Textdaten
Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Vorrede
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aus: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung)
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Vorrede.

Andre Zeiten, andre Gedanken. Als ich die Sammlung der zerstreueten Blätter dieses Theils unternahm, glaubte ich bei dem, was jetzt die Seelen so vieler Menschen beschäftigt, eben nicht nach Ergötzlichkeiten des Witzes und der Einbildungskraft suchen zu müssen, sondern nach Etwas, das dem Gemüth Belehrung und Stärke ertheilet. Also kam mir mein alter, geliebter Joh. Valent. Andreä wohl zu statten.

Von diesem vortreflichen Mann hatte ich in jugendlichen Jahren eine gute Anzahl Stücke übersetzt, einige der selben auch hie und da bekannt gemacht; und ich darf wohl sagen, daß mich keine Zeile reuet, die ich zu Erweckung des Andenkens dieser seltnen schönen Seele geschrieben habe. Im Wirtenbergischen Repertorium der Literatur erschien sein Leben, dessen besondre Herausgabe vielleicht nützlich wäre; es ist von einem gelehrten, den Charakter Andreä’s fassenden Manne geschrieben. Moser in seinem patriotischen Archiv für Deutschland (B. 6.) machte Briefe von ihm bekannt, mit Anmerkungen, in denen sich Mosers biedrer Geist nicht verläugnet. Was zunächst hieher gehört, sind Andreä Dichtungen, zur Beherzigung unsres Zeitalters, die 1786. mit meiner Vorrede erschienen. Sie sind sehr gut gewählt, blühend und leicht übersetzt, oft auch nach den Bedürfnissen unsrer Zeit verändert, und verdienen allerdings die Beherzigung, die ihnen der Uebersetzer wünschte.

Mein Zweck war es nicht, den alten Andreä zu verändern. Ich wählte also aus meinen Papieren nur das, was noch nicht übersetzt war, wenige Stücke ausgenommen, die ich gern in ihrer alten Gestalt zeigen wollte; fand aber bei dieser Auswahl etwas Sonderbares zu bemerken. Dichtungen und Gespräche, die in den Jahren 1770 und 1780 ohn’ alle Gefährde erschienen wären, fand ich gut, im Jahr 1793 lieber zurückzuhalten, ob sie gleich 1617 oder 20 verfaßt waren; es waren unter diesen trefliche Parabeln und Gespräche. In den andern, glaubte ich, spreche das unschuldige Herz eines Mannes, der vor zweihundert Jahren gelebt hat, so laut, daß man dabei an keine Misdeutung denken möge. Wie belehrend und tröstend sind überhaupt diese Herzensergiessungen des gedrückten Mannes! Er glaubte das Uebel seiner Zeit auf dem höchsten Gipfel; und aus wie manchem dieser Uebel ist seitdem Gutes entstanden! Manche Wunde hielt er für unheilbar, die die Zeit entweder geheilt, oder vielleicht zu einer größern Gesundheit des Körpers fortdaurend gemacht hat. Der Geist erhebt, das Gemüth stärkt sich ungemein bei einer solchen Vergleichung der Zeiten nach dem damaligen Gefühl herzlicher Menschen. – Für die drei ersten Stücke dieser Sammlung habe ich damit gnug gesaget.

Andreä führte mich auch zum vierten Stück dem Andenken an einige ältere Deutsche Dichter. Ueber ihn und Weckherlin hatte ich vor Jahren im Deutschen Museum einige Briefe drucken lassen, die mich natürlich auf ältere Dichter zurückführten. Gewiß werden diese Briefe, der eingerückten Stellen wegen, vielen Lesern nicht unangenehm seyn: denn ich glaube kein Wort davon, daß die Deutschen mehr als andre Völker für die Verdienste ihrer Vorfahren fühllos seyn sollten. Der Keim alter Rechtlichkeit, Biederkeit und Treue ist in ihnen; ob sie gleich in ältern und neuern Zeiten durch das Schaumgold mehrerer Ausländer, eben ihres guten Glaubens wegen, oft verführt und fast immer betrogen wurden. Mich dünkt, ich sehe eine Zeit kommen, da wir zu unsrer Sprache, zu den Verdiensten, Grundsätzen und Entzwecken unsrer Väter ernster zurückkehren, mithin auch unser altes Gold schätzen lernen. Der folgende letzte Theil dieser Sammlung wird also vielleicht Briefe über einige ältere Deutsche Prosaisten enthalten, die, wie ich glaube, des Andenkens sehr werth sind. Angenehm ist mirs auch, daß ich die Erscheinung des Heldengedichts, von dem im vierten Briefe die Rede ist, in einer Gestalt anmelden kann, in der es gewiß, zum zweitenmal, ein classisches Buch unsrer Nation seyn wird.

Die H. Cäcilia hat einen besondern Ursprung. Die ungewöhnliche Art, wie sie zum Schutzpatronat der Musik kam, veranlaßte zuerst ein kleines Gespräch in ein geschriebenes Journal, aus welchem mehrere Stücke dieser Sammlung einverleibt worden. Mein Aufenthalt in Italien ließ mich über die gottesdienstliche Musik mehr nachdenken, als dazu in Deutschland Gelegenheit gewesen wäre; und so widmete ich aus Dankbarkeit der H. Cäcilia diesen kleinen Aufsatz. Spreche man nicht von Hindernissen, von schönen Träumen; ich weiß, was sich darüber sagen läßt, und daß es endlich auf den Satz hinausgeht: „Die Zeit der christlichen Kirchenmusik ist vorüber.“ Sei sie es; das Gefühl der reinen Herzensmusik wird nie aussterben auf Erden, in welcher Gestalt diese Himmlische auch erscheinen möge.

Endlich erscheint mein alter Hutten, der, ich weiß nicht durch welchen Zufall, in einen Nachdruck Göthischer Schriften gekommen war. Ich habe diesem etwas wilden Gewächse so viel entnommen, als sich ihm, daß es noch am Leben bliebe, nehmen ließ, und nebst der Nachschrift auch einige Anmerkungen hinzugefüget. Ich glaubte, als ich den Aufsatz schrieb, ich müsse Hutten darstellen, nicht wie ihn andre ansähen, oder wie er den Meisten von uns jetzt erscheinen möchte, sondern wie Er sich fühlte, was er wollte und meynte; und dies glaube ich noch. Ueber ihn urtheilen kann sodann ein Jeder, und Jeder nach seiner Weise: denn Huttens Fehler sind unverborgen, und über den Erfolg seines Unternehmens hat die Zeit entschieden. In einen politischen Plan ist, so wie Sickingen, so auch Hutten nie verflochten gewesen; Hutten war kein Politicus, und that, was er that, für die gute Sache des Vaterlandes, für Religion und Wahrheit. Andre wirkten dazu auf ihre Weise; und ich bin so weit entfernt, Huttens persönlicher Anfeindung wegen, des grossen, weit- und breit verdienten Erasmus Verdienste zu verkennen, daß in anderm Betracht Er und Grotius vielmehr seit vielen Jahren meine Idole gewesen. Jeder werde auf seiner Stelle erkannt und geachtet. Weimar, den 14. Jun. 1793.

J. G. Herder.