gehört die Abstimmung von wenigstens 4/5 der Wahlmänner und unbedingte Mehrheit der abgelegten Stimmen. In Ermangelung unbedingter Stimmenmehrheit nach zweimaliger Abstimmung, entscheidet bei einer dritten Abstimmung entweder relative Stimmenmehrheit oder, bei Stimmengleichheit, das Loos.
Jeder Wahlmann betheuert durch Handgelübde, daß er nach eigener Ueberzeugung für das Beste des Landes seine Stimme ablegen werde; daß er hierzu von Niemanden etwas erhalten habe, oder annehmen werde.
Jeder Wahlmann erhält einen Wahlzettel, dessen innere Seite mit fortlaufender Zahl bezeichnet ist; er schreibt seinen Vorschlag auf die innere Seite und seinen eigenen Namen auf den Umschlag. Hierauf werden die Wahlzettel gesammelt, die äußeren Aufschriften mit der Liste der Stimmgeber verglichen, die Zettel aus den Umschlägen, (nachdem jeder die Aufschrift seines Namens anerkannt hat) herausgenommen, gemischt und eröffnet.
Das Wahlprotokoll enthält jede Abstimmung, mit Beifügung der Zahl, und das Resultat; es wird sämmtlichen Wahlmännern vorgelesen, von dem Regierungs-Commissär und allen Anwesenden unterschrieben und sogleich mit sämmtlichen Wahlzetteln an die Provinzial-Regierung eingesendet.

Artikel 9.

Bei keiner dieser 3 Wahlen (Artikel 6., 7., 8.) kann ein Mitglied der ersten Kammer oder ein bei der Wahl der Abgeordneten des ansäßigen Adels Stimmfähiger oder Wählbarer Theil nehmen oder gewählt werden.

Artikel 10.

Wird ein Abgeordneter zugleich von mehreren Bezirken, oder von einem Bezirk und von einer Stadt erwählt, so steht ihm, binnen 3 Tagen nach erhaltener Bekanntmachung, die Auswahl zu, und die Wahlmänner, deren Wahl er nicht annimmt, wählen von neuem. Hat er in 3 Tagen nicht gewählt, so entscheidet die Regierung der Provinz, in welcher er wohnt, durch’s Loos.

Artikel 11.

Bevollmächtigte und Wahlmänner können ihre Wahl nicht ablehnen, nur in eigener Person handeln, und nicht sich selbst ihre Stimme geben. Sie werden auf 6 Jahre gewählt und sind von neuem wählbar. Während dieser Zeit findet die neue Wahl von Wahlmännern Statt:
1.) wenn ein solcher mit Tode abgegangen oder unfähig geworden ist, und die Zahl von 10 einschließlich der Ersatzmänner nicht mehr vollständig ist;
2.) wenn die in den Artikeln 13. und 16. der landständischen Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen neuen Wahlen eintreten sollen. Die bisherigen Wahlmänner sind alsdann von neuem wählbar.

[116] == C. Von den Abgeordneten der Städte. ==

Artikel 12.

Die Vorschriften über die Ernennung der Abgeordneten aus den Wahlbezirken (Artikel 5. bis 11.) finden auch für die Ernennung der Abgeordneten aus den Städten Statt.
Die Wahl der Bevollmächtigten (Artikel 6.) erfolgt unter besonderer Aufsicht des Regierungs-Commissärs.
Eine Stadt, welche 2. Abgeordnete ernennt und, nach der im Artikel 6. bezeichneten Größe ihrer Bevölkerung weniger, als 40. Bevollmächtigte, zu wählen hätte, wählt dennoch 40.; und in denjenigen Städten, welche, nach dem Artikel 6., weniger, als 20. Bevollmächtigte, zu wählen hätten, werden dennoch 20. gewählt.
In Einer Wahlhandlung werden von den Bevollmächtigten der Städte, welche 2. Abgeordnete zu ernennen haben, 20. Wahlmänner und 4. Ersatzmänner, und sodann von diesen die 2. Abgeordneten erwählt.

D. Allgemeine Bestimmungen

Artikel 13.

Die Abgeordneten des angesessenen Adels, der Wahlbezirke und der Städte werden auf 6 Jahre gewählt, und sind von neuem wählbar.
Während dieser 6 Jahre findet neue Wahl von Abgeordneten Statt:
1.) Wenn ein Abgeordneter in dieser Zeit stirbt oder unfähig wird;
2.) Wenn ein Gewählter die Wahl ablehnt. Dies kann er nur entweder wenn er Staatsbeamter ist, oder wegen ärztlich bescheinigter Krankheit, oder wenn häusliche Verhältnisse nach dem Zeugniß der vorgesetzten Behörde seine persönliche Gegenwart zu Hause wesentlich erfordern;
3.) Wenn die, in den Artikeln 13. und 16. der landständischen Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen neuen Wahlen eintreten. Die bisherigen Abgeordneten bleiben wählbar.

Artikel 14.

Mitglieder des Geheimen Ministeriums, Collegial-Vorstände, Geistliche, welche in einem Orte wohnen, der keinen andern Geistlichen derselben Confession besitzt, Justiz- oder Polizei-Beamte, angestellte Stadt- und Amts-Aerzte und Wundärzte, können nicht zu Abgeordneten erwählt werden. Andere Staatsbeamte können nur, nach erhaltenem Urlaub von Seiten der Staatsregierung, die Wahl annehmen.

Artikel 15.

Wie Capitalisten ein zur Wählbarkeit genügendes Eigenthum nachweisen können, bestimmt eine eigene Verordnung.

Artikel 16.

Wenn bei irgend einer Wahl die gesetzliche Stimm-Freiheit beschränkt oder Bestechung angewendet worden ist, so wird die Wahl von der Kammer der Abgeordneten für ungültig erklärt, und jeder Schuldige hat, mit Vorbehalt anderer gesetzlicher Strafe, das Staatsbürgerrecht verwirkt.

Artikel 17.

Jede Wahlhandlung beschränkt sich auf den Gegenstand der vorgeschriebenen Wahlen.
Darmstadt den 22. März 1820.
Auf besonderen allerhöchsten Befehl.

Großherzoglich Hessisches Geheimes Staats-Ministerium.

von Grolman.       Jaup.       Freiherr von Gruben.