Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vor dem Ausbruch des Vulcans
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 492–494
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Zusammenfassung des Romans Die letzten Tage von Pompeji von Edward Bulwer-Lytton
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[492]

Vor dem Ausbruch des Vulcans.

Viel Schweiß der Edlen ist an die Aufdeckung jenes Alterthums verwendet worden, welches man das classische nennt. Ein eigener Zweig am Baum der Wissenschaft bildete sich ausschließlich für die Erforschung des Schriftthums der Griechen und Römer, und doch konnte man blos Sonntagsgestalten der Poesie und Geschichtschreibung an’s Licht ziehen, während der Mensch und die Gesellschaft des Alltags, das Werkeltagstreiben im Haus und Garten, auf Straße, Markt und auf der Reise nicht bis zum klaren Bild an uns herantrat. Das Epos der Gegenwart, der Roman, welcher das reinste Spiegelbild des Lebens und Treibens vom Innersten bis zum Aeußersten darstellt, war den Alten fremd. – Da nahm sich die Natur der Sache an. Gerade zur günstigsten Zeit, nahe am Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus, wo der raffinirteste Sinnengenuß herrschte, wo Sclaverei und Gladiatorenthum für „Brod und Spiele“ in der Arena sorgten, während in den kühlen, blumendurchdufteten Räumen des gebildeten Hauses die Poesie der Griechen zur Lyra erklang, in dieser Zeit der schroffsten Gegensätze im öffentlichen und geheimen Leben deckte ein furchtbares Naturereigniß plötzlich zwei der blühendsten Städte des italienischen Großgriechenlandes, Herculanum und Pompeji, für siebenzehnhundert Jahre mit einem licht- und luftdichten Grabtuch von verbranntem Gestein und Asche zu.

Dornröschens Zauberschloß ist ein Kinderspiel der Phantasie neben der ungeheuren Wahrheit dieser Thatsache. Zwei volkreiche und lebenslustige Städte werden ohne irgendwelche Vorahnung, ohne jede Andeutung des Bevorstehenden im Verlauf weniger Stunden so vollständig den Augen der Welt entrückt, die Stätte selbst entschwindet so völlig aus dem Gedächtniß der nachkommenden Geschlechter, daß nach mehr als anderthalbtausend Jahren eine förmliche Entdeckung derselben nothwendig ist. – Für die damaligen Umwohner des Vesuv war ja dieser Berg noch nicht der feuerige Warner. Kein offener Krater zeigte die Werkstatt des Vulcan an, Gesträuch überwucherte die Thalmulde des Berghauptes, keine Geschichtsrolle berichtete irgendwann von einem Ausbruch des Vesuv, und nur seine Gestalt und die Lava der Wände zeugten für das, was er einst gewesen; der Vesuv galt für einen längst für immer erloschenen Vulcan.

Zwar ist die Unheimlichkeit seiner Nachbarschaft etwa sechszehn Jahre vor der entsetzlichen Katastrophe durch ein heftiges Erdbeben bemerklich gemacht worden, das in Herculanum und Pompeji viele Gebäude zerstörte; aber sechszehn Jahre sind eine lange Zeit und längst war von jener Verwüstung die letzte Spur verwischt. Dieses ganz Unvorbereitete der gräßlichen Erscheinung, das alles Leben zweier Städte wie mit einem Schlage erstarren machte, wird uns immer tief in die Seele greifen; es ist das Erschütternde, aber ihm verdanken wir auch das außerordentlich Belehrende eines Ganges in den wieder aufgegrabenen Straßen jener „mumisirten“ Städte, wie Goethe sie nennt. Wir sehen an hundert Beispielen, wie die Menschen bald mitten in der Arbeit, bald mitten im Vergnügen von dem Unglück überrascht worden sind. Dort die halbfertigen Säulen auf dem Forum; sie sollten nie fertig werden. Wo sind die Werkleute geblieben? Im Backofen liegt das fertige Brod; der Bäcker kam nicht wieder, es heraus zu langen; das geschah erst eintausendsechshundertsiebenzig Jahre später durch einen ganz anderen Mann. Wollen wir nicht in die Wohngemächer und Gesellschaftssäle der Vornehmen und in die Putzzimmer der Frauen blicken? Alles, was ein Roman aus jenen Tagen uns geschildert haben würde, das sehen wir mit eigenen Augen, und Formen und Farben sind so wohl und frisch erhalten, als wäre das Alles gestern erst angeschafft. „Diese Zimmer, Gänge und Galerieen,“ so erzählt Goethe von seinem Besuch in Pompeji, „auf’s Heiterste gemalt, die Wandflächen einförmig, in der Mitte ein ausführliches Gemälde, jetzt meist ausgebrochen, an Kanten und Enden leichte und geschmackvolle Arabesken, aus welchen sich auch wohl niedliche Kinder- und Nymphengestalten entwickeln, wenn an einer anderen Stelle aus mächtigen Blumengewinden wilde und zahme Thiere hervordringen. Und so deutete der jetzige ganz wüste Zustand einer erst durch Stein- und Aschenregen bedeckten, dann aber durch die Aufgrabenden geplünderten Stadt auf eine Kunst- und Bilderlust eines ganzen Volkes, von der jetzt der eifrigste Liebhaber weder Begriff, noch Gefühl, noch Bedürfniß hat.“

Unseren Lesern haben wir schon im Jahrgang 1856 der „Gartenlaube“ Gelegenheit gegeben, im Geiste durch die Straßen der aufgegrabenen Stadt zu lustwandeln, indem wir ihnen Overbeck’s „Vogelansicht von Pompeji“ in einem großen Holzschnitte mittheilten; und noch 1861 ließen wir sie einen Blick auf die Ausgrabungsarbeiten selbst thun. Die Artikel zu beiden Bildern behandeln alles Wissensnothwendige über den Gegenstand in geschichtlicher und naturgeschichtlicher Beziehung so ausführlich, daß wir darauf zurückverweisen müssen, um uns ausschließlich unserem heutigen Bilde zuzuwenden.

Bekanntlich hat der englische Schriftsteller E. L. Bulwer seinen Besuch in der wieder erstehenden Stadt dazu benutzt, den Roman, den wir aus jener alten Zeit vermißt, noch nachträglich zu liefern in seiner berühmten Erzählung: „Die letzten Tage von Pompeji“; wir verdanken eine in manchen Stellen sinnreich verbesserte deutsche Bearbeitung dieses Romans unserem Friedrich Förster. Dieses Buch leitete den Künstler,[1] als er in diesem Bilde uns den schönsten, reinsten Lebensgenuß auf unheildrohendem Hintergrunde darstellte.

„Die letzten Tage von Pompeji“ führen uns das bunte, bewegungsreiche Leben einer üppigen Stadt vor, in welcher der kaiserknechtische Römer-Hochmuth über den Griechen-Unterthanen herrscht, der Grieche durch Vermögen und Geist dominirt und einheimische und fremde Priesterlist über Alle siegt, bis mit dem allgemeinen Verhängniß auch ihr „letzter Tag“ kommt.

Für diejenigen unserer Leser, welchen der Bulwer’sche Roman noch fremd ist, setzen wir die Fabel desselben in aller Kürze hieher. – Ein junger wohlhabender Grieche, Glaukus, hat sich in Pompeji niedergelassen und verführt mit jungen Römern, Schmarotzern, Spielern und Schöngeistern, das Leben der vornehmen Gesellschaft jener Tage, bis durch die Liebe zu der schönen und reichen Griechin Ione sein besseres Selbst sich aufrafft. Ione

[493]

Aus den letzten Tagen von Pompeji.
Nach einem Oelgemälde R. Risse’s von ihm selbst auf Holz übertragen.

[494] und ihr Bruder Apaecides stehen unter dem Einfluß eines ägyptischen Isispriesters Arbaces, welcher den Bruder in den Isisdienst und in den Pfuhl der Unsittlichkeit verlockt, um die Schwester selbst um so leichter ganz für sich zu gewinnen. Dem eifersüchtigen schuldvocken Arbaces gegenüber steht die blinde Sängerin Nydia, eine griechische Sclavin, die sterblich in Glaukus verliebt ist und von diesem der Ione zum Geschenk gemacht, d. h. zur Gesellschafterin gegeben wird. Trotz ihrer Leidenschaft rettet sie die Ione aus der höchsten Gefahr, von Arbaces mit Gewalt verführt zu werden.

Am Tage nach diesem Schrecken ist es, wo wir die Liebenden und die Retterin das bekränzte Fahrzeug besteigen sehen. Damals lag die Stadt noch am Meere und der Sarnus, der jetzt als träger Bach dahin schleicht, trug als stattlicher Fluß Schiffe auf seinem Rücken. Auf dem Sarnus fuhr das Boot hinaus auf die See, und da finden wir die von einem freundlichen Geschick so eng Verbundenen in seliger Selbstvergessenheit, während sich über dem Vesuv am Himmel schon die schwarzen Rauchwolken zusammenballen, die am kommenden Tag Pompeji’s Leichentuch werden sollten. Glaukus und Ione lauschen, Hand in Hand, dem Gesang der blinden Nydia, die ihre Liebespein still im Herzen trägt. Auch am andern Ende des Bootes ist Einer, der sich nichts um das Drohen des Himmels bekümmert: der ägyptische Sclave, welcher in sich versunken das Ruder führt. Nur der Knabe und der Neger richten ihr Augenmerk der Wolke zu, die sie anstaunen, fast freudig, wie eine Abwechselung am ewig klaren Himmel.

Wir wollen das Schicksal der Liebenden gar auserzählen. Apaecides schließt sich der damals im Stillen aufblühenden Secte der Nazarener, den Christen an und bedroht den Arbaces mit der Enthüllung seines Trugs und seiner Schande. Dafür ermordet ihn dieser und weiß zugleich den Glaukus als den Mörder hinzustellen, der nun zur Strafe in die Arena geschleppt wird, um im Kampf mit einem Löwen zu enden. Abermals ist die blinde Nydia die Retterin aus der äußersten Gefahr; sie führt Zeugen der Mordthat des Arbaces herbei, der nun vom blutgierigen Volk der Arena als Kämpfer mit dem Löwen verlangt wird. Ehe aber dieser Kampf beginnt, brechen die Wetter der Tiefe und der Wolken über alles Nachbarland des Vesuv aus, und in tödtlicher Hast flüchtet alles, was Leben hat und retten will, aus der wankenden Stadt dem Meere zu, selbst die Löwen und Tiger der Arena, in Todesfurcht nun friedlich und scheu. Auf dieser Flucht wird Arbaces von einer niederstürzenden Göttersäule erschlagen. In der Schilderung der Katastrophe hält Bulwer sich an Plinius den Jüngern. Auch die Phantasie der Dichter und der Maler hat die Scenen dieses Untergangs zu verewigen gesucht, aber einer solchen Wirklichkeit gegenüber erlahmen Pinsel und Griffel.

Am Morgen nach dem Tage dieses finsteren Gerichts steuerte ein Schiff von Italiens Küste ab den griechischen Gestaden zu. Glaukus, Ione und Nydia entflohen den römischen Erdbeben und Lastern, um ihr Glück in der schönen Heimath zu suchen. Todtmüde von den Aufregungen der jüngsten Vergangenheit ruhen die Liebenden im Schlummer; nur Nydia wacht bei der Qual ihrer eifersüchtigen, hoffnungslosen Liebe, und still macht sie ein Ende. Sie küßt den Geliebten auf die Stirn und gleitet sanft hinab in die Arme des heiligen Meeres. Glaukus und Ione schlossen sich in Athen der ersten Christengemeinde an und waren glücklich in ihrem Glauben und in ihrer Liebe.

So hat denn unser Bild uns mit Hülfe der Dichtung zu einem Stück Geschichte voll Lebenswahrheit geführt. Wer heute nach Pompeji kommt, findet einen reizenden Genuß darin, mit den Gestalten jener Erzählung die Straßen und Arenen, Plätze und Tempel, Höfe und Gärten zu bevölkern; Bilder und Geräthe rühren von der Menschen Hand her, die hier daheim waren, und so kann der Geist hier bewirken, was anderswo die Natur vollbringt: er läßt neues Leben blühen aus den Ruinen.


  1. Roland Risse in Düsseldorf, ein Mann in dem glücklichen Alter von vierunddreißig Jahren, hat den Portraitmaler Karl Sohn und die Akademie-Directoren Schadow und Bendemann zu Lehrern gehabt und in München, Dresden, Berlin, Belgien, Holland und Paris alte und neue Kunst studirt. Gemalt hat er zuerst eine Reihe biblischer Bilder, auch ein größeres Frescobild im Auftrag des Kunstvereins für das Rheinland und Westphalen; mehrere deutsche Märchen, dann „Johanna Sebus ihre Mutter aus der Wassersnoth rettend“, eines der vielen Düsseldorfer Gemälde, welche in der letzten Zeit nach Amerika gekommen sind.