W. O. von Horn (Die Gartenlaube 1856/42)

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: W. O. von Horn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 569
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[569]
W. O. von Horn.


Von den Ufern der Nahe, der Mosel und des Rheins erhebt sich ein Bergrücken (hun hoch, rick Berg, Erhöhung), der den Namen Hunsrück trägt. Er ist von ansehnlicher Ausdehnung. Wer sich aber darunter eine Ebene dächte, würde irren. Es ist ein reiches, fruchtbares, frischgrünes Land, aus Hügeln, Bergen und Thälern bestehend. In den Thälern üppige Wiesen an fischreichen Bächen, gesegnete Fruchtfluren und auf den Höhen dunkler Wald, und überall hübsche, wohlstehende Dörfer und drinnen ein biederer, frommer, kräftiger, frischer Menschenschlag, der alten Sitte, dem alten Rechte, dem alten Glauben treu. So recht im Herzen dieses schönen Hochlandes liegt das Dorf Horn, in dessen freundlichem Pfarrhause W. O. von Horn geboren ist. In alter Liebe zum Geburtsorte legte er sich davon seinen Schriftstellernamen bei, da er es nicht hat über sich gewinnen können, seinen, sonsthin von keinem Makel belasteten Namen zu nennen. Philipp Friedrich Wilhelm Oertel ist sein voller Name, und der 15. August 1798 der Tag seines ersten Schmerzlautes in dieser Welt. Zwei Drittheile eines Jahrhunderts waren nur Oertel’s Verkündiger der Evangeliums in dieser Gemeinde. Der Urältervater war als Weißgerber aus Sachsen nach Simmern eingewandert. Er ließ seinen einzigen Sohn, Johann Paul, Theologie studiren, und dieser wurde Pfarrer in Horn. Sein Sohn, Peter Paul, folgte ihm im Amte. Er war W. O. von Horn’s Vater. Viel Bitteres erlebte die Familie in Horn. Von den Franzosen ausgeplündert bis auf das letzte Hemde, welches jedes Glied derselben auf dem Leibe trug, mußte P. P. Oertel, weil er für einen Schwager mit treuem Herzen gut gesprochen, sein ganzes Vermögen hingeben, und die Viehseuche leerte seine Ställe. Da ist die Sorge mit zu Bette gegangen und mit aufgestanden.

Ein kerngesundes Kind lag W. O. von Horn an der treuen Mutterbrust, als an der Pockenepidemie im Nebenzimmer ein älterer Bruder starb. Der Ruf: „Er ist gestorben!“ trifft der Mutter Ohr. Sie sinkt ohnmächtig in des Gatten Arme und als man das Kind von der Brust nimmt – hat es ein Nervenschlag an der ganzen linken Seite gelähmt! Das war 1799. Was die damals noch so sehr unvollkommene chirurgische Kunst vermochte, geschah; aber nur langsam heilte die kräftige Natur des Kindes den Schaden aus. Die Masern, die es im neunten Jahre befielen, warfen ihren Krankheitsstoff auf den am längsten leidenden Theil, auf das linke Bein und besonders auf die Achillessehne. Das Bein wuchs nur langsam nach, blieb schwach und, wie kräftig auch sich die leibliche Natur entwickelte, W. O. von Horn blieb hinkend und mußte am Stocke gehen. Man hat irrthümlich dies Fußübel in jüngster Zeit irgendwo für eine Wunde aus dem Befreiungskriege gehalten. W.O. von Horn hat, das wissen seine Freunde, manche Thräne vergossen, daß er damals nicht mitfechten konnte; aber er hat das Kriegsschwert nie geführt.

Es war im Jahre 1804, als sein Vater die sehr beschwerliche Pfarrei Horn mit der in Bacharach am Rhein vertauschte. Dort, in den schönen Bergen, am silberglänzenden Strome, im [570] Anschauen der großartigen Ruinen der Vergangenheit wuchs W. O. von Horn heran; dort lebte er eine schöne, frohe Jugend. Kann es Wunder nehmen, daß diese Umgebungen auf seine Seele einen großen Eindruck machten? Kann es Wunder nehmen, daß er dort mit seinem Geiste gerne weilt? Daß er durch und durch eine rheinische Natur ist? Das beurkundet sich in seinen Erzählungen: die Eroberung von Bacharach, der Apostelhof, das Gotteshäuschen und vielen Andern.

Das häusliche Leben war, wenn auch von mancher Sorgenwolke beschattet, dennoch ein stilles, friedliches, gemüthliches Pfarrhausleben. Der Vater, ein gehaltener, ernster, dennoch sehr gemüthlicher Mann, voll Glaubensfrische; die Mutter eine tiefsinnige, fromme, liebreiche, wohlthätige, milde Würtembergerin aus Weinsberg, deren segensreicher Einfluß auf des Knaben offne, freie Seele dem sanften Thaue vom Hermon glich. Er hat im Jahrgange der „Spinnstube“ 1846 eine Scene geschildert, welche ganz dies Bild der trefflichen Frau darstellt und beweist, wie sie es verstand, auf den lebensfrischen Knaben von der sichersten Seite einzuwirken. Die öffentlichen Schulen waren unter der Franzosenwirthschaft am Rheine im ärgsten Zustande. Alles nach der Staatsschablone, ohne daß der geistige Gewinn irgend angeschlagen gewesen wäre. Als darum der Knabe das Alter erreichte, wo der höheren Ausbildung Rechnung getragen werden mußte, nahm der Vater, ein Zögling des Gymnasiums von Meurs und der Universitäten Duisburg und Heidelberg, und ein tüchtiger Philologe; ein älterer Bruder, ein sogenannter Privatgelehrter und ein sehr tüchtiger französischer Geistlicher, der aber zum Receveur des Douanes und später Steuereinnehmer avancirt war, ein eben so wackerer als gelehrter Mann, des Knaben Bildung in ihre Hand, und der Erfolg war ein besserer, als der der école secondaire. Freilich fand sich im Jahre 1814, als er die Universität Heidelberg bezog, noch manche Lücke, die er aber dort mit dem Feuereifer einer nach Erkennen durstigen Seele durch einen selbst die Gesundheit gefahrdrohenden Eifer auszufüllen strebte. Sein ganzes inneres Wesen zog ihn zur Theologie. Daub, Schwarz, Hegel, Fries, Wilken und Andere waren seine Lehrer. Im Hause des edeln Schwarz wurde er mit besonderer Liebe gehegt und dies Haus, diese Familie ist ihm theuer geblieben, wie denn die Verbindung mit Schwarz erst mit seinem Tode endete. Ueberhaupt war sein Leben in Heidelberg ein schönes, der Kreis ausgezeichneter Jünglinge, mit denen er innig verbunden war, anregend und erfrischend, die Theilnahme an mancher folgereichen Erscheinung des akademischen Lebens jener Tage nicht ohne wohlthätige Folgen.

Ostern 1818 war die Grenze des akademischen Lebens. Wohl wäre es sein heißer Wunsch gewesen, noch einmal nach Bonn gehen zu können, aber die Sorgenwolken waren am elterlichen Himmel noch nicht verzogen. Es ging nicht. Und es war gut so, denn der Vater erkrankte und bedurfte seiner im doppelten Amte, als Pfarrer und Superintendent, und ehe das Jahr 1818 hinabsank, schloß sich sein Auge für diese Welt. Seit 1812 hatte er Bacharach verlassen und sich auf die kleine, ruhige Pfarrstelle des lieblich gelegenen Gebirgsdorfes Manubach zurückgezogen. Die Liebe der Gemeinde ging vom Vater auf den Sohn über, und er folgte ihm im Pfarramte in dieser nur fünfhundert Seelen zählenden Dorfgemeinde.

War schon im Knaben die schaffende Thätigkeit erwacht, wie hätte sie später, namentlich im Kreise gleichdenkender Alters- und Geistesgenossen und im stillen, idyllischen Leben in diesem schönen Rheinthale entschlummern können? Damals und auf Jahre hinaus, auch im Nahethale, beschäftigten lokalhistorische Studien den Mann. Zu Tage ist davon nur getreten eine Geschichte der Burg Rheinstein und später ein Bändchen: Bilder aus dem Nahethale. Insbesondere war die Sammlung der Sagen des Nahethales, die so reich und eigenthümlich sind, eine liebe Beschäftigung, und der Umgang mit dem Volke bot dazu die reichste Gelegenheit. Leider ruhen sie noch in der Mappe, ein reicher verborgener Schatz.

Mit dem Jahre 1821 begann W. O. von Horn, damals unter dem Namen: F. W. Lips (Lips war sein Studentenname) mit seinen, größtentheils historischromantischen Erzählungen hervorzutreten, und als man endlich erfuhr, wer dahinter stecke, schwieg er lange, und trat dann mit seinem „Friedel“ (eine Volksgeschichte) als W. O. von Horn hervor, welchen Namen er beibehielt.

Wie trefflich er in diesem Friedel den Volkston anzuschlagen verstand, beweisen wohl am besten die verschiedenen großen Auflagen, die sich in wenigen Jahren nöthig machten. Im Jahre 1846 begann er die „Spinnstube,“ einen Volkskalender, den er ganz allein schreibt. Keiner von all’ den vielen illustrirten und nicht illustrirten Kalendern Deutschlands hat eine so allgemeine und große Verbreitung, namentlich im Süden unseres Vaterlandes gefunden, wie dieses von L. Richter hübsch illustrirte Büchlein. Gleich großen Beifall, wenn auch nicht die enorme Verbreitung der Spinnstube, fand der Separatabdruck der Erzählungen aus der Spinnstube, den er unter dem Titel: „Rheinische Dorfgeschichten“ und „des alten Schmidjacobs Geschichten“ in Frankfurt erscheinen ließ. Eine Auswahl kleinerer Erzählungen und Biographien erscheint seit zwei Jahren in Wiesbaden; auch unsere Gartenlaube hat sich vieler Beiträge zu erfreuen. Die meisten seiner Erzählungen sind in’s Französische, Holländische und Englische übersetzt und außerdem vielfach nachgedruckt.

Man hat Horn öfter vorgeworfen, er schreibe so viel. Vielleicht ist doch dieser Vorwurf falsch. Die Erzählungen (11 Bände) sind nicht neu. Es sind die Wiederabdrücke seit 1820 geschriebener verschiedener Arbeiten. Die Schmiedjakobsgeschichten sind ebenfalls nur Wiederabdrücke aus der Spinnstube, ohne neue Zuthaten. Die Spinnstube ist immer auf zwei bis drei Jahre vorausgeschrieben, weil der kunstreiche Illustrator sie vor sich liegen und Zeit dazu haben will. So können also Jahre kommen, wo O. W. von Horn nicht einmal eine Spinnstube schreibt. Ueberdies hat er, und das wissen seine zahlreichen Freunde, die Gabe leichten und raschen Schaffens. Und dies Schaffen findet nur in den Stunden von acht Uhr Abends bis Mitternacht statt, weil der Tag ganz seinem heiligen Berufe gehört. Sechzehn Jahre lebte er in Manubach, in diesem stillen, verborgenen Rheinthale, in glücklicher Ehe, im Kreise heranblühender Kinder. Im Jahre 1835 wurde er nach Sobernheim als Pfarrer und Superintendent berufen, wo er zur Stunde noch lebt und wirkt.

Die große Kunst Horn’s, die ihm beim Volke so sehr beliebt macht, besteht hauptsächlich darin, – und außer Höfer wüßten wir keinen deutschen Autor, der ihm darin gleich käme –, daß er mit den einfachsten, schmucklosesten Mitteln das Gemüth des Lesers zu packen und zu rühren versteht. Horn ist weder in seinen Erfindungen und Situationen neu und originell, noch weiß er die Nerven à la Sue und Dumas auf die Folterbank der Erwartung zu spannen, aber seine Kenntniß des menschlichen Herzens, die echte Gemüthlichkeit und Treuherzigkeit, die alle seine Erzählungen durchweht, sein tiefes Gefühl für alles Gute und Schöne und die einfache, fast naive Weise seiner Form, die er in seltnem Grade beherrscht, machen ihn zu einem Lieblingsschriftsteller des Volkes, der überall gelesen wird, wo Gemüth und Treuherzigkeit noch Anklang finden. Wollte Horn dann und wann etwas kräftiger und entschiedener auftreten und sich der heiligsten Interessen des Volkes mehr annehmen, er würde bald auch bei denen ein sehr willkommener Gast sein, die ihm jetzt allzugroße Weichheit und Indifferentismus vorwerfen. Das Talent zum echten Volksschriftsteller hat er wie wenige neben ihm.