Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: W. Hoffmann’s Nähstuhl
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 288
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[288] W. Hoffmann's Nähstuhl. Wie oft haben schon Aerzte erkrankten Frauen und Mädchen gegenüber das Verdict erlassen müssen. „Bewegen Sie keine Nähmaschinen!“ Fallen diese Worte in wohlhabenden Bürgerhäusern, so haben sie nicht viel zu sagen hier sind sie leicht zu befolgen; anders liegt es bei dem Kleinbürger, in der Mansardenstube der armen Näherin und in den Werkstätten der Wäsche- und Kleiderfabrikanten. Hier hat dieser ärztliche Rath nur zu oft die Bedeutung. „Gieb Dein Brod auf!“

Dutzende von Aufforderungen und selbst Preisausschreiben sind schon erlassen worden, um einen billigen und leicht zu handhabenden Motor für die Nähmaschinen zu erhalten, und die Frauen von der nervös-aufreibenden Arbeit des Nähmaschinentretens zu befreien. Man construirte elektrische Motoren und benutzte die Druckkraft der Wasserleitungen, man baute große Uhrwerke mit gewaltiger Federkraft und setzte Heißluftmotoren in Betrieb - nichts davon hat sich bis jetzt dauernd das Weltbürgerrecht erobern können. Der elektrische Motor producirt sich nur hier und da noch im Schaufenster einer Nähmaschinenhandlung; die Kraft einer Wasserleitung kann nur Wenigen zu Gute kommen, am allerwenigsten aber der armen Näherin in der Mansarde, die heute hier, morgen dort wohnt und die kostspielige Anlage nicht mit fortnehmen kann. Das Uhrwerk beanspruchte die Muskeln eines Hausknechts zum Aufziehen, und dann nähte es zehn Minuten lang mit der ätherischen Kraft eines kränklichen Backfischchens. Der Heißluftmotor hat vielleicht noch eine Zukunft; nur müßte er sich sehr verbessern und im Betriebe vereinfachen. Die altbewährte Dampfkraft kann leider hier nicht in Frage kommen; sie gleicht dem Grossisten und kann sich auf Detailkram nicht einlassen.

Der Mechaniker Wilhelm Hoffmann in Mühlhausen in Thüringen hat nun eine uralte Kraft zu dieser Dienstleistung neu herangezogen, die Anziehungskraft der Erde.

Sein Werk stellt den hier im Bilde wiedergegebenen Sessel dar; vor sich zu Füßen hat man einen Hebeltritt (g), der nach der Gliederlänge der Nähenden kürzer oder länger gestellt werden kann.

Man drückt mit beiden Füßen auf diesen beweglichen Fußschemel; damit hebt man den Sitz des Schemels sammt seiner eigenen Person etwa zwölf Zentimeter empor. Die aufgewendete Kraft ist nun gleichsam bei der Schwerkraft der Erde auf allmähliche Rückzahlung angelegt worden. Die Körperlast drückt auf eine Zahnstange (c), die ein erfindungsreiches und doch sehr einfaches Räderwerk in Bewegung setzt; dieses treibt die Riemenscheibe (d), welche ihrerseits die Kraft auf die Nähmaschine (A) überträgt. In sanftem Tempo sinken wir in zwölf bis fünfzehn Secunden wieder auf den alten Punkte die Glieder, die inzwischen ausgeruht haben würden, wenn überhaupt eine Anstrengung stattgefunden hätte, drücken nun auf's Neue auf den Hebel, während der ganze Mechanismus ruhig seinen Gang weiter geht. Für sofortigen Stillstand der Maschine sorgt die Ausrückvorrichtung b.

Auch ohne vorausgegangene Uebung fanden sämtliche von mir consultirte Näherinnen das sanfte Auf- und Niedergehen der ganzen Person bei der Arbeit nicht störend. Bei feinen Zierarbeiten mag wohl Vorübung unerläßlich sein. Der Proceß des Nähens wird durch die Vermehrung des Betriebsmechanismus zwar um ein Weniges umständlicher; das soll und darf nicht verschwiegen werden. aber das kann den Vortheilen gegenüber kaum in Frage kommen. Am Trittbrett müssen die Füße in der Secunde zwei Mal drücken, am Nähstuhl in zwölf bis fünfzehn Secunden nur ein Mal. Dieser eine' Druck erfordert bei nur einiger Uebung kaum mehr Kraft, als ein Druck auf das Trittbrett, und die berüchtigte zitternde Bewegung des Körpers, die Ursache des „Nähmaschinenleidens“, fällt gänzlich weg. Das Nähen selbst kann langsam, aber auch mit rasender Schnelligkeit betrieben werden, je nachdem man die Füße während des Niedergehens leicht oder fest auf den Hebel aufsetzt. Jede Nähmaschine, mit und ohne den stets wünschenswerthen Nähtisch, gleichviel, welches Systems sie auch sei, kann durch unwesentliche Veränderung für den Nähstuhl hergerichtet werden. und um die Verschiedenheit des Körpergewichts auszugleichen, sind an der Riemenscheibe mehrere Schnurläufe angebracht, die kleineren dienen für Personen unter hundert Pfund. Geht der Riemen im kleinsten Schnurlauf, so genügt die Last eines dreijährigen Kindes, um den Stuhl nach abwärts zu drücken und die Nähmaschine in Bewegung zu setzen. Selbstverständlich muß der Mechanismus gut mit Oel bedacht werden.

Wir sehen, ganz entlastet sind die Näherinnen noch nicht, aber durch die Hoffmann'sche Erfindung ist ein wesentlicher Fortschritt erzielt worden, der hoffentlich dazu beitragen wird, die Nähmaschine noch populärer zu machen, als sie schon ist, ihre Segnungen zu verallgemeinern und die Schatten dieser herrlichen Erfindung zu verwischen.